Lithium war jahrelang der klassische Stimmungsstabilisierer. In den letzten Jahren kam eine Fülle an neuen Medikamenten mit potenziell stimmungsstabilisierenden Effekten auf den Markt und verdrängte sukzessive Lithium von seinem angestammten Platz.
Pharmakokinetik von Lithium
Lithium ist ein wasserlösliches Ion, das nicht an Plasmaproteine bindet. Nach oraler Einnahme wird es rasch durch den oberen Gastrointestinaltrakt resorbiert. Die Absorptionszeit beträgt ein bis sechs Stunden und hängt von der Präsenz von Nahrung im Magen ab. Lithium wird fast ausschließlich renal eliminiert, es findet keine hepatische Biotransformation statt.
Die Lithium-Clearance beträgt 20 bis 30 Prozent der glomerulären Filtrationsrate (GFR) und variiert je nach GFR. Lithium wird durch die Glomeruli der Niere als freies Ion gefiltert, und 80 Prozent werden an den proximalen Tubuli reabsorbiert.
Wenn im Rahmen einer Hyponatriämie (beispielsweise durch Schwitzen) die Natriumkonzentration im proximalen Tubulus reduziert und somit die Lithium-Reabsorption erhöht ist, wird demensprechend weniger Lithium ausgeschieden, und es kann rasch zu toxischen Plasmakonzentrationen kommen. Ein kleiner Teil wird allerdings auch am distalen Tubulus durch epitheliale Natriumkanäle reabsorbiert, diese Kanäle sind viel permeabler für Lithium als für Natrium.
Die Elimination von Lithium aus den Tubuluszellen ist abhängig von der Natrium-Kalium-Adenosin-Triphosphatase-Pumpe. Allerdings ist Lithium ein schlechtes Substrat für diese Pumpe, und dementsprechend schnell kann es zu einer intrazellularen Akkumulation mit Schädigung der Tubuluszellen und konsekutiver Nierenfunktionseinschränkung führen.
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Lithium wird als Salz, z.B. als Lithiumkarbonat, -citrat, -chlorid oder -sulfat, verabreicht. Die Präparate ähneln sich bezüglich Volumsverteilung, biologischer Verfügbarkeit und Halbwertszeit. Allerdings differieren einige wichtige andere Aspekte der Pharmakokinetik.
Es sind Lithiumpräparate verfügbar, welche schnell bzw. - durch retardierte Formulierungen - langsam absorbiert werden. Spitzenplasmakonzentrationen von nicht retardierten Präparaten werden eine bis vier Stunden nach Ingestion erreicht. Lithiumsulfat und Lithiumchlorid erreichen Spitzenplasmakonzentrationen innerhalb einer Stunde im Vergleich zu vier Stunden bei Lithiumkarbonat. Zusätzlich ist Lithiumkarbonat weniger wasserlöslich und wird daher durch den oberen Gastrointestinaltrakt weniger schnell absorbiert als die anderen Salze.
Bezüglich der Verwendung nicht retardierter Präparate konnte gezeigt werden, dass diese größere Plasma-Peaks erreichen, die akuten Nebenwirkungen aber nicht gravierender sind. Die retardierten Formen produzieren beständigere Plasma-Lithiumkonzentrationen als die nicht retardierten, mit denen größere Schwankungen des Plasmaspiegels zu erwarten sind. Retardierte Präparate erreichen Spitzenwerte nach vier bis zwölf Stunden je nach Salz.
Einige Studien haben gezeigt, dass die Spitzenplasmakonzentrationen bei retardierten Präparaten eher zeitlich dilatiert auftreten, als dass es zu erniedrigten Plasmaspiegeln kommt. Andere Evidenz zeigt, dass die Spitzenplasmakonzentrationen von retardierten Präparaten niedriger ausfallen als die von nicht retardierten. Die Interpretation dieser widersprüchlichen Daten ist komplex, insbesondere auch deswegen weil es große intraindividuelle Unterschiede gibt.
Einmalgabe vs. fraktionierte Gabe
Die Frage nach fraktionierter oder Einmalgabe mündet in der Frage, wie Lithium-bedingten Nebenwirkungen am besten zu begegnen ist. Aufgrund dieser schwerwiegenden Nebenwirkungen wurde dieser Frage schon sehr früh nachgegangen. Paul Grof bestätigte Mogen Schous Angabe, dass eine Einmalgabe eines nicht retardierten Präparats am Abend ein reduziertes Ausscheidungsvolumen zur Folge hat. Andere Autoren folgten dieser Ansicht. Nur wenige andere fanden keine Verbesserung der Polyurie.
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Eine rezente Übersichtsarbeit (McKnight RF et al., 2012) konnte eine schmale Reduktion der GFR (0-5ml/min über ein Jahr bei Lithiumpatienten entdecken. Die von den gleichen Autoren auf Basis der vorliegenden Fallkontrollstudien durchgeführte Metaanalyse mit 372 Fällen und 307 Kontrollen erbrachte eine bei Lithiumpatienten zwar nominal, aber statistisch nicht signifikante Reduktion der GFR.
Weiters konnte auch eine um 15 Prozent erniedrigte maximale Harnkonzentrationsfähigkeit im Vergleich zu den Kontrollen gezeigt werden. Allerdings sind alle diese Arbeiten mit derartig massiven Limitationen behaftet, dass zurzeit eine endgültige Antwort auf diese Frage nicht gegeben und ein positiver Einfluss auf die Polyurie nur vermutet werden kann.
Chronische Nephrotoxizität
Die Frage nach der chronischen Nephrotoxizität von Lithium wurde zum ersten Mal in den Siebzigern des letzten Jahrtausends nach einem Bericht über bioptische Abnormalitäten bei Patienten mit Lithium gestellt. In den letzten 20 Jahren erschienen immer mehr Publikationen, welche von sogenanntem „kreeping kreatinin“ und renaler Insuffizienz bei Langzeiteinnahme von Lithium berichteten. Diese chronischen Nephropathien entwickeln sich im Schnitt nach 15-20 Jahren, sind aber fast immer mild und oft klinisch nicht relevant.
In einer Kohortenstudie mit 3.369 Patienten unter Lithiumtherapie wurden 18 Patienten mit Lithium-bedingtem Endstadium einer Niereninsuffizienz identifiziert (0,5 vs. Nierenversagen, die eine Nierenersatztherapie (Dialyse, Transplantation) notwendig machen, sind rar, kommen aber in Einzelfällen vor.
Ob eine Einmalgabe renal protektiv wirkt, versucht eine rezente Übersichtsarbeit zu klären. Von den zwanzig eingeschlossenen Studien zeigten einige eine Harnvolumsreduktion unter Einmaldosierung, insgesamt waren die Studien jedoch nicht konkludent.
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Auch die Frage nach dem Einfluss auf die affektive Psychopathologie unter Einmalgabe muss in diesem Kontext beleuchtet werden. Einmalgaben können nämlich erniedrigte Plasmaspiegel zur Folge haben und somit eine affektive Destabilisierung induzieren. Computergenerierte „Steady-state“-Messungen unter Gabe von Einzeldosen ergaben sich um die „Steady-state“-Mittelwerte bewegende größere Fluktuationen sowohl nach oben wie nach unten, im Vergleich zu täglich geteilten Dosen. Daher sind die 12-Stunden-Spitzen-Plasmakonzentrationswerte nach Einmalgabe höher und die 24-Stunden-Werte niedriger als bei geteilter Dosis.
In diesem Kontext ist es auch wichtig, nicht nur die peripheren Plasmakonzentrationen mit ins Kalkül zu ziehen. Die Halbwertszeit von Lithium in neuronalem Gewebe ist länger als im Plasma. Während Plasma-Lithiumkonzentrationen Konzentrationsspitzen vier bis zwölf Stunden nach Einnahme erreichen, erreichen die Lithiumkonzentrationen im ZNS wegen der Blut-Hirn-Schranke erst nach 24 Stunden den Peak. Der Peak fällt im Gehirn auch weniger ausgeprägt aus wie im Plasma (Ratio 0,5). Auch wird Lithium im neuronalen Gewebe im Vergleich zum Plasma wegen einer längeren Halbwertszeit von 30 Stunden später eliminiert. Die tägliche Einmalgabe wird also ausreichen, um wirksame Spiegel im zentralen Nervensystem aufrechtzuerhalten und so die stimmungsstabilisierende Wirkung von Lithium zu gewährleisten.
In der Praxis ergaben sich je nach Dosierungsschema keine Unterschiede in der Lithium-bedingten stimmungsstabilisierenden Wirksamkeit mit Verhinderung beispielsweise manischer Rezidive. Zur gleichen Schlussfolgerung kommt auch eine rezente Übersichtsarbeit (Carter et al., 2013).
In Anbetracht einer nächtlichen um 10-30 Prozent reduzierten Lithium-Clearance gibt es Empfehlungen, die nächtliche Einmaldosis um 25 Prozent zu reduzieren. Retardierte Präparate können in einer Einmaldosis am besten zur Nacht gegeben werden.
Im Gegensatz dazu empfehlen die gängigen Guidelines, die täglichen Lithiumdosen aufzuteilen. Die Ursache hierfür ist, dass mit dieser Praxis zumindest theoretisch weniger hohe Peaks mit dementsprechend weniger akuten Nebenwirkungen wie Tremor, Fatigue und Tagesmüdigkeit einhergehen (Ljubicic D et al., 2008; Shammi C, 2005).
Dosierungsschemata, die sich mit einer Dosis nur jeden zweiten Tag begnügen, bewirken höhere Rezidivraten (48 vs. 20 Prozent) und kürzere Zeiträume bis zum nächsten Rezidiv (48 vs. 65 Wochen) im Vergleich zu Dosierungen, die täglich vorgenommen werden. Auch ist in diesem Fall die Anzahl der euthymen Patienten nach drei Monaten im Vergleich zur Gruppe mit täglicher Gabe deutlich geringer (48 vs.
Klinische Empfehlung
Zusammenfassend hat die Einmalgabe am Abend den Vorteil einer erhöhten Adhärenz sowie einer möglichen Dosisreduktion. Die unter Lithium am häufigsten auftretende Nebenwirkung der Polyurie respektive der Polydipsie kann potenziell reduziert werden. Die Aussicht auf eine potenzielle Reduktion eines progressiven strukturellen Schadens am Nierentubulus sollte ebenfalls zur Umstellung ermutigen. Die Reduktion der Nebenwirkungen wird nicht durch eine eventuelle affektive Destabilisierung teuer erkauft.
Therapeutische Plasmaspiegel
Historisch gesehen waren Schou und vor allem Baastrup, der die Lithiumprophylaxe in der bipolaren Störung entwickelte, die Ersten, die Plasmaspiegel von mindestens 0,6mmol/l empfohlen. Schou schloss sich später dem von Jules Angst propagierten therapeutischen Plasmaspiegel von 0,5-0,8mmol/l an.
Eine Arbeit war für die langjährig gültige Dosierungspraxis von entscheidender Bedeutung (Gelenberg AJ et al., 1989). Die Anzahl der Patienten ohne Rezidiv mit dem höheren Plasmaspiegel 0,8-1,0mmol/l war nach 183 Wochen signifikant größer als die Anzahl der Patienten mit dem niedrigeren Spiegel (0,4-0,6mmol/l).
Die Frage nach dem optimal wirksamen Plasmaspiegelbereich wird in der Literatur derzeit allerdings noch kontrovers abgehandelt. Eine Übersichtsarbeit über die unterschiedlichen Dosierungen kam zu dem Schluss, dass niedrige Konzentrationen (0,6-0,8mmol/l) auch phasenprophylaktisch protektiv sind (Hopkins HS et al., 2000). Andere Studien mit unterschiedlichen Dosierungen konnten dies nicht bestätigen.
Heutige gültige Empfehlungen finden sich bei den klinischen Empfehlungen der APA-, CANMAT- und NICE-Guidelines, allerdings sind auch diese nicht einheitlich. Wurde ein „steady state“ erreicht, empfehlen die CANMAT-Guidelines, die Lithium-Plasmaspiegel auf 0,6-0,8mmol/l einzustellen. Viele Psychiater benutzen aber Spiegel zwischen 0,6-0,8mmol/l, die formal nie untersucht wurden.
Gegenstand von Diskussionen ist weiters noch das Statement, dass niedrigere Plasmaspiegel (≤6mmol/l) besser depressive als manische Phasen verhindern. Dies schloss die Gruppe um Kleindienst und Severus aus Daten unterschiedlicher Qualität. Eine prospektive Arbeit mit 64 Bipolar-I-Patienten stellt die wissenschaftlich fundierteste Publikation in dieser Richtung dar (Severus WE et al., 2009).
Diesen Daten steht die Arbeit von Nolen und Weisler (1999) entgegen. Die Autoren dieser Studie untersuchten Post-hoc-Daten einer doppelblind randomisierten Studie, in der in einem offenen Setting mittels Quetiapin stabilisierte Patienten entweder auf Lithium, Quetiapin oder Plazebo umgestellt und über einen Zeitraum von 104 Wochen beobachtet wurden (Weisler RH et al., 2011). Die Autoren schlussfolgerten, dass Lithium mit Plasmaspiegeln ≥0,6mmol/l dosiert werden sollte, um einen adäquaten prophylaktischen Schutz sowohl gegen manische als auch gegen depressive Episoden zu gewährleisten.
Konsens besteht in jedem Fall über die niedrigste phasenprophylaktisch wirksame Dosierung von 0,4mmol/l. Die Dosierung nach Polarität auszurichten bietet jedenfalls den Aspekt eines individuellen Vorgehens mit dem Vorteil der Minimierung von Nebenwirkungen.
Wirksamkeit von Lithium
Die Daten zur Wirksamkeit von Lithiumpräparaten in der Therapie der bipolaren Störung streuen über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten. Erste doppelblind kontrollierte Studien zur antimanischen Wirksamkeit von Lithium verglichen mit Chlorpromazin wurden bereits in den 60ern und 70ern des letzten Jahrhunderts publiziert. Auch die Evidenz in neueren randomisierten, kontrollierten Studien belegt eine antimanische Wirksamkeit von Lithium, aber diese tritt erst relativ langsam nach sechs bis zehn Tagen ein (Geddes JR et al., 2004; Gershon S et al., 2009).
Aus diesem Grund haben die Autoren der World Federation of Societies of Biological Psychiatry (WFSBP) eine Lithium-Monotherapie als Therapie zweiter Wahl eingestuft, außer für den Fall, dass Lithium für die Phasenprophylaxe vorgesehen ist. Andere praktisch-klinische Leitlinien empfehlen Lithium als erste Wahl in der Behandlung der akuten Manie (CANMAT, NICE). Die APA-Leitlinien empfehlen bei schwergradigen Manien auch Lithium, aber nur in Kombination mit einem Antipsychotikum oder Valproat.
Bezüglich der Wirksamkeit von Lithium als Monotherapie in der bipolaren Depression steht keine gute Evidenz zur Verfügung. Derzeit gibt es insgesamt neun doppelblinde Studien, welche Lithium versus Plazebo untersuchten. Diese suggerieren, dass Lithium Plazebo überlegen ist. Allerdings sind diese Arbeiten methodologisch angreifbar, da acht dieser neun Studien auf einem Cross-over-Design beruhen. Zusätzlich wurde Lithium rasch abgesetzt und dies könnte dementsprechend für einen früheren Rückfall in die Manie oder Depression verantwortlich sein.
So hat Lithium eine schwächere antidepressive Wirkung als Monotherapie in der bipolaren Depression, als die früheren Studien suggeriert haben. Die Wirksamkeit von Lithium konnte in neueren Studien wie EMBOLDEN I (Young AH et al., 2010) nicht von Plazebo separiert werden.
Um endgültige Aussagen über die antidepressive Wirksamkeit von Lithium treffen zu können, bräuchte es Direktvergleiche zwischen Lithium und den verschiedenen neueren Antidepressiva, diese Vergleiche sind derzeit nicht vorhanden. Trotzdem empfehlen z.B. die APA-Leitlinien Lithium als antidepressives Monotherapeutikum, außer es handelt sich um eine schwergradige Episode, bei der eine Kombination mit einem Antidepressivum empfohlen wird.
Lithium hat trotzdem in der Kombination mit anderen Therapeutika wie Antidepressiva einen wichtigen Stellenwert in der Behandlung der bipolaren Depression, auch wenn die Evidenz sehr beschränkt ist und sich meistens auf offene Studien gründet.
Auf Lithium sprechen klassisch-euphorische Zustandsbilder besser an als beispielsweise gemischte Episoden oder manische Dysphorie. Psychotische Symptome sind bei zirka 50 Prozent aller manischen Episoden fassbar. Ob bei Lithium auch eine antipsychotische Wirksamkeit besteht, ist eine der missverständlichsten und am wenigsten studierten Themen der Literatur. Vielleicht beruht dies auf der gängigen klinischen Praxis, bei Vorhandensein psychotischer Symptome gleich ein Antipsychotikum zu implementieren. John Cade berichtete bereits über antipsychotische Effekte von Lithium. Er nannte seine erste Arbeit zu diesem Thema dann auch „Die Therapie psychotischer Zustände“. In den 80ern folgten einige Arbeiten, die diese ersten Beobachtungen bestätigten, allerdings nur an wenigen Patienten untersucht.
Im Kontrast zu seiner Rolle in den akuten Phasen spielt Lithium eine wichtige phasenprophylaktische Rolle.
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