Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und Substanzkonsumstörungen treten im Versorgungssystem häufig koexistent auf und können hier große diagnostische und therapeutische Herausforderungen bereiten. Ihre Komorbidität geht mit schwerwiegenderen akuten klinischen Symptombildern, mit zahlreichen, oft notfallmäßigen Hospitalisierungen und geringeren Behandlungserfolgen einher. Ihre Komorbidität trägt zu dramatisch ungünstigeren Verläufen auf allen biopsychosozialen Ebenen bei.
Nachfolgend soll das Thema Koexistenz/Komorbidität von Trauma-bezogenen Störungen und Störungen durch Substanzkonsum aufgenommen werden. Ein spezieller Fokus soll hierbei auf mögliche inhärente Zusammenhänge von PTBS und Sucht gerichtet sein.
Epidemiologische Perspektive
Bereits erste epidemiologische Untersuchungen (Epidemiologic Catchment Area Studies) zeigten einen engen Zusammenhang von PTBS und Substanzkonsumstörungen in der Allgemeinbevölkerung, sowie besonders eindrucksvoll in störungsorientierten Behandlungskontexten. So bewegten sich die Prozentsätze von koexistenter Suchtstörung (Alkohol, Drogen) bei ehemaligen Angehörigen der US-Army mit der Diagnose einer PTBS in einem Bereich von 50-75 %. Und umgekehrt wiesen Personen, die sich in Entwöhnungsprogrammen wegen Alkohol- oder Drogenproblemen befanden, in über 40 % auch eine zusätzliche PTBS-Diagnose auf.
Breit angelegte nachfolgende epidemiologische Surveys bestätigten diese signifikanten Assoziationen eindrucksvoll. In der für die US-amerikanische Bevölkerung repräsentativen Studie NESARC (National Epidemiological Survey of Alcohol and Related Conditions: N = 34.160) betrug die Lebenszeitprävalenz für PTBS-allein, Alkoholabhängigkeit-allein und Koexistenz von PTBS und Alkoholabhängigkeit je 4,83 %, 13,66 % und 1,59 %. Die Komorbiditätsgruppe zeichnete sich im Vergleich zu den beiden anderen Gruppen durch höhere Raten an frühkindlichen Traumatisierungen, durch häufigere Achse-I- und -II-Störungen, vermehrte Suizidversuche, einen früheren Beginn der PTBS, höhere PTBS-Symptomenanzahl, mehr Kriterien der Alkoholabhängigkeit, einen stärkeren zusätzlichen Drogenkonsum und gravierendere psychosoziale Behinderungsgrade aus.
In einer Detailstudie ebenfalls an diesem NESARC-Sample wurden Personen mit Alkohol-Missbrauch/Abhängigkeit sowie mit versus ohne PTBS hinsichtlich der prädiktiven Wertigkeit berichteter traumatischer Lebensereignisse (n = 27 distinkte Trauma-Typen) für eine inzidente Alkoholstörung untersucht. In einer multiplen Regressionsanalyse stellten sich für die Gruppe mit koexistenter PTBS statistisch signifikant erhöhte prädiktive Odds Ratios für die Traumatypen „frühkindliches Trauma“ (OR = 1,40; 1,08-1,83; p < 0,01) und „gewaltsamer Übergriff“ (OR = 1,41; 1,13-1,77; p < 0,01), aber auch für die Patientengruppe ohne PTBS signifikant erhöhte ORs für „frühkindliches Trauma“ (OR = 1,32; 1,23-1,41; p < 0,001), „gewaltsamer Übergriff“ (OR = 1,42; 1,13-1,78; p < 0,001), „unerwarteter Tod eines nahen Angehörigen“ (OR = 1,19; 1,12-1,28; p < 0,001) sowie „Mitteilung eines Traumas bei einem nahen Angehörigen“ (OR = 1,22; 1,13-1,30, p < 0,001) dar.
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Tabakkonsum und PTBS
Systematische Reviews und Metaanalysen unterstrichen auch eine ähnlich starke Assoziation zwischen Trauma und PTBS einerseits und koexistentem Tabakkonsum (Zigarettenrauchen) andererseits. So betrug die durchschnittliche Prävalenz eines aktuellen Tabakkonsums bei Personen mit PTBS 24 %. Umgekehrt lag die koexistente Diagnose einer PTBS bei Zigarettenrauchern in 20,2 % vor. Personen mit PTBS zeichneten sich zudem durch eine hochgradige Nikotinabhängigkeit und einen massiven aktuellen Konsum von Tabakprodukten aus. Verglichen mit nichtrauchenden Personen aus der Allgemeinbevölkerung zeigten rauchende Personen eine ca. doppelt so hohe Rate an koexistenter PTBS.
Opiatabhängigkeit und PTBS
Auch für die Opiatabhängigkeit betonten epidemiologische Untersuchungen einen überzufällig engen Zusammenhang zu Trauma und PTBS. Während Surveys für die US-amerikanische Allgemeinbevölkerung in ca. 60 % der Personen mindestens ein schwerwiegendes Trauma und eine durchschnittliche PTBS-Häufigkeit von 7 % in der Lebenszeitspanne aufdeckten, lag die Prävalenz von bedeutsamen Traumata bei opiatabhängigen Personen über 90 %, die in ca. 40 % der Fälle mit einer koexistenten PTBS einhergingen.
In der repräsentativen NESARC-Studie betrugen diese Prävalenzraten von PTBS und Opiatkonsumstörung je für sich 4,7 % bzw. 4,3 %. Hinsichtlich einer Komorbidität waren drei Befunde herauszuheben: Die vielfach adjustierte Odds Ratio bei Personen mit PTBS im Vergleich zu Personen ohne PTBS bezüglich koexistenter Opiatkonsumstörung war mit adj. AOR = 1,8 statistisch signifikant erhöht. Unter den Personen mit Opiatkonsumstörung (4,3 %) wiesen nur 0,7 % keine koexistente PTBS auf. Der Einfluss von chronischen Schmerzsyndromen bei PTBS-Personen war als signifikante Mediatorvariable für ein koexistentes Opiatkonsumrisiko besonders hervorzuheben (Muskelschmerzen: 31 % - adj. OR = 4,2; p < 0,001; neuropathische Schmerzen: 25,2 % - adj. OR = 3,1; p < 0,001; abdominelle Schmerzen: 12,8 % - adj. OR = 1,3; n. s.).
Zeitliche Abfolge der Störungen
Epidemiologische Analysen der zeitlichen Abfolge der koexistenten Störungen hoben mehrheitlich eine vorausgehende PTBS und eine nachfolgende inzidente Substanzkonsumstörung hervor. Aber auch die umgekehrte zeitliche Sequenz von vorausgehender Substanzkonsumstörung und nachfolgender inzidenter PTBS wurde in einigen Studien angedeutet.
Auf den prägenden nachteiligen Einfluss von Traumata in frühen Entwicklungsabschnitten nicht nur für zahlreiche psychische, Verhaltens- und Substanzkonsumstörungen, sondern auch für eine Reihe von somatischen Erkrankungsrisiken im Erwachsenenalter ist gesondert hinzuweisen. Mehrere prospektive Longitudinaluntersuchungen haben diesen Befund nachhaltig bestätigt. Ein systematisches Review mit Metaanalyse fand für Personen mit ≥ 4 aversiven oder traumatischen Belastungen in der Kindheit (ACEs) im Vergleich zu Personen ohne ACEs durchgängig signifikant erhöhte Risiken für alle untersuchten psychischen Störungen und somatischen Krankheiten im Erwachsenenalter. Mehrere Studien replizierten diese signifikante pathogenetische Rolle von frühkindlichen Trauma-Expositionen für die Vermittlung einer Koexistenz/Komorbidität von PTBS und spezieller Substanzkonsumstörung im Erwachsenenalter.
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Zusammenfassend betonen epidemiologische Studien einhellig, dass eine Koexistenz/Komorbidität von PTBS und Substanzkonsumstörung mit einem schwerwiegenderen klinischen Symptombild in akuten Krankheitsepisoden, mit häufigeren stationären Notfallaufnahmen, reduzierten Ansprechraten auf durchgeführte Behandlungen, einem schwierigeren und komplikationsreicheren Krankheitsverlauf, mit höheren interpersonalen Problemen, massiveren psychosozialen Behinderungsgraden und niedrigerer Gesundheits-bezogener Lebensqualität einhergeht.
Substanzkonsum als Risikofaktor für Trauma und PTBS
Eine von Substanzabusus bestimmte Lebenspraxis birgt per se ein erhöhtes Risiko für eine Reihe von möglichen Trauma-Expositionen. In diesem Fokus darf ebenfalls keine lineare Kausalversursachung aus der zeitlichen Abfolge von Substanzabusus, Traumaerfahrung und PTBS abgeleitet werden.
In einer biopsychosozialen Perspektive ist zunächst grundlegend, dass soziale Kontexte, in denen Personen aufwachsen und leben, sowohl eine Reihe von gebündelten Traumata und chronischen Stressoren mit erhöhten Risiken für eine PTBS als auch gleichzeitig für Substanzkonsumstörungen vermitteln können. In einem Substanzabusus und Traumatisierung bahnenden „Envirom“ üben die allgemeinen sozialen Determinanten von Gesundheit und Krankheit (sozialer Gradient, Stressoren/Traumata, frühe Entwicklung und Beziehungssicherheit, Erziehungs- und Ausbildungsqualität, soziale Exklusion, Diskrimination und Armut, Kontrolle über Arbeit, Jobsicherheit und Arbeitslosigkeit, soziale Unterstützung und Zugang zum Gesundheitssystem, Gebrauch von Sucht-stiftenden Substanzen, Qualität von Ernährung und Essverhalten) einen grundlegenden und anhaltenden Einfluss aus. Hierbei ist nicht nur ein „Zuviel“ an Risikofaktoren, sondern in der Regel auch ein „Zuwenig“ an protektiven Faktoren bedeutsam.
Der Zusammenhang von Substanzabusus (z. B. Alkohol- und Drogen-induzierte Intoxikationen (v. a. beinah-letale Überdosierungen von Opiaten) implizieren unter speziellen körperlichen und psychosozialen Bedingungen ein hohes Risiko an gefährlichen Verletzungen, traumatisch erlebten Reanimationen, invasiv-chirurgischen und intensivmedizinischen Behandlungen.
Zusammenfassend sind für die Relation von Substanzkonsumstörung und Trauma/PTBS empirisch zahlreiche intermittierende Variablen zu beachten, die ein komplex interagierendes Bedingungsgefüge aufspannen. Substanzabusus im Kontext von Armut, Viktimisierung, sozial devianten Lebensverhältnissen führt zu kumulativen Risiken für Trauma und PTBS, die wiederum im Sinne einer eskalierenden Spirale den Substanzkonsum verstärken.
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Trauma und PTBS als Risikofaktor für Substanzkonsumstörung
Einige spezielle traumatogene Aspekte, die einem Leben mit chronischem Substanzkonsum oft inhärent sind, müssen hierbei beachtet werden. Eine klinisch attraktive Hypothese (Selbstmedikation) besagt, dass Personen mit schwerwiegenden psychischen Störungen, wie beispielsweise PTBS bestimmte psychotrope Substanzen mit dem subjektiven Ziel vermehrt einsetzen, um definierte PTBS-Symptome und einen hiermit assoziierten emotionalen Distress zu lindern oder aus dem PTBS-Verlauf resultierende psychosoziale Stressoren besser zu kupieren.
Empirische Belege für diese Hypothese stammen zunächst aus zahlreichen epidemiologischen Studien, die nach schwerwiegenden Traumatisierungen eine nahezu parallele Entwicklung zwischen der Intensität der PTBS-Symptome und dem Ausmaß des jeweils unterhaltenen Substanzkonsums (Alkohol, Nikotin, Benzodiazepine, Opiate, Cannabis) im weiteren Verlauf abbildeten. Ergebnisse aus Langzeitstudien, die eine häufigere inzidente Substanzkonsumstörung nach Trauma und PTBS, nicht aber nach Trauma-Exposition alleine hervorhoben, gehen mit dieser Sichtweise ebenfalls gut konkordant.
Belege für eine Selbstmedikationshypothese erbrachten auch Detailstudien, die einen erhöhten Substanzkonsum in Abhängigkeit von definierten PTBS-Symptomclustern (Hyperarousal, Vermeidung, intrusive Wiedererinnerung; negative Trauma-assoziierte Stimmungen und Kognitionen) als Strategien einer Selbstregulation analysierten. Generell stellte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Gesamt-Score über alle PTBS-Symptomcluster und der Intensität des berichteten Cravings für die untersuchten Substanzen (Alkohol, Stimulantien, Opiate) dar.
Eine Reihe von Studien konzentrierte sich auf Variablen, die den Zusammenhang von PTBS und koexistenter Substanzkonsumstörung...
Trauma im psychologischen Kontext
Trauma impliziert im psychologischen Verständnis die Konfrontation mit einer unausweichlichen Bedrohung der eigenen leiblichen Existenz. Traumatische Erlebnisse verweisen auf Extremsituationen des menschlichen Lebens. Sie unterbrechen den Lauf einer individuellen Biographie abrupt. Im Falle einer kollektiven Betroffenheit verändern sie gleichzeitig das Leben zahlreicher Mitglieder einer sozialen Gruppe signifikant. Konsequenzen nach Traumata sind sehr vielfältig. Folgestörungen nach einem Trauma sind aber keineswegs normativ.
In einer klinischen Perspektive sind viele Faktoren wie prätraumatische Vorbelastungen und psychiatrische Vorerkrankungen, quantitative wie qualitative Dimensionen des äußeren aktuellen Traumas, Attribution subjektiver Bedeutungen und psychobiologisches Coping in der persönlichen Lebens- und Entwicklungssituation zu beachten.
Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) stellt die prototypische, aber nicht die einzige Traumafolgestörung dar. Eine PTBS zeichnet sich bis zu DSM-IV-TR und im ICD-10 durch drei Symptomkomplexe aus, durch intrusiv auftretende Erinnerungen an das Trauma, durch eine systematische Vermeidung aller Trauma-bezogenen Aspekte sowie durch zahlreiche körperliche und kognitive Symptome einer autonom-nervösen Überaktivität aus.
In DSM‑5 wird das klinische Bild einer PTBS breiter beschrieben. Es sind nunmehr auch negative Veränderungen in Kognitionen und Stimmungen in unmittelbarer Assoziation mit dem Trauma eigenständig abgebildet. Es werden hierüber dissoziative Erinnerungsstörungen, Depersonalisation/Derealisation und Gefühlsbetäubung, persistierende negative Überzeugungen oder Erwartungen an sich oder an die Umwelt, persistierende negative emotionale Zustände, Interessensverlust und Anhedonie erfasst.
Eine der grundlegenden Erkenntnisse aus empirischen Studien ist, dass Traumata nicht nur dramatische psychologische Verarbeitungsprozesse auslösen, sondern auch tief in biologische Regulationssysteme eingreifen und funktionelle wie auch strukturelle Störungen im zentralen und autonomen Nervensystem nach sich ziehen können. Genetische Ausstattung, epigenetische Mechanismen und dispositionelle biologische Stresssysteme nehmen wesentlichen Einfluss darauf, ob eine spezielle traumatische Erfahrung zu schwerwiegenden psychischen Störungen (z. B. Substanzkonsumstörungen werden heute ebenfalls als multifaktoriell bedingte, häufig chronisch verlaufende Störungsbilder definiert.
Sucht als existenzielles Thema
Ein anthropologischer Blick auf „Sucht“ als existentielles Thema zwischen den Polen Rausch und Ekstase einerseits und Desintegration, Vereinsamung, Verzweiflung, Angst und Scham andererseits vermittelt wichtige Einsichten in das Grunddilemma eines süchtigen Menschen. Für ein tieferes klinisches Verständnis von Substanz-bezogenen und nicht-stoffgebundenen „Süchten“ in ihrer Heterogenität und Komplexität reicht dieser Zugang aber allein nicht aus. Wesentliche Voraussetzung für eine integrative Perspektive ist, „Süchte“ als eigenständige Krankheiten zu begreifen.
Je unterschiedliche biologische, psychologische und soziale Einflüsse begründen eine individuelle Vulnerabilität. Diese Vulnerabilität manifestiert sich in akuten Konsumepisoden unter speziellen Entwicklungs- und belastenden Lebensbedingungen. Wiederum andere Faktoren können einen chronischen Verlauf fördern. Grundlegend ist: Suchterkrankungen führen häufig zu dramatischen nachteiligen Konsequenzen auf allen Ebenen des persönlichen, familiären und sozialen Lebens.
Studie | PTBS-Prävalenz | Substanzkonsumstörung-Prävalenz | Komorbidität-Prävalenz |
---|---|---|---|
NESARC | 4,83% | 13,66% (Alkoholabhängigkeit) | 1,59% (PTBS und Alkoholabhängigkeit) |
NESARC | 4,7% | 4,3% (Opiatkonsumstörung) | Nicht explizit angegeben, aber signifikante Assoziation |
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