Unser Gehirn hat den Auftrag: „Überleben sichern.“ Und das macht es, indem es ständig versucht, unseren Körper im Gleichgewicht zu halten: Homöostase bezeichnet jenen Prozess, mit dem unser Gehirn auf wechselnde Umwelteinflüsse reagiert.
Bereits 1929 hat Walter Bradford Cannon, ein US-amerikanischer Physiologe und Psychologe dafür den Begriff der „Homöostase“ geprägt. Gemeint ist, dass unser Körper ständig enorme Leistungen erbringt, um auf die unterschiedlichen Einflüsse unserer Umgebung zu reagieren.
Zu den Homöostasen des Körpers gehört z. B. der Wasser-Haushalt, die Regulation der Körpertemperatur, Reflexe, der Hormonspiegel oder der Säure-Basen-Haushalt.
Man kann sich dieses System auch so vorstellen, dass unser Gehirn verschiedene Key Performance Indicators hat:
- Körpertemperatur: ~ 37° Celsius
- Herzschlagfrequenz: 50 bis 100 Schläge/Minute
- Wasserhaushalt: 45 bis 65%
- Sauerstoffsättigung: 93 bis 99%
Die meisten der KPIs sind keine absoluten Werte, sondern ungefähre Sollwerte. Wir brauchen in der Regel auch niemanden, der uns dazu eine Rückmeldung gib. Sondern das macht unser Körper ganz von alleine.
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Diese Korrekturen sind notwendig, damit wir Überleben. Dafür gibt es ja eine Steuer-Zentrale, die versucht, uns wieder in den optimalen Bereich zu bringen, wenn wir drüber oder drunter sind. Und diese Steuer-Zentrale hat natürlich auch einen Namen: Hypothalamus.
Der Hypothalamus und das Nervensystem
Der Hypothalamus ist also dafür zuständig, die richtigen Signale auszuschicken. Damit die Balance gehalten oder wiederhergestellt werden kann. Denn nur dann fühlen wir uns entspannt und ruhig. Und während der Hypothalamus unser Thermostat für alle wichtigen Körperfunktionen ist, gibt es auch noch das „Leitungssystem“, nämlich unser Nervensystem. Und das ist zuständig, um die Informationen hin und her zu schicken, in unserem Regelkreis.
Der Hypothalamus steht unter dem Einfluss von Zytokinen aus dem Immunsystem (Interleukine). Man unterscheidet neurogenen (psychischen - z.B. Angst) von systemischem (physischem - z.B. Blutverlust, Hypoglykämie, Zytokine) Stress. Beides regt die Freisetzung von Kortikoliberin (CRH) an, die darüber hinaus unter einem starken zirkadianen Einfluss steht.
Das autonome Nervensystem
Wenn wir unser Nervensystem nach der Funktion einteilen, dann ergibt sich folgende Zweiteilung:
Es gibt einen Teil unseres Nervensystems, den wir für die gezielte, aktive Steuerung verwenden, zum Beispiel um zu gehen, einen Ball zu werfen, oder Klavier zu spielen. Diesen Teil nennen wir „Somatisches Nervensystem“.
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Interessanter ist nämlich jener Teil unseres Nervensystems, den wir nicht aktiv steuern, sondern der automatisch funktioniert. Es wäre ja wohl ziemlich anstrengend, wenn wir uns darauf konzentrieren müssten, nicht aufs Atmen zu vergessen. Darum funktioniert alles, was wir fürs Überleben brauchen, automatisch. Diesen Teil nennen wir „Vegetatives Nervensystem“, oder eben auch „Autonomes Nervensystem“, weil es von sich aus - automatisch - abläuft.
Und wie in einem Heizungssystem braucht auch unser Nervensystem verschiedene Handlungsoptionen, damit wir möglichst im Wohlfühl-Korridor bleiben:
- Option 1: Es ist gerade gut so wie es ist, nichts ändern.
- Option 2: Huch, das ist gerade aber zu wenig, wir müssen uns mehr ins Zeug legen, sonst wird das nix.
- Option 3: Wow wow wow, das ist jetzt aber echt zu viel. Wir sollten jetzt lieber mal weniger machen.
Und genau dafür gibt es in unserem autonomen Nervensystem auch die richtigen „Programme“: den Sympathikus und den Parasympathikus.
Sympathikus und Parasympathikus
Beim Sympathikus und dem Parasympathikus handelt es sich um zwei unterschiedliche Nervenbündel im autonomen Nervensystem, die entgegengesetzte Wirkung haben. Welches Programm angeworfen wird, entscheidet der Hypothalamus. Als Steuerungszentrale bewertet er Informationen aus der Umgebung oder aus dem menschlichen Körper.
Der Sympathikus
Der Sympathikus ist dann am aktivsten, wenn uns eine reale oder auch nur vermeintliche Gefahr droht. In Stress-Situationen übernimmt der Sympathikus mit erhöhter Aktivität aller zugehörigen Nervenbahnen die Vorherrschaft, und wir sind im Überlebensmodus. Eine absolut wichtige Funktion, ohne die wir als Menschheit nicht überlebt hätten. Und gleichzeitig wird bei der Aktivierung des Sympathikus alles zurückgestellt, was nicht dem akuten Überleben dient.
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Der Sympathikus kann Stressreaktionen im Stoffwechsel in Sekundenschnelle mediieren (z.B. Substratmobilisierung, Kreislauf- und Atemanregung).
Hormonelle Stressantworten können in akute (kurzfristige) und längerfiristige unterteilt werden: Kurzfristig, d.h. über Minuten und bis zu Stunden hinweg - steigern Mineralkortikoide (Aldosteron) das extrazelluläre Flüssigkeitsvolumen und damit die Kreislaufstabilität, während Glucocorticoide (Cortisol) Eiweiß- und Fettreserven zur Glucosebildung mobilisieren sowie im Immunsystem den Aminosäureverbrauch auf Sparflamme drehen.
Angstauslösende Reize regen den Sympathikus an und können auch zu Vermeidungsverhalten führen (fight or flight).
Der Parasympathikus
Das Nervengeflecht des Parasympathikus ist quasi der gemütlichere Bruder des Sympathikus. Der Parasympathikus sorgt dafür, dass körperlichen Vorgänge gut funktionieren: Verdauung, Wachstum, Immunsystem, Energiespeicherung.
Der Vagusnerv
Der Vagusnerv ist der 10. Hirnnerv. Und er ist hoch relevant für die Frage nach Stressbewältigung und Entspannung: Der Vagusnerv ist der Hauptnerv des Parasympathikus. Der Name kommt aus dem Latein: „Vagabundus“ bedeutet wandern. Das ist bezeichnend, weil der Vagusnerv vom Hirnstamm ausgehend, über die Zunge, die Schilddrüse, Herz, Atmungsorgane, Leber, Nieren, Verdauungstrakt bis zum Abdomen und die Blase durch den Körper wandert und so gut wie alle inneren Organe und Strukturen innerviert.
Der Sympathikus und Parasympathikus erzeugen also gegengesetzte Wirkungen auf den Körper. Dies machen sie, indem sie auf jene Organe und Strukturen einwirken, die sie innervieren, also mit denen sie verbunden sind.
Beispielsweise erhöht der Sympathikus die Herzschlagfrequenz (brauchen wir im Kampf), während der Parasympathikus sie verringert (für einen gechillten Ruhepuls auf der Couch).
Geht es darum, überreizte Nerven zu beruhigen, und innere Ruhe zu finden, können wir daher sowohl den Parasympathikus aktivieren, und den Vagusnerv stimulieren. Man kann ebenfalls beim Sympathikus ansetzen, und versuchen, die Stressreaktion so gering wie möglich zu halten.
Stress und seine Auswirkungen
Wir alle haben ein intiuitives Verständnis für „Stress“. Wir wir sagen „Ich bin im Stress…“ dann meinen wir meistens einen unangenehmen Spannungszustand, von dem wir hoffen, dass er bald wieder verschwindet. Also wenn man rein darauf abstellt, wie wir uns fühlen, dass könnte man hier schon aufhören zu reden. Und es dabei belassen, dass Stress nur ein unangenehmes Spannungsgefühl ist, das man einfach mal aushalten muss, bis es wieder besser wird.
Aber leider ist das was wir als Stress bezeichnen leider viel mehr. Es ist die evolutionär uralte Kampf- oder Fluchtreaktion.
Also eigentlich ist Stress die Alarmbereitschaft des Körpers. Um in potentiell lebensbedrohlichen Situationen alle Ressourcen zu mobilisieren. Es werden alle Systeme hochgefahren, auf maximale Kapazität. Es geht ja schließlich um was… Und mit diesem Bild von einem Körper, der sich selbst zu Höchstleistungen bereit macht, wird auch deutlich, dass wir uns dabei vom Optimalzustand weit entfernen.
So einen Alarmzustand hält das beste System der Welt nicht lange durch. Wenn wir chronischen Stress haben, dann sind wir dauerhaft aus unserem Optimalzustand heraussen. Unser Gehirn als Steuerungszentrale ist immer darum bemüht, dass wir in den verschiedenen Bereichen (zB Temperatur, Puls, Blutdruck, Blutzucker, uvm…) im Optimum bleiben. Alles in Balance…
Und unser toller Körper kommt auch mit großen Strapazen klar. Diese dürfen auch mal länger dauern, und auch mal größer sein, als uns lieb ist („Krise“).
Wir reden oft davon, dass in unserer heutigen Zeit der Stress allgegenwärtig ist, und wir immer mehr darunter leiden. Und natürlich haben Globalisierung und Digitalisierung unsere Umwelt für immer verändert. Es ist echt nicht leicht, im Gleichgewicht zu bleiben.
Und trotzdem ist das, was wir heute als Stress bezeichnen eine körperliche Reaktion, die auch schon unsere Steinzeit-Vorfahren kannten. Unsere Urahn*innen waren ja tagtäglich mit lebensbedrohlichen Situationen konfrontiert. Nur mit einem wirklich ausgezeichneten Alarmsystem konnten sie ihr eigenes Überleben - und jenes ihrer Nachfahren sichern. Binnen Millisekunden mussten sie damals entscheiden, ob sie einen Kampf gewinnen könnten, oder ob sie besser die Flucht nach hinten antreten. Diese Systeme waren nicht nur ein bisschen erfolgreich. Sondern sie waren so erfolgreich, dass unsere Körper auch heute noch genau nach den selben Prinzipien funktionieren.
Die Kampf-oder-Flucht-Reaktion („fight or flight response“) ist ein anderer Name für die körperliche Stressreaktion von Tieren und Menschen auf potentielle Bedrohungen. Es handelt sich um einen uralten Mechanismus zur Bewältigung von Gefahren, der unser Handeln so steuert, dass wir maximale Überlebenschancen haben.
Die körperlichen Anzeichen dafür, dass unser Körper sich auf Kampf oder Flucht (oder Erstarren) vorbereitet, bezeichnen wir heute als „Stress“.
Warum haben wir eine Kampf-oder-Flucht-Reaktion?
Bleiben wir beim Steinzeitmenschen, der um sein Leben fürchtet, wenn er ein Knacksen im Gebüsch hört. Das könnte ein Hinweis sein, dass da eine Gefahr lauert. Sobald er dieses Knackgeräusch hört, wird er ganz besonders gut aufpassen, ob er noch andere Indizien für eine Gefahr entdeckt.
Ein Überbleibsel davon ist das, was wir heute als „Negativitätsverzerrung“ bezeichnen. Nämlich, dass wir uns stärker auf negative Dinge in unserem Leben konzentrieren und diese stärker wahrnehmen und länger erinnern. Danke Evolution. Wieder so ein super Mechanismus, der uns früher das Leben gerettet hat.
Unser Steinzeitmensch ist sich jetzt sicher: da ist etwas im Gebüsch. Alle Hinweise deuten auf einen hungrigen Säbelzahntiger hin. Was machen? Eine lange Pro und Kontra Liste schreiben, ob es sich auszahlt, zu kämpfen - oder ob doch weglaufen besser wäre,….da wäre unser Steini schon längst gefressen.
Vielmehr hat der schlaue Körper von Steini bereits beim ersten Knacken begonnen, den Körper in Alarmbereitschaft zu versetzen. Im Hintergrund läuft das Stressprogramm ab: Einschätzung der Bedrohung und gleichzeitig eine Einschätzung der Ressourcen, die zur Verfügung stehen.
Und dann wir Bilanz gezogen:
- Bin ich stark genug, um mich zu verteidigen? Dann Kampf
- Bin ich schnell genug, um wegzulaufen?
Symptome bei Stress
Die Stressreaktion, die wir eben in Form von Stresssymptomen merken, ist ein komplexes Zusammenspiel zwischen unserem Nervensystem und dem Hormonsystem (und auch Neurotransmittern).
Man kann sich das so vorstellen, dass in einer potentiell bedrohlichen Situation unser Gehirn Botenstoffe in den gesamten Körper schickt, um ihn auf Kampf oder Flucht vorzubereiten.
Die Befehle lauten in etwa:
- „Gehirn muss besser durchblutet werden“
- „Atem beschleunigen, damit mehr Sauerstoff zur Verfügung steht“
- „Schwitzen, damit wir glitschig und unappetitlich werden“
- „Muskelspannung erhöhen, vor allem im fürs Überleben besonders wichtigen Genick“
- „Verdauung und Sexualtrieb einstellen, weil für solchen Luxus haben wir jetzt wirklich keine Zeit“
- „kurzfristig die Schmerzgrenze und das Immunsystem hochfahren - das hat jetzt Priorität, wir werden das brauchen“
Diese Botschaften werden vom Gehirn aus in den ganzen Körper verteilt, damit auch wirklich alle Körperteile Bescheid wissen.
Stressoren
Typische Stressfaktoren, auch „Stressoren“ genannt sind körperliche Einwirkungen wie Verletzungen und Schmerzen oder Entzug von Nahrungsmitteln.
Physikalische Stressoren sind Lärmeinwirkung, Hitze und Kälte, oder Nässe. Psychischer Stress entsteht durch Gefährdung von wichtigen psychischen Bedürfnissen, wie zB Anerkennung, Sicherheit, Selbstverwirklichung oder Verbindung zu anderen Menschen. Weiters sind auch chemische Stressfaktoren denkbar, wie beispielsweise Umweltverschmutzung oder Vergiftungen.
Eustress vs. Disstress
Wirkt ein Stresseinfluss auf das Stress-System fördernd (resilienzsteigernd), handelt es sich um einen Eustress; gefährdet er hingehen die Funktionsfähigkeit des Systems (und kann pathogen wirken), spricht man von Disstress.
Methoden zur Stressbewältigung
Methoden und Strategien zur Stressbewältigung werden in der Psychologie dafür eingesetzt, um stressbedingte Belastungen auf die Gesundheit von Menschen zu vermeiden, oder zu reduzieren. Es handelt sich dabei einerseits um individuelle Stressbewältigungsstrategien, also dem was jede*r selbst tun kann.
Atemtechniken
Wie oben schon dargestellt, schickt der Vagusnerv Informationen von den Organen, darunter insbesondere auch das Atmungssystem, an das Gehirn. Beim Einatmen wird der Sympathikus aktiviert, und zugleich beschleunigt sich der Herzschlag. Umgekehrt wird bei der Ausatmung der Parasympathikus aktiviert, und der Herzschlag verlangsamt. Zusätzlich begünstigt eine ruhige Atmung durch die Nase die Aktivierung des Parasympathikus.
Eine einfache Atem-Technik ist die 4-7-8 Atmung:
- 4 Sekunden einatmen
- 7 Sekunden den Atem halten
- 8 Sekunden ausatmen
Es ist eine Übungssache, dh man beginnt zunächst mit 4 Wiederholungen, und steigert sich dann auf 8 oder 9 Runden, in denen man diesen Atemrhythmus wiederholt.
Bewegung und Sport
Moderate Bewegung ist eine Möglichkeit, um den Parasympathikus zu aktivieren und zur Ruhe zu kommen. Darunter fallen beispielsweise Spaziergänge, Gymnastik, und auch Pilates oder Yoga. Moderat ist alles, wobei man sich noch gemütlich mit jemand anders unterhalten kann, ohne ins Schnaufen zu kommen.
Bei anstrengenderen Sportarten schüttet der Körper hingegen zu viele Stresshormone aus („Kampf oder Flucht“), unter anderem auch Cortisol. Dies passiert, weil der Sympathikus hier die Vorherrschaft übernimmt, damit unser Körper überhaupt in der Lage ist, diese Höchstleistungen zu erbringen.
Autogenes Training
Der deutsche Arzt Johannes H. Schultz (1884-1970) war aufgrund seiner Beschäftigung mit Hypnose mit der Wirkung von Selbstbeeinflussung vertraut. Beim Autogenen Training sprich man sich selbst formelhaft Sätze vor: „Meine Hände sind ganz warm.“ „Ich bin ganz ruhig.“ Das Ziel dabei ist, sich selbst zu beeinflussen und dadurch in einen entspannten Zustand zu versetzen.
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