ADHS Diagnose: Vorteile und Nachteile

Rund um AD(H)S gibt es immer noch jede Menge Falschinformationen. Dabei ist die psychiatrische Erkrankung wirklich gut erforscht - und behandelbar. AD(H)S ist die häufigste psychiatrische Diagnose bei Kindern und Jugendlichen. Sie gelten oft als unruhige Störenfriede, die einfach nicht zuhören können. Dabei leiden sie an einer Störung des Dopaminhaushalts.

Es ist die häufigste psychiatrische Diagnose im Kindes- und Jugendalter: AD(H)S. Zwischen 3,5 und fünf Prozent aller Menschen sind davon betroffen. Das sind allein in Österreich zwischen 315.000 und 450.000 Personen. Wir sprechen hier nicht nur von Kindern, auch bei Erwachsenen ist es eine häufige Erkrankung. Bei vielen wird die Diagnose erst spät gestellt, nachdem sie bereits einen jahrelangen Leidensweg hinter sich haben.

AD(H)S wird immer häufiger diagnostiziert. Das liegt aber nicht an einer mysteriösen Vermehrung der Betroffenen. Konzentrationsprobleme, Abschweifen und wenig "Sitzfleisch" sind typische Symptome für Kinder mit AD(H)S. Mittlerweile erkennt man die Symptome früher.

Diagnosestellung

Eine sorgfältige Diagnosestellung ist sehr wichtig, um unruhige, unterforderte oder traumatisierte Kinder von jenen mit ADHS zu unterscheiden. Zudem sollte abgeklärt werden, ob es vielleicht Schwierigkeiten in der Familie gibt. Je jünger ein Kind ist, desto eher ist unreifes und impulsives Verhalten altersgerecht und somit „normal“. Die Diagnose einer ADHS sollte nicht vor dem Alter von drei bis vier Jahren erfolgen.

Eine Erhebung der Krankengeschichte sowie ein ausführliches Gespräch stehen am Beginn der Diagnosestellung. Die Ärztin/der Arzt führt zudem eine körperliche Untersuchung durch. Zudem wird abgeklärt, ob Krankheiten vorliegen. Andere Ursachen für die Symptome müssen ausgeschlossen werden (z.B. Schilddrüsenüberfunktion, Schlafstörungen, Seh- oder Hörschwierigkeiten, andere psychische oder neurologische Erkrankungen).

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Zur Diagnosestellung kann auch eine klinisch-psychologische Diagnostik ergänzend hilfreich sein. Dabei werden Tests durchgeführt bzw. Fragebögen ausgefüllt. Eine Einbeziehung in die Diagnostik vom weiteren sozialen Umfeld von Kindern (z.B. aus der Schule) kann hilfreich sein. Dies dient dazu, das Verhalten aus Schule oder Kindergarten beurteilen zu können.

ADHS erfordert eine sorgfältige Diagnostik. Für die Diagnose ADHS müssen in Österreich bestimmte Kriterien vorliegen. Diese orientieren sich an den Kriterien der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD). Dort wird auch genau beschrieben, wie sich Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität äußern können.

Kriterien für die Diagnose ADHS

Welche Kriterien müssen vorliegen, um die Diagnose ADHS zu stellen?

  • diese Anzeichen sind bereits vor dem siebten Geburtstag aufgetreten.
  • das Verhalten wird in mehr als einer Umgebung beobachtet (z.B.
  • der Alltag ist durch das Verhalten stark beeinträchtigt (z.B.
  • andere psychische Erkrankungen sind keine Ursache für das auffällige Verhalten.

Die Diagnosestellung kann für die Betroffenen eine Entlastung sein, weil man nun weiß, was hinter dem auffälligen Verhalten steckt. Sie kann auch belasten oder anfangs auch von Betroffenen oder Angehörigen abgelehnt werden. Ein aufklärendes Gespräch über die Erkrankung kann helfen, damit umzugehen. Zudem kann die Ärztin/der Arzt über weitere Möglichkeiten der Unterstützung informieren, z.B. Selbsthilfegruppen.

Die Diagnose kann besonders schwierig sein, wenn das Verhalten nicht ganz so auffällig bzw. behandlungsbedürftig ist. Mehrere Untersuchungstermine ermöglichen es dann, die Situation besser einschätzen zu können. Dabei erfolgt z.B. eine ausführliche Entwicklungsdiagnostik des Kindes oder eventuell auch eine Verhaltensbeobachtung. Ein weiteres internationales Klassifikationssystem, das bei ADHS international angewandt wird, ist das sogenannte DSM.

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Therapie von ADHS

Die Therapie von ADHS besteht aus mehreren Säulen, die einander ergänzen. Zu den möglichen Therapien zählen vor allem die Aufklärung über die Erkrankung, Elternschulung/Elterncoachings, intensive Zusammenarbeit mit der Schule, Medikamente und Psychotherapie.

Ist das ADHS nicht stark ausgeprägt, kann es bereits helfen, bei einer Elternschulung den Umgang mit ADHS zu erlernen und auf gute Schlafgewohnheiten des Kindes zu achten. Ist das ADHS stärker und kommt es zu Problemen in der Schule bzw. dem sozialen Umfeld sind Begleitmaßnahmen in der Schule und eine Psychotherapie sinnvoll. Der Einsatz von Medikamenten wird genau abgewogen und ist nur bei deutlicher Beeinträchtigung und Leidensdruck empfohlen. Gemeinsam mit der Ärztin/dem Arzt entscheiden die Betroffenen, welche Therapiemöglichkeiten infrage kommen. Es kann sein, dass der Behandlungsbedarf nicht so groß ist oder dass doch eine umfassendere Therapie notwendig ist.

Eine wichtige Maßnahme ist die Aufklärung über ADHS von Eltern, Familie und Betreuungspersonen aus dem sozialen Umfeld (etwa Kindergarten oder Schule). Die Aufklärung über die Erkrankung wird Psychoedukation genannt und erfolgt z.B. in Form von Elternschulungen. Bei einer Elternschulung erfahren die Eltern mehr über ADHS (was es ist, wie es auf den Körper wirkt etc.) und den Umgang damit. Zum Beispiel welche Verhaltensweisen man beeinflussen kann, welche das Kind ändern kann und welche nicht. Diese Schulung unterstützt bei der Erziehung und auch bei Problemen mit ADHS im Alltag. Der Alltag eines Kindes mit ADHS sollte zum Beispiel gut strukturiert sein.

ADHS hat meist Auswirkungen auf den Alltag im Kindergarten oder der Schule. Daher ist eine Zusammenarbeit zwischen Eltern, Kindern, den behandelnden Personen und dem Kindergarten bzw. der Schule hilfreich. So können zum Beispiel Lernbedingungen angepasst werden (z.B. Übungen im Unterricht). Klare Botschaften und Regeln, eine gut geplante Tagesstruktur, das Vermeiden von Überforderung oder immer wieder mal ein gerechtfertigtes Lob sind zudem hilfreich.

Im Vorschulalter stehen dabei meist Erziehungsberatung der Eltern, Einbezug des Kindergartenpersonals und eine Spieltherapie im Vordergrund. Bei der psychotherapeutischen Behandlung von Schulkindern mit ADHS wird unter anderem mittels verhaltenstherapeutischen Maßnahmen gelernt, die Gefühle besser zu regulieren oder Probleme zu lösen. Das schulische sowie soziale Umfeld wird mit einbezogen. Mittels Psychoedukation soll das Verständnis für die Störung gefördert werden. In einer Gruppentherapie können Jugendliche z.B. auch ihre sozialen Fähigkeiten in Kontakt mit Gleichaltrigen verbessern.

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Medikamente

Medikamente kommen bei ADHS ab dem Alter von sechs Jahren zum Einsatz. Das am häufigsten verwendete Medikament bei ADHS ist der Wirkstoff Methylphenidat. Tritt keine erwünschte Wirkung ein, kann auch eine Behandlung mit den Wirkstoffen Atomoxetin, Guanfacin oder Lisdexamfetamin eine Alternative sein. Dexamphetamin und Lisdexamfetamin sind nur für Kinder und Jugendliche zugelassen, wenn vorher eine Behandlung mit Methylphenidat versucht wurde. Guanfacin verschreibt die Ärztin/der Arzt erst, wenn andere Mittel unverträglich oder wirkungslos waren.

Die medikamentöse Therapie wird von regelmäßigen Kontrolluntersuchungen begleitet. Treten Nebenwirkungen auf, sollen Eltern dies der Ärztin/dem Arzt mitteilen. Diese/dieser kann dann gemeinsam mit Eltern und Kind besprechen, welche Anpassungen der Medikation notwendig bzw. Die Vor- und Nachteile der Medikamenteneinnahme werden von dem Kind/Jugendlichen, Eltern und Ärztin/Arzt gemeinsam abgewogen. Medikamente bei ADHS sollten im Zuge einer umfassenden Therapie zum Einsatz kommen. Das bedeutet, dass nicht nur Medikamente eingenommen werden. Begleitend werden soziale, psychotherapeutische und pädagogische Maßnahmen gesetzt. Die Medikamente können die Symptome lindern, solange sie eingenommen werden.

Auch klinisch-psychologische Behandlungstechniken werden eingesetzt. Mithilfe einer Ergotherapeutin/eines Ergotherapeuten werden etwa Fähigkeiten in Bezug auf Bewegung, Ausführung von Alltagstätigkeiten oder sozialem Austausch verbessert, das Selbstbewusstsein wird gestärkt. Es gibt Hinweise, dass Ausdauersport bei ADHS hilfreich ist. Allerdings ist dies wissenschaftlich noch nicht ausreichend überprüft. Eltern und Kinder empfinden Sport jedoch oft als hilfreich. Andere immer wieder mit ADHS in Verbindung gebrachte Maßnahmen wie Neurofeedback, Diäten/Ernährungsumstellungen, pflanzliche Arzneimittel oder Nahrungsergänzungsmittel sind unzureichend erforscht.

Ist der Alltag nur noch schwer zu bewältigen und ein Kind sehr hyperaktiv und impulsiv, kann ein Aufenthalt in einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie bzw. Kinder- und Jugendpsychosomatik sinnvoll sein. Auch wenn weitere schwere psychiatrische Erkrankungen vorliegen, ist ein Spitalsaufenthalt möglicherweise notwendig. Auch eine Rehabilitation kann unterstützend sein.

Der Alltag mit ADHS kann sehr herausfordernd für die ganze Familie sein. Oft kommt es zu Konflikten in der Schule, zu Streit mit anderen Kindern oder Angehörigen. Für Geschwister ist es auch nicht leicht. Und natürlich leiden die betroffenen Kinder und Jugendlichen selbst an ihrem Verhalten und den Folgen im sozialen Umfeld. Sie finden zum Beispiel schwieriger Freundinnen und Freunde. Im Familienalltag helfen meist klare Regeln und Routinen. Ein Austausch in einer Selbsthilfegruppe für Eltern ist oft hilfreich. Sich immer wieder bewusst zu machen, dass das Kind nicht mit Absicht so handelt, ist ebenso unterstützend.

Sollten Sie den Verdacht haben, dass Ihr Kind an ADHS leidet, wenden Sie sich an eine Kinderpsychiaterin/einen Kinderpsychiater bzw. eine Kinderärztin/einen Kinderarzt mit Spezialisierung auf Psychosomatik oder eine der spezialisierten ADHS-Ambulanzen. Diese/dieser leitet dann weitere notwendige Untersuchungen bzw.

Vor- und Nachteile der ADHS-Diagnose

Die Diagnose Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS, ist eine der am meisten verbreiteten Diagnosen bei Kindern und Jugendlichen. Was hat es mit dieser Diagnosekategorie auf sich? Ist sie Fluch oder Segen, Chance oder Risiko, Last oder Entlastung, Krankheit oder Mythos?

Vorteile

  • Beruhigung und Klarheit: Die Diagnose ADHS schafft Beruhigung, sie suggeriert Klarheit. Das Problemfeld um Aufmerksamkeitsstörungen, Unruhe und Impulsivität bekommt einen Namen. Damit erscheint ein schwieriges Verhalten weniger fremd und bedrohlich, es kann eingeordnet und erklärt werden.
  • Behandelbarkeit: Außerdem wird das störende Verhalten behandelbar, die Biomedizin bietet mit der Verabreichung von Psychostimulanzien die Möglichkeit, die Symptomatik relativ schnell zu lindern beziehungsweise zu unterdrücken.
  • Entlastung des Umfelds: Zunächst führt die Diagnose, verknüpft mit der Annahme einer genetisch bedingten Hirnstoffwechselstörung, zu einer Entlastung und Beruhigung des Umfelds. Weder Eltern noch Pädagog:innen müssen sich über psychosoziale Problemstellungen und Konflikte Gedanken machen. Die Ursache der Störung wird in das Kind verlagert, das Kind hat den (Gen-)Defekt und das Umfeld trägt keine Verantwortung für die Ursachen hyperaktiven, impulsiven und unaufmerksamen Verhaltens.

Nachteile

  • Oberflächliche Erklärungen: Die mit der Diagnose ADHS verknüpften beruhigenden, erklärenden und entlastenden Wirkungen erweisen sich als vordergründig und oberflächlich: So liefert die Einordnung in die diagnostische Kategorie keine wirklichen Erklärungen, sie vermag nichts weiter auszusagen, als dass eine Person Verhaltensweisen zeigt, die unter die Symptomkategorien Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit und Impulsivität fallen und hier aufgrund ihrer Häufigkeitsdichte erfasst werden können.
  • Pathologisierung: Kinder, die den Vorstellungen von schulischem Wohlverhalten nicht entsprechen, laufen Gefahr, pathologisiert, mit psychiatrischen Diagnosen belegt und entsprechend medikamentös behandelt zu werden.
  • Negative Auswirkungen auf das Selbstbild: Bezogen auf das Selbstbild sowie auf die Position in der Peergroup kann die Diagnose jedoch verheerenden Schaden anrichten. Betroffene Kinder und Jugendliche nehmen sich selbst als ungenügend, defizitär, anders als die anderen und nicht liebenswert wahr, insbesondere wenn sie ihre Medikamente nicht einnehmen.

ADHS im Erwachsenenalter

Lange Zeit galt die Störung als „Kinderkrankheit“, die sich irgendwann auswächst. Inzwischen weiß man, dass Erwachsene häufig noch davon betroffen sind. Und ADHS wird auch zunehmend nicht als Krankheit, sondern als Neurodiversität eingeordnet - als hirnfunktionale Besonderheit.

Die meisten Erwachsenen mit ADHS haben gelernt, diese Besonderheiten zu kompensieren - oder sogar für sich zu nutzen. Denn auch das weiß man inzwischen: ADHS bietet offenbar nicht nur Nachteile, sondern kann durchaus auch Stärken mit sich bringen. Menschen mit ADHS gelten beispielsweise als geistig sehr flexibel, kreativ und hochfokussiert, wenn sie für etwas Begeisterung entwickeln.

Bei Erwachsenen stehen statt Hyperaktivität eher Unaufmerksamkeit, innere Unruhe und Unausgeglichenheit im Vordergrund. Vielen fällt es schwer, ihre Gefühle zu regulieren.

Statistiken und Fakten

Hier ist eine Tabelle mit einigen wichtigen Statistiken und Fakten zu ADHS:

Fakt Wert
Prävalenz bei Kindern und Jugendlichen 3,5 - 5%
Geschlechterverhältnis (Buben zu Mädchen) 3:1 (hyperaktiv-impulsiver Typ)
Komorbidität mit anderen Störungen Hoch (z.B. Angststörungen, Depressionen, Ticstörungen)
Erbliche Veranlagung ca. 80%

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