Viele Menschen machen eine Psychotherapie, weil sie in ihren verschiedenen Beziehungen, zur Familie, zum Partner, zu den Kindern oder im Beruf, Probleme haben. Früher oder später kommt bei vielen von ihnen das Verhältnis zu den Eltern zur Sprache.
Wenn ein Geschehen ein enormes Ausmaß an Stress auslöst, welches die individuellen Möglichkeiten der Verarbeitung und Integration übersteigt, nennt man die Folgen Trauma. Ein Trauma ist eine schwere psychische Verletzung. Dabei werden Erinnerungen unzusammenhängend abgespeichert und können getriggert werden. Geschädigte Menschen erleben eine ursprüngliche Überforderung oftmals erneut, in anderen Kontexten, was als Retraumatisierung bezeichnet wird. In Deutschland liegen die Häufigkeiten von schweren Trauma-Ereignissen zwischen etwa einem und elf Prozent der Bevölkerung.
Das aktuelle Verhältnis, das Verhältnis früher, was haben sie als schwierig erlebt, woran sind sie gewachsen, was war gut. Das kann eine anstrengende Phase sein, vor allem, wenn Manches oder Vieles gar nicht gut war. Eltern sind meistens weder "nur super", noch "nur furchtbar." Für manche KlientInnen ist es sehr wichtig, auch die guten Seiten stehen zu lassen, während sie sich um die schwierigen Kapitel ihres Beziehung kümmern. Andere können in manchen Phasen der Therapie gar keine guten Seiten an ihren Eltern sehen und brechen vielleicht sogar den Kontakt ab. Wenn es allzu schlimm war, haben ihn manche ohnehin schon vor der Therapie minimiert oder abgebrochen.
Zumeist ändert sich das wieder und es kann sich sogar das Verhältnis verbessern, wenn man für sich selbst einen Stil gefunden hat, wie man mit seiner Familie umgehen möchte. Selbst wenn sie den Kontakt abgebrochen haben, kommen KlientInnen zur Erkenntnis, dass sie ihre reale Mutter/ihren realen Vater gar nicht brauchen, um destruktiv mit sich selbst umzugehen.
Litt oder leidet man unter einer ängstlichen Mutter, die einem als Erwachsene immer noch mit ihrer Übervorsicht quält und kaum loslassen kann, dann trägt man sie normalerweise auch in sich. Die "innere Mutter" kann die reale Mutter gut ersetzen und fragen oder sagen: "Traust Du Dir das wirklich zu? - Bist Du Dir sicher, dass das nicht viel zu gefährlich ist? - Du kriegst noch einen Herzinfarkt, wenn Du Dich so anstrengst!" Sie können auch Ihren entwertenden Vater in sich tragen: "Du kriegst überhaupt nichts auf die Reihe." - "Du bist zu blöd für alles." - "Was hast Du jetzt schon wieder angestellt!" Das gleiche gilt für übergriffige, kalte, lieblose, vernachlässigende usw. Eltern.
Lesen Sie auch: Symptome von Eltern-Burnout erkennen
Safi Nidiaye formuliert es anders und erweitert den Gedanken um einen Schritt: "Das Verhalten eines Menschen mir gegenüber sagt immer etwas über ihn aus, nie über mich. Wenn jemand über mich tratscht, dann zeigt er damit, dass er jemand ist, der tratscht und es zeigt, dass die Person ein Problem oder Thema nicht auf dem direkten Weg mit mir klärt. Nicht zwangsläufig haben all diese Dinge viel mit mir zu tun. Kurz gesagt: Bloß weil jemand behauptet, ich habe eine grüne Hautfarbe, habe ich deswegen noch lange keine grüne Hautfarbe. beschäftigt aber genau das viele Menschen. Jemand sagt, sie seien unzuverlässig, schlampig, faul, schuldig, keine gute Mutter, eine schlechte Ehefrau, unreif usw. und das arbeitet in ihnen. Natürlich kann man darüber nachdenken, das Thema mit jemandem besprechen, um Klarheit über sich selbst zu erlangen.
Gekränkt, fuchsteufelswild, böse, betroffen, schuldbewusst, beleidigt, stumm, cholerisch - so reagieren wir häufig - und beginnen uns vielleicht sogar zu rechtfertigen. Genau da können wir ansetzen. Kenne ich meine Reaktion irgendwoher, ist es vielleicht immer wieder eine ähnliche, wenn ich in solche Situationen gerate? Was macht es mit mir, wenn jemand mir so kommt, vielleicht nicht wertschätzend ist, Gerüchte in die Welt setzt? Fühle ich mich klein und schwach, fühle ich mich als Opfer, behaupte ich mich oder ducke ich mich? Die anderen können wir nicht verändern, aber wir können uns mit uns und unserer Reaktionsweise auseinandersetzen und die Verantwortung dafür übernehmen. Wenn ich mir bewusst bin, dass ich die Tendenz habe, die Schuld auf mich zu nehmen, dann werde ich es beim nächsten Mal vermutlich nicht mehr (so selbstverständlich) tun und mit der Zeit auch andere Emotionen entwickeln.
Zweifeln an den eigenen Gefühlen und an der eigenen Wahrnehmung kommen in der Praxis häufig vor. Gefühle werden mit dem Verstand als "richtig" oder (häufiger) als "falsch" oder "lästig" eingeordnet. Gar nicht so selten passiert dies bei Konflikten. Man ist sauer auf jemanden oder fühlt sich gekränkt und relativiert diese Gefühle, indem man sich beispielsweise sagt: "Ich bin auch nicht immer so einfach". Als ob die Missstimmung nicht eh schon da wäre, wenn sie jemand in sich spürt, fürchten sich viele von uns, in eine unangenehme Situation zu geraten, wenn sie ein Thema ansprechen. Das ist sehr verständlich. Wir denken manchmal auch kompliziert, wenn es um Auseinandersetzungen geht, erwarten uns von Aussprachen viel, fürchten, nicht gehört zu werden.
Ein Schritt in die richtige Richtung wäre es, die eigenen Gefühle wahrnehmen und auch stehen lassen zu können. "Ich fühle mich gekränkt." - Dem muss nicht gleich eine Handlung folgen, keine Streitereien, Diskussionen oder Beziehungsabbruch. Es geht einfach darum, das Eigene einmal wahr- und ernst zu nehmen und schließlich in Worte zu fassen. Der jeweils andere kann das Thema ja weiterhin ganz anders sehen.
Lesen Sie auch: Lebenslange Bindung: Vater und Sohn
Lesen Sie auch: Kupferspirale: Einflüsse auf das Wohlbefinden
tags: #cholerischer #vater #psychische #auswirkungen