Die Behandlung suizidaler Patient_innen birgt eine Komponente, die nicht in jeder Psychotherapie zum Ausdruck kommt: die Bedrohung des Lebens der Patient_innen sowie damit einhergehend die Angst der Behandler_innen um die Patient_innen bzw. vor rechtlichen Folgen.
Non-Suizid-Verträge (NSV) in der Psychotherapie
Auf Grund dessen kommen in solchen Behandlungen oft Non-Suizid-Verträge (NSV) zum Einsatz. Die Intention solch einer Intervention kann in der Aufrechterhaltung des therapeutischen Prozesses und in der Absicherung von Leib und Leben der Patient_innen gesehen werden. Im vorliegenden Artikel werden ausgehend von der Thematik Psychotherapie mit suizidalen Patient_innen, der Ursprung und die Entwicklung von NSV aufgezeigt und auf deren Nützlichkeit überprüft.
Der ursprüngliche NSV, wie er von Drye et al. entwickelt wurde, soll Behandler_innen mit ihnen bereits bekannten Patient_innen ein gemeinsames Ziel ermöglichen, nämlich die Sicherung des Lebens. Darüber hinaus soll das Sprechen über Suizidalität ermöglicht werden und sich positiv auf die therapeutische Beziehung auswirken.
Drew (2001) streicht heraus, dass Drye, Goulding und Goulding den NSV auf einem transaktionsanalytischen Ansatz aufgebaut haben. In den 1970er Jahren haben sich problemzentrierte bzw. lösungsorientierte Therapieansätze entwickelt, was als Erklärungsansatz für die Etablierung von NSV gesehen werden kann. Behandler_innen haben eine Übereinstimmung zwischen dem Einsatz von NSV und kognitiver bzw. dialektisch-behavioraler Therapie bemerkt, weil in beiden die Zustimmung der Patient_innen gegeben wurde, in ihren Themenbereichen trainiert zu werden, i.e. sich neue Verhaltensmuster anzueignen und diese auch eigenverantwortlich außerhalb der Therapie zu üben. Darüber hinaus sind zu der Zeit Krisentelefone bzw. eingerichtet worden.
Kritische Betrachtung von NSV
Lee und Bartlett (2005) haben in den Death Studies auf Basis wissenschaftlicher Artikel eine theoretische Abhandlung von positiven und negative Aspekten von NSV ausgearbeitet. Ein NSV kann den Autor_innen nach als entlastend wahrgenommen werden, wenn das Gefühl, dass das Leben außer Kontrolle ist, auftritt. Der NSV kann, besonders bei Menschen mit Persönlichkeitsstörungen, das Gefühl vermitteln, dass Kontrolle möglich ist. Eine mögliche Auswirkung eines NSV kann sein, dass Patient_innen ermutigt werden, über Suizidalität zu sprechen.
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Ebenso kann die therapeutische Beziehung negativ getrübt werden, wenn Patient_innen auf Grund eines NSV nicht mehr über ihre Suizidalität sprechen, aus Sorge, damit den NSV zu verletzen. Die Folge können Kommunikationsbarrieren sein, in weiterer Folge das Leugnen von Suizidalität, was eine Gefahr für die Patient_innen darstellt. Manche Patient_innen können aber auch den Eindruck bekommen, dass der NSV nur eine Entlastungsfunktion für Behandler_innen hat.
Der NSV darf nicht als Begutachtungsinstrument gesehen werden. Die Beurteilung der Suizidalität hat über längere Zeit zu erfolgen und muss diagnostischen Kriterien folgen. NSV werden von einigen Expert_innen verwendet, obwohl sie nur spärlich erforscht sind. Die Annahme drängt sich auf, dass die Verwendung auf Eindrücken oder Erfahrungswerten basiert (Range et al. 2002).
Studien zur Nützlichkeit von NSV im klinischen Alltag bzw. in der Praxis zeichnen mehrheitlich das Bild der fehlenden Beweisbarkeit von Suizidprophylaxe durch den Einsatz eines NSV (Kelly und Knudson 2000; Reid 1998; Stanford et al. 1994). Der Autorin ist keine randomisierte Kontrollstudie zu der aus 1973 von Drye et al. bekannt (Stanley und Brown 2012).
Page und King (2008) haben in Kanada im Rahmen einer Studie evaluiert, in welchem Ausmaß NSV bei niedergelassenen Therapeut_innen zum Einsatz kommen. 516 Therapeut_innen mit unterschiedlichen Grundberufen sind zu ihrem Gebrauch bzw. ihren Erfahrungen mit NSV befragt worden. Orientiert hat sich der Gebrauch von NSV an der Einschätzung der Suizidalität. 31 % der Therapeut_innen, die einen NSV verwendet haben, haben angegeben, dass mindestens ein_e Patient_in, trotz des Einsatzes eines NSV, einen Suizidversuch unternommen bzw. Suizid begangen hat.
Als Grund für die Verwendung des NSV haben die Therapeut_innen angegeben, dass er Sorge und Fürsorge zeige. Einerseits hat die Hälfte der Therapeut_innen geglaubt, dass ein NSV die Suizidwahrscheinlichkeit reduziere, während gleichzeitig mehr als die andere Hälfte der Befragten geglaubt hat, dass er die Angst der Therapeut_innen reduziere. Gespalten haben sich die Befragten in der Frage des Haftungsschutzes durch einen Non-Suizid-Vertrag bei Suizid gezeigt.
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Ein NSV hat keinen gültigen Rechtscharakter und bildet gängiger Meinung nach keinen entlastenden Schutz im Sinne eines Beweisdokuments bzw. rechtsgültigen Vertrags bei einer Anklage. (Schiller (2011) ist als einer der wenigen zu nennen, der den Abschluss eines NSV als positiv für das Gerichtsverfahren im Rahmen der (!) Ärzt_innenhaftung einstStuft.) Schutz bei einer Anklage kann nur ausführliche Dokumentation sowie ein gründliches und prozessuales Befunden der Suizidalität bieten (Edwards und Sachmann 2010; Jacobs et al. 2010).
Es kann sein, dass bei Abschluss eines NSV die Wachsamkeit bzw. das Wahrnehmen der Behandler_innen in puncto Anzeichen oder Andeutungen von Suizidalität nachlässt (Jacobs et al. 2010; Lazic et al. 2014). Ein NSV ist nur so verlässlich, wie die bestehende therapeutische Beziehung (Jacobs et al. 2010; Lazic et al. 2014).
Ein Schaden kann entstehen, wenn Behandler_innen den NSV verwenden, um einen Umgang mit den eigenen Ängsten zu finden bzw. diese zu verringern. Diese Ängste können sich um das Wohl der Patient_innen drehen, aber auch um Konsequenzen in Bezug auf die Ausübung der Profession der Behandler_innen. Oft spüren Patient_innen die Angst bzw. Sorge der Behandler_innen und geben das Versprechen, am Leben zu bleiben, im Rahmen eines NSV nur, um die Behandler_innen zu beruhigen (Lazic et al. 2014).
Ein Schaden kann verursacht werden, wenn ein NSV abgeschlossen wird, um dadurch Beziehung herzustellen bzw. zu stärken (Lazic et al. 2014). Ein Schaden kann entstehen, wenn keine ausführliche, prozessuale Befundung der Suizidalität gemacht wird, weil ein NSV abgeschlossen wird. Ebenso ist es schädlich, keinen Behandlungsplan festzulegen (Edwards und Harries 2007; Jacobs et al. 2010).
Ein Schaden kann entstehen, wenn Patient_innen wissen, dass sie, wenn sie den NSV nicht unterschreiben, von den Behandler_innen gebeten werden, eine stationäre Behandlung zu beginnen bzw. eingewiesen werden (Lazic et al. 2014).
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Die Abhandlung macht sichtbar, dass ein Ungleichgewicht zwischen Haupt-Wirkfaktoren und Schäden vorliegen. Die Wirkweise von stark von der Beziehung zu den Patient_innen, gleichzeitig von deren Persönlichkeitsstruktur und darüber hinaus vom persönlichen Umgang der Behandler_innen mit der Angst um ihre Patient_innen abhängig.
Dadurch wird der NSV als „Standardintervention“ in Frage gestellt. Die Frage nach der sicheren Herstellung von Schutz für suizidale Patient_innen bleibt mit der Intervention NSV unbeantwortet.
Alternative Interventionen
2017 wurde eine randomisierte klinische Vergleichsstudie von Bryan et al. (2017) durchgeführt. Ziel der Studie war ein Vergleich der Effektivität von Krisenreaktionsplänen (= KRP) und NSV bei Suizidgedanken oder suizidalem Verhalten. Die Studie wurde mit 97 aktiven Soldat_innen der amerikanischen Armee durchgeführt, die einen Notfalltermin auf Grund von krisenhaftem Verhalten gehabt haben.
Ein KRP, wie er im Laufe der Studie durchgeführt wurde, zeichnet sich dadurch aus, dass er auf Scheckkartenformat notiert, stets von den Patient_innen mitgeführt wird und folgende Elemente enthält (Bryan et al. 2017):
- persönliche Warnzeichen
- interne Bewältigungsstrategien
- soziale Kontakte
- eingeweihte Bezugsperson(en) kontaktieren bzw.
- professionelle Hilfe suchen
Ein KRP ist als eine Möglichkeit zu verstehen, Patient_innen eine Anleitung zu geben, was sie während einer suizidalen Krise tun sollen. Abgedeckt werden das Erkennen von Risikobereichen und darauf bezogene hilfreiche Handlungen, was im Weiteren zur Souveränitätssteigerung der Patient_innen beitragen kann, wenn sie ihre Selbstwirksamkeit erleben (Bryan et al. 2017).
Die Ergebnisse haben gezeigt, dass es keinen signifikanten Unterschied zwischen einem erweiterten KRP und einem KRP gibt, weshalb die Ergebnisse zu einer Kategorie mit 65 Personen zusammengefügt worden sind. Patient_innen mit einem KRP weisen demnach innerhalb des Nachuntersuchungszeitraums eine um 76 % geringere Wahrscheinlichkeit auf, einen Suizidversuch zu vollziehen. Neben der geringeren Anzahl von Suizidversuchen bei denjenigen Teilnehmer_innen mit KRP konnten ebenso rascher abnehmende Suizidgedanken und eine geringere Anzahl an stationären Aufenthaltstagen verzeichnet werden, was die Autor_innen hat folgern lassen, dass der Krisenreaktionsplan effektiver ist als der NSV (Bryan et al. 2017).
Bryan et al. (2017) erwähnen, dass der Einsatz von KRP (sowie NSV) auf Grundlage von Glaubenssätzen bzw. Erfahrungswerten der Behandler_innen beruht. Die Studienergebnisse unterstreichen einerseits das Phänomen der Beliebtheit von NSV bei den Behandler_innen, während andererseits andere Interventionsformen bessere Ergebnisse in der Suizidprophylaxe aufweisen.
Die angeführten Implikationen zur Suizidverhütung sind mit anderen bekannten Interventionen vergleichbar. So werden Ähnlichkeiten mit Notfallplänen (Dorrmann 2009), crisis response planning (Bryan et al. 2017), SPI (Savety Plan Intervention) (Stanley und Brown 2012), AIM-SP (Assess, Intervene and Monitor for Suicide Prevention model) (Brodsky, Spruch-Feiner und Stanley 2018) u.a. deutlich.
Assistierter Suizid: Ethische und rechtliche Aspekte
Nachdem der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) die bisherige Strafbarkeit der Beihilfe zum Suizid am 11.12.2020 für verfassungswidrig erklärt hat, trat am 1.1.2022 das Sterbeverfügungsgesetz (BGBl. I Nr. 242/2021) in Kraft. Damit ist der assistierte Suizid bei „1. an einer unheilbaren, zum Tod führenden Krankheit (§ 120 Z 1 ASVG) oder 2. an einer schweren, dauerhaften Krankheit (§ 120 Z 1 ASVG) mit anhaltenden Symptomen“ leidenden Menschen, die „in ihrer gesamten Lebensführung dauerhaft“ beeinträchtigt und einem „nicht anders abwendbaren Leidenszustand“ ausgesetzt sind, zulässig.
Im fürsorgebasierten Ansatz wird der assistierte Suizid als Handlung zum Wohl der hilfesuchenden Person betrachtet. Dies setzt ein objektives Urteil über das Ausmaß des Leidens voraus und kann in der Praxis etwa bedeuten, dass bestimmte Erkrankungen für einen assistierten Suizid qualifizieren. Der autonomiebasierte Ansatz hebt das Recht auf Selbstbestimmung und damit die freie Entscheidung des einzelnen Menschen über sein Leben und Sterben hervor. Die individuelle Einschätzung der eigenen Lebensqualität ist in diesem Ansatz zentral. Das Urteil des VfGH Wien/Österreich von 2020 entspricht einem solchen autonomiebasierten Ansatz.
In Österreich kam es im Jahr 2023 offiziellen Angaben zufolge zu 1.212 Suiziden. Die tatsächliche Anzahl der Suizidversuche ist jedoch zehn- bis dreißigmal höher anzusetzen. 2023 wurden 98 assistierte Suizide erfasst (54 Frauen und 44 Männer, großteils älter als 55 Jahre).
Da keine näheren Informationen zu den Erkrankungen der Betroffenen vorliegen, ist nicht bekannt, welchen Anteil Menschen mit (primär) psychischen Erkrankungen ausmachen. Im Jahr 2022 litten drei von zehn Personen, die sich zur Möglichkeit des assistierten Suizids bei der Patient:innenanwaltschaft in Österreich erkundigten, an unheilbaren psychischen Erkrankungen.
Eine schweizerische Studie, die 1.329 assistierte Suizide untersuchte, zeigte, dass 4,6% auf eine affektive Störung sowie andere psychische oder Verhaltensstörungen zurückzuführen waren, während z. B. 36,3 % an Krebs litten.
Psychotherapie im Kontext von Suizidwünschen und assistiertem Suizid
Im Rahmen der Psychotherapie kann es sowohl bei körperlich als auch bei psychisch erkrankten Menschen dazu kommen, dass Suizidgedanken und/oder der Wunsch nach assistiertem Suizid geäußert werden. Chronische körperliche Schmerzen sind ein signifikanter Risikofaktor für Suizidalität, wobei Betroffene deutlich häufiger von suizidalen Gedanken, Suizidversuchen und vollendeten Suiziden berichten als die Allgemeinbevölkerung.
Etwa 20 % bis 29 % der Menschen mit chronischen Schmerzen berichten im Laufe ihres Lebens von Suizidgedanken, zwischen 5 % und 14 % begehen Suizidversuche. Meta-Analysen zeigen, dass Personen mit chronischen Schmerzen etwa doppelt so häufig suizidale Gedanken und Verhaltensweisen haben wie schmerzfreie Personen. Diese Verbindung lässt sich durch biologische und psychosoziale Mechanismen erklären, wobei psychische Erkrankungen, insbesondere Depressionen, als einer der Hauptrisikofaktoren für Suizidalität gelten.
Physische Erkrankungen lassen sich objektiv feststellen, etwa mittels Laboruntersuchungen oder bildgebender Verfahren - im Falle psychischer Erkrankungen ist dies oft schwieriger, zumal es teilweise nur wenige oder auch sehr unterschiedliche Forschungsergebnisse zu den Heilungschancen gibt.
Wie schon erwähnt werden eine umfassende Beeinträchtigung aller Lebensbereiche oder ein andauernder Leidenszustand gesetzlich vorausgesetzt, um in Österreich einen assistierten Suizid in Anspruch nehmen zu können. Existentielles Leiden beschreibt den Verlust eines persönlich empfundenen Lebenssinns. Dies kann insbesondere bei lebensverändernden körperlichen Erkrankungen auftreten, wenn Betroffene ihre Unabhängigkeit und sozialen Kontakte durch mit der Krankheit einhergehende Einschränkungen verlieren.
Wissenschaftliche Studien belegen, dass ein individueller Sinn im Leben Wohlbefinden und Resilienz fördert. Gerade bei Menschen, die an schweren Erkrankungen oder etwa unter andauernden Schmerzen leiden, kann sich die Suche nach einem Lebenssinn als sehr schwierig gestalten. Die Forschung zeigt jedoch, dass schon die Auseinandersetzung mit dem Thema, also die Suche nach dem Lebenssinn an sich, ebenso sinnstiftend wirken kann.
In der psychotherapeutischen Arbeit haben diesbezüglich die therapeutische Beziehung sowie die Förderung der sozialen Einbettung bzw. die Unterstützung bei der Bewältigung von Einschränkungen eine zentrale Bedeutung.
Die Rolle der Psychotherapie bei Suizidwünschen
In der Psychotherapie können und sollen Suizidgedanken offen besprochen werden. Im Hinblick auf den Wunsch nach einem assistierten Suizid sollten Psychotherapeut:innen ihre Patient:innen einfühlsam verstehend unterstützen, mit dem Ziel, Hilfe zum Leben - und nicht zum Sterben - zu geben. Ein Suizidwunsch in der Psychotherapie wird entweder als Ausdruck einer psychischen Erkrankung (z. B. schwere Depression, Angststörung, Psychose) oder einer tiefen Lebenskrise gesehen. Suizidwünsche gilt es ernst zu nehmen und es erfordert eine sofortige Intervention, um das Leben der Person zu schützen. Maßnahmen der Suizidprävention und alternative Hilfsangebote sind hierbei zentrale Elemente.
In der psychotherapeutischen Begleitung von Personen mit Sterbewünschen muss die individuelle Situation, einschließlich ihrer Lebensgeschichte und aktuellen Belastungen, genau betrachtet werden. Die Psychotherapie unterscheidet hier klar: Akut suizidale Menschen sind in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt, da ihr Urteilsvermögen durch eine Krankheit oder akute Krise beeinträchtigt ist. Hier steht die Rettung des Lebens im Sinne einer Suizidprävention im Vordergrund.
Auf dem Weg zur Entscheidung hinsichtlich eines assistierten Suizids sollen die Sichtweisen, Wünsche, Beweggründe und Ziele der Patient:innen gemeinsam besprochen und ein Plan für das weitere Vorgehen erarbeitet werden. Der Wunsch nach assistiertem Suizid wird als eine wohlüberlegte und autonome Entscheidung betrachtet, die aus einem unerträglichen und unheilbaren Leiden resultiert. Er gilt als Ausdruck eines rationalen, freien und beständigen, also über einen längeren Zeitraum hinweg konstanten und unveränderten, Willens.
Die Aufgabe der Therapeut:innen ist es, sicherzustellen, dass die Entscheidung zum assistierten Suizid wirklich frei und unbeeinflusst getroffen wird. In diesem geschützten, professionellen Rahmen soll der Sterbewunsch von Seiten der Psychotherapeut:in nie bejaht oder verneint werden können. Stattdessen können Betroffene Gefühle wie Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Ängste und Trauer verarbeiten, ohne von Scham- oder Schuldgefühlen überwältigt zu werden oder diese zumindest begleitet zu bewältigen, und dabei alternative Lösungswege zum Suizid erkunden. Die Begleitung kann auch die Kommunikation mit Angehörigen unterstützen.
Eine mögliche Alternative stellt die Palliative Psychotherapie dar, die darauf abzielt, die psychische Belastung schwerkranker Menschen am Lebensende zu lindern und ihre Lebensqualität zu verbessern. In diesem Rahmen können etwa Depression, Angst und existenzielle Not behandelt werden, und Patient:innen sowie Angehörige in der Bewältigung der letzten Lebensphase Unterstützung erfahren. Meta-Analysen und Übersichtsarbeiten zeigen, dass Psychotherapie in der Palliativversorgung Depressionen und Ängste signifikant reduziert und die Lebensqualität verbessert.
Ethische Herausforderungen und professionelle Haltung
Für die therapeutische Beziehung und eine professionelle Haltung ist jedenfalls zentral, dass Therapeut:innen ihre persönlichen Überzeugungen und moralischen Positionen hinsichtlich des assistierten Suizids reflektieren. Sie müssen sich der eigenen Haltung bewusstwerden, um nicht unbewusst oder bewusst einen suizidalen Wunsch zu verstärken oder zu stigmatisieren. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit und den Grenzen der therapeutischen Arbeit ist hierbei von zentraler Bedeutung.
Ein Mangel an klaren ethischen Richtlinien und Leitlinien für Berufsgruppen, die mit dem Thema des assistierten Suizids befasst sind, stellt eine erhebliche Lücke in der professionellen Praxis dar. Solche Richtlinien wären essenziell, um den notwendigen Prozess der Selbstreflexion zu unterstützen. Auch der Mangel an standardisierten Beratungsangeboten trägt zur Unklarheit und Unsicherheit rund um den assistierten Suizid bei.
Unsicherheit und ethische Konflikte spiegeln sich auch in der Perspektive der Fachkräfte wider. Eine im Jahr 2023 veröffentlichte Studie zu den Ansichten von Schweizer Fachkräften, die direkt mit dem assistierten Suizid konfrontiert sind, verdeutlicht die Hilflosigkeit und die ethischen Konflikte der Befragten. Obwohl sie den Wunsch nach assistiertem Suizid unter bestimmten Umständen einstimmig als gerechtfertigt ansehen, lehnen manche von ihnen die aktive Unterstützung ab, selbst wenn sie den Wunsch nachvollziehen können. Die Frage, ob der Entschluss einer Patient:in zum assistierten Suizid ethisch mitgetragen werden kann, ist von Mensch zu Mensch individuell zu beantworten.
Eine rechtliche Verpflichtung, an einem assistierten Suizid mitzuwirken oder diesen zu begleiten, haben Psychotherapeut:innen in Österreich nicht. Im Kontext der ärztlichen Begleitung stellt sich auch die ethische Frage, ob Ärzt:innen das Recht haben sollten, die Suizidassistenz zu verweigern, was zu einer weiteren ethischen Auseinandersetzung führt und im Kontext der interdisziplinären Zusammenarbeit tragend wird.
Bezogen auf Fachkräfte ergibt sich letztlich die dringende Aufgabe, strukturelle Unterstützungssysteme zu schaffen, die es ermöglichen, die eben genannten Herausforderungen zu bewältigen. Dies umfasst die Implementierung von Supervision und psychotherapeutischen Angeboten, um einen sicheren Raum für die Reflexion beruflicher Dilemmata und emotionaler Belastungen zu schaffen. Dies ist essenziell, um persönlich nicht zu zerbrechen, d. h. einem Burnout vorzubeugen und die Behandlungsqualität aufrechtzuerhalten.
Tabelle: Vergleich von NSV und KRP in der Suizidprävention
Merkmal | Non-Suizid-Vertrag (NSV) | Krisenreaktionsplan (KRP) |
---|---|---|
Ziel | Sicherung des Lebens, Ermöglichung des Sprechens über Suizidalität | Anleitung für Patient_innen in suizidalen Krisen |
Inhalt | Versprechen des Patienten, sich nicht zu suizidieren | Warnzeichen, Bewältigungsstrategien, soziale Kontakte, professionelle Hilfe |
Effektivität | Wenig Evidenz für Suizidprophylaxe | Studien zeigen Reduktion von Suizidversuchen |
Fokus | Angstreduktion bei Behandlern, Stärkung der Beziehung | Souveränitätssteigerung und Selbstwirksamkeit der Patient_innen |
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