Die Entwicklung der Psychomotorik und ihre Phasen

Die ersten Lebensjahre sind von einer rasanten und umfassenden Entwicklung geprägt, in denen Bewegung eine zentrale Rolle spielt. Sie ist essenziell für die körperliche, motorische, kognitive und psychosoziale Entwicklung von Kindern (Hunger, Zimmer, 2024). Daher brauchen Kinder im Alltag genügend Bewegungserfahrungen.

Studien belegen, dass ein Mangel an Bewegung zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen wie Haltungsschwächen und Übergewicht führen kann. Bewegung kann als Impuls für die körperliche Entwicklung gesehen werden. Kinder sind ständig in Bewegung - sei es zu Hause, unterwegs, beim Spielen, Nachdenken oder vor dem Schlafengehen (Zimmer, 2020).

Neben spontanen Aktivitäten wie Laufen, Klettern oder Springen, tragen koordinative Bewegungsabläufe, beispielsweise das Spielen mit einem Ball, zur Steigerung motorischer Fähigkeiten bei. Die intermittierende Belastung trainiert die Ausdauer und verbessert die körperliche Belastbarkeit.

Der Einfluss von Bewegung auf die kognitive Entwicklung

Bewegung hat einen positiven Einfluss auf die kognitive Entwicklung. Begriffe wie Schwerkraft, Schwung, Gleichgewicht usw. können nur in Verbindung mit dem eigenen Tun erlebt werden, z.B. beim Schaukeln, Rutschen und Balancieren. Kinder lernen physikalische Eigenschaften eines Objekts durch Berührung, Bewegung und Manipulation kennen.

Bewegung fordert Kinder nicht nur physisch, sondern auch psychisch und sozial. Sie müssen sich Herausforderungen stellen, eigene Grenzen austesten und Risiken eingehen. Solche Erfahrungen tragen zur Entwicklung von Selbstvertrauen und Selbstsicherheit bei. Soziale Interaktionen in Bewegungssituationen, etwa Kooperation oder Wettbewerb, bieten Gelegenheiten, soziale Kompetenzen zu erlernen.

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Die Bedeutung der Psychomotorik

Dieses Zusammenspiel von Bewegung und Psyche betont die Psychomotorik und ist sowohl ein pädagogisches als auch ein therapeutisches Konzept zur Entwicklungsförderung. Bewegung im Sinne der Psychomotorik bedeutet mehr als körperliche Aktivität. Bei Bewegungshandlungen sind zahlreiche Persönlichkeitsaspekte beteiligt, greifen ineinander und können die Entwicklung des Kindes im positiven sowie im negativen Sinne beeinflussen. Perres (2014) und auch Möllers (2023) sprechen von der hohen Bedeutung des Bewegungsspiels.

Pädagogische Fachkräfte müssen über Feingefühl und Wissen zur kindlichen Entwicklung verfügen und Vertrauen in die Selbstgestaltungskraft der Kinder haben. Sie bieten Entwicklungsanreize und eine vorbereitete Umgebung, in der Kinder sich ausprobieren und Erfahrungen sammeln können.

Resilienzförderung durch Psychomotorik

Resilienz ist kein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal, sondern wird durch die Interaktion zwischen Kind und Umwelt im Laufe der Entwicklung erworben. Wustmann versteht unter Resilienz die psychische Widerstandsfähigkeit von Kindern gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken (2004). Ein resilienter Mensch entwickelt sich trotz schwieriger Umweltbedingungen psychisch stark. Die Resilienzforschung unterscheidet zwischen Risiko- und Schutzfaktoren. Risikofaktoren, wie niedriger sozioökonomischer Status oder chronische Armut, erhöhen die Entwicklungsgefährdung (Wustmann, 2004).

Das psychomotorische Konzept betont den Zusammenhang von Wahrnehmen, Erleben, Erfahren und Handeln. Bewegungshandlungen sind Ausdruck körperlicher und seelischer Prozesse. Ziel ist die Förderung der Gesamtpersönlichkeit des Kindes durch erlebnisorientierte Bewegungsmöglichkeiten.

Beispiele für psychomotorische Übungen zur Resilienzstärkung (Möllers, 2013; Pinter Theiss u.a.):

  • Hexe / Zauberer: Ein Kind versucht andere Kinder zu verzaubern, wer erwischt wird, bleibt mit gegrätschten Beinen im Raum stehen.
  • Reifenstecher: Ein Kind ist die/der „Reifenstecher*in“, wer erwischt wird, sackt zu Boden.
  • Spinnennetz: Zwischen zwei Bäumen wird mit Seilen oder Wäscheschnüren eine Art „Spinnennetz“ gespannt (Knie- bis Schulterhöhe).
  • Miteinander bauen: Aufgabenstellung: „Geht in Gruppen zu viert zusammen, dann hat jede Gruppe die Aufgabe ein Haus zu bauen, in dem ihr alle vier Platz habt. Ihr könnt folgendes Material (Langbank, Reifen, Decken,…) verwenden.
  • Vertrauensspiele: Im Freien gespielt, bringen die Bodenbeschaffenheit und andere Umgebungsfaktoren zusätzliche Herausforderungen mit sich. Beispiele sind das Führen eines blinden Kindes oder einer Gruppe - an der Hand, an den Schultern, mit einem Seil oder frei.
  • Springen und balancieren im gestalteten Raum: Einen Parcours / Stationen aufbauen mit z.B. Langbänken, Teppichfliesen, Reifen, Kästen und Matten. Aufgabenstellung: „Wir haben jetzt gemeinsam einen Parcours aufgebaut, probiert aus, wo ihr am besten springen bzw. balancieren könnt.

Die Förderung von Resilienz in der Psychomotorik erfolgt auf zwei Ebenen. Auf individueller Ebene erleben Kinder durch partizipative Aktivitäten Selbstwirksamkeit und stärken ihr Selbstwertgefühl. Bewegung wirkt zudem entspannend und unterstützt die Persönlichkeitsentwicklung. Auf der Beziehungsebene ist die pädagogische Fachkraft entscheidend: Sie nimmt das Kind wertschätzend an, erkennt seine Fähigkeiten und fördert sein Potenzial durch Vertrauen und Unterstützung (Pinter-Theiss, u.a.

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Bewegung als Grundlage für eine gesunde Entwicklung

Bewegung ist ein essenzieller Bestandteil der kindlichen Entwicklung. Aber welche Bedeutung hat die Bewegungsentwicklung für die Resilienzförderung? Neben den zentralen Aspekten des Bewegungsspiels und der Persönlichkeitsentwicklung wird besonders auf die positiven Effekte psychomotorischer Einheiten zur Resilienzförderung eingegangen, die durch praxisnahe Beispiele veranschaulicht werden.

Bewegung ist essenziell für die ganzheitliche Entwicklung von Kindern. Sie fördert körperliche Fitness, kognitive Prozesse und psychosoziale Kompetenzen. Ein bewegungsreicher Alltag unterstützt den natürlichen Explorationsdrang von Kindern und trägt zu langfristigem Wohlbefinden bei.

Die Psychomotorik stellt eine wertvolle Methode dar, um die Persönlichkeitsentwicklung und Resilienz von Kindern gezielt zu fördern. Durch ihre Prinzipien der Kindorientierung und Ressourcenförderung leistet sie einen bedeutenden Beitrag zur frühkindlichen Bildung und Inklusion.

„Heute bin ich ein Schmetterling!“ ruft Line. „Und ich eine Rakete!“ Max drängt sich zu mir. „Einverstanden!“ antworte ich. „Aber zuerst fangen wir wie immer an. Line, Max und 4 andere Kinder setzen sich mit ihren Elternteilen zu mir, und wir beginnen unsere Bewegungseinheit mit einem Lied. Dann wird zu Musik gelaufen, und in den Musikstopps können die Kinder Ideen sagen, was zu tun ist. Zora schlägt vor, dass wir eine Schlange sein sollen. Danach bauen wir Bewegungsanlässe auf. Ob die Kinder eher in die Tiefung oder in die Weitung ihrer Kompetenzen gehen, ist mir gleichermaßen recht. Mütter und Väter beteiligen sich also am kindlichen Tun, entweder durch Mitspielen oder durch Beobachten und Sicherheit bieten. Sie vermitteln den Kindern, dass es spannend ist, etwas Neues auszuprobieren und zu entdecken. Sie ermutigen die Kinder, Wagnisse einzugehen. Nach einer Massage, die dem Wohlfühlen und zur Ruhe kommen dient, beende ich die Einheit.

Wir sind in einem Wiener Altersheim. Im Sesselkreis sitzen 5 alte Damen und 2 alte Herren. Wir warten auf die Kinder aus dem benachbarten Kindergarten, um eine gemeinsame Bewegungsstunde nach den Prinzipien der psychomotorischen Entwicklungsbegleitung zu verbringen. Auch diese Bewegungseinheit verläuft in dem für die österreichische Psychomotorik typischen Phasenmodell [1]. Nach einem Begrüßungslied schaltet meine Kollegin die Musik ein und alle bewegen sich durch den Raum oder im Sitzen auf dem Platz. Wesam (4) schiebt vorsichtig den Rollstuhl von Frau Elisabeth (96), während Herr Raimund (93) versucht, Musab (5) beim Laufen zu erwischen. Auch diese Gruppe löst beim Musikstopp Aufgaben. Das Herzstück jeder Bewegungseinheit ist diese Phase des selbstbestimmten Tuns. Auch wenn es sich hier um ein intergeneratives Projekt handelt und es unser Wunsch ist, dass Kinder mit alten Menschen in Kontakt kommen, so wird dieser Kontakt nie „inszeniert“.

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Begegnungen und Beziehungen entstehen aus dem gemeinsamen Tun, das in den ersten Einheiten auch nebeneinander stattfinden durfte. Die beiden Dialoggruppen werden von der Motopädagogin und der Motogeragogin gleichermaßen wichtig genommen. Wir achten darauf, dass nicht eine der beiden Altersgruppen, der anderen „dienlich“ ist.

Ziel unserer Angebote ist es, eine Umgebung und Atmosphäre zu gestalten, die zu Eigenaktivität und Selbsttätigkeit anregen. Grundlage dafür ist eine gute Beziehung der Motopädagogin/Motogeragogin zu ihren Gruppenmitgliedern und ein anregendes Angebot im Bezug auf die Fragestellungen und das Material. Jede Einheit soll für jede Teilnehmerin, egal welchen Alters, Selbstwirksamkeitserfahrungen und erfolgreich bewältigte Situationen beinhalten. Selbsttätigkeit (ich tue) und Selbstwirksamkeit (ich kann) sind die Voraussetzungen zum Aufbau eines stabilen positiven Selbstwertes (ich bin)[2].

[1] Passolt, M. / Pinter-Theiss, V.

[2] Pinter-Theiss, V. / Steiner-Schätz, M. / Lukesch, B. / Schätz, T. / Theiss, C. (2014): Ich tue, ich kann, ich bin.

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