Bipolare Störung Typ II (ICD-10): Eine umfassende Übersicht

Die Bipolare Störung ist eine schwere psychische Erkrankung, die durch starke Stimmungsschwankungen gekennzeichnet ist. Betroffene erleben ein ständiges Auf und Ab der Gefühle. Zeitweise fühlen sie sich sehr niedergeschlagen, dann wiederum euphorisch, aufgedreht, hyperaktiv und überschätzen sich. Die Bipolare Störung gehört wie die Depression zu den sogenannten affektiven Störungen, was bedeutet, dass sie sich auf die Gefühle der Betroffenen auswirkt.

Verschiedene Formen der Bipolaren Störung

Es handelt sich nicht um ein einheitliches Krankheitsbild, sondern es gibt verschiedene Erscheinungsformen, darunter:

  • Bipolar-I-Störung: Depression und Manie wechseln einander ab. Eine depressive Episode dauert mindestens zwei Wochen an, eine manische Episode mindestens sieben Tage. Letztere ist stark ausgeprägt (Unterschied zu Bipolar-II-Störung).
  • Bipolar-II-Störung: Hier kommt es zu depressiven Episoden und mindestens einer hypomanischen Episode. Letztere unterscheidet sich von manischen Episoden in der Mindestdauer (mindestens vier Tage) und im Vorliegen bestimmter Symptome (z.B. verstärkt Konzentrationsschwierigkeiten statt Gedankenrasen oder Ideenflucht; weniger Selbstüberschätzung und tollkühnes Verhalten etc.).
  • Rapid Cycling: Diese Sonderform ist durch einen besonders schnellen Wechsel zwischen depressiven und manischen Episoden gekennzeichnet (innerhalb von zwölf Monaten mindestens vier voneinander abgrenzbare Episoden). Sie betrifft bis zu 20 Prozent aller Patienten mit Bipolarer Störung, und zwar vor allem Frauen.
  • Zyklothymia: Hier besteht über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren eine instabile Stimmung. Sie ist aber nicht so stark ausgeprägt, dass die Kriterien einer Manie oder einer mindestens mittelgradigen depressiven Episode erfüllt wären. Daher wird die Zyklothymia manchmal zu den anhaltenden affektiven Störungen statt zu den bipolaren affektiven Störungen gezählt.

Diagnose der Bipolaren Störung

Die Bipolare Störung ist nicht leicht zu diagnostizieren, weil sie mit anderen psychischen Störungen wie einer klassischen Depression oder Schizophrenie verwechselt werden kann. Da die manische Phase von den Angehörigen und Betroffenen oft als lediglich aufgedrehte Stimmung interpretiert wird, dauert es oft Jahre, bis eine richtige Diagnose gestellt wird.

Vor allem die Bipolar-II-Störung und die Zyklothymia sind schwer zu erkennen, da die Symptome hier schwächer ausgeprägt sind als bei der Bipolar-I-Störung. Es ist daher besonders wichtig, dem Arzt oder Therapeuten Erleben, Stimmungen und Gefühle detailliert zu beschreiben.

Umfangreiche Befragung

Zur Abklärung einer möglichen Bipolaren Störung wird sich der Arzt zuerst ausführlich mit dem Patienten unterhalten, um die Krankengeschichte zu erheben (Anamnese). Folgende Fragen könnte der Arzt oder Therapeut dabei stellen:

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  • Haben Sie sich in den letzten Wochen niedergeschlagen oder antriebslos gefühlt?
  • Hatten Sie Schwierigkeiten, morgens aufzustehen?
  • Hatten Sie Schwierigkeiten, nachts durchzuschlafen?
  • Hatten Sie einen guten Appetit?
  • Welche Gedanken haben Sie momentan? Was beschäftigt Sie?
  • Haben Sie manchmal Gedanken an den Tod oder daran, sich das Leben zu nehmen?
  • Waren Sie in den letzten Wochen ungewöhnlich aufgedreht?
  • Hatten Sie das Gefühl, Sie stehen unter Strom?
  • Hatten Sie den Eindruck, dass Sie mehr und schneller geredet haben als sonst?
  • War Ihr Schlafbedürfnis verringert?
  • Waren Sie sehr aktiv und haben viele Dinge innerhalb kürzester Zeit erledigt?
  • War Ihre Stimmung in letzter Zeit wechselhaft?
  • Sind in Ihrer Familie Fälle von manisch-depressiver Erkrankung bekannt?

Sehr sinnvoll ist es, wenn neben dem Patient auch Angehörige vom Arzt befragt werden (und später in die Behandlung mit einbezogen werden). Besonders wenn der Betroffene keine Krankheitseinsicht hat, sind die Beobachtungen und Mithilfe von nahestehenden Personen extrem wichtig. Denn Angehörige können die verschiedenen Stimmungsphasen des Betroffenen oft gut einschätzen. Die gleichberechtigte Zusammenarbeit von Betroffenen, Angehörigen und Professionellen (Therapeuten), wie sie die moderne Psychiatrie vorsieht, nennt sich "Trialog".

Zum Einsatz kommen bei der Diagnostik einer Bipolaren Störung auch klinische Fragebögen. Einige dienen der Beurteilung manischer Symptome, andere die der Einschätzung depressiver Symptome. Außerdem gibt es solche Fragebögen sowohl für die Selbstbeurteilung als auch für die Fremdbeurteilung (etwa durch den Partner).

Differenzialdiagnosen

Bei der Diagnosefindung muss der Arzt vor allem auf die Unterscheidung zwischen Manie und Schizophrenie achten, was nicht immer leicht ist. Auch andere psychische Erkrankungen können anstelle von Bipolarer Störung für die Symptome des Patienten verantwortlich sein. Zu diesen Differenzialdiagnosen zählen etwa die Borderline-Persönlichkeitsstörung und ADHS.

Ebenso muss der Arzt diverse organische Erkrankungen als mögliche Ursachen für manische bzw. depressive Symptome ausschließen, bevor er die Diagnose Bipolare Störung stellen kann. Zu diesen Erkrankungen gehören zum Beispiel Epilepsie, Hirntumoren, Multiple Sklerose, Schilddrüsenerkrankungen, Alkohol-, Drogen- oder Medikamentensucht, Neurosyphilis (Entzündungen im Nervensystem als Folge von Syphilis), Frontotemporale Demenz, Parkinson, Morbus Cushing und Morbus Addison. Diverse körperliche Untersuchungen helfen dabei, solche organischen Erkrankungen nachzuweisen beziehungsweise auszuschließen.

Begleiterkrankungen

Diagnostiziert der Arzt eine Bipolare Störung, muss er auch sorgfältig eventuelle Begleiterkrankungen (Komorbiditäten) erfassen. Solche sind bei Bipolarer Störung nicht selten und können deren Verlauf und Prognose beeinflussen. Das muss der Arzt bei der Therapieplanung berücksichtigen.

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Viele Menschen mit Bipolarer Störung leiden etwa noch an anderen psychischen Erkrankungen. Zu den häufigsten zählen Angst- und Zwangsstörungen, Alkohol- oder Drogensucht, ADHS, Essstörungen und Persönlichkeitsstörungen.

Außerdem haben Bipolare oft noch eine oder mehrere organische Erkrankungen, darunter vor allem Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Metabolisches Syndrom, Diabetes mellitus, Migräne sowie Erkrankungen des Bewegungsapparates (Muskulatur und Skelett).

Therapieoptionen für Bipolare Störungen

Insgesamt braucht es für die Behandlung der bipolaren Störungen ein breites Therapiepaket, bei dem nicht nur Medikation, sondern auch Psychoedukation, Veränderung der Lebensgewohnheiten, regelmäßige Bewegung und Entspannungsübungen, die Einbindung der Angehörigen oder Partner:innen in den therapeutischen Prozess einen Stellenwert haben.

Medikamentöse Behandlung

  • Lithiumsalz: Seit über 70 Jahren steht das Lithiumsalz trotz vieler Kritik uneingeschränkt als Mittel der Wahl zur Verfügung. Es ist vor allem bei den klassischen Verläufen mit freiem Intervall - und wenn Suizidalität, Suizidversuche des:der Betroffenen oder auch in der Familie eine Rolle spielen - zu empfehlen. Spiegel von 0,6-0,8 mmol/l sind ausreichend für eine den Rückfall verhütende Wirkung.
  • Antiepileptika: Valproinsäure, Carbamazepin und Lamotrigin haben einen fixen Stellenwert in der Behandlung zur Rückfallverhütung der bipolaren Störung.
  • Atypische Antipsychotika: Diese Medikamentengruppe ist in den letzten beiden Jahrzehnten dazugekommen. Beginnend mit der Akutbehandlung der Manie (Olanzapin, Ziprasidon, Risperidon, Aripiprazol und Quetiapin) wurden sie erfolgreich in der Verlängerung bis zu einem Wiederauftreten einer Episode verabreicht.
  • Antidepressiva: Bei der Behandlung von Depressionen im Verlauf bipolarer Störungen sollte sparsamer und vorsichtiger mit Antidepressiva umgegangen werden. Einige Antidepressiva zeigen ein so genanntes „Switch-Risiko“, das heißt, dass die Behandlung mit diesem Antidepressivum zur Auslösung einer hypomanen oder manischen Phase führen kann. Ob das von den Medikamenten oder vom Risiko der einzelnen Person abhängt, konnte bislang nicht geklärt werden.

Bei bipolaren Störungen ist auf die Abfolge der verschiedenen Episoden (Manie, Depression inkl. atypische Depression, gemischte Episoden) zu achten. Nicht selten haben Betroffene klare Muster, die mitunter auch saisonal bedingt sind. Diese Muster können das therapeutische Arbeiten sehr unterstützen!Eine weitere Besonderheit, die sehr charakteristisch für bipolare Verlaufe ist, ist der rasche Wechsel bzw. das häufige Auftreten von Episoden innerhalb eines Jahres.

Differenzialdiagnostisch sind ADHS im Erwachsenenalter und vor allem Borderline-Persönlichkeitsstörungen bei gemischten Episoden und „rapid cycling“ zu bedenken, wobei Überlappungen nicht selten sind. Falls zusätzlich schizophrene Symptome auftreten, ist die Diagnose schizoaffektive Störung in Erwägung zu ziehen.

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