Bereits vor einigen Jahren wurden intensive Diskussionen rund um die Frage geführt, ob unsere Gene und/oder diverse Umwelteinflüsse die Ursache für psychische Störungen sind. Um sich dem Thema psychische Erkrankungen aus verschiedenen Perspektiven zu nähern, lud das Bündnis gegen Depression in Kooperation mit der HPE und HSSG zu der Fachtagung: „Zur Wirkung von transgenerational vermittelten Bildern - Überlegungen zur Weitergabe von psychischen Erkrankungen über Generationen“.
Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass Schizophrenie, Traumata oder Depressionen längst als Volkskrankheiten gelten. In Deutschland beispielsweise durchlebt mehr als jede•r vierte Erwachsene innerhalb eines Jahres eine psychische Störung. Mittlerweile sind sie der dritthäufigste Grund für eine Arbeitsunfähigkeit. Auf der Suche nach Behandlungsmethoden rückt unter anderem auch verstärkt die Genetik in den Fokus der internationalen Forschung.
Denn dass körperliche Merkmale wie dunkle Haare oder grüne Augen über Generationen vererbt werden, ist längst bewiesen. Warum dann nicht auch Eigenschaften die Psyche betreffend? Welche Krankheiten werden überhaupt vererbt? Und wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, eine Depression oder ein psychisches Trauma an seine Kinder weiterzugeben?
Genetische Mechanismen und Vererbung
In diesem Sinn widmete sich im Rahmen der Fachtagung der erste Hauptvortrag von Dr. Vincent Millischer, PhD [medUni Wien] den genetischen Mechanismen, die eine erheblichen Einfluss auf transgenerationales Geschehen ausüben. Bei Schizophrenie ist Heritabilität, also die Vererbbarkeit dieser psychischen Erkrankung, beispielsweise besonders groß, bei Depression immerhin mittelgroß. Aber auch bei Störungen wie Alkoholabhängigkeit oder Traumata spielen genetische Faktoren eine nicht unbedeutende Rolle.
Mit Hilfe von Familien-, Zwillings- und Adoptionsstudien sowie molekularbiologischen Laborverfahren versuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler rund um die Globus, die Gene für psychische Störungen wie Schizophrenie, bipolare Störungen, Depression, Demenz, Angsterkrankungen oder Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung [ADHS] zu identifizieren. Dabei hat sich gezeigt, dass es nicht nur jeweils ein Gen gibt, sondern viele Gene, die zur Krankheitsentstehung beitragen.
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Verhaltensgenetik und Forschung
Der Boom, Gene für Verhaltenseigenschaften oder psychische Störungen zu suchen, reißt nicht ab. Ein alter Gedanke hat wieder Konjunktur - nicht zuletzt dank neuer Techniken und der Datenflut aus dem Humangenomprojekt. Spätestens seit Francis Galton 1883 den Begriff Eugenik geprägt hat, geistert der Gedanke durch die Köpfe vieler, nicht nur Aussehen, sondern beispielsweise auch Intelligenz könnten vererbbar sein.
Früh im Leben von ihren Eltern getrennte Menschen werden untersucht, inwieweit sie ihren biologischen Familien im Vergleich zu den Adoptivfamilien ähneln. Speziell bei Verhaltensstörungen wie etwa Schizophrenie haben sich daraus Hinweise auf einen genetischen Einfluss ergeben. Gesucht werden diese Gene in so genannten Assoziationstests.
Der Psychiater Robert Plomin vom King's College in London beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage, wie die einzelnen Gene zu finden sind, die vielleicht auch einen nur ganz kleinen Einfluss darauf haben könnten. Dazu vergleicht er zwei sorgfältig ausgewählte Gruppen von jeweils etwa 100 Personen: eine Gruppe "durchschnittlicher" Menschen und eine mit sehr hoher Leistungsfähigkeit. Entscheidend für die Forschung sind die Extreme.
Vorläufig zumindest aber gibt es nichts als Wahrscheinlichkeiten, die auf Korrelationen beruhen - ohne dass tatsächlich Ursachen bekannt wären, solange man die Gene und vor allem ihre Funktion nicht genau kennt. Und das wird bei komplexen Merkmalen, an denen viele Gene beteiligt sind, besonders schwierig sein.
Umgang mit genetischen Anlagen
Denn wenn die Verhaltensgenetik eines ganz klar zeige, dann dass es sich bei den meisten genetischen Anlagen eben nur um Anlagen, nicht um starre, alles bestimmende Vorgaben handle. Genauso wenig, wie ein erwachsener Mensch zum Beispiel aggressives Verhalten restlos damit entschuldigen könne, was ihm in seiner Kindheit zugestoßen sei, könne er sich dafür auf seine Gene ausreden. Ganz selten sind die Fälle, in denen tatsächlich ein einziges Gen für eine Störung verantwortlich ist.
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Biologische und Umwelteinflüsse lassen sich nicht einfach mit Prozentsätzen versehen und zum ganzen Menschen addieren. Sie beeinflussen sich gegenseitig und können damit auch ihre jeweilige Wirkung verändern. Dementsprechend halten es die meisten seriösen Wissenschaftler für unwahrscheinlich, auf genetischer Ebene den "Menschen nach Maß" mit definierten Persönlichkeitsmerkmalen zu kreieren. Ihre Antwort auf die immer wieder gestellte Frage, ob sich in Zukunft die spätere Ausprägung komplexer Verhaltensmerkmale anhand einfacher Gentests an Embryonen bestimmen lasse: Nein, das lasse sich nicht vorhersagen.
Schizophrenie: Eine vielschichtige Erkrankung
Schizophrenie ist eine psychiatrische Erkrankung. Entscheidend für die Prognose ist, die Krankheit früh zu erkennen und zu behandeln. Männer, Frauen, Kinder und Jugendliche können gleichermaßen betroffen sein - unabhängig von ihrem sozialen oder kulturellen Hintergrund. Die Schizophrenie zeigt sich vielgestaltig und umfasst verschiedene Störungen. Die Schizophrenie ist gut behandelbar, aber nicht heilbar.
Die psychischen Beschwerden beeinflussen vor allem die Denkstruktur, die Sinneswahrnehmung und wie Reize verarbeitet werden. Das beeinträchtigt unter anderem das Hören, Sehen oder Riechen betroffener Personen. Dadurch werden Eindrücke fehlinterpretiert, was sich oft negativ auf die Gefühlswelt der Betroffenen auswirkt. Als Folge fällt es ihnen zunehmend schwer, ihren Alltag und Beruf zu bewältigen. Frühzeitig erkannt und behandelt, lassen sich mögliche Folgen vermeiden oder hinauszögern.
Experten schätzen, dass etwa sieben von 1.000 Personen an Schizophrenie erkranken - und zwar unabhängig vom kulturellen oder sozialen Hintergrund. Schizophrenie kann zudem in jedem Alter auftreten, manifestiert sich jedoch am häufigsten zwischen dem 15. und 35. Lebensjahr. Menschen, die bei der Geburt als männlich zugewiesen wurden, erkranken in der Regel etwa fünf Jahre früher als weiblich gelesene Personen und weisen auch eine etwas höhere Neuerkrankungsrate auf.
Bei der akuten Phase überwiegen die Positiv-Symptome - das bedeutet, dass eine Wahrnehmung hinzukommt. Dann sind Halluzinationen (z.B. Negativsymptome zeigen sich häufig in stabileren Phasen. Auch kognitive Beeinträchtigungen wie Konzentrationsstörungen oder ein verlangsamtes Denken sind typisch. In manchen Fällen kommt es zu Bewegungsauffälligkeiten (z. B.
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Betroffene können nicht mehr zwischen der eigenen Person und der Umwelt unterscheiden. Sie erleben sich selbst und ihre Umwelt als fremd, unwirklich und verändert. Sie sind mitunter davon überzeugt, dass andere Menschen ihre Gedanken lesen können, ihnen neue eingeben oder ihnen Gedanken entziehen. Sie fühlen sich vielfach von außen manipuliert, ferngesteuert oder hypnotisiert. Aufmerksamkeitsstörungen, Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme sind typische Symptome einer Schizophrenie.
Das Denken ist zusammenhangslos, durcheinander, unlogisch oder nicht nachvollziehbar. Gedankengänge brechen abrupt ab oder wechseln schnell. Häufig kommt es zu Wortneubildungen und einem gestörten Satzbau. Denken und Sprechen können stark verlangsamt oder beschleunigt sein.
Betroffene sind nicht mehr in der Lage, die Realität so zu sehen, wie sie ist. Sie sind überzeugt, dass das, was sie erleben, real ist und lassen sich auch durch gutes Zureden nicht vom Gegenteil überzeugen. Häufig fühlen sie sich von einzelnen Menschen, Behörden oder einer höheren Macht beobachtet und verfolgt. Anschuldigungen, man wolle sie vergiften oder gefährlicher Strahlung aussetzen, sind ebenfalls typisch.
Halluzinationen sind Wahrnehmungen, die nur der Betroffene wahrnimmt. Besonders häufig treten akustische Halluzinationen auf. Dabei hören die Betroffenen Stimmen, ohne dass jemand spricht. Des Weiteren finden sich dialogische Stimmen (der Erkrankte meint, Unterhaltungen über seine Person mitzuhören), kommentierende Stimmen (beschreiben alle Handlungen des Patienten) und auffordernde Stimmen, die dem Betroffenen Handlungsanweisungen geben.
Je nachdem, welche Symptome vorherrschen, können die Körperbewegungen übermäßig oder stark reduziert ausfallen. Viele Betroffene erleben gleichzeitig oder kurz hintereinander widerstreitende Gefühle. Sie empfinden häufig große Angst, fühlen sich niedergeschlagen, innerlich leer und reagieren gleichgültig. Zudem ist der Gesichtsausdruck oft starr, sowie die Gestik und Mimik reduziert.
Häufig ziehen sich betroffene Menschen von Familie und Freunden zurück und sind gleichzeitig wenig an dem interessiert, was um sie herum passiert.
Ursachen und Behandlung von Schizophrenie
Die Ursachen der Schizophrenie sind bis heute nicht abschließend geklärt. Eine familiäre Häufung ist bekannt: Je enger ein Mensch mit einer betroffenen Person verwandt ist, desto höher ist sein eigenes Erkrankungsrisiko.
Die Nervenzellen des Gehirns stehen durch komplizierte Stoffwechselprozesse miteinander in Verbindung. Reguliert werden diese Stoffwechselprozesse durch Botenstoffe (Neurotransmitter), zu denen auch das Dopamin gehört. Forscher haben herausgefunden, dass das Dopamin-System bei von Schizophrenie Betroffenen überaktiv ist, sodass große Mengen Dopamin freigesetzt werden. Die zur Behandlung eingesetzten Medikamente (Antipsychotika) wirken den Symptomen entgegen, indem sie die Wirkung des Dopamins herunterregeln. Auch das Serotonin - ein Botenstoff, der unterem anderem Einfluss auf die Stimmung, die Schmerzwahrnehmung oder den Schlaf-Wach-Rhythmus hat - scheint an der Entstehung der Schizophrenie beteiligt zu sein.
Bis heute gibt es keine wissenschaftlichen Belege, wonach belastende Lebensereignisse, Drogenkonsum oder instabile familiäre Strukturen eine Ursache für eine Schizophrenie darstellen, sie können aber eine psychotische Episode auslösen oder Rückfälle begünstigen. Auch ließ sich zeigen, dass die Art der Kommunikation in der Familie den Verlauf der Erkrankung beeinflussen kann.
Da die Schizophrenie viele Erscheinungsbilder hat, ist es gerade zu Beginn schwierig, die Erkrankung eindeutig zu diagnostizieren. Es ist sinnvoll Angehörige miteinzubeziehen, da sie aus einem anderen Blickwinkel berichten können. Darüber hinaus ist es wichtig das Beschwerdebild gegenüber anderen möglichen psychiatrischen Störungen abzugrenzen - etwa einer Persönlichkeitsstörung, einer bipolaren Erkrankung, Zwangsstörungen oder Autismus-Spektrum-Störungen.
Eine Schizophrenie ist gut behandelbar. Auch wenn sie häufig chronisch verläuft, kann bei vielen Betroffenen eine langfristige Stabilisierung ohne akute Episoden erreicht werden. Bei der Behandlung der Schizophrenie kommen vor allem antipsychotisch wirkende Medikamente zum Einsatz. Diese wurden früher auch als Neuroleptika bezeichnet. Antipsychotika dienen dazu, die im Gehirn aus der Balance geratenen Botenstoffe wie Dopamin und Serotonin wieder „ins Lot“ zu bringen.
Ist eine ausreichende Stabilisierung erreicht, helfen psychotherapeutische Angebote wie kognitive Verhaltenstherapie oder Psychoedukation, den Umgang mit der Erkrankung zu verbessern. Ziel ist es, Selbstwirksamkeit zu stärken, Rückfällen vorzubeugen und Alltagskompetenzen zu fördern.
Auch wenn die Symptome der Schizophrenie abgeklungen sind, können kognitive Einschränkungen zurückbleiben, die das Konzentrationsvermögen, die Aufmerksamkeit und die Fähigkeit zu planen betreffen. Um diese Einschränkungen auszugleichen, haben sich computergestützte Trainings und neuropsychologische Therapie bewährt.
Als hilfreich und stabilisierend hat sich der Besuch einer Selbsthilfegruppe erwiesen, wo man sich mit anderen Betroffenen in einem geschützten Raum austauschen kann.
Epigenetik und Krankheiten
Die Antwort darauf sucht ein junges Forschungsgebiet, das die Schnittstelle von Anlage und Umwelt ins Visier nimmt: die Epigenetik. Der Artikel "Epigenetics and Disease: Altered states" von Carina Dennis geht der Frage nach, inwieweit epigenetische Effekte für das Auftreten von Krankheiten verantwortlich sein könnten.
Das bekannteste Beispiel für epigenetische Signale ist die so genannte DNA-Methylierung. Dabei wird eine der vier Nukleobasen, Cytosin, mit einer Methylgruppe ausgestattet. Auch wenn diese Regel Ausnahmen kennt: DNA-Methylierung ist meist mit der Stilllegung von Genen assoziert, während aktive Gene meist unmethyliert sind. Ferner dürfte der Alterungsprozess mit der DNA-Methylierung zusammenhängen.
Ein weiterer wichtiger Effekt betrifft die Veränderung des Chromatins (i.e. jene dicht gepackte Struktur, die der DNA-Doppelstrang u.a. mit Histon-Proteinen bildet). Auch hier kann das Anfügen von chemischen Gruppen an die Histone zu einer Veränderung der Genaktivität führen.
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