Viele Kinder leiden unter weniger auffälligen Belastungen - etwa unter emotionaler Vernachlässigung, krankhaftem Suchtverhalten oder psychischen Erkrankungen im Elternhaus. Kinder psychisch kranker Eltern wachsen unter belastenden Lebensbedingungen heran. In Österreich gibt es ca. 60.000 Kinder, die unter dem Einfluss einer psychischen Erkrankung eines Elternteils aufwachsen. Nachhaltig werden Lebenssituation und Entwicklung der betroffenen Kinder durch diese Erfahrung mitgeprägt. Kinder sind im Unterschied zu erwachsenen Angehörigen existenziell auf ihre Familie angewiesen und geraten besonders unter Druck.
Sie wachsen unter belastenden Bedingungen auf und sind mit einer Vielzahl an Gedanken und Gefühlen konfrontiert, die überfordernd sein können. Was geht in den betroffenen Kindern vor, wie empfinden sie die Krankheit? Ein Blick in ihre Erlebenswelt kann helfen, ein Verständnis für sie und ihre Situation zu entwickeln.
Herausforderungen für Kinder psychisch kranker Eltern
Wenn ein Elternteil psychisch erkrankt, verändert sich der Alltag der Kinder und aller anderen in der Familie. Betroffene Familien und Kinder zu erkennen ist nicht einfach, denn psychische Erkrankungen sind immer noch stark stigmatisiert und schambesetzt. Die Familie möchte möglicherweise verhindern, dass die Erkrankung im Kindergarten bekannt wird, und verheimlicht sie.
Kinder reagieren sehr unterschiedlich auf die Erkrankung. Es ist daher schwierig, vom Verhalten eines Kindes direkt auf eine psychische Krankheit im Elternhaus zu schließen. Ein kleiner Teil der Kinder wächst trotz erhöhter Belastung problemfrei auf.
Typische Verhaltensweisen und Probleme
- Tabuthema: Häufig spüren sie, dass sie über die Erkrankung nicht sprechen dürfen, und fürchten, dass sie ihre Eltern verraten, wenn sie es doch tun.
- Rollenumkehr: Ältere Kinder fühlen sich für die Familie verantwortlich und übernehmen oft Elternrollen bzw. -funktionen (z. B. auf Geschwister aufpassen, Haushalt führen, Stabilisieren des kranken Elternteils etc.).
- Loyalitätskonflikte: Wenn Kinder über die Erkrankung Bescheid wissen, kann es schwierig werden, ihre eigene Wut und Traurigkeit auszudrücken, da sie gleichzeitig Verständnis für den betroffenen Elternteil haben.
- Manche Kinder zeigen gezielt auffälliges Verhalten (z.B. ständig Grenzen austesten), das als Hilferuf gedeutet werden kann.
- Weitere Hinweise sind unruhiges bis aggressives Verhalten gegen sich selbst oder andere, erhöhte Ängstlichkeit, sozialer Rückzug oder besonders anhänglich-klammerndes Verhalten.
- Auch Schlafprobleme, Müdigkeit oder Konzentrationsprobleme könnten Hinweise sein.
- Ist die Belastung in der Familie zu groß und die ausreichende Versorgung/Betreuung der Kinder gefährdet, können Anzeichen von Verwahrlosung auftreten.
Und es gibt auch Kinder, die auf den ersten Blick gar nicht auffällig sind. Sie wirken pflegeleicht, wachsam und entwickeln ein gutes Gespür für die Stimmung anderer Menschen. Sie definieren sich oft über ihre Leistungen, übernehmen Elternaufgaben, zeigen eventuell kontrollierendes Verhalten und erlauben sich keine Schwächen. Im Kindergarten sind sie beliebt und werden als angenehm wahrgenommen, bekommen aufgrund ihres Verhaltens aber keine besondere Unterstützung.
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Wie können PädagogInnen und andere Fachkräfte helfen?
Eine wirksame Hilfe für Kinder psychisch kranker Eltern erfordert die Zusammenarbeit mehrerer Berufsgruppen wie Erwachsenenpsychiatrie und Psychotherapie, Jugendwohlfahrt, Entwicklungspsychologie und Kinderpsychotherapie. Bevor der Kindergarten Angebote an die Eltern und Kinder macht, ist es gut, sich Klarheit zu verschaffen, wie viel und welche Hilfe er anbieten kann. Es ist zu überlegen, inwieweit man über den gesetzlichen Auftrag des Kindergartens hinaus für Eltern und Kinder eine begleitende und unterstützende Rolle einnehmen kann und möchte. Neben den institutionellen Grenzen (z. B. wenig Zeit für Einzelzuwendung) sind auch die persönlichen Grenzen der PädagogInnen zu bedenken.
Weiters ist eine kontrollierende Rolle im Sinne des Kinderschutzes zu nennen. PädagogInnen haben die Aufgabe, betroffene Kinder dahingehend zu beobachten, ob sich Gefährdungsmomente zeigen, die die Einschaltung von Jugendwohlfahrt oder anderer professioneller Helfersysteme notwendig machen. Im Umgang mit den Eltern kann dies z. B. bedeuten, dass ein Kind im Zweifelsfall einem sich auffällig verhaltenden Elternteil nicht übergeben werden darf.
Die Zeit im Kindergarten ist für die ganze Familie eine Ressource und wird von vielen Eltern als Entlastung wahrgenommen, da sie ihre Kinder in sicherer und förderlicher Umgebung wissen. Durch regelmäßige Kontakte zu den Eltern entsteht ein Vertrauensverhältnis, auf dem aufbauend PädagogInnen einen Austausch über die familiäre Situation und Unterstützungsmöglichkeiten anbieten können.
Konkrete Hilfestellungen für Kinder
- Die Kinder brauchen eine Bezugsperson die verlässlich, aufmerksam und sensibel für ihre Bedürfnisse ist.
- PädagogInnen können sich als Gesprächspersonen anbieten, die zuhören, trösten und bereit sind, über die Situation zu Hause zu sprechen.
- Es ist gut, die Krankheit beim Namen zu nennen und bei Bedarf zu erklären, wie sie sich äußert.
- Bilderbücher können helfen, mit den Kindern ins Gespräch zu kommen und „richtige“ Worte zu finden.
- Die Botschaft vermitteln, dass die Kinder für die Erkrankung und das Verhalten ihrer Eltern nicht verantwortlich sind.
- Die einfache Auskunft, dass es auch andere in derselben Situation gibt, kann Kindern helfen, sich nicht alleine und isoliert zu fühlen.
- PädagogInnen können positive soziale Kontakte der betroffenen Kinder im Kindergarten fördern und schon durch ihre Erziehungshaltung das Selbstwertgefühl und die Selbstwirksamkeit stärken.
- Wenn Kinder erleben, dass sie gehört und gelobt werden, selbst tätig sein dürfen und die Umwelt freudig darauf reagiert, können sie ein positives Selbstkonzept entwickeln.
- Die Kinder bei der Wahrnehmung ihrer eigenen Gefühle unterstützen, einen Ausdruck für Gefühlszustände und Bedürfnisse vermitteln.
- Den Kindern rückmelden, dass alle, teilweise widersprüchlichen Gefühle gegenüber dem Elternteil normal sind.
- Auch die Problemlösekompetenz kann gefördert werden.
Unterstützungsangebote für Familien
Es gibt viele Faktoren, warum Familien sich Unterstützung holen: erzieherische Überforderung, zerrüttete Familienverhältnisse, etc. Für PädagogInnen bedeutet die Arbeit mit betroffenen Familien eine Herausforderung.
Durch regelmäßige Kontakte zu den Eltern entsteht ein Vertrauensverhältnis, auf dem aufbauend PädagogInnen einen Austausch über die familiäre Situation und Unterstützungsmöglichkeiten anbieten können. Sind Auswirkungen der elterlichen Krankheit beobachtbar, die den Eltern rückgemeldet werden müssen?
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In der Einrichtung erleben die Kinder eine alltägliche Routine mit klaren Strukturen, Normalität und sind in ein soziales Umfeld eingebunden, was bereits einen stabilisierenden Wert hat. Darüber hinaus helfen folgende Fragen und Anregungen, die Kinder zu entlasten und zu stärken: Weiß ich, was betroffene Kinder für ihre gesunde Entwicklung brauchen?
Hilfreiche Organisationen und Anlaufstellen
- Netzwerk für Kinder psychisch erkrankter Eltern & ihre Familien: Auf dieser Seite finden Sie ein österreichweites Netzwerk von verschiedenen Initiativen und Projekten, die sich mit der Situation von Kindern und Jugendlichen beschäftigen, die durch eine psychische Erkrankung eines Elternteils belastet sind.
- HPE - Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter: Ein gemeinnütziger Verein, der es sich zur Mission gemacht hat, die Lebensqualität Angehöriger psychisch Erkrankter zu verbessern. Die HPE ist in allen Bundesländern aktiv und bietet regelmäßige Selbsthilfegruppen und Seminare.
- veRRückter Kindheit (HPE): Ein besonderer Schwerpunkt der HPE, der sich speziell mit der Situation von Kindern psychisch kranker Eltern befasst.
- Diakonie Zentrum Spattstraße (Linz): Bietet kostenlose Psychotherapie für Kinder und Jugendliche an. Für die Kostenübernahme ist eine ärztliche Überweisung erforderlich.
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