Ist ADHS eine psychische oder neurologische Erkrankung?

Psychische Beschwerden und Entwicklungsverzögerungen bei Kindern und Jugendlichen sind weiter verbreitet als in der Öffentlichkeit angenommen wird.

Was ist ADHS?

ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung) ist eine neurologische Entwicklungsstörung, die vermutlich genetisch bedingt ist. Die Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitäts-Störung ist eine anerkannte Erkrankung. ADHS wird nicht mehr den Sozialverhaltensstörungen (Entstehung als Folge von z.B. „pädagogischem Versagen“) zugeordnet, sondern den „Neurodevelopmental Disorders“ (Neurologische Entwicklungsstörungen).

Typische Merkmale von ADHS

  • Unaufmerksamkeit: Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, Aufgaben zu erledigen und Anweisungen zu befolgen.
  • Hyperaktivität: Rastlosigkeit, Zappeln, übermäßiges Reden und Herumlaufen.
  • Impulsivität: Schwierigkeiten, abzuwarten, Entscheidungen zu überdenken und Handlungen zu kontrollieren.

ADHS: Symptome und Diagnose

Die Symptome der ADHS betreffen folgende Bereiche:

  • Aufmerksamkeitsstörungen
  • Motorische Überaktivität (Hyperaktivität)
  • Impulsivität

Es gibt unterschiedliche Subtypen eines Spektrums aus psychiatrischer Sicht. Die ADHS-Symptome können sich in ihrer Intensität und Ausprägungsform, bei 17jährigen oder älteren Personen, im Vergleich zu denen in der Kindheit, unterscheiden. Die Symptomatik trat bereits vor dem 12. Lebensjahr auf. Beeinträchtigungen durch diese Symptome zeigen sich in zwei oder mehr Bereichen (z.B. Schule, Beruf, Familie).

Die Diagnose der ADHS im Erwachsenenalter basiert im Wesentlichen auf Berichten funktioneller Beeinträchtigungen in der Kindheit. Naturgemäß sind diese retrospektiven Angaben dann oft ungenau und unvollständig. Erschwerend in der Diagnostik kommt hinzu, dass sich bei Erwachsenen häufig ein weites Spektrum an komorbiden psychischen Störungen findet. Sie können zudem an körperlichen Erkrankungen leiden, die ADHS-ähnliche Symptome hervorrufen, wie Schilddrüsenerkrankungen oder Diabetes.

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Pathomechanismen der ADHS

Die Pathomechanismen der ADHS sind nicht im Detail geklärt. Man geht von einer multifaktoriellen Genese aus, wobei genetische Faktoren eine bedeutende Rolle spielen. Zu den als nicht genetischen Einflussgrößen diskutierten Faktoren zählen Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen (Eklampsie, verringertes Geburtsgewicht, höheres Alter der Mutter, fetaler Stress, Frühgeburtlichkeit) sowie Nikotin- und Drogenkonsum während der Schwangerschaft.

Auf neurobiologischer Ebene wird die ADHS als ein heterogenes Störungsbild mit Dysfunktionen in Regelkreisen zwischen präfrontalem Kortex, parieto-occipitalem Kortex, Basalganglien und Vermis cerebelli auf dem Boden einer Neurotransmitterfunktionsstörung im dopaminergen System gesehen, wobei das noradrenerge und das serotonerge System ebenfalls betroffen sind.

ADHS im Erwachsenenalter

Vor einigen Jahren wurde noch davon ausgegangen, dass sich die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung im Erwachsenenalter auswächst. Jedoch verändern sich die Symptome im Laufe des Lebens und zeigen sich bei Erwachsenen anders. Die motorische Unruhe nimmt dabei im Erwachsenenalter ab und zeigt sich durch eine innere Unruhe, ein Getriebenheitsgefühl.

Anzeichen für ADHS beginnen bereits in der frühen Kindheit und halten im Erwachsenenalter an. Jedoch ist bei Erwachsenen eine ADHS durch Anpassung weniger offensichtlich, und oft werden Erwachsene erst hellhörig, wenn bei Ihrem Kind ADHS diagnostiziert wird. Viele ADHS-Betroffene leben recht unauffällig und passen sich dem System des neurotypischen Umfelds so gut wie möglich an. Diese Anpassung an ein System, welches dem eigenen nicht entspricht, kostet viel Kraft und Lebensenergie.

ADHS bei Erwachsenen kann zu instabilen Beziehungen, wenig Freundschaften und sozialer Isolation führen. Oft kommt es zu Problemen in Schule, bei Ausbildungen und am Arbeitsplatz und damit zu vielen Abbrüchen.

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Behandlung von ADHS

Aufgrund der unterschiedlichen Ausprägungen von ADHS erfordert das therapeutische so wie das diagnostische Vorgehen ein multimodales und multidisziplinäres Vorgehen. Generell wird immer die Etablierung einer ADHS-Elternberatung (mit vielen psychoedukativen Elementen) und eine strukturierende Therapie mit dem Ziel des Erwerbs von Selbstkontrolle und Selbststrukturierung für die Betroffenen empfohlen. Bei unzureichendem Ergebnis, bei mittlerer bis schwerer Symptomatik mit massiven Einschränkungen und hochbelasteten Systemen wird dann eine zusätzliche medikamentöse Therapie etabliert.

Bei der psychotherapeutischen Behandlung von ADHS stehen v.a. strukturierende, symptomorientierte psychotherapeutische Ansätze im Vordergrund. Diese Therapiemethoden (Verhaltenstherapien etc.) sind am besten evaluiert und haben sich auch in der Praxis bewährt. Dabei wird einerseits patientenzentriert, andererseits elternbzw. familienzentriert gearbeitet. Im besten Fall wird auch das schulische Umfeld einbezogen. Essenziell ist eine entsprechend spezifische, umfassende Psychoedukation mit Patienten, Eltern, Schule etc., wobei das Krankheitsmodell und die Symptome erklärt sowie die therapeutische Beeinflussung erläutert und geübt werden.

Bei den in Österreich zur Behandlung der ADHS zugelassenen Medikamenten handelt es sich um diverse Präparate aus der Gruppe der Stimulanzien (Amphetamin, Methylphenitat, Lisdexamphetamin), einen Noradrenalin- Wiederaufnahmehemmer (Atomoxetin) und ein zentral wirksames Sympathotonikum (Guanfacin).

Als nicht medikamentöse Therapie zeigt das allerdings aufwendige „Neurofeedback“ in einigen kleinen Studien erste positive Ergebnisse, die Effektivität muss aber erst bestätigt werden. Als eine sinnvolle Nahrungsergänzung zur Verbesserung der Hirnleistung scheinen sich ungesättigte Fettsäuren zu erweisen.

Schlussfolgerung

ADHS ist eine komplexe Störung, die sowohl psychische als auch neurologische Aspekte hat. Eine frühzeitige Diagnose und eine umfassende Behandlung sind entscheidend, um den Betroffenen ein erfülltes Leben zu ermöglichen. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass Selbstdiagnosen zu einer falschen Behandlung führen können. Therapeuten und Ärzte verfügen über die notwendige Ausbildung und Erfahrung, um Krankheiten zu diagnostizieren und zu behandeln.

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Tabelle: Unterschiede in der ADHS-Diagnostik nach ICD-10 und DSM-5

Kriterium ICD-10 DSM-5
Beginn der Symptomatik Vor dem 6. Lebensjahr Vor dem 12. Lebensjahr
Subtypen Nicht spezifiziert Vorwiegend unaufmerksam, vorwiegend hyperaktiv/impulsiv, kombiniert
Anzahl der Symptome für Diagnose Spezifische Anzahl nicht klar definiert 6 von 9 Symptomen in jedem Bereich (oder 5 von 9 für Erwachsene)

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