Hochbegabung: Ursachen, Definition und Einflussfaktoren

Hochbegabung ist eine weit über dem Durchschnitt liegende intellektuelle Begabung eines Menschen. Bei dem in der Psychologie am häufigsten verwendeten Modell ist dabei ein Intelligenzquotient (IQ) von 130 als Grenzwert das ausschlaggebende Kriterium. Hochbegabte sind selten, sie machen nur gut 2 % der Bevölkerung aus.

Ob jemand das Kriterium erreicht, hängt auch von dem konkret verwendeten Intelligenztest ab, da verschiedene Tests durch unterschiedliche Problemstellungen zu verschiedenen Ergebnissen führen können.

Kritiker bezeichnen Hochbegabung als Konstrukt. Es reduziere die intellektuelle Befähigung auf einen eindimensionalen Zahlenwert, behaupte, dass dieser per Intelligenztest gemessen werden könne und teile Menschen je nach Messergebnis in Gruppen von unterschiedlichem Wert ein. Sie verweisen stattdessen auf alternative Konzepte, die auch emotionale, sportliche, künstlerische, handwerkliche und ähnliche Leistungen als Grundlage einer Hochbegabung anerkennen.

Hochbegabte Kinder gelten als anfällig für Minderleistung und problematisches Sozialverhalten. Eltern verwechseln daher bei ihren Kindern oft Lernbehinderungen und Verhaltensstörungen mit Hochbegabung.

Definition von Hochbegabung

Eine Definition von Hochbegabung bezeichnet im engeren Modell ein weit über dem Durchschnitt liegendes Maß an Intelligenz. Intelligenztests werden so gestaltet, dass sich bei Anwendung der Tests auf eine zufällig gezogene Stichprobe näherungsweise eine Normalverteilung mit einem Mittelwert von 100 und einer Standardabweichung von 15 ergibt. In anderen Ländern, etwa den USA, werden regional Skalen mit einer von 15 verschiedenen Standardabweichung verwendet. (Die Werte dieser Skalen können auf die in Deutschland verwendete Skala umgerechnet werden.)

Lesen Sie auch: Wirkung von Medikamenten auf oppositionelles Verhalten bei ADHS

In der differentiellen Psychologie gelten nach der häufigsten Definition Menschen als hochbegabt, deren Testergebnisse bei einem Intelligenztest den Mittelwert um mehr als zwei Standardabweichungen übertreffen. Dies sind also Menschen, die einen IQ erreichen, der von höchstens 2,2 % ihrer Mitmenschen erreicht oder übertroffen wird. Auf der in Deutschland verwendeten Skala entspricht dieser Grenzwert einem IQ-Wert von 130.

Andere Skalen verwenden bei äquivalenten Testergebnissen andere IQ-Werte, weshalb es bei Vergleichen stets wichtig ist, die zugrunde gelegte Skala und das Testverfahren zu kennen.

Da sich die Intelligenz der Bevölkerung im Laufe der Zeit verändern kann, müssen IQ-Tests regelmäßig neu geeicht werden. Würde ein nach Maßstäben der 1990er-Jahre Normalbegabter mit Menschen zu Anfang des 20. Jahrhunderts verglichen, würde er im Vergleich als hochbegabt gelten. Wenn sich hingegen amerikanische Kinder von 1932 einem Intelligenztest aus den 1990er-Jahren unterzögen, läge der Durchschnitts-IQ laut einer Schätzung von Ulric Neisser bei 80. Gleichwohl gab es zu beiden Zeiten den gleichen Anteil Hochbegabter an der Bevölkerung. Intelligenzwerte sind daher nur innerhalb eines Landes und innerhalb einer Generation direkt vergleichbar.

Daneben gibt es einen dynamischen, weiter gefassten Hochbegabungsbegriff, der neben der Intelligenz auch die für die Umsetzung relevanten Kompetenzen mit einbezieht (Albert Ziegler und andere) und stärker die Wechselwirkung von Fähigkeitenentwicklung und Umwelt betont. Dieses Intelligenzmodell basiert auf Annahmen der Expertiseforschung.

Von Hochbegabung abzugrenzen ist der Begriff der Hochleister (engl. Overachiever), der auf Personen angewendet wird, die in einem bestimmten Bereich hohe Leistungen erzielen.

Lesen Sie auch: Mehr über die ADHS-Trainer Ausbildung

So hat die psychologische Expertiseforschung ergeben, dass beispielsweise Schachspieler nicht über allgemein überlegene Gedächtnisfähigkeiten verfügen und Unterschiede in Hirnaktivitäten bei Musikern ebenso gut Folge wie Ursache der Tätigkeit sein können. Deswegen wird in diesem Bereich häufig von partieller Begabung oder Teilbegabung gesprochen.

Der Begriff der Höchstbegabung, der manchmal im Kontext mit IQ-Werten verwendet wird, ist wissenschaftlich nicht einheitlich definiert und auch nicht gebräuchlich. Laut der bekanntesten Definition gilt ein Mensch als höchstbegabt, wenn sein IQ-Wert über dem von 99,9 % der Bevölkerung liegt, also 145 oder mehr beträgt.

Es ist zum einen umstritten, ob sich solche Werte überhaupt sicher messen lassen (Deckeneffekt), zum anderen ist die Relevanz dieses Begriffes fraglich. Gelegentlich wird er von Laien synonym zu 'Hochbegabung' verwendet. Zu berücksichtigen ist auch, dass die IQ-Tests auf den Normwert, also 100, „geeicht“ sind; der Messfehler wird größer, je höher der „gemessene“ Intelligenzquotient ist.

Hochbegabung wird rein quantitativ definiert, weil es bis jetzt nicht gelungen ist, qualitative Unterschiede in der kognitiven Leistungsfähigkeit zwischen Hochbegabten und durchschnittlich Begabten, die einer Replikation standhalten, ausfindig zu machen.

Es wird von Kritikern oft angemerkt, dass es sich bei Hochbegabung wie auch Intelligenz um ein Konstrukt handelt, das über Operationalisierungen erschlossen wird. Ferner wird befürchtet, dass Intelligenztests Mittelschichtkinder bevorzugen, da die Intelligenzforscher (die selbst Personen aus der Mittelschicht sind) Dinge abfragen würden, die typisch für die Kultur dieser Schicht seien.

Lesen Sie auch: Unruhige Beine bei ADHS?

So sind Unterschichtkinder, Arbeiterkinder und Kinder aus bestimmten ethnischen Gruppen nur selten hochbegabt im Sinne der Definition, also einem guten Abschneiden bei IQ-Tests. Kritiker argumentieren, dass der Test ihre tatsächlichen Fähigkeiten nicht zureichend abbilde.

In der Umgangssprache werden hochbegabte Kinder mit herausragenden Fähigkeiten in speziellen Disziplinen häufig als Wunderkinder bezeichnet.

Ursachen von Hochbegabung

Es gibt keinen Konsens in Forschung und Lehre über die genauen Ursachen von Hochbegabung. Allgemein wird angenommen, dass es sich um die Kombination verschiedener günstiger Faktoren handelt.

Auch wenn ein gesicherter Zusammenhang zwischen Intelligenz und genetischer Veranlagung besteht, spielt das soziale Umfeld, vor allem während der Kindheit, eine große Rolle bei der Intelligenzentwicklung.

Erblichkeitsschätzungen für die Intelligenz variieren von Studie zu Studie. Je besser die Umweltbedingungen sind, unter denen die betrachteten Personen leben, desto größer wird die Rolle der Gene.

Auch für das Wachstumshormon IGF-1 wird ein Zusammenhang vermutet. Kinder älterer Mütter haben häufig einen hohen Spiegel dieses Hormons und tatsächlich konnte nachgewiesen werden, dass Kinder älterer Mütter tendenziell intelligenter sind.

Eine Förderung der Intelligenz durch gezielte Dosen des Hormons erscheint nicht sinnvoll, da ein hoher IGF-1-Spiegel mit Erkrankungen wie Krebs und Schizophrenie in Verbindung gebracht wird.

Genetische Einflüsse

In der Fachwelt besteht ein weitgehender Konsens darüber, dass Hochbegabung eine genetische Komponente aufweist. Umstritten ist hierbei der Anteil dieser Komponente, wobei erschwerend hinzukommt, dass die Expression bestimmter Gene wiederum von Umwelteinflüssen abhängen kann. Interessant sind insoweit insbesondere Zwillingsstudien und Adoptionsstudien.

Allerdings ist Intelligenz und somit auch Hochbegabung nicht durch ein einzelnes Mastergen zu erklären, sondern es spielen wahrscheinlich eine Vielzahl von Genen eine Rolle.

So identifizierten Forscher insgesamt 47 Genabschnitte, die mit der Ausprägung der kognitiven Fähigkeiten korrelierten. Jedoch trägt keine dieser Genvarianten mehr als 0,4 Prozent zur Intelligenz bei. So steuerten die sechs einflussreichsten Genvarianten zusammengenommen lediglich etwas mehr als ein Prozent zur Ausprägung der Intelligenz eines Individuums bei.

Einige dieser Gene zeigen auch einen Zusammenhang mit Schizophrenie.

Während umstritten ist, zu wie viel Prozent die Intelligenz genetisch bedingt ist, ist unumstritten, dass sich die genetischen Einflüsse mit zunehmendem Lebensalter immer stärker auf die Intelligenz auswirken.

Eine Studie von Plomin und DeFries zeigte etwa, dass der „Verbal Ability Score“ (sprachliche Fähigkeiten, sprachliche Intelligenz) von dreijährigen adoptierten Kindern sowohl mit den sprachlichen Fähigkeiten der leiblichen Eltern als auch mit den sprachlichen Fähigkeiten der Adoptiveltern korreliert. Dabei ist in so jungem Alter jedoch die Korrelation mit dem Score der Adoptiveltern stärker. Im Alter von 16 Jahren jedoch hat die Korrelation mit dem Score der Adoptiveltern abgenommen und die Korrelation mit dem Score der leiblichen Eltern ist stark angestiegen. Die verbalen Fähigkeiten der leiblichen Eltern eines Kindes erlauben eine weit bessere Vorhersage seines Verbal Ability Scores im Alter von 16 Jahren, als dies die sprachliche Intelligenz seiner Adoptiveltern tut.

Es existiert auch ein Zusammenhang mit dem Geschlecht: Obwohl der Mittelwert der Intelligenzquotienten von Frauen und Männern gleich ist, zeigen die Intelligenzwerte der Männer eine breitere Streuung. Dies bedeutet, dass es bei Männern sowohl mehr Hochbegabte als auch mehr Fälle mit besonders geringem IQ gibt.

Einflüsse der Umwelt

Es konnte gezeigt werden, dass verschiedene Umwelteinflüsse den IQ-Wert positiv oder negativ beeinflussen können. Da die Intelligenz in direktem Zusammenhang mit einer Hochbegabung steht, können diese Einflüsse die Entwicklung einer Hochbegabung ebenso fördern oder behindern.

Einige Studien legen nahe, dass der Einfluss des sozialen Umfeldes weitaus größer ist als der von genetischen Faktoren.

Die soziale Herkunft, vor allem der sozioökonomische Status der Eltern, bestimmt die Intelligenzentwicklung des Kindes mehr als alle bisher erfassbaren Risikofaktoren vor und während der Geburt. Unberücksichtigt bleiben dabei eindeutige Risikokonstellationen vor und während der Geburt, etwa Hypoxie, Medikamentenmissbrauch, erhöhter Alkohol- oder Drogenkonsum der Mutter, prä- oder perinatale Infektionen.

Der durchschnittliche IQ armer Kinder liegt ungefähr 6 bis 13 Punkte unter dem wohlhabender Altersgenossen.

Unterschichtskinder bleiben intelligenzmäßig nicht nur hinter den Mittelschichtskindern zurück, sondern sie verschlechtern sich im Laufe der Jahre sogar noch im Vergleich zu ihrem eigenen früheren Intelligenzzustand. Dies geht aus vielen Untersuchungen hervor, die schulische und intelligenzmäßige Entwicklung von Unterschicht- und Mittelschichtkindern längsschnittlich verfolgt haben.

Der gesellschaftliche Status der Eltern eines jungen Kindes erlaubt sogar eine bessere Vorausschätzung für dessen Intelligenz in der späteren Kindheit als die in der frühen Kindheit gemessene Intelligenz selbst.

Soziale Belastungen in den unteren sozialen Schichten, etwa eine kritische finanzielle Situation (bis hin zu Armut) oder schlechte Wohnbedingungen, können dazu führen, dass die Bedürfnisse der Kinder nicht befriedigt werden, wodurch sie ihr mutmaßliches intellektuelles Potential nicht erreichen können.

Hochbegabte Kinder haben daher häufiger Eltern mit überdurchschnittlichem Einkommen.

Es zeigte sich jedoch in anderen Studien, dass allein der Faktor Armut noch nicht den IQ senkt. Vielmehr kommt dieser negative Effekt erst beim gleichzeitigen Vorliegen anderer Risikofaktoren zustande. Risikofaktoren sind oft korreliert, das bedeutet, dass sie oft zusammen auftreten. Ein oder zwei Risikofaktoren haben nur eine sehr geringe Auswirkung auf die kognitive Entwicklung, kommen jedoch weitere hinzu, so zeigen sich starke Auswirkungen. Kinder, die sogar von acht bis neun Risikofaktoren betroffen waren, hatten einen im Schnitt um 30 Punkte geringeren IQ als Kinder ohne Risikofaktoren.

Das Sprachumfeld spielt ebenfalls eine wichtige Rolle und korreliert eng mit dem sozialen Status der Eltern. In einer Studie wurde ermittelt, dass Eltern aus der Mittel- und Oberschicht wesentlich häufiger und deutlich mehr mit ihren Kindern sprachen als solche aus der Unterschicht und dass sie zudem komplexere Sätze bildeten. Dies hat den Autoren zufolge einen enormen Einfluss auf die Intelligenzentwicklung, der IQ der benachteiligten Kinder lag bei durchschnittlich 79, während die sozial gut gestellten Kinder, mit denen viel geredet wurde, im Durchschnitt auf 117 kamen.

Nicht zu unterschätzen ist die Rolle des elterlichen Erziehungsverhaltens. Längsschnittuntersuchungen zeigen, dass deutliche Intelligenzunterschiede zwischen Kindern, deren Eltern Wert auf intellektuelle Leistungen legen, und Kindern von Eltern, die das nicht tun, messbar sind. Die erste Gruppe von Kindern war intelligenter. Eine andere Untersuchung zeigt, dass die Kinder von Eltern, die ein warmherziges und demokratisches Erziehungsverhalten an den Tag legten, intelligenter waren als Kinder von Eltern, die sich autoritär und strafend verhielten.

Auch die Ernährung scheint einen Einfluss auf die Intelligenzentwicklung zu haben: Schon in der Schwangerschaft kann eine Mangelernährung der Mutter (etwa zu wenig Jod) die spätere Intelligenz des Kindes senken. Unterernährung, vor allem in der frühen Kindheit, hat gravierende Folgen für die Intelligenzentwicklung und auch das Sozialverhalten.

Eine Studie von 1972 ermittelte einen Durchschnitts-IQ von 58 für Kinder, die während der ersten zwei Lebensjahre stark unterernährt waren. Allerdings lässt sich dieser Einfluss kompensieren, wenn die Kinder (etwa durch Adoption) in ein besseres Umfeld kommen, so dass selbst stark unterernährte Kinder einen durchschnittlichen IQ erreichen.

Es konnte auch nachgewiesen werden, dass Stillen einen signifikanten, positiven Einfluss auf den IQ hat – jedoch anscheinend nur, wenn beim Säugling eine bestimmte Variante des Gens FADS2 vorliegt.

Bei extrem vernachlässigten Kindern, die in einer Pflege- oder Adoptivfamilie platziert wurden, lassen sich oft sehr starke Veränderungen im IQ beobachten. Als klassische Fallbeispiele gelten die „Wolfskinder“ Andrei und Vanya sowie Isabelle.

Theoretische Modelle

Es gibt eine Reihe von Modellen zur Hochbegabung, die sich zumeist mit der konkreten Verarbeitung von Informationen und Lernprozessen auseinandersetzen und weniger an genauen Ursachen interessiert sind.

Eine Ausnahme bildet das triadische Interdependenzmodell nach Franz-Josef Mönks (1994). Es benennt als die wichtigsten Faktoren zur Herausbildung einer Hochbegabung zum einen das soziale Umfeld, insbesondere Familie, Freunde und Schule, zum anderen die persönlichen Eigenschaften Motivation, Kreativität und besondere intellektuelle Fähigkeiten, allgemein als Intelligenz bezeichnet. Erst wenn diese zusammentreffen, wird eine Hochbegabung wahrscheinlich. Konkret bedeutet dies, dass das soziale Umfeld anregend und ermutigend auf das Kind wirken muss; auch Förderung und Unterstützung sind wichtig. Gleichermaßen muss das Kind den Willen haben, sein Potential konsequent auszuschöpfen.

Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen

Menschen mit Persönlichkeitsstörungen stellen Therapeuten oft vor schwierige Aufgaben, da sie zumeist kaum Änderungsmotivation oder Problembewusstsein aufweisen, Therapeuten in problematische Interaktionen und Manipulationen verwickeln sowie diese testen.

Das Buch zeigt auf, wie mit diesen speziellen Herausforderungen umgegangen werden kann, indem aus einem allgemeinen Störungsmodell der Persönlichkeitsstörungen therapeutische Prinzipien und Strategien für einen erfolgreichen Therapieprozess abgeleitet werden. Ein Schwerpunkt liegt auf der Beobachtung und dem gezielten Einsatz non- und paraverbaler Signale. Die praktischen Hilfestellungen werden mit zahlreichen Beispielen untermalt.

Details:

  • ISBN/EAN: 978-3-17-039762-0
  • Produktart: Buch
  • Einband: Kartoniert, Paperback
  • Format: Pappband
  • Erscheinungsdatum: 03.11.2021
  • Seiten: 174 Seiten
  • Sprache: Deutsch
  • Illustrationen: 3 Abbildungen, 7 Tabellen

tags: #adhs #test #erwachsene #bochum