Wie entsteht eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)?

Ein Trauma verändert das Leben. Viele Betroffene kämpfen mit Symptomen, die sie selbst kaum verstehen - und die im Außen selten richtig gesehen werden.

Die gute Nachricht ist: PTBS ist behandelbar. Was genau ist eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), und wie entsteht sie?

Was ist eine Posttraumatische Belastungsstörung?

Fabienne Urschinger: PTBS ist eine psychische Erkrankung, die nach extremen Belastungen oder lebensbedrohlichen Ereignissen entstehen kann. Entscheidend ist dabei weniger das Ereignis selbst, viel mehr die individuelle Reaktion darauf: wird das Nervensystem überfordert, kommt es zu Traumafolgesymptomen - eigentlich zu klugen Überlebensstrategien, die im „Heute“ aber Probleme bereiten.

Das Gehirn kann das sichere Hier und Jetzt nicht vom gefährlichen Dort und Damals unterscheiden, was zu fehlender emotionaler und zeitlicher Einbettung der Erinnerung führt.

Sophie Heidler: Diese fehlende Integration zeigt sich in Flashbacks, Albträumen und körperlicher Übererregung. Ganz wichtig ist zu verstehen: Betroffene sind nicht „verrückt“, sondern reagieren normal auf extrem anormale Situationen. PTBS ist eine nachvollziehbare, behandelbare Reaktion, kein persönliches Versagen.

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Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist eine psychische Erkrankung, die durch ein erlebtes Trauma (wie Gewalt, Krieg, Naturkatastrophe) entsteht.

Definition des Traumas

Der Begriff Trauma stammt aus dem Griechischen und bedeutet "Wunde" oder "Niederlage". Ein Trauma beschreibt also eine sehr belastende Situation, in der sich der Betroffene ausgeliefert und hilflos fühlt. Damit sind keine normalen, wenn auch schmerzlichen Lebenssituationen wie etwa der Arbeitsplatzverlust oder der Tod von Angehörigen gemeint.

Verursacht werden posttraumatische Belastungsstörung durch außergewöhnliche und extreme Notlagen.

Ausgelöst durch überwältigende Ereignisse (z.B. Gewalttat, Krieg oder Katastrophe), die eine Bedrohung für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit des Betroffenen oder einer nahestehenden Person darstellt.

Nicht immer muss das traumatische Ereignis außerhalb normaler menschlicher Erfahrungen liegen. Auch Unfälle (z.B. beim Sport oder im Straßenverkehr) können sich etwa traumatisierend auswirken.

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Unterschiedlichste schreckliche Geschehnisse können traumatisierend wirken. Ein Trauma geschieht unerwartet - eine Vorbereitung ist daher nicht möglich. Betroffene Menschen sind Erfahrungen von extremer Angst, Kontrollverlust und Ohnmacht ausgesetzt.

In großen Stresssituationen hat der Mensch instinktiv den Impuls, entweder zu fliehen oder zu kämpfen. Ist beides nicht möglich, erscheint die Situation ausweglos.

Die meisten Menschen sind zunächst kaum in der Lage, solche Situationen „extremer“ Hilflosigkeit zu verarbeiten. Die Bewältigungsmechanismen reichen momentan nicht aus, um mit einer derartigen Situation umgehen zu können - wörtlich stürzt eine Welt zusammen.

Ursachen und Risikofaktoren

Die Ursachen für eine posttraumatische Belastungsstörung sind mitunter sehr vielfältig. In jedem Fall handelt es sich dabei aber um ein traumatisches Erlebnis. Der Betroffene erleidet eine ernsthafte Bedrohung - es geht um sein eigenes Überleben.

Körperliche Gewalterfahrungen in Form von Vergewaltigung, Folter oder Krieg begünstigen eine posttraumatische Belastungsstörung meist noch mehr als durchlebte Naturkatastrophen oder Unfälle, für die niemand direkt verantwortlich ist.

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Die erlebte menschliche Gewalt ist in der Regel nicht mit dem bisher bestehenden Weltbild zu vereinbaren. Es gibt dann einen direkten "Feind", der die Bedrohung darstellt.

Personen ohne soziale Unterstützung, insbesondere der Familie, gelten als anfälliger für eine posttraumatische Belastungsstörung. Auch Menschen mit einer psychischen Erkrankung sind besonders gefährdet, eine posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln.

Wer unter einem sehr autoritären Erziehungsstil mit bestrafenden Konsequenzen der Eltern leiden musste, trägt ebenso ein höheres Risiko.

Auch das Vorliegen von bereits vorbestehenden psychischen Störungen oder Erkrankungen (z.B. Angsterkrankungen) oder früherer Traumatisierungen (besonders in der Kindheit) erhöhen das Risiko an einer Traumafolgestörung zu erkranken.

Gewisse Umstände und Eigenschaften wirken hingegen wie ein „Schutzschild“ gegenüber traumatischen Einflüssen. Dazu gehören etwa gute Bindungen an andere Menschen, sozialer Rückhalt, Schutz vor weiteren Belastungen und Selbstwirksamkeit.

Selbstwirksamkeit

Dies bedeutet, dass sich ein Mensch frei fühlt, über seine Handlungen zu entscheiden, und daran glaubt, seine Vorhaben gut in die Tat umsetzen zu können. Selbstwirksamkeit bedeutet somit Kontrolle über das eigene Leben und über Ereignisse in der eigenen Umwelt zu haben.

„Frau/Herr über sein Leben sein“ und sich nicht hilflos zu fühlen. Doch bei schwerwiegenden traumatischen Erlebnissen stößt dieser Schutz an seine Grenzen. Das ist vollkommen normal und hat nichts mit fehlender Stärke zu tun.

Symptome der PTBS

Sophie Heidler: Typisch sind die erwähnten intrusiven Erinnerungen (Flashbacks, Albträume) sowie emotionale Taubheit, Reizbarkeit und ständige innere Alarmbereitschaft.

Im Alltag funktionieren viele Betroffene äußerlich gut, kämpfen aber innerlich mit einem ständigen Bedrohungsgefühl. Beziehungen leiden, die Arbeit wird zur Belastung, das Vertrauen in sich und andere ist erschüttert. PTBS ist real und sehr belastend, auch wenn man es nicht sieht.

Die mit dem Trauma in Verbindung stehenden Sinneseindrücke, körperlichen Zustände und Gefühle werden also in den sogenannten Mandelkernen im Gehirn gespeichert. Sie zerfallen mitunter bei/nach einem Trauma wie die Splitter eines zerbrochenen Spiegels in viele Einzelteile und können daher nicht mehr als sinnvolles Ganzes wahrgenommen bzw. zugeordnet werden.

Diese Fragmente beginnen ein Eigenleben und können auf allen Sinneskanälen als sogenannte Intrusionen (innere Bilder des traumatischen Erlebnisses) wiederkehren. Sie überlagern die aktuelle Realität. In solchen Situationen werden zusätzlich einzelne Hirnfunktionen unterdrückt, z.B. ist das Broca’sche Sprachzentrum nicht mehr uneingeschränkt arbeitsfähig. Damit fehlen die Worte, um das Erlebte auszudrücken.

Das plötzliche Wiedererleben des Traumas wird auch Flashback genannt.

Fabienne Urschinger: Besonders tückisch ist ein weiteres Kernsymptom, nämlich die Posttraumatische Vermeidung, die Betroffene oft jahrelang daran hindert, die Anzeichen einer PTBS zu erkennen und Hilfe zu suchen. Es ist auch dasjenige Symptom, das sowohl von Betroffenen als auch von Fachleuten in Therapie und Beratung vermutlich am meisten übersehen und unterschätzt wird, weil es am wenigsten sichtbar ist: Betroffene organisieren sich ihr Leben um die „Trigger“ herum und können dadurch auf den ersten Blick vordergründig „gesund und normal“ wirken.

Bei Betroffenen wechselt der Wunsch, sich immer wieder mit dem Ereignis auseinanderzusetzen, mit dem Gefühl, nicht darüber sprechen zu wollen. Daraus folgend versucht der Mensch unter Umständen alles zu vermeiden, was sie/ihn an das Trauma erinnern könnte.

Neurobiologische Aspekte

Im Falle eines Traumas handelt es sich um Extrembelastungen, die auch im Gehirn Spuren hinterlassen können. In akuten, massiven Belastungssituationen ist das stressverarbeitende System überfordert. Als Folge können die typischen sogenannten peritraumatischen Symptome auftreten. Dazu zählen etwa ständiges Wiedererleben des Traumas, Albträume, allgemeine Alarmiertheit, massive Angst oder Betäubung und Erstarrung.

Neurobiologische Vorgänge und die Stressregulation spielen dabei eine wichtige Rolle. So zeigen sich etwa nach Kriegserlebnissen, Unfällen, zivilen Katastrophen, Gewalttaten und kindlichen Traumata Veränderungen im Gehirnstoffwechsel manchmal sogar Strukturveränderungen des Hirns.

Durch die übermäßige Ausschüttung von Stresshormonen und die stärkere Aktivierung des sympathischen Nervensystems (z.B. erhöhter Puls, hoher Stresshormonspiegel, Schlafschwierigkeiten) zu einer körperlichen Übererregtheit.

Hält die extreme Stressreaktion an, kommt es zur negativen Auswirkung auf die Informationsverarbeitung. Unter anderem im Bereich des sogenannten Hippocampus.

Dieser ist eine Struktur im Gehirn in der die Wichtigkeit von Erfahrungen bewertet wird und die dann für den „Transport“ als wichtig bewerteter Inhalte in die Großhirnrinde sorgt. kognitiv eingeordnet und man kann daraus lernen. Bildgebende Verfahren mittels MRT konnten zeigen, dass die Hippocampus-Region bei chronischer Posttraumatischer Belastungsstörung ein vermindertes Volumen zeigen kann.

Eine durch das Trauma ausgelöste Störung im Hippocampus kann dazu führen, dass die Speicherung des traumatischen Erlebnisses im Gedächtnis unmöglich wird (vor allem im Kurzzeitgedächtnis), Lernen wird schwierig.

Behandlungsmöglichkeiten im AMEOS Privatklinikum Bad Aussee

Sophie Heidler: Wir arbeiten interdisziplinär und ganzheitlich mit Einzel- und Gruppentherapie, darunter mit der Methode des Psychodramas und mit EMDR. Ergänzt wird die Therapie durch Achtsamkeit, Yoga, Körper- und Ausdruckstherapie, Musik- und Kunsttherapie, Ergotherapie, Natur-Erlebnis-Pädagogik, Sozialarbeit, Physiotherapie und Entspannungsverfahren wie progressive Muskelrelaxation. Diese fördern die Selbstwirksamkeit und das Gefühl, wieder zunehmend handlungsfähig zu sein.

Fabienne Urschinger: Eine zentrale Bedeutung kommt auch unserer psychoedukativen Trauma-Infogruppe zu, in der Betroffene verstehen, warum sie bestimmte Reaktionen zeigen. Dieses Wissen entlastet und ist ein erster Schritt zur Selbstermächtigung. Wir erklären verständlich, was im Körper und Gehirn bei einem Trauma und danach passiert. Wenn Betroffene erkennen, dass ihre Reaktionen instinktiv und überlebenswichtig waren, können sie mit sich selbst mitfühlender umgehen. Viele schämen sich, weil sie glauben, sie hätten „damals“ anders handeln müssen. Tatsächlich hat aber der Körper sein Bestes gegeben.

Heilungschancen und Behandlungsverlauf

Sophie Heidler: PTBS ist gut behandelbar, wenn sie erkannt und richtig therapiert wird. Die Behandlung folgt meist einem Drei-Phasen-Modell: Stabilisierung, Traumakonfrontation und Integration. Stabilisierung schafft Sicherheit, dann werden traumatische Inhalte bearbeitet, z.B. mit EMDR oder imaginationsgestützten Verfahren. Am Ende steht die Integration, bei der das Trauma Teil der Biografie wird, ohne das Leben zu beherrschen.

Fabienne Urschinger: Viele Patienten werden durch die Therapie nicht nur symptomfrei, sondern gestärkt. Der Weg ist nicht immer leicht, aber möglich und: meiner Meinung nach ist er es wert, gegangen zu werden. Dabei muss ihn niemand allein gehen. Professionelle Begleitung ist entscheidend.

Wie eine posttraumatische Belastungsstörung verläuft, ist abhängig vom Schweregrad und den eigenen Ressourcen. In der Mehrzahl der Fälle bestehen gute Heilungschancen, insbesondere wenn Betroffene rechtzeitig eine geeignete Therapie beginnen.

Bei etwa einem Drittel der Betroffenen verschwindet die PTBS sogar innerhalb von zwölf Monaten ohne Behandlung.

Mit einer adäquaten Psychotherapie dauert die posttraumatische Belastungsstörung durchschnittlich 36 Monate. Ohne therapeutische Unterstützung verläuft sie mit durchschnittlich 64 Monaten deutlich länger.

Auch die Unterstützung durch das soziale Umfeld ist ausgesprochen wichtig für den Heilungsprozess und um die Gefahr eines Rückfalls zu verringern. Bestehen die Symptome allerdings über Jahre, kommt es bei etwa einem Drittel der Betroffenen zu einem chronischen Verlauf.

Verständnis und Botschaft

Fabienne Urschinger: Ich wünsche mir ein anderes Verständnis für Traumafolgesymptome: Sie sind kein Zeichen von Schwäche, sondern von Überlebensintelligenz. Es gibt Hilfe und Hoffnung.

Sophie Heidler: Scham gehört nicht zu den Betroffenen, sondern zu den Umständen, die das Trauma ausgelöst haben. Unser Ziel ist, Menschen in ihrer Selbstwirksamkeit zu stärken. Jeder verdient es, sich sicher, handlungsfähig und lebendig zu fühlen.

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