Physische und psychische Gesundheit werden oft getrennt behandelt, wobei der physischen Verfassung deutlich mehr Gewicht gegeben wird. Dass aber auch die Psyche maßgeblich für ein erfülltes Leben ist, haben viele erst während der letzten Pandemiejahre gelernt.
Warum ist Bewegung so gesund?
Egal, um welche Probleme es sich handelt, von Kreislaufbeschwerden bis hin zur Inkontinenz: Bewegung wird immer als oberste Maßnahme zur Vorbeugung genannt. Ein Mittel zur Vorbeugung von Erkrankungen, das auf jeder Linie guttut und keinerlei Nebenwirkungen hat? Bewegung kann das sein - solange sie zur körperlichen Fitness der Person passt. Damit ist nicht Leistungssport gemeint, viel wichtiger ist Regelmäßigkeit und Freude am Tun!
Sport aktiviert im Wechselspiel mit der Nahrung Stoffwechselvorgänge im Gehirn, die für die Hirnplastizität sowie Lern- und Erinnerungsleistungen entscheidend sind. Auch das psychische Wohlbefinden ist eng damit verknüpft. Außerdem wirkt Sport präventiv gegen neurologische und psychiatrische Erkrankungen.
Regelmäßige Bewegung verursacht merkbare Änderungen: Man spürt seinen eigenen Körper wieder mehr und bemerkt, wie gut es tut. Sport bewirkt Produktion von Serotonin und Noradrenalin - Nervenbotenstoffe, die beispielsweise bei einer Depression nachweislich verringert sind. Bei Ausdauersport werden Endorphine ausgeschüttet, die vorrangig für unsere Glücksgefühle verantwortlich sind. Die Stresshormone Kortisol und Adrenalin werden abgebaut.
Aus sportmedizinischer Sicht erhöhen sportliche Aktivitäten die Fitness, fördern die Gesundheit und den nachhaltigen Stressabbau. Die Ernährung trägt maßgeblich dazu bei, diese Effekte bestmöglich zu nutzen. Im Verständnis der Zusammenhänge zwischen Sport, Ernährung und Psyche kommen laufend neue Erkenntnisse dazu.
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„Körperliches Training kann bei Depressionen in einem ähnlichen Maße wirksam sein wie eine medikamentöse Therapie“, nennt Univ.-Doz.in Dr.in Dr.in Barbara Prüller-Strasser ein Beispiel. Ausreichend Bewegung trägt schon in jungen Jahren zu einer gesunden Entwicklung bei, Geist und Gehirn werden vielfältig stimuliert. Die Sauerstoffversorgung nimmt bei mittlerer Belastung um bis zu 30% zu, was auch den Transport biochemischer Substanzen wie BDNF (= Brain Derived Neutrophic Factor) fördert.
„In Abhängigkeit von Belastungsart, Dauer und Intensität kommt es z.B. zur Ausschüttung von Wachstumsfaktoren, was sich unter anderem positiv auf die Plastizität des Gehirns auswirkt“, berichtete Doz.in Prüller-Strasser. Angeregt durch körperliche und kognitive Aktivitäten können Stammzellen im Hippocampus lebenslang neue Nervenzellen produzieren (Neurogenese). „Die Effekte wirken additiv“, erklärt Prüller-Strasser.
Sport als Therapie bei psychischen Erkrankungen
Vor allem präventiv, aber auch während einer bereits eingetretenen psychischen Erkrankung kann Bewegung förderlich sein - solange sie in einem angemessenen Maß ausgeführt wird, vor allem bei chronischen Schmerzen ist dies wichtig. Bei psychisch kranken Personen sind zyklische Sportarten wie Lauftraining, Tennis etc. angebrachter, weil zu starke Belastung zusätzlichen psychischen Druck auf die betroffene Person ausübt.
Sport bei Depressionen oder Angststörungen bewirkt nicht nur oben genannte Punkte, auch das Sozialverhalten kann sich bessern. In dieser Situation neigt man dazu, sich zu „verkriechen“, was dazu führt, dass die Stimmung weiter sinkt. Wer sich zu Bewegung überwinden kann, profitiert enorm davon.
Bewegung ist eine wirksame Behandlungsmethode bei Depressionen. Gehen oder Joggen, Yoga und Krafttraining sind dabei effektiver als andere Sportarten, insbesondere wenn sie intensiv betrieben werden. Sport und regelmäßige Bewegungsaktivität helfen dabei, dass Müdigkeit und Antriebslosigkeit weniger werden. «Depressive Menschen fühlen sich vitaler, wacher und aktiver», sagt Kleinert, und dadurch besser in der Lage, alltägliche Aufgaben zu bewältigen.
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Auch hier kann Sport Verbesserungen erreichen, insbesondere durch Bewegung in der Gruppe, sagt Kleinert: «Es muss nicht unbedingt Mannschaftssport sein - auch ein Yogakurs oder gemeinsames Fitnesstraining führen zu einem Gemeinschaftserleben.»
Doch vom Nichtstun wird es nicht besser. Sport und Bewegung sind oft fester Bestandteil der Depressionstherapie in der Klinik, aber auch in ambulanten Programmen, erklärt Jens Kleinert, Professor für Sport- und Gesundheitspsychologie und derzeit Leiter des Psychologischen Instituts der Deutschen Sporthochschule Köln.
Vier Faktoren sind es Kleinert zufolge, die für die positive Wirkung von Sport im Zusammenhang mit Depressionen sorgen: Aktivierung, verbesserte Stimmung, ein verbessertes Selbstkonzept und stärkere soziale Einbindung.
In ihren Studien verbindet die Sportwissenschaftlerin und Psychologin Carina Bichler ihre beiden Disziplinen, um so die Auswirkungen von körperlicher Aktivität bei Patient*innen mit psychischen Störungen zu untersuchen. Bichler erklärt ihre Motivation: „Mein Ziel ist, Therapien im Rahmen psychischer Erkrankungen, wie etwa Depressionen, Angststörungen oder Traumata, durch ein bewegungsorientiertes Angebot zu ergänzen. Bisherige Therapieformen setzen vor allem auf Psychotherapie und Medikation, Bewegung spielt meist nur am Rande eine Rolle und ist noch kein integrativer Bestandteil“.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich Menschen mit psychischer Erkrankung tendenziell weniger bewegen als gesunde Teilnehmer*innen. Die bevorzugten Bewegungsarten sind dabei weniger kompetitiv und erfordern meist nur mäßige bis moderate Anstrengung. Am beliebtesten waren in dieser Gruppe Walking und Yoga. Zweiteres zählt auch in der Kontrollgruppe zu den beliebtesten Sportarten“, erörtert Bichler die Ergebnisse.
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Tatsächlich wurde Ausdauertraining lange als besonders wirksam bei Depressionen angesehen, da es die neuronalen Veränderungen positiv beeinflusst, so Kleinert. Kraft- und Fitnesstraining etwa seien aber auch wirksam, weil der Patient sein Körperkonzept stärkt und seine Entwicklungsfortschritte positiv erlebt. «Gerade Krafttraining führt recht schnell zu kleinen Erfolgen, die das Selbstkonzept positiv beeinflussen.»
Sport ist gesund für Körper und Geist. Umso wichtiger ist es, dass psychisch erkrankte Menschen sportlich aktiv werden und dafür sorgt „Pro Mente Aktiv“. In den Häusern Kohfidisch, Lackenbach und auch in Mattersburg wird den Pro Mente Kienten ein regelmäßiges Sportprogramm geboten.
„Hinter dieser Idee steckt das Vorhaben unsere Klienten zu unterstützen wieder Freude an Bewegung zu entwickeln, damit sie ihrer psychischen Erkrankung und den Beschwerden die diese Erkrankung mit sich bringt entgegenwirken können“, erzählte Jennifer Gut. Welches Programm angeboten wird, dürfen die mental beeinträchtigten Menschen in den Pro Mente Häusern selbst entscheiden.
Empfohlene Sportarten und Bewegungsumfang
150 Minuten pro Woche sollen gesunde Erwachsene sich in moderater oder 75 Minuten mit hoher Intensität bewegen, empfiehlt die WHO. Daran kann man sich auch bei der Behandlung einer depressiven Störung oder von depressiven Symptomen orientieren, so die Autoren des im Magazin Praxis erschienenen Fachartikels «Freude durch Sport und Bewegung bei psychischen Erkrankungen».
„Entscheidend ist, dass eine Sport- und Bewegungsform gefunden wird, bei der die Betroffenen Freude erleben und die sie mit Spaß und vor allem regelmäßig und langfristig umsetzen“, sagt Sportpsychologe Kleinert. Dabei können eine Gruppe und feste Zeiten helfen. Ein Ergebnis der Studie von Carina Bichler: Yoga zählt sowohl bei Menschen mit als auch bei Personen ohne psychische Erkrankungen zu den beliebtesten Bewegungsformen.
Wichtiger Hinweis
Wichtig ist bei einer bereits eingetretenen Erkrankung aber immer, sich professionell beraten zu lassen. Denn Sport ist zwar hilfreich, aber nicht das einzige Mittel zur Problemlösung. Leistungssport allein kann bei gravierenden psychischen Problemen allerdings nicht helfen, in solchen Fällen sollte man sich jedenfalls professionelle Hilfe suchen - mentale Gesundheit ist kein Tabuthema mehr.
Es soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, oben angeführte problematische Verhaltensweisen ließen sich allein ausreichend mit Entspannungsmethoden behandeln.
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