Haben Sie sich jemals gefragt, warum Sie ein gestörtes Verhältnis zum Essen haben? Warum Sie vielleicht stopfen, schlingen, nicht genug bekommen? Oft weiß man gar nicht, an was es genau liegt, warum man zB bei Bulimie, Binge Eating oder Adipositas das Loch im Bauch stopfen muss. Es gibt kaum nur immer „die eine“ Ursache. Meistens ist es eine Kombination aus mehreren Ursachen.
Das Bio-Psycho-Soziale-Modell
Wenn man das Bio-Psycho-Soziale-Modell zur Erklärung heranzieht, sieht man, dass es „biologische Ursachen“ geben kann (zB genetisch bedingte Gewichtszunahme), sowie „psychologische Ursachen“ (zB Überzeugungen, Gedankenmuster aus der Kindheit, Streit/Trennung der Eltern) oder aber auch „soziale Ursachen“ (zB Einsamkeit, Mobbing in der Schule/Arbeitsplatz).
Was ist Adipositas?
Als „Übergewicht“ bezeichnet man die Erhöhung des Körpergewichts durch eine - über das Normalmaß hinausgehende - Vermehrung des Körperfettanteils. Bei starkem Übergewicht spricht man medizinisch von einer Fettsucht (Adipositas). Adipositas ist eine Krankheit, reines Übergewicht nicht. Erst im Spätstadium wird ausgeprägtes Übergewicht zu einer Krankheit, nämlich Adipositas. Daher wird Übergewicht auch als Präadipositas („Vor-Adipositas“) bezeichnet.
Adipositas ist kein Figurproblem undisziplinierter Menschen, sondern eine anerkannte, chronische Erkrankung. Sie gehört zum Kreis der hormonellen, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Adipositas als eine über das normale Maß hinausgehende Ansammlung von Fettgewebe im Körper, das gesundheitliche Schäden verursacht.
Adipositas und psychische Gesundheit
Wer an Adipositas leidet, hat ein deutlich höheres Risiko, auch an psychischen Störungen zu erkranken. Eine solche Diagnose erhöht die Wahrscheinlichkeit für Depressionen, Nikotinsucht, Psychosen, Angstzustände, Ess- und Persönlichkeitsstörungen deutlich.
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Die Forschenden fanden bei den meisten Störungen signifikante geschlechtsspezifische Unterschiede - wobei Frauen ein erhöhtes Risiko für alle Störungen außer Schizophrenie und Nikotinsucht aufwiesen. Die Rate der diagnostizierten depressiven Episoden war bei adipösen Frauen fast dreimal so hoch (13,3 % adipös; 4,8 % nicht adipös).
Adipositas ist somit ein Risikofaktor für Gesundheitsprobleme aller Art, insbesondere in jungen Altersgruppen. Aus diesem Grund ist ein gründliches Screening auf psychische Probleme bei adipösen Patient:innen dringend erforderlich.
Ursachen und Risikofaktoren für Übergewicht
Übergewicht entsteht immer dann, wenn dem Körper mehr Energie zugeführt wird, als dieser verbraucht. Man spricht von einer positiven Energiebilanz.
Neben ungünstigen Lebensstilfaktoren kommen auch noch andere Ursachen in Frage:
- Fehlerhafte Ernährungsgewohnheiten: ungünstige Nährstoffzusammensetzung (allen voran zu viel Zucker und zu viel Fett), zu große Portionen etc.
- Bewegungsmangel
- Psychische Einflussfaktoren (z.B. Depressionen)
- Genetische Faktoren: Gene kommen als Mit- jedoch nicht als Hauptverursacher für Übergewicht in Frage
- Stoffwechselerkrankungen (z.B. Diabetes, Schilddrüsenunterfunktion)
- Hormonelle Ursachen (z.B. Wechseljahre)
- Medikamente: wie z.B. die Einnahme bestimmter Antidepressiva, Kortison etc.
Symptome von Übergewicht
Übergewichtige Menschen sind meist körperlich schlechter belastbar, werden schneller müde und schwitzen oft stärker. Das Übergewicht belastet den gesamten Organismus, und zwar umso stärker, je mehr überschüssige Kilos jemand auf die Waage bringt.
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- Abgeschlagenheit, geringere Belastbarkeit, häufige Müdigkeit
- Starkes Schwitzen
- Rücken- und Gelenkschmerzen (z.B. im Knie)
- Schlafstörungen, Schnarchen
- Kurzatmigkeit (bei hoher Belastung bis Atemnot)
Diagnose von Übergewicht
Zur genaueren Abklärung von Übergewicht findet ein Anamnese-Gespräch statt. Der Arzt oder die Ärztin erkundigt sich unter anderem nach der Ernährungsweise, körperlichen Aktivität, eventuellen Beschwerden und Grunderkrankungen sowie psychischen Belastungen.
Mithilfe von Größe und Gewicht des Patienten oder der Patientin kann man den Body-Mass-Index (BMI) berechnen. Der BMI-Wert gibt das Verhältnis zwischen Körpergewicht und Körpergröße an.
Der BMI als Richtwert
Den BMI-Wert berechnet man, indem das Körpergewicht (in Kilogramm) durch das Quadrat der Körpergröße (in Meter) geteilt wird.
Dieser Einteilung zufolge gilt eine Person ab einem BMI-Wert von 25 kg/m2 als übergewichtig. Manchmal wird ein Übergewicht mit einem BMI von 25 bis 29,9 kg/m2 als Präadipositas bezeichnet, also eine Vorstufe zur Fettsucht. Dieser Begriff ist jedoch nicht allgemeingültig.
Problematisch ist, dass der Körperbau und die Muskelmasse in das Körpergewicht mit einfließen und dadurch den BMI-Wert beeinflussen. Am Ergebnis der Berechnung lassen sie sich jedoch ebenso wenig wie das Alter und das Geschlecht ablesen.
Das bedeutet, dass sich der BMI-Wert nur begrenzt als einziges Kriterium für Übergewicht eignet.
BMI-Tabelle bei Erwachsenen
BMI (kg/m²) | Gewichtsklassifikation |
---|---|
< 18,5 | Untergewicht |
18,5-24,9 | Normalgewicht |
≥ 25,0 | Übergewicht |
25,0-29,9 | Präadipositas |
30,0-34,9 | Adipositas Grad I |
35,0-39,9 | Adipositas Grad II |
≥ 40 | Adipositas Grad III |
Weitere Untersuchungen
Um sich ein genaueres Bild von den bereits bestehenden Begleit- oder Folgeerkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes oder Fettstoffwechselstörungen zu machen und das Risiko dafür einzuordnen, können weitere Untersuchungen durchgeführt werden.
Dazu zählen beispielsweise Blutdruckmessung, Elektrokardiogramm (EKG), Blutuntersuchungen sowie eine Ultraschalluntersuchung von Leber und Gallenblase.
Folgen von Übergewicht
Übergewicht führt mitunter zu vielfältigen gesundheitlichen Problemen und Folgeerkrankungen. Dazu zählen beispielsweise Arteriosklerose (Arterienverkalkung) und in weiterer Folge Herz-Kreislauf-Erkrankungen (wie Herzschwäche, Angina pectoris oder „Brustenge“, Herzinfarkt und Schlaganfall).
Außerdem steigt mit dem Körpergewicht das Risiko für Typ-2-Diabetes (Zuckerkrankheit), Fettstoffwechselstörungen (wie ein erhöhter Cholesterinspiegel), Leberverfettung, Gicht und Gallensteine sowie Gelenkverschleiß (Arthrose).
- Bluthochdruck
- Herz-Kreislauferkrankungen
- Diabetes
- Fettlebererkrankungen
- Gallensteine
- Fettstoffwechselstörungen (erhöhter Cholesterin, erhöhte Triclyceride)
- Tumorerkrankungen und Krebs
- Orthopädische Probleme (Gelenksprobleme, Wirbelsäulenprobleme)
- Psychische Erkrankungen (z.B. Depressionen)
Darüber hinaus erhöht starkes Übergewicht das Krebsrisiko: Besonders das Risiko, an Speiseröhrenkrebs, Darmkrebs, Nierenzellkrebs oder Brustkrebs zu erkranken, steigt mit zunehmendem Übergewicht an.
Auch Depressionen und sozialer Rückzug sind bei übergewichtigen Menschen häufiger zu beobachten.
Psychosoziale Faktoren
Der Einfluss von psychosozialen Faktoren bei der Entstehung von Übergewicht ist mitunter groß. So suchen viele Menschen bei Kummer, Stress, Langeweile, Frustration oder mangelndem Selbstbewusstsein Ablenkung und Trost im Essen.
Psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen kommen häufig in Verbindung mit Übergewicht vor.
Offenbar besteht ein Zusammenhang zwischen traumatischen Ereignissen wie Gewalt- oder Mobbing-Erfahrungen und dem Risiko für Übergewicht. Solche Ereignisse erhöhen die Gefahr, dass insbesondere Kinder und Jugendliche ein geringes Selbstwertgefühl entwickeln, was wiederum Frust und Depressionen und damit einhergehend ein gestörtes Essverhalten auslöst.
Behandlung von Adipositas
Zur Behandlung einer Adipositas reicht es nicht aus, kurzfristig etwas Gewicht zu reduzieren. Um schwere Folgeerkrankungen zu verhindern, müssen Menschen mit Adipositas abnehmen und ihr neues Gewicht dauerhaft halten.
Die Behandlung von Adipositas beruht immer auf einer Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie. Die Kombination aus diesen Behandlungsmethoden nennt man in der Medizin eine multimodale konservative Therapie.
Ernährungstherapie
Menschen mit Adipositas sollten eine individuell an ihre Bedürfnisse angepasste Ernährungsberatung erhalten. Außerdem sollten die praktischen Aspekte der Ernährungsumstellung auch berücksichtigt werden. Die Patienten und Patientinnen lernen, worauf sie beim Einkaufen achten müssen und wie sie mit wenig Aufwand abwechslungsreich kochen.
Wem es gelingt, Intervallfasten in den Alltag zu integrieren, kann mit diesen bewussten Essenspausen dem Körper freie Zeit verschaffen, in der er nichts verdauen muss.
Bewegungstherapie
Bewegung ist ein zentraler Baustein der Adipositas-Therapie. Ein aktiver Alltag und Sport regen Stoffwechsel und Muskelaufbau an. So kann man das durch Adipositas gesteigerte Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduzieren und den Blutzuckerspiegel senken.
Um effektiv abzunehmen, sollten sich die Patienten und Patientinnen mindestens 150 Minuten pro Woche moderat bewegen und dabei 1200 bis 1500 Kilokalorien verbrauchen. Sinnvoll sind Schwimmen, Fahrradfahren oder Nordic Walking.
Verhaltenstherapie
Speziell geschulte Fachleute unterstützen Betroffene dabei, seelische Ursachen der Adipositas sowie ungesunde Verhaltensweisen und Muster aufzudecken. Viele Übergewichtige kompensieren negative Gefühle wie Trauer, Frustration und Stress mit Essen.
Mithilfe von psychosomatischer Medizin und Verhaltenstherapie eröffnen sich den Erkrankten neue Wege, um gesündere Verhaltensweisen im Alltag zu verankern. Schwerpunkte werden beispielsweise auf die Motivation, mögliche Schwierigkeiten beim „Aufraffen“ und psychische Begleiterkrankungen wie Depressionen oder Essstörungen gesetzt.
Medikamentöse Behandlung
Sprechen Sie mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin über eine sinnvolle medikamentöse Unterstützung zur Gewichtsreduktion. Medikamente können das Abnehmen zwar unterstützen, aber eine Lebensstilveränderung sollte „Mittel der ersten Wahl“ oder zumindest ergänzend zu einer medikamentösen Therapie immer Teil einer Adipositas-Behandlung sein.
Magenverkleinerung (bariatrische Operation)
Zur Verkleinerung des Magenvolumens gibt es verschiedene Methoden. Ein Magenband oder Magenballon verhindert, dass man größere Mengen Essen zu sich nehmen kann. Operativ lässt sich ein einfacher Schlauchmagen herstellen oder ein Magenbypass anlegen.
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