Die Bipolare Störung: Eine Belastung für die ganze Familie

Wenn ein Mensch aus der Familie an einer psychischen Krankheit erkrankt, bricht für die Angehörigen oft eine Welt zusammen. Aus dieser Krise entstehen Gefühle, die immer wieder kommen können. Schuldgefühle sind ein sehr starkes Thema, vor allem wenn Eltern von jungen Erwachsenen betroffen sind. Auch Scham kommt hinzu: Was sagt es über uns als Familie aus, dass jemand von uns krank ist? Was müssen die anderen von uns denken?

Speziell bei Männern ist das Schamgefühl oft sehr stark ausgeprägt. Sie neigen dazu, die Erkrankung zu negieren, in der Hoffnung, sie dadurch verschwinden zu lassen. Am Beispiel der bipolaren Störung zeigt sich, dass die meisten Angehörigen in der Maniephase Hilfe suchen. In dieser Phase entsteht viel Leid, weil der oder die Betroffene unberechenbar ist, finanzielle Belastungen entstehen durch unüberlegte Käufe, und das Familienleben aus den Fugen gerät.

In der Depression hingegen haben viele Angehörige das Gefühl, die Situation unter Kontrolle zu haben, da der oder die Betroffene in dieser Phase eher dazu neigt, Medikamente einzunehmen. Aber auch eine chronifizierte Depression kann viel Leid bei Angehörigen auslösen. Dies gilt unabhängig davon, ob bereits eine Diagnose vorliegt oder nicht.

Unsicherheiten und Herausforderungen im Umgang mit der Erkrankung

Besonders bei jungen Erwachsenen sind die Eltern oft unsicher, wie sie Rückzug oder die Vernachlässigung von Hobbys interpretieren sollen. Sie fragen sich, ob es sich um ein pädagogisches oder psychiatrisches Problem handelt, und suchen Rat bei Fachleuten. Oft sind sie die ersten, die Betroffene motivieren, sich behandeln zu lassen.

Nach einer Entlassung aus der Klinik werden Angehörige oft stark eingebunden, da ambulante Hilfen vom Betroffenen nicht immer angenommen werden und das Gesundheitssystem auch auf die Unterstützung durch die Familie setzt. Angehörige versuchen dann, Psychotherapeuten, Sozialarbeiter und Krankenschwester in einer Person zu sein. Es ist jedoch sehr wichtig, den Angehörigen die Möglichkeit zu geben, sich zu entlasten und sich auf ihre ursprüngliche Rolle zu besinnen: „Ich bin kein Profi, ich bin Mutter“.

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Die Rolle der Angehörigen bei der Früherkennung

Angehörige sind oft die ersten, die Anzeichen einer psychischen Krankheit bemerken. Allerdings dauert es im Schnitt sieben Jahre, bis jemand nach ersten Auffälligkeiten professionelle Hilfe sucht. Es ist wichtig, die eigenen Ressourcen zu pflegen, denn die Krankheit eines Angehörigen ist meist ein Marathon und kein Sprint.

Dies ist in den verschiedenen Rollen mehr oder weniger einfach. Als Elternteil ist es oft ganz schwierig, als Bruder oder Schwester kann es unter Umständen einfacher sein sich abzugrenzen, vor allem wenn die Eltern Verantwortung übernehmen. Da kann ich mich auch eine Zeitlang herausnehmen aus der Situation, wobei das auch nicht leichtfällt.

Wichtig ist sich zu fragen: Was tut mir gut, was brauche ich für mich, wo sind meine Auszeiten von der Krankheit? Ein wichtiger Punkt ist es, das Helfersystem auszuweiten: Wer kann etwas übernehmen, was ich immer übernommen habe? Mit wem kann ich die Belastung teilen?

Unterstützungsangebote für Angehörige

Es gibt vielfältige Unterstützungsangebote für Angehörige von Menschen mit Bipolarer Störung. Dazu gehören:

  • Sozialrechtliche Beratung zu Themen wie Mindestsicherung und betreutem Wohnen
  • Selbsthilfegruppen für Angehörige
  • Beratungen, um schwierige Situationen mit dem/der Erkrankten (Ängste, Sorgen, Hilflosigkeit) auszuhalten
  • Monatliche Jour fixe zu verschiedenen Themen
  • Jährliche Tagungen und Seminare

Angehörige sind den Betroffenen so nahe, dass auch sie unter der Krankheit leiden. Das ist ein zentrales Thema. Häufig entsteht Co-Abhängigkeit, im Sinne von „Ich tue alles dafür, dass mein Mitmensch gesund wird“. Angehörige fühlen sich häufig für das krankhafte Verhalten verantwortlich und haben die Vorstellung, sie könnten den Krankheitsverlauf im positiven wie im negativen beeinflussen.

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Es ist wichtig, dass Angehörige ihre eigene Wahrheit aufrechterhalten, um nicht co-abhängig zu verschmelzen. In der Akutsituation ist es wichtig, gelassen zu bleiben, klare und einfache Ich-Botschaften auszusenden, keine kritischen Kommentare zu geben und keinen Druck auszuüben. Es ist gut, äußerliche Reize zu mindern und der oder dem Betroffenen eine ruhige Umgebung zu bieten.

Aus Sicht der Betroffenen ist es besonders die „stellvertretende Hoffnung“ der Angehörigen, die die Gesundung begünstigt - wenn Mitmenschen Optimismus und Zutrauen signalisieren.

Die Bipolare Störung: Ein Überblick

Die Bipolare Störung ist gekennzeichnet durch manische sowie depressive Episoden. Dabei wechseln die Stimmungen zwischen „himmelhoch jauchzend“ und „zu Tode betrübt“. Die Kennzeichen einer Bipolaren Störung können sehr vielschichtig sein.

In extremen Hochphasen (Manie) sind Menschen mit einer Bipolaren Störung unter anderem überschwänglich, extrem aktiv, reizbar, sprunghaft und unruhig. Diese Hochphasen wechseln sich mit extremen Tiefphasen ab (Depression). In diesen fühlen sich Betroffene unter anderem sehr niedergeschlagen, antriebslos und ihr Selbstwertgefühl nimmt stark ab. Die depressiven Phasen überwiegen gewöhnlich.

Es gibt auch Mischformen, bei denen depressive und manische Symptome gleichzeitig auftreten. Zudem kann es vorkommen, dass die Manie nicht so stark ausgeprägt ist. Man spricht dann von Hypomanie.

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Ursachen und Risikofaktoren

Wie es zu Bipolaren Störungen kommt, ist wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt. In der Fachwelt wird angenommen, dass mehrere Faktoren dabei eine Rolle spielen. Weiters dürften Umwelteinflüsse und Eigenschaften der Persönlichkeit eine Rolle spielen.

Risikofaktoren für eine Depression - ob alleine oder als Episode im Rahmen einer Bipolaren Erkrankung - finden Sie unter Depression: Entstehung, Schutz und Risikofaktoren.

Diagnose und Behandlung

Die Ärztin/der Arzt erhebt eine ausführliche Krankengeschichte (Anamnese). Es erfolgt eine allgemeine körperliche sowie neurologische Untersuchung. Gegebenenfalls sind eine Erhebung von Laborbefunden bzw. weitere Untersuchungen zur Abklärung der Beschwerden notwendig (z.B. Von der Bipolaren Störung abzugrenzen sind eine alleinige Depression sowie die Zyklothymie. Auch eine Schizophrenie oder organische Ursachen müssen ausgeschlossen werden.

Je nachdem welche Symptome vorherrschen, wird die Bipolare Störung in Zusammenschau ihrer Episoden diagnostiziert - z.B. Dauer von zumindest vier Tagen. Die Symptome sind jenen der hypomanischen Episode sehr ähnlich. Sie sind allerdings stärker ausgeprägt.

Der manischen Episode geht oft eine Phase voraus, in der sich die Manie ankündigt: Das Energielevel steigt, das Schlafbedürfnis sinkt und die/der Betroffene fühlt sich zunehmend aufgewühlt.

Depressive Episoden einer Bipolaren Störung unterscheiden sich nicht von schweren Stadien einer reinen Depression. Jedoch ist die Behandlung unterschiedlich.

Bei einer gemischten Episode treten manische und depressive Symptome gleichzeitig auf. Das äußert sich z.B.

Therapieansätze

Die Behandlung einer Bipolaren Störung umfasst in der Regel zwei Hauptziele:

  • Akuttherapie: Im Vordergrund steht die Verminderung der depressiven bzw. (hypo-)manischen Symptome.
  • Phasenprophylaxe: Darunter versteht man eine vorbeugende Behandlung von (hypo-)manischen und depressiven Episoden. Das Auftreten von neuen Episoden sowie Einschränkungen der psychischen Funktion und Lebensqualität sollen dadurch vermieden werden.

Die Akuttherapie erfolgt meist in einem Krankenhaus, ggf. auch in einer Tagesklinik. Je nach Episode kommen Medikamente zum Einsatz sowie begleitende Therapien (z.B. Psychotherapie). Die Therapieziele sollten gemeinsam von Patientin/Patient und Ärztin/Arzt festgelegt werden.

Es finden engmaschige Kontrollen bei der Fachärztin/dem Facharzt für Psychiatrie (und psychotherapeutische Medizin) statt, um die aktuellen Ziele der Behandlung zu besprechen, den Verlauf zu kontrollieren und ggf. auch Behandlungsalternativen anzubieten.

Medikamentöse Behandlung

Welches Medikament bei einer Bipolaren Störung verschrieben wird, hängt vom jeweiligen Verlauf der Erkrankung ab. Vor einer medikamentösen Therapie sollten Laborwerte erhoben werden, die für die Verlaufsbeobachtung wichtig sind.

Zu den häufig verwendeten Medikamenten gehören:

  • Stimmungsstabilisierer (auch Phasenprophylaktika genannt): Dazu zählen etwa Lithium sowie die Antiepileptika Carbamazepin, Valproinsäure, Lamotrigin etc. und Antipsychotika.
  • Antidepressiva: Diese sollen bei einer Bipolaren Störung nur in Zusammenhang mit Stimmungsstabilisierern und nicht in einer gemischten Episode zur Anwendung kommen.

Die Ärztin/der Arzt bespricht mit Ihnen die Wirkungen und möglichen Nebenwirkungen bzw. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Die Einnahme von Medikamenten sollte immer mit der behandelnden Ärztin/dem behandelnden Arzt abgestimmt werden. Halten Sie sich an den verordneten Therapieplan - auch wenn eine längere Behandlung erforderlich ist. Damit können Sie Ihre Genesung maßgeblich unterstützen und Rückfällen vorbeugen.

Psychotherapie als Ergänzung

Psychotherapie ergänzt und unterstützt die medikamentöse Behandlung bei Bipolaren Störungen. Die Therapieziele werden gemeinsam mit der Patientin/dem Patienten festgelegt. Zum Beispiel: Symptome zu verstehen und zu mildern, die Lebensqualität zu steigern und Rückfälle zu verhindern.

Im Mittelpunkt stehen die therapeutische Beziehung, der Austausch und das Gespräch zwischen der Psychotherapeutin/dem Psychotherapeuten und der Patientin/dem Patienten über Gedanken, Gefühle, Beschwerden, Probleme im Alltag oder etwa die bisherige Lebensgeschichte. Diverse Übungen - je nach psychotherapeutischer Methode - können diesen Austausch unterstützen bzw. festigen. Auch soziale Kompetenzen können dabei erweitert werden.

Die sogenannte Psychoedukation ist ein wichtiger Baustein der Behandlung. Bei dieser soll das Verständnis für die Störung gefördert und der Bezug zum Alltag erläutert werden. Betroffene können so unter anderem auch lernen, ihr Verhalten, Fühlen und Denken besser zu verstehen und zu beobachten sowie bei nahenden Episoden so gut wie möglich gegenzusteuern.

Weitere Therapiemöglichkeiten

Neben medikamentöser Behandlung und Psychotherapie gibt es weitere Therapiemöglichkeiten, die je nach Bedarf eingesetzt werden können:

  • Lichttherapie
  • Wachtherapie
  • Elektrokonvulsionstherapie (EKT)
  • Sport/Bewegungstherapie
  • Entspannungsmethoden
  • Ergotherapie
  • Musiktherapie
  • Klinisch-psychologische Behandlung

Hilfreich sind zudem ein guter Tagesrhythmus und eine ausgewogene Balance zwischen Anforderungen im Alltag und Erholungsmöglichkeiten. Zudem ist ein geregelter Schlaf-Wach-Rhythmus empfehlenswert. Alkohol und Drogen hingegen verschlimmern die Erkrankung. Auch Stimmungstagebücher können unterstützend sein. Darin werden die Stimmung, wichtige Tagesereignisse, Therapiemaßnahmen etc. festgehalten.

Verlauf der Bipolaren Störung

Die Dauer der Krankheitsepisoden bei einer Bipolaren Störung kann zwischen einigen Tagen, mehreren Monaten und in sehr seltenen Fällen einige Jahre betragen. Durchschnittlich dauert eine Krankheitsepisode unbehandelt zwischen vier und zwölf Monaten. Manische, depressive oder gemischte Phasen können dabei auch ineinander übergehen.

Zwischen einzelnen Episoden können mehrere Monate oder Jahre liegen - im Durchschnitt zwei bis drei Jahre. In diesen kann die Patientin/der Patient beschwerdefrei sein oder zumindest eine stabile Stimmung aufweisen. Die Anzahl der Episoden kann sehr stark schwanken. Während manche Menschen ein oder zwei Episoden in ihrem Leben haben, erkranken andere deutlich häufiger. Im Durchschnitt kommt es bei Menschen mit Bipolaren Störungen zu etwas vier Episoden innerhalb der ersten zehn Jahre der Erkrankung.

Frühwarnzeichen erkennen

Auf mögliche Warnsignale zu achten und die Selbstwahrnehmung zu schulen, kann Betroffenen und Angehörigen helfen, Krankheitsepisoden früh zu erkennen und rechtzeitig gegenzusteuern bzw. zu helfen. Gefühl, durch nichts zu stoppen zu sein und alles zu können.

Einbeziehung der Angehörigen in die Therapie

Eine Miteinbeziehung von nahen Angehörigen in die Therapie von Betroffenen mit Bipolarer Störung ist meist hilfreich. Voraussetzung dafür ist, dass die Patientin/der Patient damit einverstanden ist. Besonders bewährt hat sich ein trialogischer Zugang. Der „Trialog“ bezeichnet gemeinsame Gespräche zwischen Betroffenen, Angehörigen und professionellen Helferinnen/Helfern auf Augenhöhe. Dies ermöglicht es auch, besser an einem Strang zu ziehen, um die mit der Patientin/dem Patienten vereinbarten Therapieziele zu erreichen. Auch Selbsthilfegruppen für Angehörige bieten Möglichkeiten zum Austausch und zur Hilfe.

Wo finden Sie Hilfe?

Die Diagnose und Behandlung einer Bipolaren Störung erfolgt durch die Fachärztin/den Facharzt für Psychiatrie (und psychotherapeutische Medizin). Für Jugendliche unter 18 Jahren stehen auch spezialisierte Kinder- und Jugendpsychiaterinnen/Jugendpsychiater zur Verfügung.

In die Diagnose bzw. Therapie werden meist weitere Gesundheitsberufe wie Psychotherapeutinnen/Psychotherapeuten, klinische Psychologinnen/klinische Psychologen oder Ergotherapeutinnen/Ergotherapeuten miteinbezogen.

Bei einem psychiatrischen Notfall (z.B. Suizidgefahr) ist rasche medizinische Hilfe unumgänglich. Rufen Sie in diesen Fällen sofort die Rettung unter 144! Wenn dies möglich ist, kann auch die nächstgelegene Ambulanz für Psychiatrie aufgesucht werden.

Wichtige Anlaufstellen:

  • Beratungsstelle für Angehörige und Freunde psychisch Erkrankter
  • HPE (Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter)

Die HPE ist in allen Bundesländern aktiv. Durchstöbern Sie für weitere Informationen gerne deren Homepage oder melden Sie sich einfach telefonisch.

Weitere Angebote der HPE:

  • Schriftliche Beratung im Internet
  • Gruppentreffen zum Austausch mit anderen Angehörigen
  • Angebote in jedem Bundesland

Die HPE legt mit "veRRückter Kindheit" einen besonderen Schwerpunkt auf Kinder psychisch erkrankter Eltern.

Viele Aktivitäten bei HPE werden ehrenamtlich von Angehörigen geleistet.

Die Zeitschrift KONTAKT bietet Artikel und Beiträge zu psycho-sozialen Themen, die Angehörige interessieren.

Es gibt eine österreichweite Übersicht an Veranstaltungen, die besonders für Angehörige interessant sein können.

Der Blog von HPE Österreich bietet verschiedene Artikel von und über Angehörige, Erfahrungsberichte, Interviews, Neuigkeiten bei HPE und vieles mehr.

Fallbeispiel

Die Erzählung veranschaulicht das Zusammenleben mit einem Menschen, der unter einer bipolaren Erkrankung leidet. Für Angehörige ist es oft genauso schwierig, mit den wechselnden Phasen umzugehen, wie für den Erkrankten selbst - vor allem, wenn nicht klar ist, dass die Person an einer psychischen Erkrankung leidet.

Durch die Therapie und die medikamentöse Unterstützung sind die manischen und depressiven Phasen abgeschwächt und er kann selbst besser damit umgehen. Auch wir, seine Freunde und Kollegen können jetzt anders reagieren und auf ihn eingehen, weil wir jetzt über die Erkrankung Bescheid wissen.

Kampagne #DarüberRedenWir

Mit der neuen Aufbereitung und Zielrichtung der Kampagne #darüberredenwir setzen sich die Psychosozialen Dienste in Wien zum Ziel, vor allem junge Menschen anzusprechen. Faktenbasiertes Wissen wird zielgruppengerecht und niederschwellig bereitgestellt. Zudem sollen psychische Erkrankungen und die Erkrankten selbst in all ihren Facetten Raum geboten werden - denn nach wie vor, sind Schizophrenie, Suchterkrankungen oder Essstörungen mit Vorurteilen behaftet. Mythen und falsche Annahmen kursieren zu dem nach wie vor rund um psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten und Einrichtungen.

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