Dauer und Folgen einer unbehandelten Depression

Eine Depression ist eine psychische Erkrankung, die sich durch Symptome wie Antriebslosigkeit, gedrückte Stimmung, Interessensverlust, Konzentrationsstörungen, Appetitverlust und Schlafstörungen auszeichnet. Klarheit gibt eine Diagnostik, die sich z.B. am ICD-10 (Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) orientiert. In der Diagnostik werden Gespräche geführt und bei Bedarf Fragebögen ausgegeben, um die im ICD-10 beschriebenen Symptome abzuklären.

Symptome und Schweregrad depressiver Episoden

Abhängig von Anzahl und Schwere der Symptome ist eine depressive Episode als leicht, mittelgradig oder schwer zu bezeichnen:

  • Leichte depressive Episode: Gewöhnlich sind mindestens zwei oder drei der oben angegebenen Symptome vorhanden. Der betroffene Patient ist im Allgemeinen davon beeinträchtigt, aber oft in der Lage, die meisten Aktivitäten fortzusetzen.
  • Mittelgradige depressive Episode: Gewöhnlich sind vier oder mehr der oben angegebenen Symptome vorhanden, und der betroffene Patient hat meist große Schwierigkeiten, alltägliche Aktivitäten fortzusetzen.
  • Schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome: Eine depressive Episode mit mehreren oben angegebenen, quälenden Symptomen. Typischerweise bestehen ein Verlust des Selbstwertgefühls und Gefühle von Wertlosigkeit und Schuld. Suizidgedanken und -handlungen sind häufig, und meist liegen einige somatische Symptome vor (World Health Organization, 1993).

Als zentrale Symptome einer depressiven Episode werden eine gedrückte Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit und Antriebsverminderung angesehen. Allerdings ist es nicht selten, dass Patienten eine solche typische schlechte und niedergeschlagene Stimmung nicht beschreiben können, sondern vielmehr über eine innere Leere, ein „Gefühl von Gefühllosigkeit“ klagen.

Die Verminderung der Interessenvielfalt kann sich auf das eigene berufliche und private Leben, die soziale Umgebung, das politisch-gesellschaftliche Geschehen, aber auch die eigene Körperpflege beziehen. Die Frage „Über was können Sie sich im Alltag freuen?“ wird als eine der zentralen Screening-Fragen für eine depressive Symptomatik angesehen.

Typischerweise klagen depressive Patienten über eine Verminderung des inneren Antriebs und Elans und die reduzierte Fähigkeit, morgens aufzustehen und die Tagesaktivitäten in Angriff zu nehmen. Überhaupt ist das Aktivitätsniveau depressiver Patienten im Vergleich zu gesunden Phasen meist deutlich eingeschränkt.

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Wichtig für Angehörige und das gesamte Umfeld ist es, diese Depressions-bedingte Hemmung als ein „Nicht-können“ zu erkennen und nicht als ein „Nicht-wollen“ zu missverstehen. Allerdings sollte auf der anderen Seite versucht werden, der Gefahr einer malignen Regression (also dem - teilbewussten - Abgeben von Verantwortung und Aktivität) gegenzusteuern und die vorhandenen Restaktivitäten des Patienten zu fördern.

Die Beeinträchtigungen der Kognition (Konzentration, Aufmerksamkeit, Auffassung, Gedächtnisleistungen) können mit neuropsychologischen Tests erhoben werden, fallen meist aber schon klinisch auf bzw. werden von den Patienten selber berichtet. Viele Patienten klagen über eine verminderte psychophysische Belastbarkeit und erhöhte Erschöpfbarkeit.

Im depressiven Zustand werden die eigenen Fähigkeiten und Lebensumstände meist negativ getönt wahrgenommen, positive und erfreuliche Dinge werden nicht wahrgenommen oder sogar ins Negative umgedeutet. Typischerweise bestehen im depressiven Zustand ein deutlich herabgesetztes Selbstwertgefühl und verringertes Selbstvertrauen.

Ebenfalls ein Ausdruck reduzierter Lebens- und Genussfreude ist der verminderte Appetit, es kann zu einem massiven Gewichtsverlust kommen, der immer auch eine körperliche Durchuntersuchung erfordert, da ja Depressionen auch als Begleitphänomen z.B. Immer noch zu häufig werden Ärzte durch Somatisierungssymptome auf die falsche Fährte gelockt.

Angst in den verschiedensten Ausprägungsformen sind bei fast allen depressiven Patienten zu erheben, manchmal ist eine komorbide Angststörung abzugrenzen.

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Ursachen und Risikofaktoren

Depressionen sind kein homogenes Krankheitsbild, in der Entstehung spielen individuelle körperliche und seelische Faktoren eine Rolle. Eine alleinige Ursache kann meist nicht gefunden werden, häufig sind es eine Reihe von psychosozialen Belastungsfaktoren und biologischen Merkmalen, die den Ausbruch einer Depression begünstigen.

Gesichert ist, dass Depressionen familiär gehäuft auftreten und damit genetische Faktoren eine Rolle spielen. Außerdem können chronischer Stress sowie häufige Verlusterlebnisse Auslöser sein.

Die Ursachen für eine Depression sind laut Gesundheitsexperten mannigfaltig und vielschichtig. Sie kann unter anderem erblich bedingt und/oder durch traumatische Erlebnisse, Erkrankungen, Stress, Einsamkeit, die Einnahme bestimmter Medikamente und sogar durch Lichtmangel hervorgerufen werden.

Dauer und Verlauf einer unbehandelten Depression

Für die Diagnose einer depressiven Episode wird gewöhnlich eine Dauer von mindestens 2 Wochen verlangt. Kürzere Zeiträume können berücksichtigt werden, wenn die Symptome besonders stark ausgeprägt oder sehr schnell aufgetreten sind.

Eine unbehandelte depressive Episode dauert in der Regel sechs bis 12 Monate, mit Behandlung etwa drei Monate. Eine unbehandelte depressive Episode dauert im Schnitt vier bis zwölf Monate.

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Eine unbehandelte depressive Episode dauert in der Regel 6 bis 8 Monate, der weitere Krankheitsverlauf kann individuell stark variieren. Es gibt Formen, die als einmalige Episode im Leben auftreten und nicht mehr wiederkommen, häufiger ist jedoch, dass eine wiederkehrende depressive Störung vorliegt.

Als weitere Verlaufsform finden sich sogenannte bipolare Störungen, bei denen es nach einer depressiven Episode zu einem „Hoch“ in unterschiedlicher Stärke kommen kann. Diese sogenannten "manischen" Episoden zeigen in vielen Punkten gegensätzliche Symptome der Depression.

In einer aktuellen Metaanalyse zeigte sich, dass 35 bis 65 % der Patienten nur einmal eine depressive Episode in ihrem Leben entwickeln und 30 bis 65 % der Patienten ein Rezidiv oder mehrere erleiden. Mit jeder erneuten Episode steigt die Wahrscheinlichkeit des Rückfalls.

Behandlungsmöglichkeiten

Depressionen können gut behandelt werden, z.B. mit Psychotherapie. Je nach therapeutischem Ansatz erfolgt eine unterschiedliche Behandlung. Auch Antidepressiva (z.B. selektive Serotonin Wiederaufnahmehemmer, SSRIs) werden häufig zur Behandlung verschrieben.

Aufgrund der unterschiedlichen Entstehungsgeschichten und Erscheinungsformen der Depression gibt es kein für alle gültiges Behandlungskonzept. Daher wird mit jedem Patienten eine individuelle Therapie entwickelt. Grundsätzlich gilt die Depression als gut behandelbare Erkrankung.

Bei leichten Formen ist häufig eine ambulante Psychotherapie ausreichend, bei mittelgradigen depressiven Episoden kommt meist eine Kombination aus medikamentöser Therapie und Psychotherapie zum Einsatz. Bei schweren Depressionen ist häufig eine stationäre Behandlung notwendig, da so intensiver ärztlich betreut werden kann und verschiedene zusätzliche Therapieangebote zur Anwendung kommen können.

Vor dem Hintergrund des Vulnerabilitäts-Stress-Modells, dem Zusammenspiel von somatischen und psychosozialen Faktoren ist zu entscheiden, wie sich die Anteile der Behandlung zusammensetzen können. In den meisten Fällen wid eine Kombinationstherapie (Pharmakotherapie und Psychotherapie) angestrebt.

Bei Depression ist in jedem Fall, wenn vom Patienten gewünscht, eine Psychotherapie indiziert.

Psychotherapie

Es kommen unterschiedliche Psychotherapieverfahren zum Einsatz: verhaltenstherapeutische, gesprächstherapeutische, psychodynamische, modifiziert analytische und systemische (familien-) therapeutische Verfahren sowie die Interpersonelle Psychotherapie. Diese werden durch weitere psychotherapeutische Behandlungsverfahren ergänzt.

Unter Kognitiver Verhaltenstherapie werden verschiedene kognitive und behaviorale Therapieansätze zusammengefasst, die insbesondere auf die Entwicklungsarbeiten der Arbeitsgruppen um Beck und Lewinsohn zurückgehen.

Die Verhaltenstherapie depressiver Erkrankungen beruht auf der Verstärkerverlusttheorie (Mangel an positiver Verstärkung) und der Theorie der gelernten Hilflosigkeit (Kontrollverlust in einer belastenden Situation).

Bestandteile der Verhaltenstherapie:

  • individuelle Problemanalyse
  • Förderung der Veränderung des Problemverhaltens mithilfe verbesserter Problemlösestrategien; Selbstmanagement
  • Förderung von Erfolgserlebnissen, Aktivitätenaufbau
  • Entspannungstechniken für Schlaf- Stress- und Angstmanagement
  • Verbesserung sozialer Fertigkeiten, Verbesserung von Selbstwert und Beziehungsfähigkeit
  • Bearbeiten der depressiven Kognitionen bezüglich des Selbst, der Umwelt und der Zukunft („kognitive Triade“), Aufzeigen von automatischen, sich wiederholenden negative Gedankenketten (negative Schemata), die in belastenden Situationen aktiviert und verstärkt werden.
  • Vermitteln von Fertigkeiten, um mit der Symptomatik besser umzugehen.

Medikamentöse Behandlung

Psychopharmakotherapie mit Antidepressiva. Antidepressiva stellen die Therapieoption der ersten Wahl in der Behandlung der unipolaren Depression dar. Die Effektivität konnte in einer Vielzahl von international durchgeführten klinischen Studien und Metaanalysen gezeigt werden.

Bei der Auswahl des Antidepressivums sollten die klinische Symptomatik, psychiatrische und somatische Komorbiditäten, Nebenwirkungsprofile der jeweiligen Substanzen sowie die bisherigen Therapieerfahrungen der Patienten (Ansprechen, Verträglichkeit) berücksichtigt werden. Aufgrund ihrer mehrfach nachgewiesenen Effektivität und guten Verträglichkeit werden SSRIs als Antidepressiva der ersten Wahl betrachtet.

Für Patienten mit Ein- und Durchschlafstörungen sind Antidepressiva mit sedierenden Eigenschaften wie z.B. das NaSSA Mirtazapin oder das SARI Trazodon geeignet. Bei Patienten mit einer ausgeprägten Antriebslosigkeit stellen wiederum Antidepressiva mit einem noradrenergen Wirkmechanismus wie z.B. die SNRIs Venlafaxin, Milnacipran oder Duloxetin eine sinnvolle Therapieoption dar.

Agomelatin verfügt als ein MT1-, MT2-Rezeptoragonist und ein 5-HT2c-Rezeptorantagonist über gute antidepressive Effekte und wirkt sich sehr positiv auf die Schlafqualität aus.

Im Vergleich zu den moderneren Substanzen wie z.B. SSRIs, SNRIs, NaSSAs, NDRIs, SARIs sowie Agomelatin und Vortioxetin, welche über ein günstiges Nebenwirkungsprofil verfügen, weisen TZAs wesentlich mehr unerwünschte Nebenwirkungen auf, wobei das cholinerge Spektrum besonders erwähnenswert ist. Daher stellen TZAs eine „Second-Line“-Therapieoption dar.

Im Rahmen einer antidepressiven Behandlung mit dem irreversiblen MAO-I Tranylcypromin ist auf die Einhaltung einer tyraminarmen Diät sowie auf das Risiko eines Serotonin- Syndroms im Falle einer Kombination mit Antidepressiva, die ihre Wirksamkeit über eine Monoamin-Wiederaufnahmehemmung ausüben, hinzuweisen.

Weitere Therapieansätze

Neben den individuell vereinbarten medikamentösen Therapiestrategien werden eine begleitende Psychotherapie, ein Kompetenz- und Ressourcentraining, Ergo- und Physiotherapie, Sport- und Bewegungstherapie sowie Entspannungsverfahren angewendet. Darüber hinaus bieten wir auch nicht-medikamentöse Therapieverfahren wie Aroma- und Lichttherapie an.

Die Lichttherapie kommt nur bei den saisonalen Depressionen zum Einsatz. Hierbei ist es wichtig, dass eine sehr starke Lampe mit 2.500 bis 10.000 Lux verwendet wird.

Die Schlafentzugstherapie (kein Mittagsschlaf!) ist eine kurzfristige Maßnahme, um dem Patienten zu zeigen, dass sich seine Symptomatik bessern kann.

Therapieresistente Depression

Spricht ein depressiver Patient nicht auf die verordnete Therapie an, so kann es sich um eine therapieresistente Depression handeln (TRD) - mitunter liegt aber auch eine Pseudoresistenz vor.

Um eine Remission bzw. ein zufriedenstellendes Therapieansprechen zu erreichen, ist in der klinischen Routine der Einsatz effektiver psychopharmakotherapeutischer als auch nicht pharmakologischer und sozialer Interventionen entsprechend der individuellen Bedürfnisse der Betroffenen unentbehrlich.

Um eine therapieresistente Depression (TRD) diagnostizieren und adäquat behandeln zu können, müssen mehrere Faktoren Berücksichtigung finden. Laut internationaler Evidenz konnten früher Krankheitsbeginn, Schwere der Erkrankung, wiederkehrende Episoden, Anzahl der notwendigen Hospitalisierungen, Suizidalität, komorbide Angststörungen und Persönlichkeitsstörungen sowie Nichtansprechen auf die initiale antidepressive Psychopharmakotherapie mit einer TRD assoziiert werden.

Umgang mit depressiven Menschen

Für den Umgang mit depressiven Menschen (vor allem auch durch die Umgebung) ist es wichtig, die Erkrankung, die bei Angehörigen und Arbeitskollegen oft als ein „Nicht-Wollen“ imponiert, als ein „Nicht-Können“ zu erkennen.

Eine unterstützende, die Phasenhaftigkeit betonende Haltung, die den Patienten ermuntert, seine - vorübergehend limitierten - Ressourcen zu nützen, aber nicht überfordert, ist von eminenter Wichtigkeit.

Wo finden Betroffene Hilfe?

Als Anlaufstellen bei einer vermuteten Depression empfehlen Gesundheitsexperten niedergelassene Ärzte für Allgemeinmedizin, für Psychiatrie, sozialpsychiatrische Dienste, Selbsthilfegruppen und in akuten Fällen eine Spitalsambulanz für Psychiatrie. In akuten Notfällen können Betroffene sich auch an die Telefonseelsorge (www.telefonseelsorge.at) entweder online oder unter der Notrufnummer 142, wenden.

Tabelle: Evaluierungsschritte einer Pseudoresistenz

Schritt Maßnahme
1 Überprüfung der Diagnose (liegt tatsächlich eine Depression vor?)
2 Überprüfung der Dosierung und Behandlungsdauer des Antidepressivums
3 Überprüfung der Adhärenz (nimmt der Patient die Medikamente regelmäßig ein?)
4 Messung der Medikamentenspiegel im Blut (Therapy Drug Monitoring)
5 Ausschluss von relevanten Komorbiditäten (psychiatrisch und somatisch)
6 Berücksichtigung aktueller psychosozialer Belastungen

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