Medikamente und Therapie bei Essstörungen

Essstörungen sind ein Gebiet, das in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung zugenommen hat. Neben der Zunahme an übergewichtigen und adipösen Menschen steigt auch die Anzahl derer, die an Magersucht, Ess-Brech-Sucht (Bulimie), Binge-Eating-Störung oder einer anderen, nicht näher bezeichneten Essstörung leiden. Weiters leiden neben Mädchen und jungen Frauen auch immer mehr Buben und Männer an diesen Krankheitsformen.

Das Hauptproblem bei der Diagnose und Therapie von Essstörungen liegt darin, dass die oder der Betroffene die vorhandenen Symptome nicht als Krankheit wahrnimmt und häufig versucht, sie vor sich selbst, den Angehörigen und Freunden zu verbergen. Sich einzugestehen, dass man krank ist und Hilfe benötigt, ist ein wichtiger, aber sicherlich auch der schwierigste Schritt, um sich auf einen Kampf mit dem bestehenden Problem einlassen zu können. Aber es lohnt sich, sich darauf einzulassen! Trotz aller Wenn und Aber.

Heilung braucht Zeit

Was man sich selbst und auch allen nahestehenden Personen klar machen muss: Heilung braucht Zeit. Hier handelt es sich nicht um einen Blinddarm, der entfernt wird, sondern um ein viel komplexeres Problem. Die Gewichtsabnahme und auch das seelische Befinden haben sich nicht ganz plötzlich eingestellt. Auch das hat Zeit gebraucht.

Ursachen von Essstörungen

Allen Essstörungen ist gemein, dass ihre Ursachen aus mehreren Faktoren bestehen. Entsprechend sind Vorwürfe oder Schuldzuweisungen, die gerade im Rahmen dieser Erkrankungen keine Seltenheit sind, ungerechtfertigt. Experten sprechen hier von multifaktoriellen Ursachen. Die Fachwelt unterscheidet zwischen biologischen, familiären, individuellen und soziokulturellen Ursachen.

Besonders verbreitet sind Essstörungen bei Jugendlichen. In einer Phase der Entwicklung, in der der Körper gravierende Veränderungen durchläuft, ist diese Risikogruppe besonders anfällig für die angeblichen Erwartungen, die die Umwelt an sie stellt. Die Medien, die einen besonders schlanken Körper als Schönheitsideal proklamieren, haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Entstehung ungesunder Verhaltensmuster. Charakteristisch für alle Formen von Essstörungen ist eine allgemeine Unzufriedenheit der Betroffenen mit ihrem Körper, ihrem Beruf oder ihrem Leben im Allgemeinen.

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Viele Jugendliche fühlen sich unter Druck gesetzt, einem bestimmten Schönheitsideal zu entsprechen - sei es durch Social Media, Werbung oder ihr Umfeld.

Formen von Essstörungen

Bulimie (Bulimia Nervosa), Magersucht (Anorexia Nervosa), Übergewicht (Adipositas) und Binge-Eating-Störung sind die häufigsten Formen von Essstörungen.

Magersucht (Anorexia Nervosa)

Anorexia Nervosa führt die Liste der psychischen Erkrankungen mit der höchsten Sterblichkeitsrate an. Grund genug also, um hier schnellstmöglich effektive Behandlungs- und Vorbeugungsmaßnahmen zu finden. Betroffen sind vor allem junge Frauen und Mädchen. Die steigende Tendenz zeigt jedoch, dass junge Männer zunehmend ebenfalls zu der Risikogruppe gehören, die eine Magersucht entwickeln. Für Anorexia Nervosa ist vor allem das Bedürfnis bezeichnend, das eigene Gewicht um jeden Preis zu vermindern. Dieses steht in direkter Verbindung mit dem Empfinden, übergewichtig zu sein. Erkrankte haben das ständige Verlangen, ihr Körpergewicht immer weiter zu reduzieren. Die Betroffenen fühlen sich zu dick, selbst wenn sie bereits bedrohlich dünn sind. Die rapide und stetige Gewichtsabnahme kann lebensbedrohliche Folgen haben - beispielsweise aufgrund der Mangelernährung, aber auch durch einen Abbau der Herzmuskulatur. Häufig kommen auch Depressionen und Suizid-Versuche hinzu. Zehn Prozent aller Magersüchtigen sterben an der Krankheit.

Genmutation als Auslöser:Tatsächlich aber könnte eine Genmutation, die jetzt bei Magersüchtigen und Suchtkranken gefunden wurde, ein Auslöser sein. Die gute Nachricht: Ein Medikament, das für die Behandlung von Alzheimer genutzt wird, könnte die Essstörung stoppen.

Kanadische Forschende haben im Erbgut von Magersüchtigen sowie bei Menschen mit einer Suchterkrankung die Mutation VGLUT3-p.T8I gefunden. Diese beeinflusst einen Transporter, der das Freisetzen der Botenstoffe Glutamat, Dopamin und Acetylcholin reguliert. Er ist Teil des Belohnungssystems im Gehirn.

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Ein Wirkstoff namens Donepezil, der bereits zur Behandlung von Alzheimer eingesetzt wird, kann den Acetylcholin-Spiegel im Gehirn erhöhen. Bei Mäusen mit der Genmutation, die das Mittel erhielten, verschwand die Essstörung wieder vollständig.Inzwischen wird das Medikament in Kanada bereits an zehn Personen mit schwerer Magersucht eingesetzt. Bei drei der Betroffenen konnte die Erkrankung so komplett gestoppt werden - alle Symptome verschwanden. Auch bei den übrigen Teilnehmenden besserten sich die Krankheitsanzeichen deutlich.

Bulimie (Bulimia Nervosa)

Ess-Brech-Sucht: Das ist die umgangssprachliche Bezeichnung, unter der die Bulimie selbst Laien geläufig sein dürfte. Sogenannte Heißhungerattacken sind für diese Erkrankung charakteristisch. Zusammen mit der häufigen Übelkeit leiden die Betroffenen im Anschluss an ihre kulinarischen Übergriffe unter Schuldbewusstsein, das sie zum Handeln zwingt. In der Realität resultiert dieses in den unterschiedlichsten Maßnahmen, die Brechreiz hervorrufen können, Strategien also, die langfristig ernste gesundheitliche Folgen nach sich ziehen können. Wie bei anderen Essstörungen erfolgt die Selbstbewertung auch hier überwiegend über Körpergewicht und Figur.

Symptome der Bulimie:

  • Häufige Episoden von Essattacken. Während der Attacken nehmen Betroffene große Mengen an Nahrung in sehr kurzer Zeit auf.
  • Dauernde gedankliche Beschäftigung mit Essen.
  • Zwang zu essen, Gier nach Essen.
  • Selbstwahrnehmung als zu dick.
  • Furcht, übergewichtig zu werden.
  • Gegensteuerung der gesteigerten Nahrungsaufnahme, zum Beispiel durch selbst herbeigeführtes Erbrechen, Missbrauch von Abführmitteln, Hungern, Verwendung von Appetitzüglern.

Die Folgen von häufigem Erbrechen können mitunter lebensbedrohlich sein. Dabei kann es zu Störungen im Wasserhaushalt, der Nierenfunktion sowie zu Herzrhythmusstörungen kommen. Auch eine Entzündung der Speiseröhre oder ein Einreißen des Magens ist möglich. Die Einnahme großer Nahrungsmengen sowie Missbrauch von Medikamenten können zu Störungen der Verdauung und des Stoffwechsels führen. Betroffene mit Bulimie haben meist ein eher niedriges Gewicht bzw. sind untergewichtig. Das Gewicht kann aber auch leicht erhöht sein.

In der Fachwelt spricht man von einer Bulimie, wenn die Symptome bereits über einen Zeitraum von drei Monaten anhalten und die Essattacken im Schnitt zweimal pro Woche erfolgen.

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Binge-Eating-Störung

Was ist eine Binge-Eating-Störung? Regelmäßige Essanfälle kennzeichnen diese Form der Essstörung. Im Gegensatz zur Bulimie werden hier jedoch keine Schritte unternommen, um sich der aufgenommenen Nahrung zu entledigen. Entsprechend kommt es im Verlauf der Erkrankung häufig zu Übergewicht. Zudem leiden die Betroffenen unter Gefühlen der Einsamkeit, Überforderung, Scham und Schuld. Kurz: ihnen entgleitet die Kontrolle über ihr Essverhalten. Ein grundlegendes Merkmal der Binge-Eating-Störung ist der Verlust des physischen Sättigungsgefühls. Eine Binge-Eating-Störung ist häufiger als eine Bulimie oder Magersucht.

Symptome:Ekelgefühle, Niedergeschlagenheit oder Schuldgefühle nach übermäßigem Essen.

Für die Diagnose einer Binge-Eating-Störung müssen wiederholte Essattacken auftreten. In jedem Fall öfters als einmal pro Woche. Im Gegensatz zu Anorexie und Bulimie kommt es nicht zu regelmäßigen Gegenmaßnahmen, die einer Gewichtszunahme entgegenwirken sollen. In der Folge kommt es meist zu Übergewicht bzw.

Diagnose von Essstörungen

Bei Essstörungen ist eine eindeutige Diagnose, aufgrund vielfältiger Varianten, schwierig. Betroffene neigen dazu, ihre Probleme so lange wie möglich zu tabuisieren. In der Regel wird ein Arzt erst hinzugezogen, wenn sich die Folgen der Essstörung nicht mehr verbergen lassen und Angehörige, Bekannte oder Kollegen aufmerksam werden.

Die Ärztin oder der Arzt erhebt die ausführliche Krankengeschichte (Anamnese). Zudem erfolgt eine körperliche Untersuchung. Auch eine neurologische Untersuchung kann notwendig sein. Bei Kindern und Jugendlichen achtet die Ärztin oder der Arzt auch darauf, ob eine altersgemäße Entwicklung stattfindet. Zudem finden je nach Ausprägung der Symptome noch weitere Untersuchungen statt. Laboruntersuchungen: Zum Beispiel Elektrolyte, Nieren- und Leberwerte und Urinuntersuchung. Auch klinische Psychologinnen bzw. klinische Psychologen oder Psychotherapeutinnen bzw. Psychotherapeuten können bei der Diagnostik mitwirken.

Für die Diagnosestellung einer Bulimie müssen Essattacken in einem Zeitraum von drei Monaten mindestens zweimal pro Woche auftreten. Zudem schließt die Ärztin oder der Arzt andere Essstörungen bzw. Erkrankungen als Ursache für die Symptome sowie mögliche Gewichtsveränderungen aus. Zum Beispiel Anorexie, Binge-Eating-Störung oder Diabetes.

Zudem schließt die Ärztin/der Arzt andere Erkrankungen als Ursache für die Symptome bzw. Gewichtszunahme aus. Zum Beispiel eine andere Essstörung oder Diabetes.

Therapie von Essstörungen

Bei kaum einer anderen Erkrankung ist ein positives Therapieergebnis so maßgeblich von der Grundhaltung der Patienten abhängig wie bei einer Essstörung. Konkret bedeutet dies, dass sie den Wunsch haben müssen, ihr Problem in den Griff zu bekommen. Mit Blick auf die Komplexität des Krankheitsbildes erfordert eine professionelle Therapie den Einsatz unterschiedlichster Berufsgruppen. Ob diese letztendlich stationär oder ambulant erfolgt, ist zweitrangig. Wesentliche Bausteine bilden die Ernährungs- und Psychotherapie. In einigen Fällen empfiehlt sich außerdem eine sozialpädagogische Begleitung.

Die Therapie wird auf die Patientin bzw. den Patienten abgestimmt. Bei der Behandlung von Bulimie kommt vor allem Psychotherapie (z.B. Verhaltenstherapie) zum Einsatz. In der Behandlung der Bulimie geht es zunächst darum, den Teufelskreis von Essanfällen und Diäten zu unterbrechen. Auch das Erlernen von Entspannungstechniken kann hilfreich sein (z.B. Progressive Muskelentspannung nach Jacobson). In einer sogenannten Psychoedukation lernen Menschen mit Bulimie, die Erkrankung zu verstehen. Eine Ernährungsberatung unterstützt bei der Umsetzung eines geregelten Essverhaltens. Die Ärztin/der Arzt kann Medikamente aus dem Bereich der Therapie von Depressionen verschreiben. Vor allem den Wirkstoff Fluoxetin. Dieser unterstützt die Besserung der Symptome der Heißhungerattacken oder des Erbrechens. Allerdings sollte begleitend eine Psychotherapie stattfinden. Mögliche körperliche Folgeerscheinungen zu lindern ist ebenso wesentlich. Es kann zudem sinnvoll sein, nahestehende Bezugspersonen in die Therapie miteinzubeziehen. Weiters können Selbsthilfegruppen Betroffene bei der Bewältigung der Situation unterstützen und bieten die Möglichkeit zum gegenseitigen Austausch.

Besonders bewährt bei der Behandlung einer Binge-Eating-Störung hat sich dabei Psychotherapie (vor allem Verhaltenstherapie). Liegt Übergewicht bzw. Adipositas vor, berät die Ärztin oder der Arzt zudem zu Möglichkeiten, das Körpergewicht zu reduzieren.

Der Verlauf eine Bulimie ist von Person zu Person unterschiedlich. Es ist möglich, dass sich die Symptome durch die Behandlung innerhalb von Monaten oder auch Jahren vollkommen zurückbilden. Rückfälle sind möglich.

Was passiert, wenn Essstörungen unbehandelt bleiben?

So komplex die Ursachen von Essstörungen sein können, so vielfältig sind auch die möglichen Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden der Betroffenen. Im schlimmsten Fall können unbehandelte Probleme auf dieser Ebene lebensbedrohlich sein. Zudem gibt es eine ganze Palette an Krankheiten, die parallel auftreten können. Eine Überversorgung des Organismus mit Lebensmitteln ist ebenso gefährlich wie eine Unterversorgung.

Prävention von Essstörungen

Angesichts der rasanten Zunahme von Essstörungen bei Jugendlichen fragen sich vor allem Eltern nach effektiven Möglichkeiten der Vorbeugung. Grundsätzlich liegt hier der Fokus auf familiären und individuellen Faktoren, da sich soziokulturelle und individuelle Faktoren nicht beeinflussen lassen. Eine vorbildliche Esskultur in der Familie, positive Vorbilder, die nicht aufgrund ihres Äußeren respektiert werden, die Anregung zu einer kritischen Auseinandersetzung mit propagierten Schönheitsidealen, solide und fördernde Sozialkontakte: Das sind einige Beispiele für Faktoren, die einen optimalen Schutz vor der Bildung von Essstörungen darstellen.

Anlaufstellen und Hilfe

Sie können zudem zuerst Ihre Ärztin oder Ihren Arzt für Allgemeinmedizin kontaktieren und über diesen Weg gezielte Ansprechstellen finden. Auch klinische Psychologinnen bzw. Psychologen können in die Diagnose und Behandlung mit einbezogen sein. Beratungs- und Anlaufstellen für Essstörungen finden Sie zudem unter Essstörungen: Beratung & Hilfe.

Personen mit Essstörungen haben ein erhöhtes Risiko, sich das Leben zu nehmen (Suizidrisiko). Sie denken an Suizid, machen sich um jemanden Sorgen oder haben einen Menschen aufgrund eines Suizidtodesfalls verloren?

Der Verlauf einer Binge-Eating-Störung kann sehr unterschiedlich sein. Vom Bestehenbleiben der Symptome und Rückfällen bis hin zur Heilung. Die Behandlung ist ungefähr bei drei Viertel der Patientinnen/Patienten erfolgreich.

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