Die Autismus-Spektrum-Störung (kurz ASS) ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die auf eine veränderte Zusammenarbeit verschiedener Gehirnstrukturen zurückzuführen ist. Entwicklungsauffälligkeiten sowie der Schweregrad von Autismus können individuell sehr stark variieren. Deshalb spricht man in diesem Zusammenhang von einem Spektrum an Erscheinungsformen.
Was ist Autismus-Spektrum-Störung (ASS)?
Autismus ist eine Entwicklungsstörung, die unter anderem Auswirkungen auf die Fähigkeit hat, mit anderen zu kommunizieren und zu interagieren sowie auf die Wahrnehmung der Umwelt. Betroffene Menschen nehmen ihr Umfeld speziell wahr und verarbeiten Informationen und Eindrücke oftmals auf eine besondere Art und Weise. Eine Autismus-Spektrum-Störung zeigt sich vor allem durch die Art der Wahrnehmung und die Verarbeitung von Eindrücken.
Internationalen Schätzungen zufolge ist rund ein Prozent der Gesamtbevölkerung eines Landes von einer ASS betroffen. Ausgehend von den internationalen Schätzungen kann man jedoch davon ausgehen, dass in Österreich etwa 87.000 Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung leben. Buben bzw. Männer sind weitaus häufiger betroffen als Mädchen bzw. Frauen.
Was die Ursache von ASS betrifft, ist noch vieles ungeklärt. Experten vermuten vor allem genetische Faktoren. Dafür sprechen Studien, die ergaben, dass innerhalb der Familie eines Betroffenen mehrere Familienangehörige Merkmale einer Autismus-Spektrum-Störung aufweisen.
Formen von Autismus
- Frühkindlicher Autismus: Diese tiefgreifende Entwicklungsstörung zeigt sich bereits vor dem 3. Lebensjahr. Auffälligkeiten bestehen sowohl in der sozialen Interaktion und Kommunikation als auch im Verhalten, das durch spezielle Interessen oder Stereotypien gekennzeichnet ist. Die Sprachentwicklung ist verzögert.
- Asperger-Syndrom: Die Diagnose eines Asperger-Syndrom wird meist nach dem 3. Lebensjahr gestellt. Im Unterschied zum frühkindlichen Autismus besteht hier keine Sprachentwicklungsverzögerung. Die Sprache ist aber nicht sozial-kommunikativ ausgerichtet.
- Atypischer Autismus: Es treffen nicht alle Kriterien zu.
Merkmale und Symptome von Autismus
Autismus ist von „außen betrachtet“ häufig nicht sofort „sichtbar“. Während Kinder ohne Autismus Spaß am gemeinsamen Spiel haben, andere Kinder genau beobachten, interessant erscheinen wollen, schon früh zu imitieren beginnen, soziale Regeln kennen und einhalten, scheinen Kinder mit Autismus, sich dabei schwerer zu tun: Sie ziehen das Spiel mit Materialien dem Spiel mit anderen Kindern vor, wissen in Alltagssituationen oft nicht, wie sie mit anderen Kindern umgehen sollen, können das Verhalten anderer nicht richtig deuten und fallen in Gruppensituationen auf.
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Oft fehlt es diesen Kindern an verbalen und nonverbalen Fähigkeiten, das heißt sie können sich sprachlich wenig oder gar nicht mitteilen und können aus der Körpersprache, wie Gestik und Mimik, keine Rückschlüsse ziehen. Manche Kinder mit ASS hingegen haben eine gut entwickelte Sprache, fallen aber mit ihrem „gehobenen“ oder erwachsen wirkenden Sprachausdruck auf. Letztere wissen oft nicht, wie man ein wechselseitiges Gespräch beginnt oder führt.
Charakteristisch für den Autismus sind auch spezielle eingeschränkte Interessen, Vorlieben und Verhaltensweisen, die häufig auch in völlig unpassenden Situationen wiederholt werden und die für das autistische Kind eine faszinierende oder regulative Wirkung haben. Dazu gehören auch sogenannte körperbetonte Stereotypien wie das Flattern der Hände oder das Wippen des Oberkörpers.
Kinder mit ASS weisen oft eine geringe Flexibilität im Umgang mit neuen Situationen auf und verharren in alten Routinen, weil eine Abkehr von Gewohntem zu großer Unsicherheit führt. Eltern berichten häufig, dass ihre autistischen Kinder sehr über- oder auch sehr unterempfindlich gegenüber bestimmten Reizen sind: Sie halten sich beispielsweise die Ohren zu, wenn der Geräuschpegel um sie zu hoch ist, oder sie kriegen von bestimmten Lichtphänomenen nicht genug, wie z.B. vom flackernden Licht durch das sich drehende Rad.
Viele Kinder sind sehr berührungsempfindlich und haben auch Probleme beim Erkunden und Erproben von verschiedenen Materialien, weil sie diese nicht angreifen oder halten können. Das Essverhalten kann aufgrund einer Über- oder Unterempfindlichkeit im Mundinnenraum große Verunsicherung bei den Eltern auslösen, wenn Kinder nämlich z.B. nur bestimmte Konsistenzen, Geschmacksrichtungen mögen oder auch nicht essbare Dinge wie Papier essen.
Weitere typische Symptome sind:
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- Probleme in der Kommunikation: Menschen mit ASS haben Schwierigkeiten damit, Sprache gezielt anzuwenden, um ihren Gedanken, Gefühlen und Wünschen Ausdruck zu verleihen. Es fällt ihnen auch oft schwer, Gesagtes zu verstehen. Blumige Sprache oder ironische Bemerkungen sind für Menschen mit ASS kaum verständlich.
- Probleme, sich an ungewohnte Situationen anzupassen: Sie nehmen ihre Umwelt als chaotisch wahr und haben Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden. Deshalb sind ihnen geordnete Strukturen wichtig. Auf Abweichungen von gewohnten Abläufen reagieren Menschen mit ASS häufig mit starken Gefühlsausbrüchen.
- Spezialinteressen: Eine Vielzahl an Menschen mit ASS entwickeln bestimmte Spezialinteressen.
- Wahrnehmung von Sinnesreizen gestört: Beispielsweise nehmen sie bestimmte Geräusche oder Gerüche als besonders unangenehm wahr und versuchen, diese Eindrücke zu vermeiden. Andere wiederum zeigen eine ausgeprägte Unempfindlichkeit manchen Reizen gegenüber. Um ihre Bedürfnisse zu befriedigen, suchen sie extreme Anreize.
- Schwierigkeiten beim Aufnehmen und Zuordnen von Informationen: So können Aufgaben, die sie in einem bestimmten Umfeld lösen können, in einer anderen Situation zur unlösbaren Herausforderung werden.
Diagnose von Autismus
Die diagnostische Arbeit in Hinblick auf Autismus-Spektrum-Störungen sollte multiprofessionell angelegt sein und sowohl ärztliche (z.B. Kinderarzt, Kinder- und Jugendpsychiater, Neurologe, Psychiater) als auch entwicklungspsychologische Experten miteinbeziehen. Neben einer sehr genauen Anamnese besonders in Hinblick auf die frühen Kindheitsphasen sollte eine standardisierte semistrukturierte Untersuchung (ADOS-R) durchgeführt werden. Wichtig ist es vor allem auf psychiatrische Störungsbilder, die auch komorbid bestehen können, wie z.B. Bindungsstörungen, ADHS, Angststörungen, Zwangsstörungen, etc zu achten.
Therapie und Förderung bei Autismus
Autismus-Spektrum-Störungen sind nicht ursächlich behandelbar. Vor allem das Early Start Denver Modell (ESDM) ist hier als evidenzbasierte therapeutische Möglichkeit zu erwähnen. Das ESDM-Modell ermöglicht ein gezieltes kleinschrittiges Vorgehen in allen relevanten Entwicklungsdimensionen. Das Arbeiten nach diesem Verfahren ist sehr intensiv zeigt aber, wie randomisierte Studien belegen, eine nachhaltige Wirkung auf die kognitiven Funktionen und auf die Autismussymptomatik. Das TEACCH-Programm hilft Menschen mit ASS in jedem Lebensalter durch eine strukturierte Tages- und Handlungsplanung.
Mit entsprechender Therapie und Förderung haben Kinder mit Autismus weitaus positivere Prognosen, als ohne Interventionen. Das Gehirn besitzt die Eigenschaft, durch Training veränderbar zu sein, indem Verbindungen zwischen den Nervenzellen stärker oder schwächer werden. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer sogenannten Neuroplastizität. Diese ist die Grundvoraussetzung für jede Form des Lernens.
Erfreulicherweise gibt es bereits einige therapeutische Programme, die sich genau diese Tatsache zunutze machen. Sie sind auf die Besonderheiten von Autismus zugeschnitten und bringen zahlreiche Kompetenzen des Kindes hervor. Es lohnt sich daher, eine therapeutische Institution mit Schwerpunkt Autismus aufzusuchen und sich dort Hilfe zu holen! Nichts zu tun und abzuwarten bedeutet, wertvolle Zeit zu verlieren!
Frühförderung
Da Kinder mit Autismus von sich aus kaum Interesse an anderen Menschen zeigen, bleiben viele Lernchancen ungenutzt, die untrennbar mit der positiven Entwicklung verbunden sind. Eine frühe, gezielte Förderung verbessert die Spielfertigkeiten der Kinder, aber auch ihre kognitiven Fähigkeiten (darunter versteht man eine Vielzahl wichtiger Denkprozesse), die Entwicklung von Sprache und der Wunsch nach sozialer Interaktion.
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Ein Kernziel der Förderung besteht darin, auf vielfältigste Weise Gelegenheiten für das Lernen zu schaffen. Wenn das Kind Interesse an gemeinsamen Aktivitäten entwickelt, dann wird auch die Kommunikation „angekurbelt“, es werden neue Spielerfahrungen ermöglicht und das gesamte Verhaltensrepertoire zugunsten von mehr Kreativität und Flexibilität erweitert. Kinder mit diesem Erfahrungshintergrund können erstaunlich viel lernen und mehr von ihren Potentialen profitieren. Sie entwickeln mehr Interesse an anderen Menschen.
Soziales Lernen wird ermöglicht und der Grundstein für das spätere, möglichst selbständige Leben gelegt! Je nach Schwere ist eine Begleitung des Menschen mit Autismus über eine jahrelange Zeitspanne notwendig.
Umgang mit Autismus im Alltag
So breit das Spektrum autistischer Verhaltensweisen und Charakteristika ist, so groß ist auch die Bandbreite möglicher Fördermöglichkeiten zu Hause. Kinder mit Autismus sind darauf angewiesen, dass Personen, ihr Umfeld, gewisse Abläufe im Alltag, und Tätigkeiten möglichst immer gleichbleiben, weil Änderungen für sie eine große Herausforderung darstellen. Sind Änderungen aber notwendig (und das dürfen sie auch sein!), dann ist es wichtig, dass die Kinder langsam darauf vorbereitet werden.
Wenn Kinder selber kaum sprechen oder Sprache nicht verstehen, dann können Bilder von Handlungen, Reihenfolgen, Abläufen oder wichtigen Verhaltensregeln eine große Hilfe darstellen, denn bei den meisten Menschen mit Autismus ist der Sehsinn sehr gut ausgeprägt. Je einfacher und eindeutiger diese Bilder sind, desto mehr können diese Bilder von den Kindern „gelesen“, also verstanden werden. Aber Achtung!
Ähnlich verhält es sich bei der verbalen Sprache: Lange Sätze werden vom Kind nicht richtig verstanden, weil die Verarbeitung des Gehörten länger braucht und die Merkfähigkeit von gehörten Reizen reduziert ist. Je mehr Sie in kurzen Sätzen aber mit hervorgehobener Stimme mit Ihrem Kind reden, desto besser wird es Sie wahrnehmen, verstehen und vielleicht auch Dinge ausführen können.
Untrennbar damit verbunden ist der Blickkontakt, der die Basis jeder Kommunikation ist. Eltern berichten, dass Kinder mit Autismus in bestimmten Situationen oft unerwartet mit Widerstand, Schreien oder selbstverletzendem Verhalten reagieren. Hier ist ein Hinterfragen möglicher Ursachen oft Goldes wert. Die bereits genannten „Überreizungen“ des Alltags sind oft Auslöser für Schreien und Widerstand.
Es reichen Kleinigkeiten oder vermeintliche Bagatellen, die das Kind „aus der Haut fahren lassen“. Für das autistische Kind sind sie wirklich unangenehm und werden um ein Vielfaches stärker empfunden, als von uns Erwachsenen.
Beachten Sie im Entwicklungsverlauf, dass Kinder mit Autismus anders lernen! Sie sind viel stärker auf Wiederholungen, kleinschrittige Erweiterungen der Lernanforderungen und Hilfestellungen angewiesen, als andere Kinder. Fähigkeiten, wie zum Beispiel das selbständige An- und Ausziehen, die Umsetzung kleiner Arbeitsaufträge oder die Selbstorganisation im Alltag erfordern ein gezieltes Training.
Eltern und andere wichtige Bezugspersonen sind oft gefordert und können manchmal an ihre Grenzen stoßen, weil das Kind mit Autismus häufig mehr Unterstützung braucht. Hilfen von außen, etwa durch Therapie und Frühförderung, stellen eine wertvolle Unterstützung dar - sowohl für das Kind als auch für dessen Familie.
Damit aber diese auch wirklich „fruchtet“ ist das gemeinsame Bekenntnis für die Therapie, das „Ziehen an einem Strang“ aller Beteiligten von großer Bedeutung, vor allem bei der Umsetzung der Förderung. Den Eltern kommt eine wichtige Rolle zu, denn sie kennen ihr Kind am besten und können sich somit unterstützend in die Therapie einbringen.
Die wichtigste aller Tugenden ist aber hier besonders gefragt: Geduld! Anerkennen und schätzen Sie jeden kleinsten Fortschritt!
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