Borderline-Persönlichkeitsstörung: Welche Typen gibt es?

Obwohl bei weitem nicht so bekannt wie Schizophrenie oder Bipolare Störung (manisch-depressive Krankheit), ist die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) häufiger und betrifft ca. zwei Prozent der Erwachsenen. Es handelt sich um eine schwere Persönlichkeitsstörung, die sich durch starkes impulsives Handeln ohne Rücksicht auf Konsequenzen, schnell und oft wechselnde, kaum vorhersehbare Stimmungsschwankungen, Unfähigkeit zur Vorausplanung, Reizbarkeit und Wutausbrüche äußert. Diese Persönlichkeitsstörung wird, wie fast alle Persönlichkeitsstörungen, vor allem im zwischenmenschlichen Bereich deutlich.

Was ist das Borderline-Syndrom?

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) gehört zu den sogenannten "emotional instabilen Persönlichkeitsstörungen". Menschen mit dieser schweren psychischen Störung leiden unter ihren intensiven und unkontrollierbaren Emotionen. Zu den Hauptmerkmalen dieser Störung gehören laut der Borderline-Definition starke Schwankungen der Stimmung sowie heftige Wutausbrüche. Auch ein ausgeprägtes Schwarz-Weiß-Denken ist typisch für Borderliner.

Die Bezeichnung „Borderline“ stammt aus Zeiten, als man dachte, es würde sich bei der BPS um einen sogenannten Grenzfall (engl. borderline) zwischen einer Psychose und einer Neurose handeln. BPS galt lange als eine typisch weibliche psychische Erkrankung. Männliche Borderline-Patienten waren und sind nach wie vor eine stark vernachlässigte Patientengruppe. Die Studienlage dazu ist nicht eindeutig und kaum repräsentativ.

Dafür gibt es aber eine Erklärung: in klinischer Behandlung (Studien werden bei klinischen Stichproben gewonnen) sind Frauen mit fast ¾ der Betroffenen deutlich in der Überzahl. Borderline-Männer fallen, bevor sie psychiatrisch und psychotherapeutisch behandelt werden, überdurchschnittlich oft juristisch auf, kommen häufig mit dem Gesetz in Konflikt oder landen im Gefängnis. Sie begeben sich daher viel seltener in Behandlung. Dazu kommt auch die Tatsache dass die Abbruchrate von wenigen begonnenen Therapien im Vergleich mit betroffenen Frauen auch wesentlich höher ist.

Wie bei Frauen sind auch bei Männern die Ursachen für das Borderline-Syndrom vielfältig und setzen sich aus dem Zusammenwirken sozialer Faktoren - wie frühe Traumatisierung und Vernachlässigung sowie neurophysiologischen Faktoren - zusammen. Borderline-Patientinnen wurden in ihrer Kindheit und Jugend zu einem großen Teil sexuell oder physisch missbraucht und emotional stark vernachlässigt. Sie wuchsen in einer sogenannten invalidierenden Umgebung auf, die von einem Nicht- Anerkennen der Gefühle des Kindes und widersprüchlichem, inkonsequentem und wechselhaftem Erziehungsverhalten geprägt war. Diese Häufungen sind auch bei männlichen Patienten zu finden.

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Die für Bordeline-Störungen typischen Spannungszustände bauen Männer häufig durch die Einnahme von illegalen Drogen und/oder Alkohol ab, weshalb bislang häufig in der klinischen Behandlung dieser Patienten die Suchtproblematik im Vordergrund stand. PatientInnen gehen grundsätzlich mit ihren Störungen sehr individuell um und daher sollte klar sein: es gibt DEN typisch männlichen bzw. DIE typisch weibliche “Borderlinerin” nicht.

Erschwerend wirkt dass die BPS ganz selten alleine auftaucht, sondern meistens in einem „Paket“ mit vielen Komorbiditäten (Begleiterkrankungen), wie zB. Es gibt jedoch Tendenzen die geschlechtsspezifisch häufiger auftreten. Unterschiede gibt es auch bei Komorbiditäten: Borderlinerinnen leiden häufig zusätzlich an affektiven Störungen, wie Depressionen, erkranken häufiger an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) und neigen wesentlich häufiger dazu Essstörungen zu entwickeln. Bei den männlichen Borderline-Patienten wird der bisherige Therapieansatz durch eine spezifische Suchtprävention und -behandlung als auch durch eine Emotionsmanagementtherapie (mit dem Schwerpunkt Ärger-und Aggressionsbewältigung) ergänzt.

ICD-10 und DSM-IV/DSM-5 Kriterien

Die aktuell noch gültige ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization 1992) und das DSM-IV bzw. DSM‑51 der amerikanischen Psychiatrie (American Psychiatric Association 1994, 2013) beschreiben neun bzw. zehn spezifische PS-Diagnosen. Für eine Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) müssen fünf von neun bzw. zehn Kriterien erfüllt sein: verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu verhindern, emotionale Instabilität, intensive und instabile zwischenmenschliche Beziehungen mit Wechsel zwischen Idealisierung und Entwertung, Identitätsstörung, Suiziddrohungen, Selbstverletzungen, Schwierigkeiten Wut zu kontrollieren, Impulsivität in potentiell selbstschädigenden Bereichen, chronische Gefühle der Leere.

Die WHO (Welt-Gesundheits-Organisation) unterteilt Menschen mit emotional instabilen Persönlichkeiten zusätzlich in zwei verschiedene Typen: den Impulsiven Typ und den Borderline-Typ.

  • Impulsiver Typ: Um dem Impulsiven Typ zugeordnet zu werden, müssen bestimmte Merkmale vorhanden sein. Zum Beispiel die Neigung zu Streitereien oder impulsiven, unerwarteten Handlungen ohne auf mögliche Folgen zu achten. Auch die Neigung zu unkontrollierten Wut- oder Gewaltausbrüchen und starke Stimmungsschwankungen gehören dazu.
  • Borderline-Typ: Typische Merkmale des Borderline-Typs sind, neben der ebenfalls vorliegenden Neigung zu Streitigkeiten, Unsicherheiten im Selbstbild beziehungsweise in der eigenen Identität, Neigung zu intensiven, aber instabilen Beziehungen, Angst vorm Verlassenwerden. Zudem kommt häufig die Androhung oder Durchführung von Selbstverletzungen und ein dauerhaftes Gefühl der Leere.

Im DSM-IV, dem Klassifikationssystem der American Psychiatric Association, wird die Borderline-Persönlichkeitsstörung wie folgt definiert: Ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in den zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie deutliche Impulsivität. Der Beginn liegt oftmals im frühen Erwachsenenalter oder in der Pubertät und manifestiert sich in verschiedenen Lebensbereichen.

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Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein, wenn von einer solchen Störung gesprochen wird:

  1. Starkes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden.
  2. Ein Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch einen Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist.
  3. Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung.
  4. Impulsivität in mindestens zwei potenziell selbstschädigenden Bereichen (z. B. Geldausgeben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, zu viel oder zu wenig essen).
  5. Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen oder -drohungen oder Selbstverletzungsverhalten.
  6. Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung (z. B. hochgradige episodische Dysphorie, Reizbarkeit oder Angst, wobei diese Verstimmungen gewöhnlich einige Stunden und nur selten mehr als einige Tage andauern).
  7. Chronische Gefühle von Leere.
  8. Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren (z. B. häufige Wutausbrüche, andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen).
  9. Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome.

Die diagnostischen Kriterien nach DSM-IV entsprechen denjenigen nach DSM-5.

Dimensionales Modell im DSM‑5

Deutlich prominenter als im DSM-IV ist im DSM‑5 die Beurteilung des Kriteriums A, die Einschätzung des Schweregrads der Beeinträchtigung der Persönlichkeit (Morey und Bender 2014). Störungen der Selbst-Funktionen (Identität und Selbststeuerung) und der zwischenmenschlichen Funktionen (Empathie und Nähe) werden differenziert und auf einem Kontinuum eingeschätzt.

In einer „Skala zur Erfassung des Funktionsniveaus der Persönlichkeit“ (SEFP) schätzen Kliniker*innen den Schweregrad der Beeinträchtigung von „0 = keine oder geringfügige Beeinträchtigung“ bis „4 = extreme Beeinträchtigung“ für die vier genannten Bereiche ein. Für die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung müssen mindestens zwei von vier Bereichen als mindestens „2 = mittelgradig“ beurteilt werden.

Beispiel der „mittelgradigen Beeinträchtigung“ in der Skala zur Erfassung des Funktionsniveaus der Persönlichkeit (SEFP) im AMPD des DSM‑5

SEFP „2 = mittelgradige Beeinträchtigung“ (in zwei Bereichen notwendig für die Diagnose einer PS)
Identität Übermäßige Abhängigkeit von anderen bei der Definition der eigenen Identität; beeinträchtigte Wahrnehmung von Grenzen. Vulnerabler Selbstwert, Sorge um Bewertung durch andere, Wunsch nach Anerkennung, Gefühl von Unzulänglichkeit, kompensatorisch überhöhte oder verringerte Selbsteinschätzung
Selbststeuerung Ziele meistens nicht selbstbestimmt, sondern Mittel, Bestätigung von anderen zu erhalten, daher ev. mangelnde Stabilität von Zielen. Eigene Maßstäbe unangemessen hoch (z. B. gefallen wollen) oder niedrig (z. B.

Ist die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung vom Schweregrad der Beeinträchtigung gerechtfertigt, folgt in Kriterium B die inhaltliche Beschreibung der vorherrschenden Traits. Beschrieben sind die Domänen „Negative Affektivität“, „Verschlossenheit“, „Antagonismus“, „Enthemmtheit“ und „Psychotizismus“, die nochmals in 25 Facetten differenziert werden.

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Das Hybrid-Modell (dimensional und kategorial) im DSM‑5 wird deutlich, wenn die Kriterien für das Vorliegen einer BPS als einer von sechs möglichen Prototypen beurteilt werden sollen.

Hybrid-Modell der Beurteilung einer Borderline-Störung im alternativen Modell der Persönlichkeitsstörungen des DSM‑5

A. Mittelgradige oder stärkere Beeinträchtigung im Funktionsniveau der Persönlichkeit, Schwierigkeiten in mind. 2 der folgenden Bereiche:
  1. Identität: verarmtes, instabiles Selbstbild, exzessive Selbstkritik, chronische Gefühle innerer Leere, bei Belastung Dissoziation
  2. Selbststeuerung: Instabilität in Zielsetzungen, Vorlieben, Wertvorstellungen und beruflichen Plänen
  3. Empathie: Eingeschränkte Fähigkeit, die Gefühle und Bedürfnisse anderer Personen zu erkennen, verbunden mit zwischenmenschlicher Überempfindlichkeit
  4. Nähe: Intensive, aber instabile und konfliktreiche enge zwischenmenschliche Beziehungen, die durch Misstrauen und ängstliche Beschäftigung mit Verlassenwerden gekennzeichnet sind
B. Die BPS wird also beschrieben auf den neuen Dimensionen, die einerseits den Schweregrad der Beeinträchtigung der Persönlichkeit abbilden (Selbst und interpersonelle Beziehungen), andererseits werden jene Facetten genannt, die in den jeweiligen Trait-Domänen für die Diagnose relevant sind.

Sollte keiner dieser Prototypen angemessen sein, ist die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung, Merkmalsspezifiziert (PS-MS) möglich. Sie entspricht am ehesten einem rein dimensionalen Modell: (1) allgemeine Einschätzung der Schwere der Persönlichkeitsstörung (Kriterium A; mind. zwei von vier Bereichen mind. mittelgradig) und (2) spezifische Einschätzung der fünf Traits (Kriterium B; Negativität, Verschlossenheit, Antagonismus, Enthemmtheit und Psychotizismus.

Wie entsteht eine Borderline-Persönlichkeitsstörung?

Die Borderline-Erkrankung kann von verschiedenen Einflüssen begünstigt werden. Eine mögliche Ursache stellt eine genetische Veranlagung dar, d.h. Erkrankungen wie die Borderline-Störung treten familiär gehäuft auf. Und auch traumatische Ereignisse in der frühen Kindheit können ursächlich für eine Borderline-Störung sein. Fast zwei Drittel aller Betroffenen haben als Kind die Erfahrungen von sexueller oder körperlicher Gewalt, seelischer Misshandlung oder Vernachlässigung gemacht. Auch eine geringfügige Funktionsstörung des Nervensystems (minimale zerebrale Dysfunktion) im Kleinkindesalter kann eine Borderline-Störung hervorrufen. Eine weitere mögliche Ursache der Persönlichkeitsstörung liegt auch in einem Ungleichgewicht von Botenstoffen im Gehirn. Zu diesen sogenannten Neurotransmittern zählen unter anderem Serotonin sowie Noradrenalin und Dopamin.

Wie Borderline-Persönlichkeitsstörung diagnostiziert?

Um eine Borderline-Störung zu diagnostizieren, führt das medizinische Fachpersonal zunächst eine Befragung zu familiär auftretenden Persönlichkeitsstörungen sowie psychischen Auffälligkeiten im Kindesalter durch (Anamnese). Hierfür befragt der Arzt oder die Ärztin nicht nur Betroffene, sondern nach Möglichkeit auch Bezugspersonen, z.B. Bei Verdacht auf eine Persönlichkeitsstörung findet eine Reihe psychologischer Tests statt. Dabei setzen die Fachärzte strukturierte klinische Interviews und verschiedene Checklisten ein, um die Diagnose zu sichern und von anderen Persönlichkeitsstörungen abzugrenzen.

Zusätzlich führt der Arzt oder die Ärztin Untersuchungen durch, die organische Ursachen als Grund für die Borderline-Störung ausschließen. Neben einer Untersuchung des Blutes überprüft der behandelnde Arzt oder Ärztin dabei auch die Schilddrüsenwerte und den Vitamin- und Mineralspiegel der Betroffenen. Weiterhin lassen sich bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomografie (MRT) oder die Elektroenzephalografie (EEG) einsetzen, um das Gehirn genauer zu untersuchen.

Wie wird eine Borderline-Persönlichkeitsstörung behandelt?

Grundlage einer Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung stellt eine Psychotherapie dar. Zusätzlich kann eine medikamentöse Therapie durch einen Facharzt erfolgen, um Begleiterkrankungen wie Depressionen oder Angst zu behandeln. So setzen Ärzte gegen Schlafstörungen und Anspannungszustände sogenannte niedrigpotente Neuroleptika ein. Gegen depressive Verstimmungen sowie Angst- und Zwangsstörungen werden Antidepressiva häufig eingesetzt. Leiden die Betroffenen zusätzlich unter wahnhaften Symptomen werden Antipsychotika verwendet. Liegt eine erhöhte Gefahr von selbstverletzenden Handlungen vor kann der behandelnde Arzt auf eine Wirkstoffklasse zurückgreifen, die als Benzodiazepine bezeichnet wird.

Die Borderline-Störung galt lange Zeit als ungünstige Prognose, jedoch lassen sich mit den neuen, auf die Erkrankung zugeschnittenen Therapien große Behandlungserfolge erzielen. In ca. Für viele Menschen mit Borderline besteht oftmals ein Interesse daran, etwas über die Borderline-Störung zu erfahren und sich selbst besser zu verstehen. Selbsthilfegruppen und Psychotherapie bieten diese Möglichkeit. Auch für Angehörige ist es empfehlenswert sich gut über die Borderline-Störung zu informieren. Dies kann hilfreich sein, um die Störungen besser einzuordnen und das extreme Verhalten der betroffenen Menschen nicht persönlich zu nehmen.

Was können Sie selbst bei einer Borderline-Persönlichkeitsstörung tun?

Wenn Sie unter innerer Anspannung leiden oder dazu neigen, sich selbst zu verletzen, ist es ratsam, einen Arzt aufzusuchen. Dieser kann nach einem ausführlichen Gespräch mit Ihnen entscheiden, ob eine Überweisung an einen Psychiater oder Psychotherapeuten sinnvoll ist.

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