Das Gegenteil von Autismus: Definition und Spektrum

Das Asperger-Syndrom (AS) ist eine Variante des Autismus und wird zu den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen gerechnet. Im DSM-5 (2013) wurde die Kategorie „Asperger-Syndrom“ als Einzelstörung entfernt. Die Begründung hierfür lautete, die Forscher gingen neuerdings davon aus, dass es sich weniger um unterschiedliche Erkrankungen handele als um eine übergangslose Gesamtheit (Kontinuum) von sehr milden bis schweren Verlaufsformen einer Entwicklungsstörung, die bereits in der frühen Kindheit beginne. Nach neuester Klassifikation fasst man nun alle Erscheinungsformen von Autismus, also auch das Asperger-Syndrom, als Autismus-Spektrum-Störungen zusammen. Weil eine klare Abgrenzung von Subtypen (noch) nicht möglich scheint und es vermutlich fließende Übergänge zwischen milden und stärker ausgeprägten Arten von Autismus gibt. Jedenfalls handelt es sich dabei um tiefgreifende Entwicklungsstörungen, die u. a. durch ein vermindertes Interesse an sozialen Kontakten und ein reduziertes Verständnis sozialer Situationen auffallen.

Merkmale des Asperger-Syndroms

Merkmale sind einerseits Schwächen in der sozialen Interaktion sowie Kommunikation und andererseits stereotypes Verhalten mit eingeschränkten Interessen. Gestört ist erstens die soziale Interaktion und Kommunikation (zum Beispiel Blickkontakte, Fähigkeit zur Konversation oder Aufbau von Beziehungen sind schwach ausgeprägt). Beeinträchtigt ist vor allem die Fähigkeit, nichtsprachliche Signale (Gestik, Mimik, Blickkontakt) bei anderen Personen zu erkennen, diese auszuwerten (zu mentalisieren) oder selbst auszusenden. Das Kontakt- und Kommunikationsverhalten von Personen mit Asperger-Autismus kann dadurch merkwürdig und ungeschickt erscheinen.

Soziale Interaktion und Kommunikation

Von außen betrachtet scheinen Personen mit Asperger-Syndrom kaum an ihren Mitmenschen interessiert zu sein. Es gibt jedoch eine Vielzahl von Belegen dafür, dass sie ein großes Interesse an sozialen Kontakten haben können, jedoch nicht wissen, wie sie dies umsetzen können. Schwierigkeiten, die Körpersprache und Mimik anderer zu erkennen, spielen dabei eine Rolle und werden oft als mangelnde Einfühlung verstanden. Während Menschen evolutionsbiologisch als Spezialisten für sozialen Kontakt bezeichnet werden, entwickeln Asperger-Patienten diese Spezialkompetenz nicht oder in unzureichendem Maße.

Interessen und Verhaltensweisen

Typischerweise haben sie jedoch andere Spezialinteressen, die in der Sache oder in ihrer Intensität ungewöhnlich erscheinen. Diese Interessen liegen oft in technischen oder naturwissenschaftlichen Gebieten wie Informatik, Mathematik, Physik, Biologie oder Astronomie. Andere Betroffene beschäftigen sich leidenschaftlich mit Musik oder dem Auswendiglernen verschiedenartigster Fakten. Menschen mit Asperger sind oft darauf fixiert, ihre äußere Umgebung und Tagesabläufe möglichst gleichbleibend zu gestalten.

Sprachliche Entwicklung

Im Bereich der sprachlichen Entwicklung zeigen sich beim Asperger-Syndrom deutlich andere Auffälligkeiten als beim sonstigen frühkindlichen Autismus. Charakteristisch für letzteren ist eine generelle Sprachentwicklungsverzögerung. Damit verbunden sind Symptome wie zum Beispiel unpassendes Nachsprechen (Echolalie) oder Vertauschung der Pronomina. Beim Asperger-Syndrom fehlen derartige Symptome. Die betroffenen Kinder entwickeln eine grammatisch und stilistisch hochstehende Sprache. Wie bereits Hans Asperger beobachtete, fallen betroffene Kinder regelmäßig auf durch eine ihrem Alter nicht entsprechende, erwachsene, pedantische Ausdrucksweise und eine unübliche Betonung (Prosodie). Im englischen Sprachraum wird das Asperger-Syndrom darum auch als „Little Professor Syndrome“ (deutsch: Kleiner-Professor-Syndrom) bezeichnet. Die Tonlage ist oft monoton und unterstützt zum Beispiel nicht den Unterschied zwischen ernst und humorvoll gemeinten Äußerungen. Oft sind Sprechgeschwindigkeit und die Lautstärke unangepasst oder ungewöhnlich.

Intelligenz und Begabung

Im Unterschied zu manchen anderen Formen von Autismus ist die Intelligenz bei Personen mit Asperger-Syndrom oft normal ausgeprägt. Bei Asperger-Kindern wird gelegentlich auch vorzeitiges Lesen (Hyperlexie) beobachtet. Häufig zeigen Kinder mit Asperger-Syndrom ein unausgeglichenes Intelligenzprofil. Grundsätzlich weisen Personen innerhalb des Autismusspektrums sehr häufig eine Hoch- oder Inselbegabung auf.Bereits Hans Asperger schrieb: „Es scheint, dass für Erfolg in der Wissenschaft oder in der Kunst ein Schuss Autismus erforderlich ist.“ Die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Asperger-Syndrom und herausragenden Leistungen beschäftigte auch den irischen Kinderpsychiater Michael Fitzgerald. Er veröffentlichte seit 1999 eine Reihe von Aufsätzen und Büchern, in denen er die Lebensläufe berühmter Persönlichkeiten auf Anzeichen des Asperger-Syndroms hin prüfte. Christopher Gillberg und Oliver Sacks haben ähnliche postume Diagnoseversuche unternommen.

Diagnose

Fachärzte für Kinderpsychiatrie, bei sehr kleinen Kindern auch Fachärzte Kinderheilkunde sind die richtigen Ansprechpartner, wenn Eltern beschriebene Symptome bei ihrem Kind feststellen oder vermuten, es könnte eine autistische Störung haben. Für Erwachsene sind es Psychiater oder Neurologen. Um die richtige Diagnose zu stellen, erhebt der Arzt zunächst die Krankengeschichte (Anamnese), bei der ihn, wenn es sich um ein Kind handelt, insbesondere Auffälligkeiten in der Schwangerschaft, bei oder nach der Geburt sowie die bisherige kindlichen Entwicklung interessieren.Ein bekanntes Phänomen ist, dass Asperger-Autismus häufig erst sehr spät diagnostiziert wird, weil die Symptomatik normal intelligenter Autisten nicht so offenkundig zu Tage tritt. Und im Erwachsenenalter oft weniger der Schweregrad der Störung als die Lebensumstände eine Rolle spielen. Denn in Krisenzeiten wird die Andersartigkeit im sozialen Umgang deutlicher als wenn beruflich und privat alles halbwegs gut läuft.

Screening-Fragebögen

Zur Erfassung von Symptomen, die auf ein Asperger Syndrom hinweisen, gibt es mehrere Screening-Fragebögen wie etwa:* den Fragebogen zur sozialen Kommunikation (FSK - Autismus Screening),* die Skala zur Erfassung sozialer Reaktivität (SRS - Autismus Screening),* für Erwachsene den ASQ (Autism Spectrum Quotient).Doch genügen sie allein nicht zur Diagnosestellung. Dazu braucht es auch Zeit und Erfahrung.

Diagnosekriterien

Es gibt mehrere, von Experten bzw. Fachgesellschaften zusammengestellte Diagnosekriterien, die dem begutachtenden Arzt die Diagnosefindung erleichtern sollen. Wie beispielsweise die nach dem schwedischen Kinder- und Jugendpsychiater Christopher Gillberg benannten, 1989 veröffentlichten Gillberg-Kriterien. Meist wird aber das 2000 herausgegebene DSM IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) oder das 2013 erschienene DSM V der American Psychiatric Association herangezogen. Ebenso kommt die ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) und ICD-11 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Einsatz.

Asperger Syndrom bei Erwachsenen

Das Asperger Syndrom setzt sich natürlich im Erwachsenenalter fort. Damit üblicherweise auch die Kontaktschwierigkeiten, auch wenn Kompensationsstrategien entwickelt werden. Es mag wohl Asperger-Autisten geben, die in einer stabilen Partnerschaft sind oder auch eine Familie gründen. Sind sie sozial einigermaßen gut eingebettet, müssen sie sich ihrer autistischen Züge nicht bewusst sein, aber möglicherweise überfordert, wenn sie mit Menschen zu tun haben, die sich in ihrer Persönlichkeit zu sehr von der eigenen unterscheiden. Wobei Frauen mit Asperger ihre Defizite eher kaschieren und kompensieren können, auch weil sie im Allgemeinen viel stärker in sozialen Fähigkeiten trainiert werden.Doch viele leben zurückgezogen und haben nur wenige direkte Sozialkontakte. Letztere besitzen oft charakterliche Eigenschaften, mit denen erwachsene Asperger-Autisten leicht umgehen können. Ihre Kontaktpersonen sind also meist ebenfalls eher introvertiert, verständigen sich vorwiegend auf einer sachlichen Ebene.

Urbach-Wiethe-Syndrom

Autistische Verhaltensweisen können auch beim Urbach-Wiethe-Syndrom auftreten. Einige Menschen mit Asperger-Syndrom erfüllen auch die Kriterien für eine Zwangsstörung oder eine zwanghafte Persönlichkeitsstörung. Wenn Konzentrationsschwierigkeiten vorliegen, wird das Asperger-Syndrom leicht mit ADHS verwechselt.

Pseudo-Autismus

„Pseudo-Autismus“ oder „virtueller Autismus“ beruht auf äußeren Faktoren, wie einem Mangel an Stimulation bzw. Anregung, z.B. durch sehr frühen und übermäßigen Mediengebrauch. Für eine „richtige“ autistische Störung bzw. eine sogenannte Autismus-Spektrum-Störung gelten erbliche Faktoren als eine der Hauptursachen.

Therapie

Aufgrund der vielen Besonderheiten des Lebens mit „Autismus“, kann der Alltag, sowohl für Betroffene als auch deren Angehörige, sehr herausfordern sein. In Fachkreisen wird daher eine intensive, langfristige und früh einsetzende Therapie nahegelegt. Dabei stehen Verhaltenstherapie und Kompetenztraining im Vordergrund. Unterstützend kommen häufig auch Physiotherapie oder Ergotherapie zum Einsatz. Das Hilfe-Netzwerk für Betroffene ist aufgrund der relativen Häufigkeit der Erkrankung recht gut ausgebaut.
Tabelle 1: Übersicht der Symptombereiche bei Autismus-Spektrum-Störungen
Symptombereich Merkmale
Soziale Interaktion Schwierigkeiten beim Aufbau und der Aufrechterhaltung von Beziehungen, eingeschränktes Einfühlungsvermögen
Kommunikation Verzögerte Sprachentwicklung, monotone Sprechweise, Schwierigkeiten beim Verstehen von nonverbalen Signalen
Interessen und Verhaltensweisen Stereotype Verhaltensweisen, eingeschränkte Interessen, Festhalten an Routinen

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