Gewalt nimmt sehr unterschiedliche Formen an. In Anlehnung an die Definition der WHO umfasst sie Drohungen und Verhaltensweisen mit der Absicht oder Inkaufnahme, zu schädigen, und sie richtet sich gegen Personen (andere oder sich selbst) oder Objekte. Gewalt erfolgt meist durch körperlichen Einsatz und/oder psychische und verbale oder digitale Mittel und verursacht körperliche und/oder psychische Verletzungen. Die unterschiedlichen Gewaltformen treten selten isoliert, sondern oft in Kombination auf. Beispielsweise ist körperliche oder sexuelle Gewalt immer auch mit psychischer Gewalt verbunden.
Übergriffe und Gewalt kommen in verschiedenen Verhältnissen zwischen Betroffenen und Ausübenden vor (dabei ist es im Hinblick auf die Auswirkungen auf Betroffene unerheblich, ob die Gewalt ausübende Person bewusst oder ungewollt handelt): an Kindern durch Erwachsene (Eltern, Familienangehörige, Vertrauenspersonen, Freizeitpersonal, pädagogische Fachkräfte usw.), unter Kindern/Jugendlichen oder an Erwachsenen durch Jugendliche/Kinder (im Schulsetting z. B., wenn pädagogische Fachkräfte von Schülerinnen und Schülern angegriffen oder über soziale Medien abgewertet werden).
Auch wenn Gewalt in den meisten Fällen im häuslichen oder Freizeitkontext und nicht direkt am Standort Schule passiert, ist es wichtig, dass Pädagoginnen und Pädagogen für dieses Thema sensibilisiert werden, weil die Auswirkungen im schulischen Kontext deutlich werden. Bei Übergriffen und Gewalt zwischen Kindern und Jugendlichen - wenn Kinder und Jugendliche Gewalt gegen Gleichaltrige oder Jüngere ausüben - spricht man von Peer-Gewalt. Einzelne Konfliktsituationen und Verhaltensweisen, die der persönlichen Entwicklung dienen - z. B. Streiten, Raufen, gleichberechtigte „Doktorspiele“ - sind davon abzugrenzen.
Für diese Abgrenzung ist wichtig, dass das Verhalten im gegenseitigen Einverständnis stattfindet (d. h. es kann jederzeit von allen Beteiligten beendet werden) und keine Machtposition besteht (kein Kind ist dem/den anderen überlegen). Gewalt unter Kindern und Jugendlichen findet in unterschiedlichen Kontexten statt: zu Hause (z. B. durch Geschwister), in der Schule, im Freizeitbereich und im digitalen Raum.
Laut in Österreich erhobenen Daten (HBSC-Studie 2018, siehe Broschüre des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz) waren im Jahr 2018 8 % der Schülerinnen und Schüler Opfer von Mobbing in der Schule. In einer Studie aus dem Jahr 2014 gaben 20-25 % der befragten Kinder und Jugendlichen an, Peer-Gewalt (als betroffene oder ausübende Person oder beides) im schulischen Kontext erlebt zu haben (Juvonen & Graham, 2014). Dabei kann Peer-Gewalt alle bisher erwähnten Formen (außer Vernachlässigung) annehmen - es werden insbesondere körperliche, sexualisierte und psychische Gewalt sowie Beziehungsgewalt (die soziale Ausgrenzung aus Gruppen) und Mobbing unterschieden.
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Psychische Peer-Gewalt, die oft mit dem Aussehen, der Sexualität und sozialen Akzeptanz im Zusammenhang steht, gilt als besonders gefährlich. Mobbing ist eine spezielle Form der Gewalt unter Kindern und Jugendlichen, bei der sich ein oder mehrere Kind/er über einen längeren Zeitraum wiederholt und systematisch aggressiv bzw. gewalttätig gegenüber einem anderen Kind oder einer Gruppe von Kindern verhalten. Dabei besteht eine Schädigungsabsicht seitens der Täterinnen und Täter, ein Machtungleichgewicht (z. B. physisch und/oder psychisch) zu Ungunsten der Betroffenen sowie ein Gefühl der Hilflosigkeit seitens der Betroffenen. Betroffene werden durch die Handlungen isoliert, Mobbing kann dabei alle Formen der Gewalt umfassen.
Sexualisierte Peer-Gewalt nimmt oft andere Dynamiken an als bei erwachsenen Täterinnen und Tätern. Sexuelle Kommentare, Übergriffe und Grenzverletzungen bis hin zu massiver sexualisierter Gewalt wie Date Rape (ungewollte sexuelle Handlungen durch eine bekannte Person im Zusammenhang mit einer ansonsten einvernehmlich eingegangenen Verabredung) finden oft im Freundeskreis, durch Partnerinnen und Partner sowie in anderen Gruppen (z. B. im schulischen Kontext) und im digitalen Raum statt. Entgrenzte Explorationsspiele, „blödes Anmachen“, ungewollte Berührungen oder durch Überredung erzwungene sexuelle Handlungen von Gleichaltrigen gehören für viele Heranwachsende zum Alltag.
Laut Statistik Austria waren von allen in Österreich im Jahr 2019 Verurteilten wegen Straftaten gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung (StGB, § 201-220b) fast 6 % Jugendliche (14-17 J.), beim Delikt Vergewaltigung gehörten 10 % der Verurteilten dieser Altersgruppe an. Gemäß einem Bericht aus Deutschland (Allroggen et al., 2011) sind Heranwachsende insbesondere bei Sexualdelikten, die im Gruppenkontext stattfinden, überrepräsentiert, dort machen Tatverdächtige unter 21 Jahren bis zu 60 % aus.
Relevante strafrechtliche Tatbestände (gemäß StGB), die hier zur Anwendung kommen könnten: Körperverletzung, schwere Körperverletzung (§§ 83, 84), Nötigung (§ 105), gefährliche Drohung (§ 107), Fortdauernde Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems - Cybermobbing bzw. Hass im Netz (§ 107c), Raub (§ 142), Vergewaltigung (§ 201), sexueller Missbrauch einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person (§ 205), Pornographische Darstellungen Minderjähriger (§ 207a), sexuelle Belästigung (§ 218).
Adele Lassenberger versucht in ihrem Beitrag das Phänomen der Psychischen Gewalt in der Erziehung fassbarer zu machen. Gewaltfreie Erziehung ist seit 1989 in Österreich gesetzlich verankert. Das gilt für herabwürdigende, bloßstellende und angstmachende Erziehungsmaßnahmen gleichermaßen wie für Körperstrafen. Emotionale Vernachlässigung ist eine weitere Dimension dieser Gewaltform mit weitreichenden Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern. In der bislang umfassendsten österreichischen Gewaltstudie von 2011 (Kapella et al.) berichten rund drei Viertel der Frauen (75 %) und Männer (73 %) von psychischer Gewalt in der Kindheit.
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Vernachlässigung ist die Unterlassungsform der psychischen Gewalt, de facto eine Untergruppe bzw. Das alles macht es nicht leichter, dieses Thema einzugrenzen. Dennoch will dieser Artikel sich auf Aspekte psychischer Gewalt beziehen, in denen sich diese ohne Begleitung anderer Formen zeigt. Früher oft übersehen, zeigt sich zunehmend ein Bewusstsein für diese Form der Gewalt im gesellschaftlichen Diskurs. Vielfach wird auf die Unsichtbarkeit von Spuren psychischer Gewalt und damit auch auf die fehlende Möglichkeit der Beweiserbringung, z. B. Umso wichtiger ist es, die "Dynamik" zu erkennen.
Gewalt zeigt sich nicht nur durch die Handlungen (dazu gehören auch Worte), sondern vollzieht sich einem Kontext: die Umstände, die Anlässe, das Beziehungsumfeld, die Auswirkungen, Motivation und Absichten des gewaltausübenden Menschen machen Handlungen zu einer Episode, die als erlebte (bzw. Ein weiterer Aspekt ist die Rolle von Zeugen und Zeuginnen. Gewalt kann nur durch Wegsehen, Bagatellisieren und/oder Pseudoerklärungen im Sinne von Ausreden aufrechterhalten werden ("Er meint es nicht so." - "Er ist schlecht drauf" oder "Weißt eh, wie sie ist, sie meint es nicht so"). Betroffene erkennen nicht immer diese Gewaltform als solche.
Sie bagatellisieren, interpretieren feindliche Angriffe als Missgeschick, Panne, nicht gewollt (...) oder kommentieren diese aus der Dynamik der Schuldgefühle ("Ich habe es verdient.", "Ich bin selber schuld.","Ich hätte es verhindern können.") und übernehmen somit die Verantwortung, die eigentlich jene übernehmen sollten, die Gewalt ausüben. Doch Erscheinungsformen und Dynamik psychischer Gewalt sind im Wesentlichen beschrieben. Es braucht aber die Identifikationsbrille und eine entsprechende Haltung, um psychische Gewalt als das zu benennen, was es ist.
Psychische Gewalt spielt sich nicht nur im abgeschirmten Setting ab, sehr oft auch vor Zeugen und Zeuginnen. Nicht jede Unfreundlichkeit ist psychische Gewalt. Kränkungen sind Teil unseres Beziehungserlebens und können durch Austausch und Kommunikation reguliert werden. Nicht so bei der Psychischen Gewalt. Gewalttätige Strategien, die auf die Seele des Gegenübers abzielen, bedienen sich der Nähe und Intimität einer Beziehung, um Abhängigkeit zu erzeugen und/oder den anderen in den Dienst eigener Bedürfnisse - bewusst oder unbewusst, absichtlich oder unabsichtlich - zu stellen.
Die Perversität besteht darin, den anderen als eigenständige Person zu zerstören, ihn emotional in den Dienst des eigenen emotionalen Überlebens zu stellen. Es ist ein emotionaler Missbrauch, ein Machtmissbrauch, ein narzisstischer Missbrauch und kann auch einen sexuellen Missbrauch miteinschließen oder in einen solchen münden. So gesehen ist dieser die "vollendete Form" eines emotionalen Machtmissbrauchs der die Verletzung der intimsten Sphäre - und wie wir wissen meist ganz ohne Spuren - miteinschließt.
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Der Umstand, dass Kinder in ihrer jeweiligen Entwicklung auf Beistand und Schutz angewiesen sind, konstituiert ein Abhängigkeitsverhältnis zu Erwachsenen. Pflege und Erziehung sind daher in besonderem Maße auch geeignet, sich der - notwendigen - Macht missbräuchlich zu bedienen, womit diese zur Gewalt wird. Es lassen sich zwei Gruppen von Definitionsansätzen herausarbeiten (vgl. Gisbrecht 2012). Die einen definieren psychische Gewalt gegenüber Kindern, indem Formen psychischer Misshandlung und deren schädliche Auswirkung auf Kinder im weiteren Entwicklungsverlauf beschrieben werden. Ausbeutendes bzw.
Hier zeigt sich das breite Spektrum psychischer Gewalt. Aus den Beschreibungen der Formen psychischer Gewalt erschließen sich die folgenschweren und weitreichenden Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes. Es prägt schleichend, aber kontinuierlich, die Entwicklung der Minderjährigen auf allen Ebenen: emotional, kognitiv, sozial, gesundheitlich und die Art ihrer eigenen Beziehungsgestaltung. Das breite Spektrum psychischer Gewalt gegen Kinder lässt sich besser erfassen durch die Differenzierung von (aktiver) Psychischer Gewalt und (passiver) Emotionaler Vernachlässigung (vgl.
Eltern können grundlegende Entwicklungsbedürfnisse von Kindern als nicht relevant, unangemessen, als "Zumutung" einstufen und reagieren darauf mit Bestrafung, Abwertung oder Bedrohung, also mit aktiver psychischer Gewalt. Eltern können aber auch überfordert, auf Grund eigener Einschränkungen nicht in der Lage sein, diese Grundbedürfnisse wahrzunehmen bzw. die sich daraus ergebenden Aufgaben umzusetzen. Diese passive Form kann in Abgrenzung zur Psychischen Gewalt als Emotionale Vernachlässigung verstanden werden. Emotionale Vernachlässigung und psychische Gewalt schädigen eher durch Häufigkeit als durch gravierende Einzelereignisse. In beiden Fällen muss Gefährdung abgegrenzt werden von einem breiten Bereich unterdurchschnittlicher Fürsorge und harscher Erziehung (zur Gefährdungsfrage vgl.
Der 7-jährige René lebt als jüngstes von vier Geschwistern mit seinem sechzehnjährigen Bruder, seinem Vater und der väterlichen Großmutter im gemeinsamen Haushalt, nachdem die Mutter, die unter dem Regime der Großmutter litt und dies mit zunehmenden Alkoholkonsum kompensiert hat, die Familie verlassen hat. Die Mutter wird daraufhin totgeschwiegen. René weiß nicht, wo sie sich aufhält und hat auch keinen Kontakt zu ihr. Für sein gelegentliches Einnässen wird er von der Großmutter bestraft. Seine Aggressionsausbrüche stillt sie mit Süßigkeiten. Der Vater zeigt sich bemüht und „verhätschelt" den Buben.
Kinder erleben psychische Gewalt auch in der Schule und speziell auch durch die Peergroup (Mobbing). Hingegen sind sichere Bindungsbeziehungen und weitere positive basale Beziehungserfahrungen insofern ein Schutz, da Kinder sich bei schützenden Bindungspersonen Unterstützung holen können. Die Tragik vieler betroffener Kinder liegt gerade darin, dass sich Erfahrungen psychischer Gewalt im weiteren Leben fortsetzen können und anfälliger machen für Gewaltbeziehungen in Partnerschaften. Betroffene Kinder können nur durch unterstützende, Mut machende Beziehungen in ihrem Selbstvertrauen gestärkt werden. Oft hilft schon ein außerfamiliärer Kontext wie z. B. Freizeitorganisationen, die den Kindern ein alternatives Beziehungsangebot machen können.
Für Kinder und Jugendliche, die psychischer Gewalt ausgesetzt sind oder waren, stellen sich Interventionsansätze schwierig und komplexer dar, wie das oben skizzierte Beispiel zeigen soll. Zunächst geht es darum, die Problematik zu erkennen, da sie sich meist nicht offen zeigt und von anderen Problem überlagert sein kann. Schließlich gilt es, das Kind mit seinen Nöten und Stärken im Blick zu behalten und ihm einen anderen Umgang mit seinen Schwierigkeiten zu zeigen. Diesen anderen - gewaltfreien - Umgang können wir auch Eltern zeigen.
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