"Viel Feind, viel Ehr" - so ließe sich das Schaffen Freuds in ganz kurzen Wiener Worten beschreiben. Unzählige Abhandlungen, Bücher und Studien wurden zu seinen Theorien veröffentlicht. Laut Gerda Hartl, Fachärztin für Kinder- und Jugend Neuro-Psychiatrie und Psychoanalytikerin, liegt die wesentliche Bedeutung von Freuds Theorien vor allem in der "Entdeckung des Unterbewusstseins" und der "Traumanalyse". Damals wie heute schaffte es Freud, für Aufsehen zu sorgen: Ein Beispiel sind seine Interpretationen vom Kind als sexuellem Wesen.
Freuds psychischer Apparat des Menschen besteht im Wesentlichen aus drei Ebenen, die sich in einem steten Kräftespiel von Trieb und Kontrolle befinden. Das ES ist die älteste psychische Instanz, birgt die ererbten Anlagen, gehorcht dem Lustprinzip und ist folglich gesteuert von den Trieben. In der Begegnung mit dem sozialen Umfeld, der Gesellschaft und allgemein der Umwelt entwickelt sich die zweite Ebene, das ICH. Das ICH stellt die bewußte Vernunft- und Entscheidungsebene dar. Das ÜBER-ICH repräsentiert die gesellschaftlich-kulturelle Ebene. Hier werden Informationen aus Erziehung und Elternhaus sowie anderer Bezugspersonen gespeichert, vor allem auch deren Moralvorstellungen. Es ist gewissermaßen Nachfolger und Vertreter der Eltern und Erzieher. Auf der ÜBER-ICH-Ebene findet sich demzufolge auch die richterliche Instanz des (erlernten) Gewissens.
Die Sexualität entwickelt sich von klein auf, durchläuft verschiedene Phasen (psychosexuelle Phasen). Nach Freud durchläuft jeder Mensch diese Triebphasen - sie können mit oder ohne Störungen ablaufen. Die Art und Weise des jeweiligen Verlaufs wirkt allerdings charakterbildend.
Die fünf Phasen nach Freud
Freud unterteilt den psychosexuellen Entwicklungsverlauf in fünf Phasen. Zunächst ist das Sexualstreben des Kindes an bestimmte erogene Zonen des eigenen Körpers gebunden:
1. Orale Phase
Die Mundregion ist das primäre Bezugsorgan. Säuglinge und Kleinkinder verbringen viel Zeit damit, am Daumen oder Zehen zu lutschen. Durch den normalen Gebrauch (Essen, Trinken) oder künstliche Reizung kommt es zu einer Spannungsreduktion (Verminderung der libidinösen Triebspannung) und zu einem Auftreten von Lustgefühlen.
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- Alter: 1. Lebensjahr
- Lustzone: Mund
- Merkmale: Der Mund ist die erste Lustzone nach Freud. Sobald Kinder Dinge greifen können werden Gegenstände erbarmungslos in den Mund gesteckt. Alles muss förmlich gekostet werden und bespeichelt werden. In den ersten Lebensmonaten eines Menschen lernt der Mensch seine Sinne einzusetzen. Babies müssen also zuerst das Sehen, Riechen, Schmecken und Greifen erlernen.
- Folgen von Störungen: Störungen in dieser Phase führen zu Persönlichkeitsmerkmalen, aufgrund derer viel von anderen gefordert wird.
2. Narzisstische Phase
Das Kind entdeckt den eigenen Körper und entwickelt dabei Lustgefühle (Autoerotismus). Dieses Verhalten ist die Urform der Selbstliebe (Narzissmus).
- Alter: 2. Lebenshalbjahr
- Merkmale: Das Kind entwickelt einen Autoerotismus, eine Art Selbstliebe.
3. Anale Phase
Die Lust wird in dieser Phase durch den Vorgang der Defäkation erzielt. Anfangs nur durch das Ausscheiden, später auch durch das Zurückhalten der Exkremente. Es kommt zu einem spannungsvollen Zustand zwischen Hingabe und Zurückhalten. Das Kind übt in dieser Lebensphase Kontrollmechanismen ein und vollzieht die ersten Anpassungen an die Erfordernisse der Umwelt.
- Alter: 2.-3. Lebensjahr
- Lustzone: After
- Merkmale: Das Kind ist erstmals in der Lage Nein zu sagen. Es kann den Darminhalt zurückhalten oder dann entleeren, wenn die Eltern es wünschen. Der Umgang mit Macht und Besitz wird in dieser Phase festgelegt.
- Folgen von Störungen: Störungen in dieser Phase, insbesondere durch zwanghafte Sauberkeitserziehung, können zu "manischen" oder zwanghaften Persönlichkeitstypen führen. Diese zeichnen sich durch starke Unterdrückung von Aggressionen, Überkontrolliertheit, Geiz und extreme Reinlichkeit aus.
- Analer Charakter: halsstarrig, kleinlich, pedantisch, geizig (Geld ist Macht) und Gegenteil - Verschwendungssucht, Arbeitswut, Reinlichkeit, Putzwut.
4. Phallische Phase / Ödipuskonflikt
Die Geschlechtsorgane werden in dieser Phase zu erogenen Zonen. Knaben stellen fest, dass bei Mädchen der Penis fehlt und führen dies auf eine Bestrafung zurück. Daraus entwickelt sich Kastrationsangst; bei Mädchen kommt es zum Penisneid. Die Beziehung zu den Eltern ist durch den Ödipuskomplex bestimmt. Es treten Rivalitätsgefühle mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil auf, der andersgeschlechtliche wird geliebt. Auf der anderen Seite fürchtet das Kind den Verlust der Liebe des gleichgeschlechtlichen Elternteils. Dieser Konflikt wird durch die Unterdrückung der sexuellen Wünsche beigelegt. In der phallischen Phase kommt es zur Übernahme geschlechtlicher Moralbegriffe und zur Entwicklung des Über-Ich (Gewissen).
- Alter: 3.-5. Lebensjahr
- Lustzone: Geschlechtsorgane
- Merkmale: Das Kind wird neugierig und interessiert sich für das eigene Geschlecht und Geschlechtsunterschiede. Der Knabe entdeckt, dass er etwas hat (Penisstolz), was das Mädchen nicht hat (Penisneid). Durch das Erwachen sexueller Wünsche im Alter von etwa 4 Jahren entwickelt der kleine Junge eine intensive sexuelle Bindung an seine Mutter, auf die sich seine intensiven Wünsche richten. Mit dem Gefühl, den Vater zum Rivalen zu haben, entwickelt der kleine Junge auch eine Angst von ihm kastriert zu werden.
- Folgen von Störungen: Störungen in der phallischen Phase können zu einer "hysterischen" Persönlichkeitsstruktur führen. Diese ist durch ein auffälliges sexuelles Gebaren gekennzeichnet, das aber im Widerspruch zur ängstlichen, passiven Grundstruktur steht, die sexuelle Kontakte zu meiden versucht.
5. Latenzphase
Es tritt eine scheinbare Unterbrechung der sexuellen Entwicklung ein. Sexuelle Regungen werden abgewehrt und verdrängt. Spielkameraden werden vor allem beim gleichen Geschlecht gesucht.
- Alter: 6.-12. Lebensjahr
- Merkmale: Es ist die Lernzeit, die Energie wird von Sexualität und Geschlecht abgezogen, da das Kind mit dem Erlernen von sozialen Werten beschäftigt ist.
6. Genitale Phase
Es kommt zu einem Wiederaufleben der Sexualität und des Ödipuskomplexes, sowie zu einer Hinwendung zum anderen Geschlecht. Der beschleunigten körperlichen und intellektuellen Reifung steht eine verzögerte emotionale Reifung gegenüber.
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- Alter: Ab der Pubertät
- Merkmale: Es kommt zu einer Hinwendung zum anderen Geschlecht.
Das Gelingen oder Misslingen von Lösungen früher Grundkonflikte ist entscheidend für die weitere psychische Entwicklung und die psychische Gesundheit überhaupt. Werden Bedürfnisse einzelner psychosexueller Entwicklungsphasen nicht angemessen, sondern in zu geringem oder zu hohem Maße befriedigt, so kann es nach psychoanalytischer Vorstellung zu einer Fixierung auf die für die entsprechende Phase typische Triebbefriedigung kommen: Die Triebobjekte und die Befriedigungsformen des Triebes bleiben dann auch im Erwachsenenalter, jenseits der Phasengrenzen, infantil, und in Konfliktlagen können typische regressive Verhaltensweisen auftreten.
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