Psychische Erkrankungen: Eine zunehmende Herausforderung – Statistiken und Unterstützungsangebote

Psychische Erkrankungen sind bei jungen Erwachsenen immer weiter am Vormarsch, wie aktuelle Studien zeigen. Besonders Studierende sind betroffen; mittlerweile ist jede_r sechste (17%) von einer psychischen Diagnose betroffen (Quelle: Barmer Arztreport 2018).

Die Zahl der Studierenden, die bei der psychologischen Studierendenberatung wegen Anzeichen von psychischen Belastungen betreut werden, hat sich in den letzten zwanzig Jahren um mehr als 70 Prozent erhöht (Quelle: Psychologische Studierendenberatung Wien, 2019).

Ursachen und Risikofaktoren

Laptop, Smartphone & Co können einem schon mal den wohlverdienten Urlaub vermiesen, ermöglichen sie doch eine ständige Erreichbarkeit. Leicht verschwimmt da die Grenze von Arbeit und Freizeit. Viele Arbeitnehmer fühlen sich verpflichtet, den Kontakt mit Kollegen oder Vorgesetzten auch im Urlaub aufrechtzuerhalten.

Eine Barmer-Umfrage unter 1200 Beschäftigten hat kürzlich ergeben, dass 64 Prozent der Arbeitnehmer auch im Urlaub erreichbar sind. "Eine Entgrenzung von Beruf und Privatleben könnte dazu führen, dass die Beschäftigten mit der Zeit Erholung quasi verlernen", warnte Fabian Magerl, Landesgeschäftsführer der Barmer Krankenversicherung in Sachsen.

Durch eine ständige Erreichbarkeit und die damit einhergehende, andauernde Nicht-Regeneration können im schlimmsten Fall psychische Erkrankungen wie Burn-out entstehen. Daher ist es entscheidend, dass sich Beschäftigte von dem Gedanken lösen, ständig erreichbar sein zu müssen - auch wenn es vielleicht sogar ein wenig schmeichelhaft sein kann, scheinbar unersetzlich zu sein.

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Arbeitsrechtliche Aspekte

Aus arbeitsrechtlicher Sicht müssen Arbeitnehmer während ihrer Abwesenheit nicht dafür sorgen, dass sie für den Chef oder die Kollegschaft erreichbar sind. Auch über den Urlaubsort müssen sie keine Auskunft geben. Alleine die Tatsache, dass man ein Firmenhandy erhalten hat, verpflichtet einen noch nicht zur Rufbereitschaft. Diese muss ausdrücklich vereinbart werden und darf außerhalb der Arbeitszeit nur an zehn Tagen pro Monat vereinbart werden.

Prävention und Umgang mit psychischen Belastungen

Was sich in jedem Fall lohnt, ist, Arbeit in das Briefing der Vertretung zu investieren. Je besser diese ist, desto störungsfreier ist der Urlaub. Genauso wie man den Urlaub plant, sollte man sich auch Gedanken um die Rückkehr ins Büro machen. Denn nach einer längeren Abwesenheit kann es manchmal etwas dauern, bis man wieder richtig im Arbeitsalltag ankommt.

Daher gilt, nicht zu viel auf die Agenda von Tag eins packen. Am besten plant man ein paar Tage "Puffer" rund um den Urlaub. Wie bei allen Bereichen der Unternehmenskultur sollten auch hier Führungskräfte mit gutem Beispiel vorangehen.

Initiativen der TU Wien zur Unterstützung von Studierenden

Der TU Wien ist es ein besonderes Anliegen gute Studienbedingungen für Studierende (und Lehrende) zu gewährleisten. Dabei sollen möglicherweise durch das Studium verursachte psychische Belastungen so gering wie möglich sein.

Da uns an der TU Wien die psychische Gesundheit der Studierenden wichtig ist, haben das Vizerektorat Studium und Lehre gemeinsam mit dem TU Diversity Management/Vizerektorat Personal und Gender letzten Herbst zwei Podiumsdiskussionen zum Thema "Studieren mit psychischen Problemen" organisiert. Durch die große Resonanz auf diese beiden Veranstaltungen hat sich bestätigt, dass der Bedarf an weiterführenden Angeboten an der TUW sehr groß ist.

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Angebote für Studierende der TU Wien

  • Psychologische Beratung: TU Wien-Studierende_r können sich an eine externe Psychologin wenden, die Sie in verschiedenen Problemlagen berät und unterstützt.
  • Workshops: Ab dem Wintersemester 2020/21 können Studierende an Workshops unter anderem zu den Themenbereichen Prüfungsangst/Stressmanagement teilnehmen.
  • Podiumsdiskussion: Für den 18. November ist auch wieder eine Podiumsdiskussion zum Thema "Studieren mit psychischen Problemen an der TUW" geplant.
  • Servicestelle Barrierefrei Studieren: Die Servicestelle bietet neben Orientierungs- und Mobilitätstrainings am Studienort auch Informationen über rechtliche Fragen zum Thema Behinderung und Studium (Prüfungsmodalitäten) an.

In welchen Fällen können Sie das Angebot nutzen?

  • wenn Sie sich psychisch nicht wohlfühlen
  • bei akuten psychischen Krisen (Trennung, Krankheit, Todesfall, andere belastende Ereignisse)
  • wenn Sie den Eindruck haben, dass das Studium im Moment eine besondere Belastung darstellt
  • bei Prüfungsangst
  • bei Angst vor dem Studienabschluss
  • bei allgemeiner Ängstlichkeit
  • bei Depressivität
  • bei Schlafstörungen, vermehrtem Substanzkonsum, körperlichen Beschwerden ohne medizinischen/somatischen Befund
  • ganz allgemein: Wenn Sie den Eindruck haben, dass die inneren Ressourcen zur Konfliktbewältigung nicht mehr funktionieren, nicht mehr ausreichen (z.B. Humor, Flexibilität im Handeln und Denken, Zielstrebigkeit, …)

Pro Studierende_r sind bis zu drei Beratungseinheiten á 50 Minuten vorgesehen. Im Falle des Bedürfnisses einer längerfristigen (psychotherapeutischen) Begleitung ist die Beraterin dabei behilflich, entsprechende weiterführende Angebote zu vermitteln.

Psychotherapie in der Medizin: Die Bedeutung der Subjektivität

Um dem Gegenstandsbereich der Psychotherapie in der Psychiatrie gerecht zu werden, gilt es die Subjektivität des Menschen zu betonen. In diesem Zusammenhang gilt es sich mit der Tatsache auseinanderzusetzen, dass gerade die Psychotherapie durch die Inklusion von geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschungsfragen das naturwissenschaftliche Forschungsparadigma erweitert und ergänzt.

Aus diesem Grund gestaltete die AG Ambulante Psychotherapie der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (ÖGPP) angesichts des Tagungstitels der ÖGPP-Jahrestagung 2015 „Psychiatrie in der Medizin“ in Gmunden einen Workshop zum Thema Psychotherapie in der Medizin und lud zur Diskussion ein.

Die Diskussion fokussiert Versorgungsaspekte (Karin Matuszak-Luss), gesellschaftliche Aspekte (August Ruhs), die Berufspolitik (Bettina Fink), die Ausbildung (Henriette Löffler-Stastka) und Aspekte der Kooperation (Reinhold Glehr).

Thomas Bernhard und die Medizin

Wir stellten eine Literaturanalyse vor: Anhand von Thomas Bernhards Aussagen über „Die Medizin“, „Das Patiententum“, „Die Mediziner“ und „Der Medizinbetrieb“ wurde eine Abhandlung über das Subjektive im Menschen gezeigt, wobei diese Auseinandersetzung als Diskussions-Start diente, in der versucht wurde, den medizinischen Diskurs wieder gezielt mit geisteswissenschaftlichen Diskursformen zusammenzubringen.

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Um Thomas Bernhards Reflexionen und Anwürfe dem Leser näherzubringen und für die Aufnahme und Reflexion der Gedankengänge Offenheit zu erhalten, wurde auf folgende Werke Thomas Bernhards fokussiert: „Ein Kind“, „Die Kälte“, „Der Atem“ und „Frost“.

Ein Kind von Thomas Bernhard ist u. a. ein Lehrbeispiel für eine multiple - komplexe Traumatisierung. In diesem Roman mit stark autobiografischen Zügen berichtet der Erzähler, ein Kind, von den seelischen und körperlichen Misshandlungen durch seine Umgebung vor und während des zweiten Weltkrieges.

Anhand von Zitaten aus dem Roman werden Introjektbildungen und Ego States (Watkins und Watkins 2008) des Kindes aufgezeigt, in welchen Theorie und Therapie zwischen grundsätzlich ressourcenreichen Ego States, verletzten Ego States und verletzenden, destruktiv wirkenden Ego States unterschieden werden können.

Beispiel für traumatisierten Ego States: (Bernhard 2010, S. 49): „Vor dem Ochsenziemer hatte ich Angst, aber die Schläge, die meine Mutter mir damit zufügte, hatten keine Wirkung. Mit den teuflischen Wörtern erreichte sie ihr Ziel, dass sie Ruhe hatte, andererseits stürzte sie mich damit jedesmal in den fürchterlichsten aller Abgründe, aus welchem ich dann zeitlebens nicht mehr herausgekommen bin. Du hast mir noch gefehlt! Du bist mein Tod!

Beispiele für destruktive Ego States: (Bernhard 2010, S. 14): „Ich liebte meine Mutter, aber ich war ihr kein lieber Sohn, nichts war einfach mit mir, alles Komplizierte meinerseits überstieg ihre Kräfte. Ich war grausam, ich war niederträchtig, ich war hinterhältig, ich war, das war das Schlimmste, gefinkelt.

Schlussfolgerungen

Fazit aus der Diskussion war, dass es u. a. Dort, wo PatientInnen wechselnde klinisch-somatische Befunde zeigen, die nicht wirklich auf somatische Therapieinterventionen reagieren, liegt der Verdacht auf eine psychische Komponente nahe. Dann heißt es sich Zeit für den/die PatientIn nehmen, die Lebenshintergründe genauer anzusehen. Entsteht ein Verdacht auf eine schwerwiegende biografische Belastung (u. a. Gesellschaftliche und kulturelle Aspekte - mit Bezug auf „Der Atem.

Was in diesen kurzen Textpassagen Thomas Bernhards als pars pro toto zum Ausdruck kommt, ist eine feinsinnige Analyse der subjektiven Dimensionen eines Krankheitsverlaufs. Dabei ist für alles, was in den Erkenntnisbereich Mensch fällt und eine Wissenschaft vom Menschen begründet, die Berücksichtigung geistes- und sozialwissenschaftlicher Perspektiven und Paradigmen eine unerlässliche Bedingung.

Die Medizingeschichte sagt uns, dass ärztliches Denken und Handeln bis etwa zur Mitte des vorigen Jahrhunderts durchaus von einer solchen ganzheitlichen Auffassung menschlichen Krankseins geprägt war, wodurch die Einstellung des Patienten sowohl zu seiner Krankheit als auch zur Person seines Arztes und den von ihm verordneten Medikamenten bzw. den von ihm gesetzten Maßnahmen im Behandlungsprozess mitberücksichtigt wurden.

Das Schwergewicht der Subjektivität auch in den Bereichen von Gesundheit und Krankheit erklärt sich daraus, dass gerade das Subjektive und je Besondere das spezifisch Menschliche in diesem komplexen Geschehen darstellt.

Wenn man aber bereit ist, bei allen Krankheitserscheinungen stets ein davon betroffenes Subjekt mitzudenken, so erscheint insofern jede menschliche Krankheit als spezifisch menschlich, als sie an ein Bewusstsein gebunden ist, das dieser Krankheit Bedeutung verleiht.

Unter dieser Perspektive stellen Psychiatrie, Psychotherapie und medizinische Psychologie, die weitgehend den Sozial- und Geisteswissenschaften verhaftet sind, privilegierte Disziplinen dar, um die Prinzipien einer tatsächlichen Humanmedizin offenzulegen. Damit tritt auch neben der „Behandlungstechnik“ medizinisches Handeln als „Heilkunst“ stärker in den Vordergrund.

Wenn man eine Krankheit immer unter den drei Aspekten: somatischer Zustand, ärztliche Interpretation und bewusste und unbewusste seelische Verfasstheit des Kranken betrachtet, so gilt im Allgemeinen, dass das Bewusstsein eines Patienten von einem Leiden und einem Gefühl der Schwäche sowie von Angst vor etwaigen Folgen sowohl der Krankheit als auch der Behandlung geprägt ist.

Nicht selten finden wir im Gefolge einer körperlichen Krankheit psychische Desintegrations- und Dekompensationserscheinungen mit einem zumeist vorübergehenden Verlust eines vorher bestehenden labilen seelischen Gleichgewichtes. Andererseits finden wir in der Anamnese von psychotisch Erkrankten oftmals körperliche Erkrankungen oder Traumen auch nur geringen Ausmaßes, welchen zumindest eine mitauslösende Funktion für eine psychotische Dekompensation zugeschrieben werden kann.

Selbstverständlich kann auch in manchen Fällen die Bedrohung der körperlichen und seelischen Desintegration zu einem Ausagieren der Phantasmen führen, was dann in suizidalen oder homizidalen Handlungen ein katastrophales Ende finden kann.

Was nun den Zugang zu solchen zum Teil unbewussten subjektiven Krankheitsverarbeitungen betrifft, ist festzustellen, dass es nicht so sehr darauf ankommt, dass der Arzt mit dem Patienten spricht, sondern dass er ihm zuhört. Hier geht es also primär nicht so sehr um eine Aufklärung des Patienten durch den Arzt, sondern umgekehrt, um eine Aufklärung des Arztes durch den Patienten.

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