Die Diagnose ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) ist ein komplexer Prozess, der eine sorgfältige und umfassende Bewertung erfordert. ADHS äußert sich unterschiedlich, was die Diagnose erschwert. Nicht immer sind alle Symptome erkennbar. ADHS-Symptome ähneln zudem oft altersgemäßen Verhaltensweisen.
Eine zweifelsfreie und hundertprozentig gesicherte Diagnose gilt auch heutzutage noch als schwierig durchführbar und ist, wie wir noch sehen werden, auch ziemlich aufwändig. Deshalb ist auch eine rasche oder, wie manch ein Elternteil oder Betroffener sich das zuweilen vorstellt, eine »Schnelldiagnose« unmöglich durchführbar.
Wer führt die ADHS-Diagnostik durch?
Hierzulande kann eine ADHS-Diagnostik nur durch einen mit der Materie vertrauten Kinder- und Jugendpsychater oder Kinder- und Jugendpsychologen, im Fall von erwachsenen Betroffenen von einem niedergelassenen klinischen Psychologen oder einem mit der Materie vertrauten Neurologen / Psychiater durchgeführt werden.
Es hat sich für Betroffene allerdings sehr häufig als schwierig herausgestellt, in ihrer Nähe einen kompetenten Facharzt für ADHS zu finden. Das kann sich vor allem deshalb als mühsam erweisen, weil es ja mit einem einzigen kurzen Besuch nicht getan ist: Die Beantwortung und gemeinsame Besprechung der standardisierten Fragebögen und Tests dauert in jedem Fall mehrere Stunden (im Schnitt 3 - 6).
Die Diagnostik von ADHS wird von klinischen Psychologen durchgeführt. Diese Fachkräfte verfügen über die notwendige Ausbildung und Erfahrung, um eine genaue und fundierte Diagnose zu stellen.
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Diagnose-Kriterien
Für eine seriöse Diagnose müssen / sollten mehrere »Ebenen« berücksichtigt werden, was den Vorgang natürlich verkompliziert.
Ein gängiges Diagnosesystem mit der Bezeichnung DISYPS-II baut auf drei Beurteilungsebenen auf:
- Der klinischen Ebene (Diagnosechecklisten, DCL)
- Der Ebene der Fremdurteile durch Eltern, Lehrkräfte bzw. Kindergärtner/Erzieher (Fremdbeurteilungsbögen, FBB)
- Der Ebene des Selbsturteils des Kindes, allerdings für gewöhnlich erst ab elf Jahren (Selbstbeurteilungsbögen, SBB)
Wichtig ist, dass die als »störend« beobachteten Einzelsymptome nicht nur in einem für den Entwicklungsstand des Kindes ohnehin angemessenen Ausmaß vorhanden sind, sondern über dieses Maß hinausgehen. Die medizinisch korrekte Formulierung in den meisten Diagnose-Handbüchern lautet: »eine abnorm erhöhte« bzw. »eine signifikant erhöhte« Verhaltensoriginalität, besser formuliert: »ein signifikant erhöhter Leidensdruck«.
Für die Diagnose ADHS müssen bestimmte Kriterien nach dem Klassifikationssystem ICD-10 erfüllt sein. ADHS-typisch ist ein ungewöhnliches Maß an Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. Bei einer ADS-Diagnose sind die Kinder lediglich unaufmerksam, aber weder hyperaktiv noch impulsiv.
Kriterium Unaufmerksamkeit
Bei ADHS lassen sich mindestens sechs der folgenden ADHS-typischen Symptome von Unaufmerksamkeit erkennen. Sie treten seit wenigstens sechs Monaten auf und sind nicht auf eine altersgemäße Entwicklungsphase zurückzuführen. Die Betroffenen:
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- beachten Einzelheiten nicht genau oder machen Flüchtigkeitsfehler
- haben Mühe, sich längerfristig zu konzentrieren
- scheinen oft nicht zuzuhören, wenn sie direkt angesprochen werden
- führen oft Anweisungen nicht vollständig aus oder beenden Aufgaben nicht
- haben Mühe, Aufgaben und Tätigkeiten planvoll abzuwickeln
- vermeiden oder verweigern oft Aufgaben, die anhaltende Konzentration erfordern
- verlieren häufig Dinge wie Spielzeug oder Hausaufgabenhefte
- werden leicht durch unwesentliche Reize abgelenkt
- sind oft vergesslich bei Alltagstätigkeiten
Kriterium Hyperaktivität, Impulsivität
Außerdem äußert sich ADHS in mindestens sechs der folgenden ADHS-typischen Hyperaktivitäts-Impulsivitäts-Symptome. Auch diese treten seit mindestens sechs Monaten auf und sind nicht auf eine altersgemäße Entwicklungsphase zurückzuführen. Die Betroffenen:
- zappeln oder winden sich auf dem Stuhl
- sitzen ungern und verlassen oft den Sitzplatz, auch dann, wenn Sitzen erwartet wird
- rennen oft herum oder klettern überall hoch, auch in unpassenden Situationen
- sind ruhelos, umtriebig oder benehmen sich oft wie von einem Motor angetrieben
- sind beim Spielen meist sehr laut
- reden oft übermäßig viel
- platzen häufig mit der Antwort heraus, bevor Fragen komplett gestellt sind
- haben oft Mühe zu warten, bis sie an der Reihe sind
- unterbrechen oder stören häufig andere bei Unterhaltungen oder Spielen
Bei Kindern mit ADHS beobachtet man diese Symptome typischerweise bereits vor dem siebten Lebensjahr. Die Anzeichen treten nicht nur daheim oder nur in der Schule auf, sondern in mindestens zwei verschiedenen Umfeldern.
Für die Diagnose ADHS müssen zudem deutliches Leiden oder Schwierigkeiten bei sozialen Kontakten, beim Lernen oder im beruflichen Bereich bestehen.
Ablauf der ADHS-Diagnostik
Anamnese
Nachdem es also noch keine wirklichen Alternativen gibt wird klar, dass für eine Abklärung, ob ADHS vorliegt oder nicht, die Anamnese im Vordergrund steht. Geht es um ADHS und andere Verhaltensdefizite wird zunächst die Familiensituation beobachtet, psychische Erkrankungen sowie Alkohol- und Drogenmissbrauch beobachtet und analysiert. Zur Anamnese gehören auch Kriterien wie Schwangerschaft und Geburt sowie Vorerkrankungen.
Befragung
Um einem begründeten Verdacht auf ADHS oder auch dessen Ausschließung näher zu kommen, müssen, wie schon erwähnt, auch die besten Diagnostiker vor allem eines tun: Fragen stellen! Ärzte, an deren Konsultation bei ernsthafter Herangehensweise für Eltern wohl kein Weg vorbeiführt, verwenden also mittlerweile ziemlich aufwändige aber standardisierte Befragungsmethodiken.
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Mit vielen Fragebögen und Tests, die nach internationalen Kriterien standardisiert sind (z.B. DSM IV-Handbuch), grenzen z.B. Kinderärzte, Kinder- und Jugendpsychiater oder Kinderpsychologen die Ursachen für die Symptomatiken ein. Idealerweise erfolgt das in drei Phasen:
- Befragung des Kindes, der Eltern und Bezugspersonen über die spezifischen Symptome (Anamnese)
- Intelligenz- und Leistungsdiagnostik. Hintergrund ist, dass intellektuelle Überforderungen oft Schulprobleme nach sich ziehen
- Abklärung der Beziehungssituation innerhalb der Kernfamilie des Kindes (die schon angedeuteten psychosozialen Faktoren). Modern ausgedrückt: Der »systemische Ansatz« in Kernfamilie und Umfeld. Hier liegen bedeutende Ansatzpunkte für eine spätere Therapie.
Für die Fremdurteile (Lehrkräfte, Eltern) steht eine Reihe von Fragebogenverfahren zur Verfügung. Hierzu gehört beispielsweise der Screening-Bogen für Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS-Bogen), mit dessen Hilfe Hinweise auf ADHS oder ADS sowie deren Begleiterscheinungen erfasst werden sollen.
Tests
Eine testpsychologische Untersuchung sollte mindestens zwei bis drei Stunden dauern, um auch eine gründliche Verhaltensbeobachtung in der Testsituation zu gewährleisten. Reine Konzentrationstests wie etwa der d2-Test (Brickenkamp) oder der BP-Konzentrationstest nach Esser reichen alleine nicht aus, um eine Aussage über die Konzentrationsfähigkeit eines Kindes im Alltag zu treffen, zusätzlich sollten eine Reihe weiterer Tests, z. B. der Denkfertigkeiten durchgeführt werden. Auch sollte eine Intelligenzdiagnostik durchgeführt werden.
Als spezifisches psychodiagnostisches Testverfahren steht außerdem von Manfred Döpfner, G. Lehmkuhl und H.-C. Steinhausen die Diagnose-Checkliste für Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (DCL-ADHS) zu Verfügung.
Vorraussetzungen
Als Voraussetzung für die Diagnose ADHS müssen die Symptome mindestens seit sechs Monaten vorliegen und erstmals schon vor dem siebten Lebensjahr aufgetreten sein. Auf jeden Fall müssen die Symptome deutliche Beeinträchtigungen für das tägliche Leben der betroffenen Person mit sich bringen.
Differentialdiagnostik (Ausschluss)
Ein Ausschluss von möglichen anderen Störungen, welche die hyperkinetischen Symptome besser erklären würden, ist in jeder Diagnoseebene unerlässlich. Es darf zum Beispiel keine tief greifende Entwicklungsstörung, keine Schizophrenie oder keine andere psychologische Störung vorliegen.
Um ADHS von anderen Krankheitsbildern abzugrenzen ist ein klinischer Untersuchungsbefund unverzichtbar, genauso wie andere psychologische Untersuchungen, die ADHS von beispielsweise verringerter Intelligenz separieren sollen.
Vorbereitung auf den Arztbesuch
Eltern können sich auf den Arztbesuch, bei dem eine mögliche ADHS bei ihrem Kind abgeklärt werden soll, auf folgende Weise vorbereiten:
- Beobachten und beschreiben Sie das Verhalten Ihres Kindes: Gibt es aktuelle kritische Ereignisse, die Ursache des ruhelosen Verhaltens sein könnten? Wann treten die Aufmerksamkeitsstörungen auf (Tageszeit, Schultage etc.)?
- Sprechen Sie mit den Betreuern Ihres Kindes (z.B. Großeltern, Betreuer in Kindergarten, Schule oder Hort) über dessen Verhalten.
Ärztliche Untersuchung
Deshalb können nur erfahrene Spezialisten die Diagnose ADHS stellen, beispielsweise Fachärzte und -ärztinnen für Kinder- und Jugendmedizin oder Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Befragung der Eltern, Bezugspersonen und Lehrer
Für eine ADHS-Diagnostik bei Kindern befragt der Spezialist oder die Spezialistin Eltern und andere Bezugspersonen zu Sozial-, Lern-, Leistungsverhalten und der Persönlichkeitsstruktur des Kindes. Folgende Fragen könnte Inhalt des Erstgesprächs sein:
- Kann sich Ihr Kind längere Zeit auf eine Tätigkeit konzentrieren?
- Ist Ihr Kind zappelig, wenn es stillsitzen soll?
- Redet Ihr Kind häufig dazwischen oder auch besonders viel?
- Ist Ihr Kind leicht ablenkbar?
Die Lehrer können wertvolle Auskunft zur intellektuellen Leistungsfähigkeit und zum Aufmerksamkeitsverhalten des kleinen Patienten geben. Schulhefte geben anhand von Ordnung, Führung, Schrift und Einteilung ebenfalls Hinweise auf eine mögliche Störung. Zeugnisse dokumentieren die schulischen Leistungen.
Gespräch mit dem Kind
Für die Abklärung einer möglichen ADHS sind auch Angaben des Kindes selbst hilfreich. Man kann es zum Beispiel fragen, ob es sich gut konzentrieren kann, sich von sozialen Gruppen ausgeschlossen oder generell nicht zugehörig fühlen.
Da dies sehr heikle Fragen sind, kann es sinnvoll sein, dass Eltern solche Themen bereits vor dem Arztbesuch mit ihrem Kind besprechen.
Körperliche Untersuchungen
Der Arzt oder die Ärztin untersucht die motorische Koordinationsfähigkeit des Kindes und beurteilt sein Verhalten bei der Untersuchung. Dazu beobachtet er oder sie die Kooperationsfähigkeit, Gestik, Mimik, Sprache und Lautäußerungen des Kindes.
Eine Messung der Hinströme im EEG ist nur erforderlich, wenn zum Beispiel der Verdacht auf Epilepsie besteht.
Verhaltensbeobachtung
Während des Gesprächs und der Untersuchungen beobachtet der Arzt oder die Ärztin das Kind und achtet auf Verhaltensauffälligkeiten.
Manchmal helfen Videoaufnahmen, die Diagnose eines ADHS zu sichern. Anhand solcher Aufzeichnungen können Mediziner hinterher den Eltern die Auffälligkeiten ihres Kindes in Mimik, Gestik und Körpersprache oder die Aufmerksamkeitsabbrüche demonstrieren.
Außerdem zeigen die Aufzeichnungen die Reaktion der Eltern im Umgang mit dem Kind.
Wiederholte Aufnahmen während einzelner Termine dokumentieren den Therapieverlauf.
Fragebögen
Um ADHS festzustellen, verwenden Spezialisten spezielle Fragebögen, mit denen sich verschiedene ADHS-typische Verhaltensweisen strukturiert erfassen lassen.
Wichtig sind dabei Verhaltensauffälligkeiten und Besonderheiten, die Lernen, Leistung oder später den Beruf betreffen. Weitere Themen sind die Familiensituation und Erkrankungen in der Familie.
Auch fragt der Spezialist oder die Spezialistin im Gespräch mit den Eltern beziehungsweise Betroffenen nach Besonderheiten während der Schwangerschaft, der Geburt und in der Entwicklung sowie nach Vorerkrankungen und derzeitigen sonstigen Beschwerden.
Besonders bei erwachsenen Patienten sind auch Fragen zu Nikotin-, Alkohol-, Drogenkonsum und psychiatrischen Erkrankungen relevant.
Abgrenzung der ADHS von anderen Störungen
Wichtig ist es, ADHS von anderen Problemen mit ähnlichen Symptomen abzugrenzen. Auf psychologischer Ebene kann das beispielsweise eine verringerte Intelligenz oder eine Lese-Rechtschreib-Schwäche (Legasthenie) sein. Auch eine Zwangsstörung kann eine ADHS-ähnliche Hyperaktivität verursachen.
Nach Möglichkeit vergleichen ADHS-Spezialisten ihre Untersuchungsergebnisse mit Vorbefunden des Kindes, zum Beispiel der Einschulungsuntersuchung. In manchen Fällen gründet die Hyperaktivität aber auch auf körperlichen Ursachen. In Betracht kommen zum Beispiel Stoffwechselstörungen, Epilepsie, Ticstörungen, das Tourette-Syndrom, krankhafter Juckreiz, Seh- oder Hörproblemen.
ADHS Praxis Wien: Psychologische Diagnostik in 5 Schritten
- Termin buchen (online): Vereinbaren Sie einen Termin für eine Diagnostik. Halten Sie eine ärztliche Überweisung bereit, welche eine klinisch-psychologische Diagnostik mit Verdacht auf ADHS empfiehlt.
- Datenerhebung (online): Füllen Sie die Ihnen zugesandten psychologischen Fragebögen aus. Ein Fragebogen ist optional von einer Person auszufüllen, die Sie im Alter von 8-10 Jahren gut kannte.
- Anamnesegespräch (vor Ort): Ihre biografischen Informationen werden erfasst, um einen umfassenden Einblick in Ihre Lebensgeschichte, familiäre Situation und Entwicklung zu gewinnen.
- Testverfahren (vor Ort): Standardisierte Testverfahren werden verwendet, um Persönlichkeitsmerkmale, kognitive Fähigkeiten und Verhaltensweisen systematisch zu erfassen.
- Gutachten: Basierend auf den Ergebnissen der vorangegangenen Schritte wird ein umfassendes klinisch-psychologisches Gutachten erstellt.
Häufige Fragen zur ADHS-Diagnostik
Werden die Kosten für die ADHS-Diagnostik von der Krankenkasse übernommen?
Ja. Klinisch-psychologische Diagnostik ist eine Kassenleistung und wird teilrefundiert. Beachten Sie jedoch, dass dies nur auf die große Diagnostik zutrifft. Das psychologische Screening ist privat zu zahlen.
Wie hoch ist die Kostenrefundierung?
Die Kostenrefundierung variiert je nach Krankenkasse. In der Regel können Sie mit einer Erstattung von ca. 350€ - 400€ rechnen.
Benötige ich eine Überweisung?
Die Kassen verlangen eine ärztliche Überweisung. Sprechen Sie dazu mit Ihrem Hausarzt oder Facharzt und lassen Sie sich eine Überstellung für eine klinisch-psychologische Diagnostik mit Verdacht auf ADHS mitgeben, welche Sie bei den Kassen gemeinsam mit unserer Rechnung einreichen können.