Spirituelle Psychose: Bedeutung und Zusammenhänge

Das erstmalige Auftreten psychotischer Symptome kann entlang eines Kontinuums zwischen psychoseartigen Erlebnissen innerhalb der gesunden Bevölkerung, psychotischen Symptomen und psychotischen Episoden bei Individuen mit affektiven Störungen sowie Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis betrachtet werden.

Was ist eine Psychose?

Diese „unreale“ Wirklichkeit, die nur Betroffene wahrnehmen, wird auch Psychose genannt. Eine Psychose ist eine schwere psychische Störung, die bei verschiedenen Erkrankungen vorkommen kann. In diesem Zustand erkennen Betroffene oft nicht, dass sie krank sind. Charakteristische Krankheitszeichen (Symptome) einer Psychose sind Wahnvorstellungen, Denkstörungen und veränderte Gefühle.

Abgrenzung zu subkulturellen Phänomenen

Unter Berücksichtigung dieses Psychosekontinuums kann die Abgrenzung psychotischer Symptome gegenüber subkulturell akzeptierter und nicht beeinträchtigender Phänomene nicht immer eindeutig sein. Bei der Beurteilung psychoseartiger Erfahrungen wird zwischen jenen mit klinischer Bedeutung aufgrund von vorhandenem Leidensdruck und hilfesuchendem Verhalten der Betroffenen, jedoch ohne Erfüllung der Diagnosekriterien einer psychotischen Erkrankung, und jenen unterschieden, welche keinen Leidensdruck oder hilfesuchendes Verhalten und somit keine klinische Auswirkung zur Folge haben. Erstere sind in der Folge als subklinische psychotische Symptome zu bezeichnen und zeigen in Studien eine Prävalenz von bis zu 4 %.

Fallbeispiel: Frau S.

Die 29-jährige Patientin Frau S. suchte die psychiatrische Akutambulanz aufgrund von Schuldideen und einer subjektiv niedergeschlagenen Stimmungslage auf. Frau S. schilderte, die Präsenz einer bestimmten Person, welche ihr sehr am Herzen liege und mit welcher sie sich sowohl telepathisch als auch über das Internet in den letzten Wochen in ständigem Austausch befunden habe, nicht mehr wahrnehmen zu können. Aufgrund dessen fühle sie sich nun niedergeschlagen und freudlos. In der Zeit zuvor habe sie sich häufig in gehobener bis euphorischer Stimmung befunden, v. a. sei dies der Fall gewesen, wenn sie mit besagter Person in Kontakt getreten sei. Es sei zu Auraverschmelzungen gekommen und sie habe sich von der Person regelrecht bewohnt gefühlt.

Frau S. beschrieb außerdem taktile, zönästhetische und optische Wahrnehmungsveränderungen. Sie habe in den letzten Nächten das Gefühl gehabt, abgetastet zu werden oder als ob Laser in ihren Körper schneiden würden und habe sich angesichts minimaler Hautveränderungen gefragt, ob diese durch Außerirdische hervorgerufen worden wären. Sie habe nachts geometrische Formen im Raum gesehen.

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Diagnose und Behandlung

An unserer Station zeigte sich Frau S. zunächst im Ductus großteils inkohärent, deutlich zerfahren, weitschweifig sowie im Gespräch häufig vorbeiredend. Während des Aufnahmegesprächs wurde zum einen das rasch wechselnde Stimmungsbild mit abwechselnd depressiver bis hin zu euphorisch-gehobener Stimmungslage deutlich. Im Vordergrund standen weiterhin Appersonierung und transitivistisches Erleben. So gab Frau S. an, Gefühle wie Trauer oder Schmerz von ihr nahestehenden Personen zu empfinden, als seien es ihre eigenen. Sie könne häufig kaum unterscheiden, was zu ihr selbst und was zu anderen Menschen gehöre. Wenngleich sie diese Fähigkeit auch als „Gabe“ bezeichnete, könne sie im Falle einer zu intensiven Ausprägung zu einem „Fluch“ werden.

Zum Ausschluss organischer Ursachen dieses zunächst akut polymorph psychotisch imponierenden Zustandsbildes erfolgten ein Elektroenzephalogramm sowie eine Magnetresonanztomographie des Schädels, welche ohne pathologischen Befund blieben. In der Laboruntersuchung waren ebenfalls keine relevanten Abweichungen fassbar. Ebenso wenig fanden sich Nachweise eines Substanzkonsums im Drogenharn.

Die medikamentöse Behandlung erfolgte mit Aripiprazol, welches langsam und schrittweise bis auf 25 mg/d aufdosiert wurde. Es kam zu einem raschen und deutlichen Rückgang der akut-psychotischen Symptomatik. Eine nach Teilremission der psychotischen Beschwerden zunehmend depressive Symptomatik wurde mit Sertralin behandelt. Die Appersonierungserlebnisse und transitivistischen Phänomene blieben unverändert bestehen.

Spirituelle Offenheit vs. Psychose

Diese fluide Ich-Umwelt-Grenze stand für die Patientin in direktem Zusammenhang mit der Neigung zu esoterischen Themen, von ihr als spirituelle Offenheit, mediale Fähigkeiten sowie Hochsensibilität bezeichnet. Frau S. wollte sich diese, als Gabe empfundene Fähigkeit auch zukünftig bewahren und fürchtete diese infolge der antipsychotischen Medikation zu verlieren.

Mit Frau S. wurden regelmäßige Gespräche geführt, welche vielfach die Gegenüberstellung des psychiatrischen Konzeptes der Psychose und dem von der Patientin entwickelten Krankheitskonzept einer spirituellen Hochsensibilität thematisierten. Die Bestrebung war, gemeinsam mit der Patientin, eine Möglichkeit zu finden, diese beiden Konzepte zu integrieren. Selbststigmatisierung und die Angst vor Fremdstigmatisierung wurden deutlich.

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Zum Entlassungszeitpunkt bestanden weiterhin etwas fluide Ich-Grenzen, jedoch in einem Ausmaß, welches die Patientin als ihrem Habitualzustand entsprechend empfand und welche nicht mit ihrer Leistungsfähigkeit zu interferieren schienen. Es waren keine sonstigen psychotischen Symptome mehr fassbar, die Stimmungslage war ausgeglichen.

Differenzialdiagnostische Überlegungen

Im Rahmen der Diagnosestellung und Behandlung von Frau S. schien es somit wichtig, eine mögliche Pathologisierung ungewöhnlicher und von der subkulturellen Norm abweichender, jedoch nicht krankheitswertiger Erfahrungen, zu vermeiden. Die anfänglich gestellte Diagnose einer akut polymorph psychotischen Störung mit Symptomen einer Schizophrenie wurde im Verlauf des stationären Aufenthaltes, in Anbetracht der Dauer der Symptomatik sowie anamnestischer Hinweise auf eine psychotische Symptomatik mit affektiver Komponente in der Vergangenheit, verworfen.

Differenzialdiagnostisch wurde die Diagnose einer bipolaren affektiven Störung mit gegenwärtig gemischter Episode diskutiert, nachdem v. a. zu Beginn des Aufenthaltes das Stimmungsbild der Patientin einem rasch wechselnden, fluktuierenden Verlauf unterworfen war und in der Vergangenheit mehrere depressive Episoden erhebbar waren. Dennoch schien das klinische Bild mit den wahnhaften Beeinflussungsideen, den Ich-Grenzen-Störungen sowie der Wahnwahrnehmung, dem Gefühl des Gemachten und der Inkohärenz des Denkens, unter Anwendung der Kriterien der ICD-10-Klassifikation, besser mit einer Diagnose aus dem schizophrenen Formenkreis vereinbar. Unter Berücksichtigung der zusätzlichen affektiven Komponente wurde schließlich die Diagnose einer schizoaffektiven Störung gestellt.

Aus Sicht der Leonhard-Klassifikation der endogenen Psychosen entsprach das klinische Bild der Patientin einer Angst-Glücks-Psychose. Die Patientin zeigte sich ängstlich und misstrauisch im Rahmen vorhandener Beeinträchtigungs- und Beziehungsideen sowie unbestimmter Umdeutungen ihres Umfeldes. Das Zustandsbild wechselte rasch zwischen dieser Ängstlichkeit und einer euphorisch-ekstatischen Stimmungslage mit Glücksgefühlen und Größenideen, wobei v. a.

Manche Wahrnehmungen und Erlebnisweisen der Patientin, welche aus ärztlicher Sicht als Symptome bzw. Die vorhandenen Symptome wurden von der Patientin nur teilweise, bzw. abhängig vom Grad der Intensität, als krankheitswertig betrachtet. In diesem Zusammenhang könnten insbesondere Effekte der Dauer der Symptome und der positiven Verstärkung im subkulturellen Kontext der Esoterik sowie psychodynamische Einflüsse eine Rolle in der Aufrechterhaltung von wahnhaft imponierenden Inhalten spielen. Im Laufe des Aufenthaltes konnten zusammen mit Frau S. Überschneidungen der unterschiedlichen Krankheitskonzepte erarbeitet bzw.

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Im Rahmen der medizinisch-psychiatrischen und der psychotherapeutischen Behandlung spielt die Arbeit an einem gemeinsamen Verständnis der Beschwerden eine wichtige Rolle.

Déjà-vu im Kontext von Psychose

Zum anderen haben auch Menschen mit Psychose regelmäßig Déjà-vus.

Was ist ein Déjà-vu?

Der Begriff "Déjà-vu" kommt aus dem Französischen und bedeutet übersetzt "schon einmal gesehen". Ein Déjà-vu beschreibt das Phänomen, dass jemand glaubt, ihr oder ihm komme eine gegenwärtige Situation bekannt vor, obwohl sie wissentlich zuvor noch nie erlebt wurde.

Der Großteil der Bevölkerung hat schon einmal die Erfahrung eines Déjà-vus gemacht. Bei über 80 Studien, die in den vergangenen 135 Jahren durchgeführt wurden, gaben rund zwei Drittel der Befragten an, dass sie schon einmal ein Déjà-vu erlebt haben.

Ein Déjà-vu kann sich für jeden Menschen unterschiedlich anfühlen. In vielen Fällen lässt es ein seltsames Gefühl zurück, weil man sich das Phänomen nicht erklären kann.

Erklärungsansätze für Déjà-vus

Aber was steckt eigentlich hinter dem Phänomen Déjà-vu? Es gibt verschiedene Theorien dazu. Sigmund Freud betrachtete Déjà-vus beispielsweise als Spiegel frühkindlicher Erinnerungen. In der Esoterik hingegen geht man davon aus, dass ein Déjà-vu auf Erinnerungen aus einem früheren Leben hindeuten. Andere spirituelle Theorien besagen wiederum, dass Déjà-vus auf Träumen der Menschen beruhen, in denen sie zukünftige Ereignisse vorhergesehen haben. Doch kann das wirklich stimmen?

Auch in der Neurologie gibt es eine ganze Reihe von Erklärungen, die versuchen, das Phänomen auf wissenschaftliche Art und Weise zu erklären. Der südafrikanische Psychiater Vernon Neppe, der sich seit den 1970er-Jahren mit dem Thema beschäftigt, formulierte im Jahr 1979 folgende Definition, die auch heute noch als anerkannt gilt: "Ein Déjà-vu ist jeder subjektiv unpassende Eindruck der Vertrautheit einer gegenwärtigen Erfahrung mit unbestimmter Vergangenheit."

Typen von Déjà-vu-Ereignissen

Neppe unterscheidet vier verschiedene Typen von Déjà-vu-Ereignissen. Die gängigste Form bezeichnet er dabei als "assoziativ". Dabei kommt das Déjà-vu ganz plötzlich und hält auch nur für kurze Zeit an. Von einem "subjektiv paranormalen Déjà-vu" spricht man, wenn man das Gefühl hat, dass man genau weiß, was als Nächstes passieren wird.

Zwei weitere Typen zählt Neppe zur "neuropsychiatrischen Gruppe": Zum einen können bei Schläfenlappen-Epileptiker:innen bei Anfällen vermehrt Déjà-vus auftreten.

Wie kommt ein Déjà-vu zustande?

Bis heute gibt es keine offizielle Erklärung, wie ein Déjà-vu entsteht. Insgesamt gibt es über 72 verschiedene Theorien, die das Phänomen zu erklären versuchen. Die beiden führenden Ansätze sind diese:

  • Einige Forscher:innen gehen davon aus, dass ein Déjà-vu wegen einer geringfügigen Fehlfunktion im Gedächtnissystem auftritt. Das führt dazu, dass manche Erlebnisse das Kurzzeitgedächtnis umgehen und direkt ins Langzeitgedächtnis wandern. Dadurch wird der Person, die ein Déjà-vu erlebt, ein falsches Gefühl der Vertrautheit vermittelt.
  • Eine weitere verbreitete Theorie besagt, dass ein Déjà-vu womöglich durch ein Missverständnis zwischen den beiden Gehirnhälften erklärt werden kann. Mit der linken Gehirnhälfte verarbeiten wir im Alltag neue Informationen, mit der rechten erkennen wir bereits bekannte Informationen wieder. Wenn diese beiden Prozesse jedoch nicht synchron ablaufen, könnte es den Forschenden zufolge zu einem Déjà-vu kommen.

Fest steht: Es gibt bis heute keine eindeutige Erklärung für das Phänomen. Ob es den Forscher:innen auf diesem Gebiet gelingen wird, den Ursprung eines Déjà-vus eines Tages komplett zu erklären, lässt sich aktuell schwer sagen.

Schizophrenie: Eine andere Perspektive

Das Wort „Schizophrenie“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet übersetzt „Spaltung der Seele“.

Häufig wird angenommen, dass ein an Schizophrenie erkrankter Mensch in zwei Persönlichkeiten gespalten sei. Das ist falsch. Vielmehr bedeutet schizophren, dass ein Erkrankter zwei Wirklichkeiten wahrnimmt: eine „reale Wirklichkeit“, also die Wirklichkeit, die sein Umfeld ebenfalls erlebt, und eine Wirklichkeit, die nur der Erkrankte erlebt, mit Sinneseindrücken, Gefühlen und Erlebnissen, die sein Umfeld nicht nachvollziehen können.

Wie entsteht Schizophrenie?

Die genauen Ursachen und die Entstehung der Schizophrenie sind noch nicht eindeutig geklärt. Sicher ist, dass es nicht nur einen einzigen Auslöser gibt, sondern dass mehrere Faktoren zusammenkommen müssen, um eine schizophrene Erkrankung auszulösen. Man geht heute davon aus, dass eine vorhandene Anfälligkeit (lat. Vulnerabilität) im Zusammenwirken mit belastenden äußeren Faktoren (z.B. Stress oder Drogen) zum Ausbruch der Krankheit führen kann, wenn ein „kritischer Grenzwert“ überschritten wird.

Nach heutigem Wissensstand ist bei einer schizophrenen Psychose der Stoffwechsel der Botenstoffe Dopamin und Serotonin gestört. In bestimmten Bereichen des Gehirns gibt es einen Überschuss dieser Botenstoffe. Das hat eine Reizüberflutung des Gehirns zur Folge, und diese wiederum führt zu einer erheblichen Störung der Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung im Gehirn.

Hoffnung und Genesung

Die Psychiaterin Michaela Amering hat für ihr Buch "Recovery" den Open Book Award 2010 für Fachbücher verliehen bekommen. In Ihrem Buch „Recovery“ plädieren Sie dafür, nie die Hoffnung aufzugeben.

Sogar viele Mediziner nehmen noch immer an, dass Schizophrenie unheilbar ist! Aber das entspricht einfach nicht den Tatsachen. Als Ergebnis dieses verbreiteten Irrtums glauben manche Patienten, sie müssten mit dem Erhalt der Diagnose alle Sehnsüchte und Träume fahren lassen.

John Nash, der Mathematiker und Nobelpreisträger, von dessen Leben und Schizophrenie der Film „A Beautiful Mind“ handelt, hat gesagt: Es gibt einen Weg rein in die Psychose und es gibt einen Weg raus aus der Psychose.

Resilienz und soziale Unterstützung

In Ihrem Buch geht es auch um Menschen, die besser als andere mit traumatischen Situationen umgehen können. Wir nennen diese Fähigkeit Resilienz. Man fragt sich ja immer, warum manche Menschen zum Beispiel eine Kindheit mit Gewalterfahrung unbeschadet überstehen - oder als Erwachsene tiefe Krisen meistern können. Manche Punkte sind sehr einfach: Ein ruhiges Temperament ist günstig, Intelligenz, auch Attraktivität, wobei man nicht genau weiß, auf welchem Wege sie dazu beiträgt. Extraversion hilft. Aber vor allem andere Menschen, die solidarisch und unterstützend sind und die an einen glauben. Wichtig ist die Bindung in den ersten Lebensjahren. Außerdem die Fähigkeit, sich nicht falsch zu vergleichen.

Die Rolle von Selbsthilfegruppen

Ich habe immer wieder Institutionen besucht, die von Betroffenen selbst geleitet wurden. Sie sind meist sehr konsequent, wenn es darum geht, jene Situationen und Momente aufzuspüren, in denen ein Patient für sich selbst einstehen kann, in denen er wieder die Verantwortung übernehmen kann. Das würden wir klassischen Therapeuten uns zum Teil gar nicht trauen! Die Selbsthilfegruppen nennen das die Würde des Risikos und das Recht, Fehler zu machen. Im Übrigen zeigt sich, dass resiliente Menschen oft sehr früh in ihrem Leben Verantwortung tragen mussten. Verantwortung zu tragen hilft.

Gesellschaftliche Verantwortung und Eigeninitiative

Lee Hall, der ein Stück über die Arbeiterbildung geschrieben hat, hat einmal gemeint, Labour habe die Arbeiter ein Stück weit entmündigt, ihnen die Verantwortung für ihr Leben abgenommen. Man kann gesellschaftliche Verantwortung nicht durch Eigenverantwortung ersetzen - und umgekehrt. Wenn es Eingriffe ins persönliche Leben gibt und und Eigeninitiative nicht mehr zählt, das ist kontraproduktiv. Es geht nicht darum, den Menschen zu sagen, was sie zu tun haben, oder ihnen alle Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen, es geht darum, eine Gesellschaft so zu gestalten, dass es erlaubt ist, etwas auszuprobieren und Fehler zu machen. Wobei das Recht, Fehler zu machen, ja impliziert, dass dir der Fehler nicht ewig vorgehalten und dir auch die Entscheidungsmacht nicht entzogen wird - sondern dass die Würde des Risikos dir wieder zugemutet wird.

Mentalitätsunterschiede und die Recovery-Bewegung

Die Recoverybewegung der Betroffenen, die ich studiert habe, ist in den angloamerikanischen Ländern sehr stark verwurzelt. Aber auch in den skandinavischen Ländern, wo sie auf eine Tradition der Citizenship, die Idee der Selbstorganisation der Bürger, zurückgreifen kann. Die Vorstellung, dass es für alles und jedes Experten gibt, die dann über dich bestimmen, ob das nun Politiker sind oder Ärzte, ist dort weniger stark ausgeprägt als bei uns. Umgekehrt ist es in den ehemaligen Ostblockländern. In diesen Staaten wird den Institutionen oft ein unglaubliches Vertrauen entgegengebracht. Für uns sieht das auf den ersten Blick so aus, als würden die Familien die Patienten abschieben! Aber dieses Verhalten wurzelt im Glauben, dass dort eben die Experten sitzen und dass dort die Therapie, die Entwicklung, ja möglicherweise sogar das Leben stattfindet.

Frühzeitige Hilfe für Jugendliche

Gerade bei Jugendlichen sehen wir viele Patienten, deren Schwierigkeiten lange nicht erkannt worden sind, weil die Eltern oder die Ärzte oder die Schule der Idee anhingen, dass es sich nur um Pubertätsprobleme handelt. Dann ist oft schon viel Schaden entstanden, der Kontakt zu Gleichaltrigen ist vielleicht gestört, die Situation auf dem Arbeitsplatz oder in der Schule schwierig, oft haben auch die Eltern ein schlechtes Gewissen, weil sie den Jugendlichen Vorwürfe gemacht haben und nicht gemerkt haben, dass sie leiden und dass sie sehr viel leisten, um sich überhaupt zusammenzuhalten. Das würde ich ihnen gerne ersparen, und dafür wäre es wichtig, dass ihnen frühzeitig niederschwellige Hilfe angeboten wird und dass sie an die Informationen kommen. Wobei die Daten zeigen, dass Information durch Betroffene weitaus am wirksamsten ist.

Glaube und Spiritualität in Krisenzeiten

Ja, eine spirituelle Ausrichtung ist für viele sehr hilfreich. Wobei ich für mich persönlich diese Möglichkeit nicht sehe. Manche Patienten beunruhigt das. Sie fragen mich, wie ich das denn schaffe, wie ich denn leben kann ohne den Trost des Glaubens. Und ich sage dann: Ich glaube doch! Ich glaube an das Leben. Ich glaube, dass wir nicht immer aktiv in die Zeit hineinlaufen müssen, sondern dass das Leben auf uns zukommt. Es ist unglaublich stark: Ich habe irgendwo neulich ein CD-Cover gesehen, auf dem stand: „Eine Viertelstunde vor seinem Tod - ja, da war er noch am Leben“.

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