Regressives Verhalten in der Psychologie: Definition und Therapie

Opfer, Unfallverursacher*innen, Angehörige und Ersthelfer*innen werden durch schwere Unfälle oftmals traumatisiert. Unfälle, Katastrophen und Terroranschläge rufen bei den Opfern, den Beobachter*innen und Angehörigen Gefühle von Schock, Entsetzen, Grauen und tiefer Hilflosigkeit hervor. Jeder Mensch geht mit derartigen Extrembelastungen anders um. Ärger, Verzweiflung, Wut und Hass auf die Täter*innen sind normale und gesunde Reaktionen, welche unsere Psyche benötigt, um Extrembelastungen gut zu verarbeiten. Bei einigen Opfern und Beobachter*innen hat sich damit eine Posttraumatische Belastungsstörung entwickelt, die Jahre andauern kann. Unsere Psyche ist mit der Bewältigung dieser Traumen manchmal überfordert.

Während einer Traumatisierung wird die schlimmste, lebensbedrohliche Angst und Pein im Gehirn abgespeichert. Sind wir danach wieder mit einem ähnlichen Reiz bzw. Stimulus konfrontiert (etwa einem lauten Knall, einem Schrei, einem Geruch, einer Farbe, einem Licht), dann kann unsere bewusste Wahrnehmung keinen Zusammenhang zur objektiven Realität mehr herstellen. Unsere Realität verzerrt sich, eine Realitätsprüfung ist nicht mehr möglich, wir fühlen uns mit unserem Leben bedroht, bekommen Schweißausbrüche, Herzrasen und Panik. Viele traumatisierte Menschen halten sich dann irrtümlicherweise für verrückt.

Schwere Unfälle gehen mit einem lebensbedrohlichen Gefühl, Todesängsten, einer massiven existentiellen Erschütterung und totaler Ohnmacht einher. Diese Gefühle sind normal und können auch bis zu ein paar Wochen nach einem Unfall andauern. Von einer Posttraumatischen Belastungsstörung spricht man in der Psychologie erst dann, wenn diese Zustände Monate lang (manchmal auch Jahre lang) bestehen bleiben und sich chronifizieren. Wenn andere Menschen oder geliebte Angehörige beim Unfall ums Leben gekommen sind, dann ist das Risiko für Traumafolgestörungen besonders hoch. Auch dann, wenn körperliche Traumen wie Wunden, Prellungen, Knochenbrüche u.v.m. Unter traumatisierende Unfälle fallen auch Sportunfälle oder Unfälle zuhause. Besonders schlimm können Jahrestage von Unfällen, Terroranschlägen und Katastrophen sein.

Früher wurden Opfer von schweren Unfällen, wie etwa dem Tanklastzugunglück von Los Alfaques oder der Flugkatastrophe in Rammstein, alleine gelassen und bekamen keine traumatherapeutische Hilfe. Traumen isolieren uns, machen uns einsam, spalten uns von den Mitmenschen ab. Opfer, Angehörige und Überlebende solidarisieren sich in der Regel nicht, sondern versuchen, einsam und allein mit den Traumafolgesymptomen klar zu kommen. Diese Einsamkeit und Isolation ist eine typische Störung nach schweren Traumatisierungen. Da zahlreiche Opfer, Augenzeug*innen und Ersthelfer*innen eine PTBS entwickeln, ist Prävention umso wichtiger. Je früher ich nach schweren Traumen psychische Erste Hilfe und Krisenintervention erhalte, desto unwahrscheinlicher ist es, dass ich eine Posttraumatische Belastungsstörung entwickle. Aber selbst wenn sich eine PTBS ausbildet, ist es bedeutsam, dass ich mich möglichst früh in traumatherapeutische Begleitung bzw. Psychotraumatherapie begebe.

Die Verursacher*innen von Unfällen leiden ebenfalls oft unter psychischen Traumen, vor allem dann, wenn Alkohol am Steuer im Spiel war oder zu schnelles Fahren den Unfall ausgelöst hat. Viele Überlebende von Katastrophen, Unfällen, Unglücken und Terroranschlägen fühlen sich schuldig, auch dann, wenn sie gar keine Schuld daran haben. Ein Wiedererleben des Unfalles oder der Katastrophe, als ob er/sie jetzt in diesem Moment gegenwärtig wäre. Dabei können sich so genannte "Flasbacks" immer wieder abspielen. Vermeidung von Gedanken oder Handlungen: Die Betroffenen vermeiden Gedanken, Orte, Geräusche, Personen, Handlungen und Situationen, die sie an die Katastrophe oder den Unfall erinnern. Manche Menschen vermeiden dann etwa bestimmte Fahrzeugmodelle oder Farben von Verkehrsfahrzeugen. Oder sie trauen sich gar nicht mehr mit einem Auto oder anderen Verkehrsfahrzeug zu fahren.

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Typisch ist eine Persönlichkeitsveränderung. Traumafolgesymptome saugen viel Kraft und Lebensenergie. Durch den chronischen Stress werden wir gereizt und sind emotional nicht mehr belastbar. Der entwicklungsbiologisch ältere Teil, das Stammhirn oder Reptilienhirn, ist u.a. für unsere Emotionen verantwortlich. Angst, Hass, Wut und Hilflosigkeit schießen ohne unsere bewusste Entscheidung innerhalb von Millisekunden ein. Was im Stammhirn geschieht, passiert unbewusst ohne unsere willentliche Entscheidung. Wir können nie verhindern, dass Angst oder andere Emotionen auftreten. Mithilfe unseres Großhirns können wir uns dann bewusst entscheiden, wie wir mit unseren schwierigen und negativen Emotionen umgehen. Während schwerer Traumatisierungen ist unser Großhirn jedoch völlig lahmgelegt. Wir können dann unbewusste Reaktionen nicht mehr bewusst einordnen oder verknüpfen. Angst, Ohnmacht, Hilflosigkeit und Entsetzen werden nicht bewusst verarbeitet und als Narrativ in unserem biographischen Gedächtnis zeitlich abgespeichert. Traumen gehen also mit einer Zersplitterung und Zeitlosigkeit einher, die ohne Traumatherapie das ganze Leben lang bestehen bleiben kann. Nach der Flugkatastrophe von Ramstein mussten etwa Ersthelfer*innen und Überlebende auch noch viele Jahre später bei Grillgeruch erbrechen. Das ursprüngliche Trauma (verbrannte menschliche Überreste) wurde durch den geruchlichen Trigger reaktiviert.

Ganz wichtig ist, dass Sie als Opfer Dinge, Hobbys und Aktivitäten machen, die ihnen guttun und dass Sie sich mit guten sozialen Kontakten und liebevollen Menschen umgeben. Das Erleben und Überleben von Naturkatastrophen, Unfällen und Terroranschlägen ist für Körper und Psyche extrem belastend. Es kann deshalb sein, dass Sie in den darauffolgenden Wochen und Monaten weniger leistungsfähig sind, mehr Ruhezeiten, Pausen und Schonung brauchen. Dennoch sind Ablenkungen und sinnstiftende Aktivitäten wichtig, besonders bei Kindern das Spielen, Malen, Zeichnen und Kreativität. Viele versuchen sich nach schweren Traumen zusammenzureißen, setzen Abwehrstrategien ein, kompensieren ihr Trauma. Dies geht mitunter lange gut, kostet aber viel Kraft und Lebensenergie. Typisch für schwere Traumatisierungen sind Verstummen, das Trauma bleibt dann das Unaussprechliche.

Bei Naturkatastrophen kommt jedoch verschärfend hinzu, dass diese länger andauern können, dass nicht klar ist, wann das Ende sein wird und dass sich das Ausmaß der gesamten Katastrophe erst nach vielen Tagen, manchmal sogar erst nach Wochen zeigt. Krisenintervention ist immens wichtig und kann auch von Laien, Angehörigen und Ersthelfer*innen gut durchgeführt werden. Krisenintervention ist so wirksam, dass viele Opfer und Augenzeug*innen danach gar keine traumatherapeutische Hilfe mehr benötigen. Helfer*innen nach Naturkatastrophen, Flugzeugabstürzen etc. sind meist mit unsäglichem Leid konfrontiert. Oft brennen sich ihnen grauenerregende Bilder von Opfern bzw. den Leichen ein. Zudem macht das Mitleiden mit den Opfern hilflos und ohnmächtig. Manchmal werden Helfer*innen mit ihrer Not und ihren Traumatisierungen alleine gelassen und fühlen sich einsam. Für Ersthelfer*innen und Polizist*innen ist oftmals eine kostenlose Traumatherapie finanziert durch den Arbeitgeber bzw. die Hilfsorganisation möglich.

Im Rahmen einer Traumatherapie versuchen Psychotherapeut*innen, Menschen an ihr ursprüngliches Trauma behutsam heranzuführen. Hier werden innere Bilder aktiviert und dann zu Narrativen zusammengeführt. In einer Traumatherapie ist es nicht möglich, das Gedächtnis und belastende Bilder völlig zu löschen. Allerdings ist es möglich zu lernen, wie Sie furchtbare Erinnerungen kleiner machen können, wie Sie Horror-Bilder durch schöne positive Bilder ersetzen und einen Zustand der tiefen Ruhe, inneren Sicherheit, Gelassenheit und körperlichen Entspannung selbst herstellen können. Viele Menschen entwickeln sich übrigens nach schweren Traumatisierungen und deren Bewältigung sogar zu besonders stabilen, gefestigten und gestärkten Persönlichkeiten. Dieses Phänomen wird auch als Posttraumatisches Wachstum bezeichnet.

Viele Polizist*innen werden durch Einsätze traumatisiert. Typische Traumafolgesymptome treten in der Regel erst zeitversetzt auf. Ermutigen Sie das Opfer, zu zittern und sich zu schütteln. Dies hilft uns, Schockzustände besser zu verarbeiten und zu überwinden. Nach dem Schütteln und Zittern erleben wir meist Erleichterung, unser Puls wird langsamer, unsere Atmung ruhiger und tiefer. Unser Körper weiß schon was er braucht. Jenes Zittern und Schütteln wird auch als "Entladung" bezeichnet und kann schon Mal 15 bis 25 Minuten andauern. Wenn Kinder Unfälle und Katastrophen erleben, dann sollten Sie besonders sensibel sein. Kinder, welche aus dem Schock herausgeraten, weinen und zittern meist. Diesen biologisch natürlichen Prozess dürfen Sie keinesfalls unterbinden. Das physische Zittern und der psychische emotionale Ausdruck müssen so lange stattfinden dürfen, bis sie von selbst abnehmen. Vermitteln Sie deshalb ihrem Kind, dass Zittern, Schluchzen, Heulen und Weinen wichtig, gesund und heilsam sind. Es handelt sich hierbei um einen instinktiven Heilungsvorgang des Körpers.

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Regression in der Psychodynamischen Therapie

Regression ist ein in allen psychodynamischen Therapienformen wichtiges Phänomen. Freud konzeptualisierte Regression im Zusammenhang mit Traumvorgängen und seiner ursprünglichen Vorstellung des psychischen Apparates als Reflexvorgang. Er sah Regression als typisches Traumgeschehen. Nach seiner damaligen Vorstellung hatte die Seele einen sensiblen und einen motorischen Pol. Die seelische Erregung verlaufe vom sensiblen zum motorischen Ende, von der Wahrnehmung zur Motorik. Im Traum kehrt sich dieser Vorgang jedoch um, wenn es zur halluzinatorischen Belebung von Erinnerungsbildern kommt. Daher sagte Freud, dass der Traum regredienten Charakter habe.

Auch Regression wurde zunächst unter einem topischen Gesichtspunkt gesehen: als Bewegung von einem seelischen Raum zum anderen. Jedoch rückte in der Theoriebildung Freuds der zeitliche Gesichtspunkt in den Vordergrund, und zeitliche oder genetische Regression war es, die oftmals auch von anderen Therapieschulen übernommen wurde. Später hielt er es für gültig, eine topische, zeitliche und formale Dimension von Regression zu unterscheiden. In der klassischen Psychoanalyse sind körperliche Vorgänge jeder Art regressiver Natur, zumal sie das sprachliche Ausdrucksniveau verlassen.

Regression ist ein wichtiges Phänomen, sowohl im Alltag als auch in der therapeutischen Situation. Sie kann Ausdruck eines Bedürfnisses nach Entlastung, Erholung, Geborgenheit oder Regeneration sein, oder ein Wiederanknüpfen an eine früh gestörte Beziehung. Es gibt Regressionen, die sich spontan einstellen, aber auch solche, die lange andauern. Regression kann sowohl einen Anpassungsversuch als auch einen Abwehrvorgang im Dienste des Widerstandes darstellen. Man sah darin sowohl einen Vorgang der Krankheitsentwicklung, als auch eine (potentiell heilsame) Entwicklung innerhalb des therapeutischen Prozesses.

In den letzten Jahren hat sich unter dem Einfluss der Säuglings- und Kleinkindforschung eine Wegentwicklung von einem zeitlichen Regressionsverständnis bemerkbar gemacht. Innere Schemata bzw. Repräsentanzen enthalten ganz unterschiedliche Ebenen der Abstraktion, der Integration und der Verarbeitung durch Symbolisierungs- und Gedächtnisprozesse entsprechend jeweils altersgemäßen Verarbeitungsmodi. In der Übertragung bei einem strukturell gefestigten neurotischen Patienten können frühere Vorformen der Rigs, also gelebte Momente und direkt im Gedächtnis gespeicherte interaktionelle Erfahrungen aktiviert werden, die traumatischen Charakter hatten. Es kann sich um schematisch einfache unverarbeitete Erinnerungen mit intensiven affektiven Begleitreaktionen ohne symbolische Verarbeitung handeln, deren Aktualisierung sehr schnell und affektiv intensiv sein kann. Es ist wichtig sich vor Augen zu halten, dass in der Vorstellung einer Regression bestimmte implizite Grundannahmen verborgen sind.

Es wird angenommen, dass die Organisationen der seelischen Organisationen Erwachsener mit denjenigen korrelieren, die in den seelischen Organisationen der Kindheit gefunden werden. Regression ist nicht genau als zeitliche Regression zu früheren normalen Phasen beschreibbar. Die Vorstellung zeitlicher Regression wird meistens im Hinblick auf die psychosexuelle Entwicklung angewandt. Die Vorstellung, dass das Verhalten eines Patienten als Regression in die anale oder ödipale Phase verstanden werden kann, setzt voraus, dass die vorherrschenden motivationalen Prioritäten des Patienten mit denen des Kindes in früheren Entwicklungsphasen identisch sind. Je mehr der Befriedigungsaspekt im Rahmen korrigierender Erfahrungen betont und je weniger zwischen originären und Ersatzbedürfnissen unterschieden wird, umso eher werden sich ungünstige Regressionen einstellen.

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Eine wesentliche Aufgabe von Therapie besteht darin, Lernprozesse zu initiieren und zu organisieren, die dem Klienten helfen, seine Fixierungen zu lösen und seine Potentiale zu entfalten. Affektmotorische Schemata sind angeboren, aber nur als Potential. Erlernt wird nicht nur die Verfeinerung der Bewegungsmuster, sondern ebenso die Fähigkeit, "sich die affektive Komponente zunutze zu machen und zu regulieren." Affektmotorische Schemata werden vom Kleinkind benutzt, um erste frühe Repräsentanzen des Selbst und des "Anderen" zu bilden. Reale Ereignisse werden sehr ernst genommen. Natürlich kann das Kind reale Ereignisse verzerrt wahrgenommen haben. Trotzdem würde man davon ausgehen, dass der Kern der Phantasie, wie verzerrt sie auch sein mag, in den meisten Fällen eine objektive Wahrheit birgt. Dem verbalen Deuten und Durcharbeiten szenischer Interaktionen wird dabei insgesamt einer großer Stellenwert eingeräumt.

Es ist wichtig, dass Regression im Dienste des Ich erwünscht ist; dass aber gleichzeitig Rahmenbedingungen gelten, die implizit oder explizit verdeutlichen, dass Regression nur die eine Seite des Veränderungsprozesses darstellt. Nicht zuletzt diagnostische Unterscheidungen, vor allem im Hinblick auf den Grad der Integrität der Ich-Struktur, erlauben es, die Intensität und auch das Tempo der Regression des Klienten gezielt zu steuern. Seitens der Psychoanalyse wird schon seit langer Zeit darauf geachtet, dass die analytische Couch nur für Patienten reserviert ist, deren Ich nicht zu sehr von einer einsetzenden Regression bedroht wird. Die enge Beziehung zum Klienten wird seit einiger Zeit auf die Notwendigkeit hingewiesen, Regression auch und vor allem als interaktionellen Prozess zu begreifen. Regression des Klienten kann z. B. auf der körperlichen Ebene verstanden werden. Im Zuge regressiver Prozesse gilt vor allem auch abgespaltenen, nicht-integrierten Repräsentanzen ein großes Augenmerk. In solchen Momenten ist Containing enorm gefordert. Es ist wichtig, die Bedeutung zu verstehen, dass sich das intersubjektive Feld zwischen Klient und Therapeut in einem solchen Moment entscheidend verändert.

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