Autismus ist eine neurologische Entwicklungsstörung, die sich durch Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion, Kommunikation sowie durch eingeschränkte Interessen und stereotype Verhaltensweisen auszeichnet. Die Symptome und Schweregrade von Autismus können stark variieren, weshalb von Autismus-Spektrum-Störungen gesprochen wird. Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung empfinden ihre Umwelt oft als chaotisch und unvorhersehbar. Sie haben große Schwierigkeiten damit, sich flexibel an neue Situationen und Abläufe anzupassen und sich adäquat zurechtzufinden.
Warum Autismus bei Frauen oft spät erkannt wird
Früher wurde Autismus bei Männern doppelt bis viermal so häufig diagnostiziert wie bei Frauen. Selbst heute wird Autismus bei Mädchen und Frauen häufig übersehen oder erst im späteren Leben diagnostiziert. Autismus bei Frauen und Mädchen wird immer noch häufig übersehen oder erst spät erkannt. Sie entsprechen oft nicht dem stereotypen Bild, das durch die jahrzehntelange männlich fokussierte Forschung geprägt wurde.
Es gibt mehrere Gründe, warum Autismus bei Frauen oft erst spät erkannt wird:
- Maskierung und Anpassung: Mädchen und Frauen mit Autismus neigen dazu, ihre Symptome besser zu kaschieren als Männer. Sie unternehmen häufig große Mühen, sich Erwartungen der Umwelt anzupassen und ihre Schwierigkeiten zu verbergen. Mädchen mit Autismus schauen sich beispielsweise Verhaltensweisen ihrer neurotypischen Altersgenossinnen ab und imitieren diese. Sie lernen zu „maskieren“, wie unangenehm sie Blickkontakt erleben oder wie verwirrend eine soziale Situation gerade für sie ist.
- Rollenbilder: Rollenbilder von „ruhigen“ Mädchen und „wilden“ Jungen sind immer noch stark in unserer Gesellschaft verankert. Mädchen wird durch das Umfeld früh beigebracht, sich anzupassen und möglichst nicht aufzufallen. Mangelnder Blickkontakt wird zum Beispiel als Schüchternheit interpretiert, weil das zu dem Rollenbild von Mädchen passt. Das häufig von autistischen Mädchen gezeigte eher zurückgezogene, ruhige und kontrollierte Verhalten entspricht der gesellschaftlichen Rollenerwartung als still, brav und bescheiden.
- Forschung: Erst in den letzten Jahren beschäftigt sich die Wissenschaft überhaupt mit Autismus bei Mädchen und Frauen. Daher sind die meisten diagnostischen Methoden nicht darauf ausgelegt, Autismus bei Frauen und Mädchen zu identifizieren.
- Komorbiditäten: Die Anstrengungen, in einer neurotypischen Welt zu leben, führen oft zu psychischen Problemen bei autistischen Menschen. Es wird geschätzt, dass zwischen 65 und 95 Prozent der autistischen Menschen an einer komorbiden psychischen Erkrankung leiden. Wenn undiagnostizierte Frauen professionelle Hilfe aufgrund ihrer psychischen Belastung aufsuchen, wird ihr Autismus häufig übersehen.
Symptome und Anzeichen von Autismus bei Frauen
Nachdem Symptome hauptsächlich an männlichen Autisten untersucht wurden, werden Symptomausprägungen bei Mädchen und Frauen oft nicht als solche wahrgenommen. Es ist wichtig zu betonen, dass Autismus ein breites Spektrum von Merkmalen umfasst und sich bei jedem Individuum unterschiedlich manifestieren kann, unabhängig von Geschlecht oder Geschlechtsidentität.
Die meisten autistischen Menschen zeigen drei Hauptmerkmale: Ihre sozialen Fähigkeiten sind gestört, Kommunikation und Sprache sind beeinträchtigt und sie zeigen wiederholte, stereotype Verhaltensweisen und spezielle Interessen. Art und Schweregrad der Symptome sind jedoch individuell unterschiedlich.
Lesen Sie auch: Anzeichen psychischer Belastung
Soziale Anpassung und Camouflage
Mädchen und Frauen mit Autismus zeigen oft bessere oberflächliche soziale Anpassung als männliche Autisten. Sie entwickeln oft Strategien um soziale Situationen besser zu navigieren. Viele Mädchen und Frauen beobachten andere Menschen sehr genau, um soziale Interaktionen zu analysieren und nachzuahmen und sich so besser den gesellschaftlichen Erwartungen anzupassen. Einige berichten beispielsweise Mimik, Gestik und Verhalten in sozialen Situationen anhand von Videos genau zu studieren und vor dem Spiegel einzuüben. Für die Diagnose von Autismus ist es also wichtig, hinter die Maskierung zu blicken. Mussten die sozialen Fertigkeiten mühsam erarbeitet werden? Wie anstrengend ist es, die Camouflage konstant aufrecht zu erhalten? Es ist zu beachten, dass die soziale Anpassung und das mimen neurotypischer Verhaltensweisen nicht immer ein bewusster Prozess ist.
Spezialinteressen
Eines der typisches Anzeichen für Autismus ist die intensive Beschäftigung mit Spezialinteressen. Die Spezialinteressen von Mädchen und Frauen sind häufig gesellschaftsfähiger als die von männlichen Autisten. Oft sind es Themen, die den weiblichen Rollenerwartungen entsprechen wie Tiere, Filme oder Stoffe. Die klassischen Diagnoseverfahren berücksichtigen meist nur stereotyp männliche Spezialinteressen wie Technik oder Autos, typisch weibliche Interessen werden gar nicht abgefragt. Um ein Spezialinteresse zu erkennen, sollte nicht im Fokus stehen, um welches Thema es sich handelt, sondern wie sich Personen damit beschäftigen.
Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung entwickeln oft ein großes Interesse an bestimmten Themen oder Objekten. Damit beschäftigen sie sich sehr intensiv und ungewöhnlich lange. Die Auswahl des Spezialinteresses hängt dabei von den Vorlieben und dem Entwicklungsstand der jeweiligen Person ab. Beispielsweise können sie von einem bestimmten Objekt fasziniert sein und sich stundenlang damit beschäftigen, einfach weil es sich gut anfühlt, schön aussieht oder angenehme Geräusche erzeugt. Manche beschäftigen sich besonders lange mit bestimmten Themengebieten und wollen alles darüber lernen.
Repetitive/stereotype Verhaltensweisen: Darunter versteht man bestimmte Handlungen, die immer wieder (auf dieselbe Art und Weise) wiederholt werden. Manche Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung zeigen auffällige Körperbewegungen, wie zum Beispiel mehrmaliges Flattern mit Armen oder ein Schaukeln des Oberkörpers. Außerdem bevorzugen sie fixe Abläufe und Strukturen, die für andere nicht immer Sinn ergeben. Bei einem Kind kann sich das beispielsweise so äußern, dass es darauf besteht, immer zur selben Zeit zu essen und das nur von einem roten Teller, immer denselben Weg zur Schule zu gehen oder das Spielzeug immer auf eine bestimmte Art zu ordnen.
Probleme einer späten Autismus-Diagnose
Wird Autismus nicht erkannt, kann dies bei den Betroffenen starkes Leid verursachen. Viele Frauen, die erst im Erwachsenenalter diagnostiziert wurden, berichten über ein konstantes Gefühl von Überforderung und Verwirrung. Sie fühlten sich schon in jungen Jahren anders und ausgeschlossen und hatten oft das Gefühl, niemals gut genug zu sein, obwohl sie große Anstrengungen unternahmen, sich anzupassen. Dies kann zu negativen Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl und die Identität sowie zu psychischen Problemen wie Depressionen führen. Undiagnostizierte Mädchen erhalten nicht die Unterstützung und Förderung, die ihnen helfen könnten, sich in ihrer Umwelt zurechtzufinden.
Lesen Sie auch: Was sind die Anzeichen einer Depression?
Besseres Verständnis, frühere Diagnose
Mit undiagnostiziertem Autismus zu leben hat negative Auswirkungen auf die Psyche und die Entwicklungsmöglichkeiten der Betroffenen. Es ist daher dringend notwendig das Verständnis von Autismus bei Frauen zu erhöhen, um ihnen die notwendige Unterstützung zu bieten, ihre individuellen Potenziale zu entfalten. Dafür sind mehr Forschung zu autistischen Mädchen und Frauen sowie eine erhöhte Sensibilisierung von Pädagogen und Gesundheitspersonal erforderlich.
Tabelle: Unterschiede in der Präsentation von Autismus zwischen Mädchen und Jungen
| Merkmal | Mädchen | Jungen |
|---|---|---|
| Soziale Anpassung | Bessere oberflächliche Anpassung, Maskierung | Offensichtlichere Schwierigkeiten |
| Spezialinteressen | Gesellschaftsfähiger, oft weiblich konnotiert (Tiere, Filme) | Oft technisch oder auf Objekte fokussiert (Technik, Autos) |
| Verhaltensweisen | Eher zurückgezogen, ruhig und kontrolliert | Auffälliger, unruhiger |
| Diagnose | Häufig übersehen oder spät diagnostiziert | Früher diagnostiziert |
Lesen Sie auch: Frühwarnzeichen von Depressionen