Rezidivierende depressive Störung (ICD-10)

Die Depression (von "niederdrücken") ist eine psychische Störung. Typisch für sie sind gedrückte Stimmung, negative Gedankenschleifen und ein gehemmter Antrieb. Häufig gehen Freude und Lustempfinden, Selbstwertgefühl, Leistungsfähigkeit, Einfühlungsvermögen und das Interesse am Leben verloren. Diese Symptome treten auch bei gesunden Menschen zeitweise auf.

Im medizinischen Sinne ist die Depression jedoch eine ernste, behandlungsbedürftige und oft folgenreiche Erkrankung, die sich der Beeinflussung durch Willenskraft oder Selbstdisziplin des Betroffenen entzieht. Sie stellt eine wesentliche Ursache für Arbeitsunfähigkeit oder Frühverrentung dar und ist an rund der Hälfte der jährlichen Selbsttötungen in Deutschland beteiligt.

Verbreitung

In einer internationalen Vergleichsstudie von 2011 wurde die Häufigkeit in Ländern mit hohem Einkommen verglichen mit der in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen. Die Lebenszeitprävalenz betrug in der ersten Gruppe (zehn Länder) 14,6 % und in der zweiten Gruppe (acht Länder) 11,1 %. Das Verhältnis von Frauen zu Männern war ungefähr 2:1.

Die Krankheitslast durch Depressionen, etwa in Form von Arbeitsunfähigkeiten, stationären Behandlungen und Frühverrentungen, ist in Deutschland in den letzten Jahren stark angestiegen. Auch in Deutschland scheinen nach Krankenkassendaten jüngere Generationen gefährdeter zu sein, im Laufe ihres Lebens eine psychische Störung zu erleiden.

Anzeichen und Symptome

Im Jahre 2011 wurde von mehreren Fachgesellschaften wie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) eine Versorgungsleitlinie zum Thema Depression erarbeitet. Sie empfiehlt, zur Diagnose nach ICD-10 zwischen drei Haupt- und sieben Zusatzsymptomen zu unterscheiden.

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Hauptsymptome:

  • Gedrückte, depressive Stimmung: Die Depression ist charakterisiert durch Stimmungseinengung oder bei einer schweren Depression dem "Gefühl der Gefühllosigkeit" bzw. dem Gefühl anhaltender innerer Leere.
  • Interessensverlust und Freudlosigkeit: Verlust der Fähigkeit zu Freude oder Trauer; Verlust der affektiven Resonanz, das heißt, die Stimmung des Patienten ist durch Zuspruch nicht aufzuhellen.
  • Antriebsmangel und erhöhte Ermüdbarkeit: Ein weiteres typisches Symptom ist die Antriebshemmung. Bei einer schweren depressiven Episode können Betroffene in ihrem Antrieb so stark gehemmt sein, dass sie auch einfachste Tätigkeiten wie Körperpflege, Einkaufen oder Abwaschen nicht mehr verrichten können.

Zusatzsymptome:

  • Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit
  • Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
  • Schuldgefühle und Gefühle von Minderwertigkeit
  • Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven: Charakteristisch sind übertriebene Sorge um die Zukunft, unter Umständen übertriebene Beunruhigung durch Bagatellstörungen im Bereich des eigenen Körpers (siehe Hypochondrie), das Gefühl der Hoffnungslosigkeit, der Hilflosigkeit oder tatsächliche Hilflosigkeit.
  • Suizidgedanken oder -handlungen: Schwer Betroffene empfinden oft eine völlige Sinnlosigkeit ihres Lebens. Häufig führt dieser qualvolle Zustand zu latenter oder akuter Suizidalität.
  • Schlafstörungen
  • Verminderter Appetit

Ferner kann zusätzlich noch ein somatisches Syndrom vorliegen:

  • Interessenverlust oder Verlust der Freude
  • Mangelnde Fähigkeit, emotional auf die Umwelt zu reagieren
  • Frühmorgendliches Erwachen: Der Schlaf ist gestört in Form von vorzeitigem Erwachen, mindestens zwei Stunden vor der gewohnten Zeit. Diese Schlafstörungen sind Ausdruck eines gestörten 24-Stunden-Rhythmus.
  • Morgentief: Häufig geht es dem Kranken vormittags besonders schlecht. Bei einer seltenen Krankheitsvariante verhält es sich umgekehrt: Es tritt ein sogenanntes "Abendtief" auf, das heißt, die Symptome verstärken sich gegen Abend und das Einschlafen ist erschwert oder erst gegen Morgen möglich.
  • Psychomotorische Hemmung oder Agitiertheit: Die Hemmung von Bewegung und Initiative geht häufig mit innerer Unruhe einher, die körperlich als ein Leidgefühl wahrgenommen wird und sehr quälend sein kann (stumme Exzitation, lautlose Panik).
  • Deutliche Appetitlosigkeit, Gewichtsabnahme, Gewichtszunahme ("Kummerspeck"). Auch kann sich das sexuelle Interesse vermindern oder erlöschen (Libidoverlust).

Depressive Erkrankungen gehen gelegentlich mit körperlichen Symptomen einher, sogenannten Vitalstörungen, Schmerzen in ganz unterschiedlichen Körperregionen, am typischsten mit einem quälenden Druckgefühl auf der Brust. Während einer depressiven Episode ist die Infektionsanfälligkeit erhöht. Beobachtet wird auch sozialer Rückzug, das Denken ist verlangsamt (Denkhemmung), sinnloses Gedankenkreisen (Grübelzwang), Störungen des Zeitempfindens. Häufig bestehen Reizbarkeit und Ängstlichkeit. Hinzukommen kann eine Überempfindlichkeit gegenüber Geräuschen.

Schweregrad

Der Schweregrad wird nach ICD-10 gemäß der Anzahl Symptome eingeteilt:

  • Leichte Depression: zwei Hauptsymptome und zwei Zusatzsymptome
  • Mittelschwere Depression: zwei Hauptsymptome und drei bis vier Zusatzsymptome
  • Schwere Depression: drei Hauptsymptome und fünf oder mehr Zusatzsymptome

Geschlechtsunterschiede

Die Symptomatik einer Depression kann sich bei Frauen und Männern auf unterschiedliche Weise ausprägen. Bei den Kernsymptomen sind die Unterschiede gering. Während bei Frauen eher Phänomene wie Mutlosigkeit und Grübeln verstärkt zu beobachten sind, gibt es bei Männern deutliche Hinweise darauf, dass eine Depression sich auch in einer Tendenz zu aggressivem Verhalten niederschlagen kann.

Diagnose

Da die Depression eine sehr häufige Störung ist, sollte sie bereits vom Hausarzt erkannt werden, was aber nur in etwa der Hälfte aller Fälle gelingt. Manchmal wird die Diagnose erst von einem Psychiater, von einem Arzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie oder von einem psychologischen Psychotherapeuten gestellt.

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In der ICD-10 fallen Depressionen unter den Schlüssel F32.- und werden als "depressive Episode" bezeichnet. Im Falle sich wiederholender Depressionen werden diese unter F33.- klassifiziert, bei Wechsel zwischen manischen und depressiven Phasen unter F31.-. Die ICD-10 benennt drei typische Symptome der Depression: depressive Stimmung, Verlust von Interesse und Freude sowie eine erhöhte Ermüdbarkeit.

Entsprechend dem Verlauf unterscheidet man im gegenwärtig verwendeten Klassifikationssystem ICD 10 die depressive Episode und die wiederholte (rezidivierende) depressive Störung.

Fragebogen

Laut S3-Leitlinie für unipolare Depression werden als Screening folgende Fragebögen empfohlen:

  • "WHO-5-Fragebogen zum Wohlbefinden"
  • "Gesundheitsfragebogen für Patienten (Kurzform PHQ-D)"
  • Allgemeine Depressionsskala (ADS)

Eine weitere Möglichkeit der schnellen Erfassung einer möglichen depressiven Störung ist der so genannte "Zwei-Fragen-Test".

Folgende Fragebögen werden in der Leitlinie zur Verlaufsdiagnostik empfohlen, also um zu ermitteln, inwiefern die Therapie anspricht und die Symptomatik sich verbessert:

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Fragebögen zur Selbstbeurteilung:

  • Gesundheitsfragebogen für Patienten, Patient Health Questionnaire-Depression (PHQ-D)
  • Das Beck-Depressions-Inventar (BDI oder BDI-II)
  • Die Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS)
  • Geriatrische Depressionsskala (GDS)
  • Fragebogen zur Depressionsdiagnostik nach DSM-IV (FDD-DSM-IV)

Fragebögen zur Fremdbeurteilung:

  • Hamilton-Depression-Rating-Skala (HDRS)
  • Bech-Rafaelsen-Melancholie-Skala (BRMS)
  • Montgomery-Asberg Depression Rating Scale (MADRS)

Differentialdiagnostik

Durch eine Differentialdiagnose wird versucht, eine mögliche Verwechselung mit einer der folgenden Krankheiten oder Störungen auszuschließen:

  • Dysthymie
  • Bipolare Störung
  • Borderline-Persönlichkeitsstörung
  • Anpassungsstörung
  • Chronisches Erschöpfungssyndrom
  • Abhängigkeitssyndrom durch psychotrope Substanzen
  • Perniziöse Anämie, Vitamin-B12-Mangel
  • Erkrankung der Schilddrüse
  • Sonstige Anämie
  • Fruktosemalabsorption

Unterschiedliche Formen

Die älteren Bezeichnungen unterscheiden zwischen endogener Depression (endogen bedeutet innen entstanden; infolge veränderter Stoffwechselvorgänge im Gehirn; im klinischen Alltag als eine Form der affektiven Psychose bezeichnet), die ohne erkennbare Ursache auftritt (und bei der auch eine genetische Mitverursachung vermutet wird), neurotischer Depression (Dysthymie) oder auch Erschöpfungsdepression (verursacht durch länger andauernde belastende Erfahrungen in der Lebensgeschichte) und reaktiver Depression als Reaktion auf ein aktuell belastendes Ereignis.

Gegenwärtig ist das Diagnose-Schema nach ICD-10 in der medizinischen Praxis verbindlich. Die Schwere der Depression wird durch die Begriffe leichte, mittelgradige und schwere depressive Episode unterschieden, bei letzterer noch mit dem Zusatz mit oder ohne psychotische Symptome (siehe auch: Diagnose).

Nach dem ICD-10 Diagnose-Schema wird die chronische Depression nach Schwere und Dauer eingestuft in Dysthymie oder rezidivierende (wiederholte) Depression.

Depressive Reaktion (ICD-10) ist die frühere reaktive Depression.

Organische Depression (ICD-10 F06.3 - Organische affektive Störungen) nennt man depressive Störungen, die durch eine körperliche Erkrankung hervorgerufen werden (z. B. durch eine Hypothyreose), durch Schilddrüsenfunktionsstörungen, Hypophysen- oder Nebennierenerkrankungen oder Frontalhirnsyndrom.

Die Bezeichnung Altersdepression ist irreführend, da sich eine depressive Episode im Alter nicht von der in jungen Jahren unterscheidet. Allerdings zeigen sich bei Älteren häufiger Depressionen als bei Jüngeren.

Überholte Subtypen

Eine Sonderform der Depression ist die anaklitische Depression (Anaklise = Abhängigkeit von einer anderen Person) bei Babys und Kindern, wenn diese allein gelassen oder vernachlässigt werden. Die anaklitische Depression äußert sich durch Weinen, Jammern, anhaltendes Schreien und Anklammern und kann in psychischen Hospitalismus übergehen.

Die somatisierte Depression (auch maskierte bzw. larvierte Depression genannt) ist eine Depression, bei der körperliche Beschwerden das Krankheitsbild prägen. Die depressive Symptomatik bleibt unterschwellig. Beschwerdeschilderungen sind Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Beklemmungen in der Brustregion, Schwindelempfindungen und vieles mehr. Die unterschiedlichsten körperlichen Empfindungen können "Präsentiersymptome" einer Depression werden.

ICD-10 im psychosozialen Bereich

Im psychosozialen Bereich sind Sätze wie "...diagnostiziert mit F33 laut ICD-10" Alltag. Die ICD wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlicht und besteht aus Codes, die jeweils für eine Krankheit stehen. Das Gesamtwerk kann als ein Lexikon für Erkrankungen verstanden werden, um Krankheiten aufzulisten und ihnen Symptome und Ursachen zuzuordnen.

Diagnosestellung

Wie psychische Erkrankungen aktuell diagnostiziert werden, wird auch in Fachkreisen vermehrt diskutiert und kritisiert. Die Diagnosestellung erfolgt durch:

  1. Eine bestimmte Anzahl aus einer Liste typischer Symptome muss gegeben sein.
  2. Die Symptome müssen zum Zeitpunkt der Diagnosestellung über einen definierten Mindestzeitraum wiederholt bzw. durchgehend vorhanden sein.
  3. Die Symptome müssen deutlich bzw. überdurchschnittlich stark ausgeprägt sein.
  4. Es muss eine ernstliche und erhebliche Beeinträchtigung in mehreren Lebensbereichen vorliegen (soziale Beziehungen, Beruf, Ausbildung, etc.).

Weiters definieren die psychiatrischen Diagnosemanuale sogenannte "Ausschlusskriterien". D.h. Grundsätzlich können jedoch auch mehrere psychiatrische Diagnosen zugleich gefällt werden, wenn sich die Symptome und die lebensgeschichtliche Beeinträchtigung nicht hinreichend im Rahmen eines der Krankheitsbilder erklären lassen. Man spricht dann vom "komorbiden" Vorliegen mehrerer psychischer Störungen bzw.

Rezidivierende depressive Störung (F33.-)

Hierbei handelt es sich um eine Störung, die durch wiederholte depressive Episoden (F32.-) charakterisiert ist. In der Anamnese finden sich dabei keine unabhängigen Episoden mit gehobener Stimmung und vermehrtem Antrieb (Manie). Kurze Episoden von leicht gehobener Stimmung und Überaktivität (Hypomanie) können allerdings unmittelbar nach einer depressiven Episode, manchmal durch eine antidepressive Behandlung mitbedingt, aufgetreten sein.

Die schwereren Formen der rezidivierenden depressiven Störung (F33.2 und .3) haben viel mit den früheren Konzepten der manisch-depressiven Krankheit, der Melancholie, der vitalen Depression und der endogenen Depression gemeinsam. Die erste Episode kann in jedem Alter zwischen Kindheit und Senium auftreten, der Beginn kann akut oder schleichend sein, die Dauer reicht von wenigen Wochen bis zu vielen Monaten. Das Risiko, daß ein Patient mit rezidivierender depressiver Störung eine manische Episode entwickelt, wird niemals vollständig aufgehoben, gleichgültig, wie viele depressive Episoden aufgetreten sind. Bei Auftreten einer manischen Episode ist die Diagnose in bipolare affektive Störung zu ändern (F31.-).

  • F33.0: Eine Störung, die durch wiederholte depressive Episoden gekennzeichnet ist, wobei die gegenwärtige Episode leicht ist (siehe F32.0), ohne Manie in der Anamnese.
  • F33.1: Eine Störung, die durch wiederholte depressive Episoden gekennzeichnet ist, wobei die gegenwärtige Episode mittelgradig ist (siehe F32.1), ohne Manie in der Anamnese.
  • F33.2: Eine Störung, die durch wiederholte depressive Episoden gekennzeichnet ist, wobei die gegenwärtige Episode schwer ist, ohne psychotische Symptome (siehe F32.2) und ohne Manie in der Anamnese.
  • F33.3: Eine Störung, die durch wiederholte depressive Episoden gekennzeichnet ist; die gegenwärtige Episode ist schwer, mit psychotischen Symptomen (siehe F32.3), ohne vorhergehende manische Episoden.
  • F33.4: Die Kriterien für eine der oben beschriebenen Störungen F33.0-F33.3 sind in der Anamnese erfüllt, aber in den letzten Monaten bestehen keine depressiven Symptome.

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