Anaklitische Depression: Symptome, Ursachen und Behandlung

Die Depression ist eine psychische Störung, die durch gedrückte Stimmung, negative Gedankenschleifen und einen gehemmten Antrieb gekennzeichnet ist. Häufig gehen Freude und Lustempfinden, Selbstwertgefühl, Leistungsfähigkeit, Einfühlungsvermögen und das Interesse am Leben verloren. Diese Symptome treten auch bei gesunden Menschen zeitweise auf, sind aber bei einer Depression länger vorhanden, schwerwiegender ausgeprägt und senken deutlich die Lebensqualität.

Im alltäglichen Sprachgebrauch wird der Begriff depressiv häufig für eine normale Verstimmung verwendet. Im medizinischen Sinne ist die Depression jedoch eine ernste, behandlungsbedürftige und oft folgenreiche Erkrankung, die sich der Beeinflussung durch Willenskraft oder Selbstdisziplin des Betroffenen entzieht.

Verbreitung

In einer internationalen Vergleichsstudie von 2011 betrug die Lebenszeitprävalenz in Ländern mit hohem Einkommen 14,6 % und in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen 11,1 %. Das Verhältnis von Frauen zu Männern war ungefähr 2:1.

Eine Metaanalyse von 26 Studien ergab für die Altersgruppe unter 13 eine Prävalenz von 2.8 % und für die Altersgruppe 13-18 eine von 5,6 % (Mädchen 5,9 %, Jungen 4,6 %).

Anzeichen und Symptome

Im Jahre 2011 wurde von mehreren Fachgesellschaften eine Versorgungsleitlinie zum Thema Depression erarbeitet. Sie empfiehlt, zur Diagnose nach ICD-10 zwischen drei Haupt- und sieben Zusatzsymptomen zu unterscheiden.

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Hauptsymptome:

  • Gedrückte, depressive Stimmung: Die Depression ist charakterisiert durch Stimmungseinengung oder bei einer schweren Depression dem „Gefühl der Gefühllosigkeit“ bzw. dem Gefühl anhaltender innerer Leere.
  • Interessensverlust und Freudlosigkeit: Verlust der Fähigkeit zu Freude oder Trauer; Verlust der affektiven Resonanz, das heißt, die Stimmung des Patienten ist durch Zuspruch nicht aufzuhellen
  • Antriebsmangel und erhöhte Ermüdbarkeit: Ein weiteres typisches Symptom ist die Antriebshemmung. Bei einer schweren depressiven Episode können Betroffene in ihrem Antrieb so stark gehemmt sein, dass sie auch einfachste Tätigkeiten wie Körperpflege, Einkaufen oder Abwaschen nicht mehr verrichten können.

Zusatzsymptome:

  • verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit
  • vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
  • Schuldgefühle und Gefühle von Minderwertigkeit
  • negative und pessimistische Zukunftsperspektiven: Charakteristisch sind übertriebene Sorge um die Zukunft, unter Umständen übertriebene Beunruhigung durch Bagatellstörungen im Bereich des eigenen Körpers (siehe Hypochondrie), das Gefühl der Hoffnungslosigkeit, der Hilflosigkeit oder tatsächliche Hilflosigkeit
  • Suizidgedanken oder -handlungen: Schwer Betroffene empfinden oft eine völlige Sinnlosigkeit ihres Lebens. Häufig führt dieser qualvolle Zustand zu latenter oder akuter Suizidalität.
  • Schlafstörungen
  • verminderter Appetit

Ferner kann zusätzlich noch ein somatisches Syndrom vorliegen:

  • Interessenverlust oder Verlust der Freude
  • mangelnde Fähigkeit, emotional auf die Umwelt zu reagieren
  • frühmorgendliches Erwachen: Der Schlaf ist gestört in Form von vorzeitigem Erwachen, mindestens zwei Stunden vor der gewohnten Zeit. Diese Schlafstörungen sind Ausdruck eines gestörten 24-Stunden-Rhythmus.
  • Morgentief: Häufig geht es dem Kranken vormittags besonders schlecht. Bei einer seltenen Krankheitsvariante verhält es sich umgekehrt: Es tritt ein sogenanntes „Abendtief“ auf, das heißt, die Symptome verstärken sich gegen Abend und das Einschlafen ist erschwert oder erst gegen Morgen möglich.
  • psychomotorische Hemmung oder Agitiertheit: Die Hemmung von Bewegung und Initiative geht häufig mit innerer Unruhe einher, die körperlich als ein Leidgefühl wahrgenommen wird und sehr quälend sein kann (stumme Exzitation, lautlose Panik).
  • deutliche Appetitlosigkeit, Gewichtsabnahme, Gewichtszunahme („Kummerspeck“), Auch kann sich das sexuelle Interesse vermindern oder erlöschen (Libidoverlust).

Depressive Erkrankungen gehen gelegentlich mit körperlichen Symptomen einher, sogenannten Vitalstörungen, Schmerzen in ganz unterschiedlichen Körperregionen, am typischsten mit einem quälenden Druckgefühl auf der Brust. Während einer depressiven Episode ist die Infektionsanfälligkeit erhöht. Beobachtet wird auch sozialer Rückzug, das Denken ist verlangsamt (Denkhemmung), sinnloses Gedankenkreisen (Grübelzwang), Störungen des Zeitempfindens. Häufig bestehen Reizbarkeit und Ängstlichkeit. Hinzukommen kann eine Überempfindlichkeit gegenüber Geräuschen.

Schweregrad

Der Schweregrad wird nach ICD-10 gemäß der Anzahl Symptome eingeteilt:

  • Leichte Depression: zwei Hauptsymptome und zwei Zusatzsymptome
  • Mittelschwere Depression: zwei Hauptsymptome und drei bis vier Zusatzsymptome
  • Schwere Depression: drei Hauptsymptome und fünf oder mehr Zusatzsymptome

Geschlechtsunterschiede

Die Symptomatik einer Depression kann sich bei Frauen und Männern auf unterschiedliche Weise ausprägen. Bei den Kernsymptomen sind die Unterschiede gering. Während bei Frauen eher Phänomene wie Mutlosigkeit und Grübeln verstärkt zu beobachten sind, gibt es bei Männern deutliche Hinweise darauf, dass eine Depression sich auch in einer Tendenz zu aggressivem Verhalten niederschlagen kann.

Anaklitische Depression

Eine Sonderform der Depression ist die anaklitische Depression (Anaklise = Abhängigkeit von einer anderen Person) bei Babys und Kindern, wenn diese allein gelassen oder vernachlässigt werden. Die anaklitische Depression äußert sich durch Weinen, Jammern, anhaltendes Schreien und Anklammern und kann in psychischen Hospitalismus übergehen.

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Diese Art der Depression beobachtete der Entwicklungsforscher René Spitz bei Säuglingen in Heimen und Krankenhäusern im letzten Jahrhundert. Kinder im ersten Lebensjahr, die drei bis fünf Monate oder länger von ihrer Bezugsperson getrennt sind, zeigen starke körperliche und seelische Beeinträchtigungen. Die Bindung spielt gerade in den ersten Jahren der Entwicklung eine entscheidende Rolle. Auch bei medizinisch guter Versorgung verkümmern Kinder, wenn sie keine Liebe und Geborgenheit erfahren.

In der ersten Zeit der Trennung weinen die Säuglinge viel, später verweigern sie den Kontakt zu anderen Personen. Dauert die Trennung länger an, verschlimmert sich die Depression. Die Kinder weinen nicht mehr und verhalten sich apathisch. Sie zeigen kaum Gesichtsausdruck und interagieren nicht mit anderen Menschen. Säuglinge mit einer anaklitischen Depression haben eine höhere Krankheitsanfälligkeit und die körperliche Entwicklung verlangsamt sich. Haben Kinder länger als fünf Monate keine Bezugsperson, besteht die Gefahr, dass sie sterben.

Ursachen von Depressionen bei Kindern und Jugendlichen

Ob Kind oder Erwachsener - die Mechanismen der Depressionen sind noch immer nicht vollständig geklärt. Es handelt sich jedoch um ein komplexes Zusammenspiel aus genetischen, anderen biologischen und Umwelteinflüssen.

Genetische Einflüsse

Die Gene spielen sicher eine Rolle bei der Entstehung einer Depression. Bei Kindern, deren Eltern unter Depressionen leiden, ist das Risiko, ebenfalls zu erkranken, deutlich erhöht.

Umweltfaktoren

Man geht jedoch inzwischen davon aus, dass es letztlich Umweltfaktoren sind, die maßgeblich dazu beitragen, dass Depressionen bei Kindern ausbrechen. Bei Kindern spielt die Familie eine entscheidende Rolle. Leistungsdruck, Scheidung oder Tod der Eltern, aber auch Hänseleien in der Schule, Armut und sexueller Missbrauch gelten als mögliche Auslöser depressiver Erkrankungen. Dabei ist nicht nur die Stärke der Belastung ausschlaggebend, sondern auch, wie gut das Kind gelernt hat, Krisen zu verarbeiten, Probleme zu lösen oder sich Hilfe zu suchen.

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Risikophase Pubertät

Häufiger als bei Kindern sind Depressionen bei Jugendlichen. Die Pubertät birgt ein besonderes Risiko. Diese Zeit ist mit vielen Veränderungen, großen Herausforderungen und dadurch mit einem erhöhten Stresslevel verbunden. Jugendliche sind auf der Suche nach ihrer eigenen Identität, sie grenzen sich stärker von den Eltern ab und suchen Zugehörigkeit bei den Gleichaltrigen ("Peers"). Auch der Körper und das äußere Erscheinungsbild verändern sich stark in dieser Zeit.

Eine große Rolle spielen vermutlich darüber hinaus die hormonellen Turbulenzen in dieser Lebensphase. Die großen Verunsicherungen, die der Umbruch mit sich bringt, tragen zum Ausbruch einer Depression bei Jugendlichen bei.

Diagnose

Da die Depression eine sehr häufige Erkrankung ist, sollte sie bereits vom Hausarzt erkannt werden, was aber nur in etwa der Hälfte aller Fälle gelingt. Manchmal wird die Diagnose erst von einem Psychiater oder psychologischen Psychotherapeuten gestellt.

Verbreitete Verfahren zur Einschätzung des Schweregrades einer depressiven Episode sind die Hamilton-Depressionsskala (HAMD), ein Fremdbeurteilungsverfahren, das Beck-Depressions-Inventar (BDI), ein Selbstbeurteilungsverfahren, und das Inventar depressiver Symptome (IDS), welches in einer Fremd- und einer Selbstbeurteilungsversion vorliegt.

Mitunter wird eine Depression von einer anderen Erkrankung überdeckt und nicht erkannt. In der ICD-10 fallen Depressionen unter den Schlüssel F32.- und werden als „depressive Episode“ bezeichnet. Im Falle sich wiederholender Depressionen werden diese unter F33.- klassifiziert, bei Wechsel zwischen manischen und depressiven Phasen unter F31.-. Die ICD-10 benennt drei typische Symptome der Depression: depressive Stimmung, Verlust von Interesse und Freude sowie eine erhöhte Ermüdbarkeit.

Für Kinder und Jugendliche gelten die gleichen Diagnoseschlüssel wie für Erwachsene. Allerdings kann bei Kindern eine ausgesprochene Verleugnungstendenz vorliegen, und sie können große Schamgefühle haben. In einem solchen Fall kann Verhaltensbeobachtung und die Befragung der Eltern hilfreich sein. Hierbei wird häufig auch die familiäre Belastung in Hinblick auf depressive Störungen sowie anderen Störungen exploriert.

Zu den weiteren diagnostischen Schritten kann auch eine Befragung der Schule oder des Kindergartens hinsichtlich der Befindlichkeit des Kindes oder Jugendlichen zählen. Häufig wird auch eine orientierende Intelligenzdiagnostik durchgeführt, welche eine eventuelle Über- oder Unterforderung aufdecken soll.

Behandlung

Ist die Depression bei einem Kind erst einmal erkannt, lässt sie sich entsprechend behandeln. Antidepressiva holen viele kleine Patienten mit schweren Depressionen aus dem "schwarzen Loch" heraus. Sie werden allerdings nur mit äußerster Umsicht und ergänzend zu anderen therapeutischen Maßnahmen eingesetzt. Abhängig machen Antidepressiva nicht.

Problematisch ist aber, dass viele Mittel gegen Depressionen, die Erwachsenen helfen, für die Behandlung von Kindern noch nicht ausreichend untersucht sind. Vor allem bei sehr jungen Kindern ist der Einfluss von Medikamenten und Therapien bisher zu wenig erforscht worden.

Daher sollten Kinder mit einer leichten bis mittleren Depression bevorzugt mittels einer Psychotherapie behandelt werden. Psychotherapeuten sind wichtige Begleiter auf dem Weg aus der Depression. Meist empfiehlt es sich, Familienmitglieder im Rahmen einer Familientherapie mit einzubeziehen.

Für jüngere Kinder kommt eine Spieltherapie infrage: Sicherheit und Selbstbewusstsein werden durch das Spielen in geschützter Umgebung gestärkt und neue Verhaltensmöglichkeiten spielerisch erprobt.

Bei älteren Kindern und Jugendlichen eignet sich die Kombination aus kognitiver Verhaltenstherapie und Medikamenten ebenso bei schwerer Depression. Jugendliche werden im Rahmen einer Verhaltenstherapie dazu angeregt, den Teufelskreis der Depression zu durchbrechen, neue Denkmuster zu entwickeln und Techniken zum Lösen von Problemen zu entdecken. So sind sie in Zukunft für den Umgang mit Krisen besser gerüstet.

Verlauf und Vorbeugung

Wichtig ist, dass Eltern, Erzieher und Lehrer wachsam sind und die verwirrend vielfältigen Anzeichen für Depressionen bei Kindern richtig deuten lernen. Wer den Verdacht hat, sein Kind sei depressiv, ist gut beraten, möglichst schnell kompetente Hilfe zu suchen. Denn Depressionen sind ernst zu nehmende psychische Erkrankungen.

Es gibt keine Möglichkeit, das Entstehen einer Depression von Kindern und Jugendlichen sicher zu verhindern. Bekannt ist, dass eine gute Beziehung zu den Eltern, die Rückhalt und Liebe vermitteln, Kinder vor Depressionen möglicherweise schützt. Eltern, die ausreichend Nestwärme und Geborgenheit gewährleisten, leisten damit einen Beitrag, um einer Depression bei ihren Kinder vorzubeugen.

Ebenso wirken ein gutes soziales Netz, Freundschaften und soziale Integration dem Entstehen von Depressionen von Jugendlichen in vielen Fällen entgegen.

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