ADHS: Verschiedene Stufen und Therapieansätze

Diskussionen um AD(H)S, das Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom mit Hyperaktivität, verunsichern manche meist gestresste Eltern mit unruhigen und bewegungsfreudigen Kindern. Es besteht heute leider eine Tendenz, bewegungsfreudige, neugierige und kontaktfreudige Kinder skeptisch zu betrachten.

Kinder mit einer Aufmerksamkeitsstörung haben Probleme, ihre Aufmerksamkeit auf eine Sache zu lenken und zeigen auch manchmal überaktives und impulsives Verhalten, d. h., sie sind mehr in Bewegung und unkontrollierter in ihrem Verhalten als andere Kinder in ihrem Alter. Als Vater oder Mutter muss man sich allerdings bewusst sein, dass die Aufmerksamkeitsspanne und Bewegungsfreude von Kindern großen Schwankungen unterliegt und nicht jedes lebendige und aktive Kind leidet unter einer solchen Aufmerksamkeitsstörung.

Bevor man wissen kann, ob tatsächlich eine Störung vorliegt, muss man einige Dinge abklären: Wie lange tritt dieses Verhalten schon auf? Ist das Kind nur im Kindergarten oder in der Schule unaufmerksam bzw. überaktiv oder auch in anderen Bereichen? Könnten auch andere Gründe für die Unruhe vorliegen, etwa emotionale Belastungen oder Lernprobleme, zu wenig Schlaf, zu großer Medienkonsum? Besonders wichtig ist es, herauszufinden, ob ein Kind durch seine Aufmerksamkeitsprobleme Schwierigkeiten in seiner Entwicklung und in seinem Alltag erlebt und es dadurch zu einem Leidensdruck kommt. Nur eine kinderpsychologische Untersuchung kann feststellen, ob es sich tatsächlich um eine Aufmerksamkeitsstörung handelt bzw. kann Eltern auch helfen herauszufinden, wie ein Kind von seiner Familie am besten unterstützt werden kann.

Nach dem heutigen Stand der Wissenschaft ist ADHS eine genetisch mitbedingte neurobiologische Störung. Kinder mit ADHS haben statistisch häufiger auch einen Elternteil mit dieser Symptomatik, und neuere Studien liefern zumindest Hinweise, dass betroffene Kinder deutlich häufiger als andere Kinder manche DNA-Abschnitte besitzen, die entweder fehlen oder doppelt vorhanden sind, doch wird ADHS sicher nicht von einer einzelnen genetischen Veränderung verursacht, sondern von mehreren.

Bei Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen handelt es sich um eine komplexere psychische Störung (Syndrom), dessen Kernsymptomatik gestörte Aufmerksamkeitsleistungen sind. Etwa 3 bis 5 % der Grundschulkinder leiden darunter. Die Störung wird nach standardisierten Kriterien diagnostiziert, etwa Symptome der Unaufmerksamkeit, erhöhte Ablenkbarkeit, Vergeßlichkeit, Impulsivität, unbedachtes, risikoreiches Verhalten und der Hyperaktivität, motorische Unruhe, die in charakteristischer Ausprägung und in einem entwicklungsalterinadäquaten Ausmaß vorhanden sein müssen. Auf diese Störung wird allerdings von Experten nur dann erkannt, wenn diese Symptome länger als sechs Monate bestehen, sie vor dem Schuleintritt schon vorlagen und eine Reihe von Ausschlußkriterien - etwa reaktive Verursachung - nicht zutreffen.

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Im Internet kursieren zahlreiche Checklisten, mit denen man angeblich überprüfen kann, ob das Kind Anzeichen für Hyperaktivität zeigt. Wichtig ist dabei zu beachten, dass die Symptome der so genannten hyperkinetischen Störung oder des ADHS über einen längeren Zeitraum zu beobachten sind und für das Entwicklungsalter des Kindes untypisch sind. Auch müssen die Symptome in mehreren Lebensbereichen auftreten, zum Beispiel zu Hause und in der Schule.

Bei solchen Checklisten wäre es aber vor allem notwendig, das Alter des Kindes zu berücksichtigen, die Situation, in der das Verhalten gezeigt wird, die aktuelle Belastung des Erziehenden usw. Ob nämlich eine "Hyperaktivität" wahrgenommen wird, hängt sehr von der Person ab, die diese konstatiert.

Nach Friedrich (Universitätsklinik für Neuropsychiatrie des Kindes- und Jugendalters in Wien) werden pro Jahr etwa 2500 Kinder mit dem Verdacht aus ADHS vorgestellt. Darunter sind nur etwa 20 mit einem "echten" ADHS, also knapp 10 Promille! Eine medikamentöse Behandlung von Kindern mit hyperkinetischen Störungen sollte daher nur dann erfolgen, wenn sie sich auf eine Diagnostik stützt, die sich auf Untersuchungsbefunde zu störungsrelevanten körperlichen, kognitiven und psychischen Funktionen sowie sozialen Bindungen bezieht.

Deshalb sind eine somatisch-neurologische Untersuchung (Körpergröße, Körpergewicht, Herzfrequenz, Blutdruck), eine Labordiagnostik (Differenzialblutbild, Elektrolyte, Leberstatus, Schilddrüsen und Nierenfunktionswerte) ein Ruhe-EEG und eine kognitive Leistungsdiagnostik unerlässlich. Ergänzend notwendig ist eine orientierende Familiendiagnostik und Verhaltensanalyse.

Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) sieht die derzeitige Entwicklung mit Besorgnis, denn in vielen Fällen ist die Diagnosequalität bei ADHS äußerst mangelhaft. Eltern sollten sich bei der Diagnostik nicht allein auf die Aussage des Kinderarztes stützen. Wichtig sei eine differenzielle, aufwendige Diagnose durch einen Psychologen, bevor therapeutische Maßnahmen ergriffen werden, so Henri Viquerat. Dafür gebe es flächendeckend Früherkennungszentren und sozialpädiatrische Einrichtungen, in denen Psychologen, Ärzte und andere Berufsgruppen erfolgreich zusammenarbeiten. In diesen Einrichtungen würden Eltern beraten und Kinder psychologisch betreut. Beratung sei auch dann dringend geboten, wenn ein Kind nicht an ADHS leidet und mit den Eltern andere mögliche Ursachen für Verhaltensauffälligkeiten zu klären sind.

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Bei fast jedem Kind, das die meist schwammig formulierten und ubiquitären ADHS-Kriterien erfüllt, findet man andere Ursachen und Hintergründe, denn die ADHS-Diagnosekriterien sind multifaktoriell, d.h., eine ähnliche Symptomatik kann völlig unterschiedliche Ursachen haben. Es gibt daher nicht "das ADHS-Kind", sondern es gibt unruhige und unkonzentrierte sowie aggressive Kinder, bei denen ganz unterschiedliche Ursachen dahinterstecken. Wenn jemand spezielle Hilfe für sein Kind sucht, sollte dieser nicht zu einem ADHS-Spezialisten gehen, da man dann sofort in der Psychopharmaka-Sackgasse landet und überhaupt nicht herausfindet, was wirklich mit einer Kind und seiner Familie und seinem Umfeld los ist.

Besser ist als erstes eine Erziehungsberatungsstelle, weil die dortigen Fachleute ein breites Diagnosefeld abdecken und vor allem die sehr wichtigen familiendynamischen und systemischen Faktoren erkennen, die von Ärzten meistens sträflich ausgeblendet werden. Erziehungsberatungsstellen arbeiten in der Regel intensiv mit Kinderärzten, Schulen, Kindergärten und Jugendämtern zusammen. Es besteht allerdings das Risiko für Eltern, dass diese bei ihrer eigenen elterlichen und erzieherischen Verantwortung gepackt werden, denn diese können sich dann nicht einfach damit herausargumentieren, dass ihr Kind eine organische Krankheit ADHS hat, an der sie nicht beteiligt sind.

Therapieansätze und Unterstützungsmöglichkeiten

Normalerweise lernen Kinder von alleine aufmerksam zu sein und sich zu konzentrieren. Es gibt aber Kinder, die Unterstützung in Form einer gezielten Konzentrationsförderung benötigen. Konzentrationstrainings eignen sich insbesondere für Grundschüler mit Symptomen des Aufmerksamkeitsdefizit-Syndroms (ADHS) mit und ohne Hyperaktivität. Die dabei vermittelten Selbstinstruktionstechniken sind ein wirksames pädagogisch/psychologisches Mittel zur Steigerung von Konzentration, Aufmerksamkeit und Ausdauer. Ziel eines solchen Konzentrationstrainings ist es, dass das Kind Aufgaben zügiger und selbstständiger erledigt. Die Ablenkbarkeit wird geringer und das Kind erlernt eine systematischere Herangehensweise an Probleme.

Das Marburger Konzentrationstraining (MKT)

Das Marburger Training orientiert sich an der Methode der verbalen Selbstinstruktion nach Meichenbaum und Goodman, bei der sich das Kind Übungen zur Förderung der Wahrnehmung, der Genauigkeit, der Merkfähigkeit und des logischen Denkens erarbeitet. Beim MKT wird erwünschtes Verhalten gezielt mit verschiedenen Techniken aus der kognitiven Verhaltenstherapie gefördert.

Unter Anleitung erlernt das Kind, sich selbst Anweisungen zur Lösung der Aufgaben zu geben. Diese gesprochenen Selbstinstruktionen werden dann in ein inneres Sprechen überführt. Das Lernen am Modell und die Bekräftigung in Form von Lob und Ermutigung sind wesentliche Elemente dieser Methode.

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  1. Der Trainer führt die Aufgabe als Modell zunächst selbst durch.
  2. Nun führt das Kind die Aufgabe durch.
  3. Das Kind instruiert sich jetzt selbst laut.
  4. Am Ende des Konzentrationstrainings denkt das Kind die Instruktionen. Das laute Sprechen ist zum inneren Sprechen geworden.

Das MKT funktioniert bis zu einem Alter von etwa 11 oder 12 Jahren, also etwa bis zum Einsetzen der Pubertät. Danach sind andere Unterstützungsmaßnahmen sinnvoller, z.B. die Vermittlung spezieller Lerntechniken. Ein großer Vorteil dieses Verfahrens ist, dass Struktur und Inhalte des Trainings vollständig ausgearbeitet und zusammen mit allen notwendigen Materialien in Form eines Ordners erhältlich sind. Darin sind auch mehrere wissenschaftliche Studien beschrieben, die die Wirksamkeit des MKT belegen.

Ermahnungen bei unerwünschtem Verhalten nutzen meist wenig, sie steigern u.U. nur unnötig das Erregungsniveau. Bei nicht tolerierbaren Störungen können evtl. Beim Phasenwechsel oder wenn die Unruhe erkennbar im Steigen begriffen ist, kurze "Konzentrationsspielchen" einbauen. Ein eigener Arbeitsplatz kann hilfreich sein, um Stören durch ausufernde Unordnung von Materialien auf dem Tisch oder Zappeln zu vermeiden.

Neurofeedback

Neurofeedback ist eine weitere erfolgreiche Methode, das Problem ohne Medikamente (Ritalin) in den Griff zu bekommen. Dabei wird die willentliche Einflussnahme auf unbewusst ablaufende Vorgänge, wie z.B. die Veränderung der Hirnaktivität selbst herbei zu führen, gelernt. Mit Neurofeedback kann also die Konzentrationsfähigkeit verbessert werden. Dabei wurden die Gehirnwellen der Kinder aufgezeichnet. Diese sind bei Kindern mit ADD häufig gestört. Kinder hat gewissermaßen gelernt, sich selbst zu kontrollieren. Anregungen beeinflußt werden kann.

Die Auffassung von Ellinger et al. (2010) ist genuin eine Aufgabe der Schule. Unkonzentriertheit. Abwertungen der betroffenen Kinder. LehrerInnen, die total überfordert sind, zum Sündenbock gemacht. Die Außenseiterposition des Kindes ist damit vorprogrammiert.

Multimodale Therapie

Wurde ADHS oder ADS einmal als sehr wahrscheinlich eingestuft, sollte man an eine Besserung des Leidensdrucks also keinesfalls einseitig, sondern eben »vielseitig« herangehen, ohne das betroffene Kind zu überfordern. Es kann jeder noch so unwichtige Impuls den gerade aktuellen Gedanken auslöschen, quasi inexistent machen.

Also hilft man dem ADHS-Betroffenen dadurch ganz entscheidend, wenn man gewährleistet, dass ein und derselbe Prozess mit zwei oder mehreren Sinnen gleichzeitig wahrgenommen werden kann. Um mehrere Sinne miteinzubeziehen beschreibt unser Verhaltenspädagoge, Gerhard Spitzer, mehrere Stufen der Sinnes-Redundanz.

  1. Die liebevolle Bezugsperson ergreift gleichzeitig mit der Übergabe des Gegenstandes den Handrücken oder Unterarm des Gegenübers.
  2. Die Bezugsperson sieht noch während der Übergabe des Gegenstandes dem Gegenüber in die Augen.
  3. Zusätzlich kann die Bezugsperson auch die auditive Wahrnehmung mit einbeziehen. Zum Beispiel bietet sich hier eine Frage an: »Hast du es?« oder »Hältst du es für mich fest?«
  4. Schließlich kann quasi als »höchste Stufe« des Sinnes-Redundanz-Modells auch eine kognitive Leistung, beispielsweise als Antwort erwartet oder gefordert werden: »Ja ich habe es !« oder »Aber gerne! Ich halte es für dich!«.

So kann eine Kombination aus Muskeltonus, Tastsinn, Gehör und über das Fühlen der Haut (taktile Wahrnehmung), sowie sogar durch kognitive Leistung (z.B. eine logische Antwort) die Handlung in mehreren Sinnesebenen »abgespeichert« und damit auch nachhaltig wahrgenommen werden.

Weitere Therapieansätze

  • Spaziergänge im Grünen
  • Tierbegleitete Therapie
  • Homöopathie

Es ist belegt, dass viele Kinder mindestens einen Elternteil haben, der ebenfalls betroffen ist. Die Behandlung mit Medikamenten "heilt" nicht, sondern unterdrückt die Symptome, solange der Wirkstoff aktiv ist.

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