Das Dorsch Lexikon der Psychologie ist ein umfassendes Nachschlagewerk, das einen breiten Überblick über das gesamte Spektrum psychischer Störungen und Therapieverfahren bietet. Es präsentiert Grundlagen, Konzepte, Definitionen und therapeutische Methoden in über 4500 Beiträgen von mehr als 400 renommierten Expertinnen und Experten der Psychologie und Psychopharmakologie.
Psychologische Diagnostik: Ein zentraler Aspekt
Die psychologische Diagnostik (auch Psychodiagnostik oder Assessment) ist ein Teilgebiet der Psychologie und ein wichtiger Bestandteil der beruflichen Tätigkeit von Psychologen. Laut WHO ist sie der gemeinsame Nenner der meisten beruflichen psychologischen Tätigkeiten. Sie ist immer dann gefragt, wenn rationale Entscheidungen zu finden oder zu fundieren sind und liefert dafür das methodische Fundament.
Begriffsbestimmung
Die Wörter Diagnose und Diagnostik gehen auf das griechische Verb diagignoskein zurück, was gründlich kennenlernen, entscheiden und beschließen bedeutet. Bei der psychologischen Diagnostik geht es um das gründliche Kennenlernen der Merkmale einer Person, Gruppe oder Organisation mittels entsprechender Methoden und Verfahren zur Informationsgewinnung.
Dies setzt eine Frage- oder Problemstellung voraus, die mit psychologischer Hilfe beantwortet oder gelöst werden soll. Das aufgrund der Information gewonnene Abbild ist Grundlage für diagnostische Entscheidungen in verschiedenen Bereichen:
- Bildungsweg- und Berufswahlentscheidungen im Rahmen der psychologischen Beratung
- Selektionsentscheidungen, Platzierungsentscheidungen bzw. Einleitung von Förder- oder Weiterbildungsmaßnahmen im Rahmen der Personalentwicklung
- Identifikation psychischer Störungen und Analyse individueller Problembereiche und Ressourcen zur Auswahl einer Therapie
Die psychologische Diagnostik beschäftigt sich auch mit grundlegenden, theoretischen Fragestellungen, wie z. B.:
Lesen Sie auch: Voraussetzungen Psychologie Studium: Erlangen im Fokus
- Soll die begrenzte Zahl von Studienplätzen in der Medizin aufgrund von Abiturnoten, Zufallsprinzip, Eignungstests oder Bewerbungsgesprächen vergeben werden?
- Welche Informationen gewährleisten eine rationale Entscheidung?
- Wie sind die Erfolgskriterien definiert, und was ergeben empirische Bewährungskontrollen (Evaluation)?
- Welcher Entscheidungsnutzen und welche Kosten sind festzustellen?
Definition nach Jäger und Petermann
Reinhold Jäger und Franz Petermann definieren Psychodiagnostik als das systematische Sammeln und Aufbereiten von Informationen mit dem Ziel, Entscheidungen und daraus resultierende Handlungen zu begründen, zu kontrollieren und zu optimieren. Die Anwendung von Tests gehört zur Psychologischen Diagnostik, die aber nicht darauf reduzierbar ist. Es geht auch um das Treffen diagnostischer Entscheidungen auf der Basis dieser Informationen.
Solche Entscheidungen und Handlungen basieren auf einem komplexen Informationsverarbeitungsprozess, wobei psychologisch relevante Charakteristika von Merkmalsträgern gewonnen und Daten zu einem Urteil (Diagnose, Prognose) integriert werden. Die Informationen müssen verdichtet, gewertet und gewichtet werden, bis eine Diagnose zuverlässig gestellt und eine Entscheidung fundiert getroffen werden kann.
Psychologische Diagnostik als eigenständige Disziplin
Die Zuordnung innerhalb der Teilgebiete der Psychologie ist nicht einheitlich. Die Eigenständigkeit als Disziplin ist umstritten und wird oft mit Differentieller Psychologie oder Persönlichkeitspsychologie kombiniert. Daher wird psychologische Diagnostik manchmal auch als Integrationsfach bezeichnet.
In der Klinischen Psychologie bezieht sich psychologische Diagnostik nicht nur auf das Erkennen von psychischen Erkrankungen oder Störungen, sondern bezieht die daraus abzuleitenden Entscheidungen (z. B. Therapienotwendigkeit und -motivation, Wahl der richtigen Therapieform etc.) mit ein. Deshalb wird häufig auch von Indikationsdiagnostik gesprochen.
Beziehungen mit anderen Fachdisziplinen
Die psychologische Diagnostik ist eng mit anderen psychologischen Disziplinen verzahnt. Fachwissen ist u. a. aus folgenden Bereichen notwendig:
Lesen Sie auch: Ursachen für häufigen Partnerwechsel
- Kenntnisse in allen Grundlagenfächern
- Methodik und Statistik
- Anwendungsfächer wie Klinische Psychologie, Entwicklungspsychologie, Pädagogische Psychologie, Wirtschaftspsychologie u. a.
- Persönlichkeits- und Differentielle Psychologie
Ausbildung im Psychologiestudium
Die Ausbildung findet zumeist in zwei Teilen statt: im Grundstudium wird das allgemeine methodische Vorgehen gelehrt, in den Anwendungsfächern werden die Herangehensweisen für spezielle Fragestellungen vermittelt. Psychologische Diagnostik setzt nicht nur anwendungsorientiertes Wissen und anwendungsbezogene Methodik voraus, sondern bedarf einer grundständigen, intensiven wissenschaftlichen Ausbildung.
Alternative Benennungen und Abgrenzungen
Begriff Psychodiagnostik
Ursprünglich wurde der Begriff Psychodiagnostik 1921 von Hermann Rorschach geprägt. Heute umfasst er alle Methoden und Vorgehensweisen auf diesem Gebiet. Zunehmend wird dafür der Begriff Psychologische Diagnostik verwendet.
Begriff Assessment
Im angloamerikanischen Raum entspricht die psychologische Diagnostik dem Begriff des Assessments (psychological assessment). Inhaltlich und theoretisch gibt es zwischen psychologischer Diagnostik und Assessment jedoch keine Unterschiede.
Abgrenzung zur Diagnostik in der Medizin
In der Medizin bedeutet Diagnose Erkennen und Benennen der Krankheit aufgrund von Symptomen und Befunden. Demgegenüber hat psychologische Diagnostik eine weitaus breitere Bedeutung, da die Fragestellungen beispielsweise den Schulkontext, die Personalauswahl, Arbeitswelt, Weiterbildung, Beratung und Begutachtung betreffen.
Weitere Abgrenzungen oder Spezifizierungen
- Reduktion auf Testpsychologie
- Gleichsetzung mit bzw. Reduktion auf Psychometrie
- Gleichsetzung mit Persönlichkeitsbeurteilung
- Gleichsetzung mit Differentieller Psychologie
Diagnostischer Prozess
Im weiteren Sinn ist psychologische Diagnostik eingebettet in einem Untersuchungskontext, bei dem das Ziel, die Methoden (wie Interview, Tests, Verhaltensbeobachtungen) und die statistische Auswertung der Datenerfassung zu berücksichtigen sind. Im engeren Sinne kann der eigentliche Prozess der psychologischen Diagnostik mit folgenden Modell beschrieben werden.
Lesen Sie auch: Definition psychischer Störungen
Prozessmodell nach Jäger
Jäger legte bereits 1986 ein Prozessmodell vor, das folgende Schritte umfasst:
- Problemanalyse
- Investigative Entscheidung
- Terminale Entscheidung/Indikation
- Evaluation
Beteiligte am diagnostischen Prozess
Die Beteiligten am diagnostischen Prozess umfassen:
- Auftraggeber
- Diagnostiker
- Diagnostizierte
Das Dorsch Lexikon der Psychologie: Eine umfassende Ressource
Das Dorsch Lexikon der Psychologie bietet nicht nur Definitionen, sondern auch umfassende Informationen zu klinischer Diagnostik, klinischer Forschung, Evaluation und Qualitätssicherung. Es enthält Informationen zur Systematik von Psychopharmaka und relevantes Wissen klinischer Bezugsdisziplinen.
Die neue Auflage des Lexikons ist erweitert und aktualisiert, mit 13000 Stichwörtern, davon 5000 neue oder komplett revidierte Stichwörter. Es bietet auch einen Online-Zugang, der fortdauernd aktualisiert und erweitert wird.
Das Lexikon will nicht die Psychologie als Sammlung von Inhalten verstanden wissen, sondern als wissenschaftliche Perspektive, aus der verschiedene Bereiche betrachtet werden können. Die psychologische Perspektive besteht in der Fokussierung auf das Erleben und Verhalten.
Psychotherapie und Psychopharmakotherapie im Dorsch Lexikon
Das Lexikon präsentiert kompakt und aktuell das Wissen für das gesamte Spektrum psychischer Störungen und Therapieverfahren. Psychotherapie und Psychopharmakotherapie werden in "Gebietsdarstellungen" skizziert. Die psychotherapeutischen Methoden werden in vier Perspektiven versammelt: die neurobiologische, psychodynamische, kognitiv behaviorale und die integrative Sichtweise.
Das vorliegende Lexikon ist sicher eine wertvolle Hilfe für Psychotherapeuten und in der Psychopharmakotherapie. Beim Nachschlagen im Lexikon kommt es unweigerlich zum Blick über den eigenen Zaun in den Garten der Nachbardisziplin.
Tabelle: Vergleich von Psychodiagnostik und Medizinischer Diagnostik
Merkmal | Psychodiagnostik | Medizinische Diagnostik |
---|---|---|
Ziel | Gründliches Kennenlernen von Merkmalen, Entscheidungsfindung | Erkennen und Benennen von Krankheiten |
Fragestellungen | Schule, Personalauswahl, Arbeitswelt, Beratung, Begutachtung | Symptome und Befunde |
Ergebnis | Diagnose, Prognose, Therapieempfehlung | Positive Diagnose der zugrundeliegenden Krankheit |
tags: #dorsch #lexikon #der #psychologie #definitionen