Schizophrenie, als schwerste Form chronisch psychotischer Störungen, ist ein auffallend heterogenes Krankheitsbild mit Unterschieden bei Ätiologie, Symptomatik und Verlauf. Der Begriff „Schizophrenie“ ist durch seinen Eingang in die Umgangssprache und die damit verbundenen negativen Konnotationen mittlerweile selbst zum Stigma und damit zu einer Belastung für Betroffene und Behandler geworden. Im Gegensatz zum asiatischen Raum haben sich aber in Europa noch keine brauchbaren Alternativbezeichnungen durchgesetzt, weshalb in diesem Text neben der Bezeichnung „psychotische Störung“ der historische Begriff weiter verwendet wird.
Die Lebenszeitprävalenz der Schizophrenie beträgt weltweit bei engsten Diagnosekriterien zwischen 0,3 und 0,66 Prozent, mit einer Inzidenz von 10,2-22,0 per 100.000 Personenjahre. Für Österreich bedeutet dies mehr als 1.000 Neuerkrankungen pro Jahr. Weiter gefasste Diagnosekriterien, die unter anderem wahnhafte, kurze, polymorphe und nicht näher bezeichnete (NNB) psychotische Störungen mit einbeziehen, erhöhen die Prävalenz auf 2,3 Prozent, bei Inklusion von affektiven und substanzinduzierten Psychosen auf 3,5 Prozent. Männer sind mit 1,4-2:1 etwas häufiger betroffen als Frauen, erkranken früher und schwerer. Das Erkrankungsrisiko steigt mit dem Vorliegen bestimmter genetischer, sozialer und Umweltfaktoren (Stress-Vulnerabilitätsmodell).
Zwillingsstudien weisen auf eine hohe Heritabilität von 80 Prozent, mit Konkordanzraten bei homozygoten Zwillingen zwischen 40 und 60 Prozent hin. Das Erkrankungsrisiko steigt für Verwandte ersten Grades um mehr als das Zehnfache. Ein kleiner Teil der Erkrankten weist strukturelle Veränderungen (CNVs) auf, beim größeren Teil summieren sich genetische Vulnerabilität und epigenetische Faktoren, wie z.B. höheres Alter des Vaters. Bei einem großen Teil der Erkrankten können hirnorganische (strukturelle, elektrophysiologische, entzündliche) Veränderungen nachgewiesen werden, intrauterine und perinatale Komplikationen sowie der Konsum psychotroper Substanzen stellen weitere Risikofaktoren dar.
Der Begriff „(Ultra) High Risk Mental State“ beschreibt Personen, die zusätzlich zu Risikofaktoren auch kurzzeitige, abgeschwächte psychotische Symptome und eine Konversionsrate in eine klinisch manifeste Psychose von 20- 40 Prozent innerhalb von zwei Jahren aufweisen. Die Abgrenzung von einer Prodromalphase ist daher unklar. Weil Schizophrenie meist im frühen Lebensalter beginnt und oft chronisch verläuft, sind die direkten Kosten der Erkrankung für Betroffene und Familien erheblich, die indirekten für die Gesellschaft betragen aber ein Vielfaches davon.
Die Arbeitslosenrate bei an Schizophrenie erkrankten Menschen liegt bei >80 Prozent, sie sind in höherem Ausmaß obdachlos als ihre gesunden Mitbürger und bilden zehn Prozent aller dauerhaft schwer behinderten Menschen. Die Schizophrenie ist eine typische Erkrankung der Adoleszenz und des frühen Erwachsenenalters. Der Erkrankungsgipfel liegt bei Männern zwischen 20 und 25 Lebensjahren, bei Frauen um das 30. Lebensjahr. In zehn Prozent aller Fälle gehen produktive „positive“ Symptome den „negativen“ Symptomen voraus, in 20 Prozent treten sie simultan auf, in 70 Prozent aller Fälle beginnt die Erkrankung mit Negativsymptomatik.
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Die Erkrankung wird in Prodromal-, Akut- und Stabilisationsphasen eingeteilt und kann von schubförmig remittierend bis chronisch progredient verlaufen. Bei den Betroffenen kann die Symptomatik zu erheblichen Beeinträchtigungen vieler Lebensbereiche führen, Suizidrisiko und Mortalität sind erhöht.
Was ist Psychoedukation?
Wer mehr über seine Krankheit und die Therapie weiß, hat weniger Angst und geht verantwortungsvoller mit sich selbst um. Sie ist eine in der Psychotherapie eingesetzte Maßnahme, die dem psychisch oder körperlich erkrankten Patienten dabei hilft, Experte der eigenen Krankheit zu werden. In Gruppensitzungen bekommen Betroffene detaillierte Informationen rund um das Krankheitsgeschehen und die Therapie. Sie lernen, wie sie sich selbst helfen können, und nicht zuletzt ist auch die Gemeinschaft mit anderen Betroffenen hilfreich. Das Resultat: besserer Umgang mit der Erkrankung, emotionale Entlastung, weniger Stress, bessere Therapietreue.
Anwendungsbereiche der Psychoedukation
Die Psychoedukation kann bei fast allen psychischen Störungen sowie bei chronischen körperlichen Erkrankungen eingesetzt werden:
- Schizophrenie und schizoaffektive Störungen: Die Psychoedukation wurde ursprünglich für Menschen mit Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis entwickelt.
- Depressionen und bipolare affektive Störungen
- Belastungs- und Anpassungsstörungen
- Essstörungen
- Angst-, Panik- und Zwangsstörungen
- Persönlichkeitsstörungen
- Dementielle Erkrankungen
- Suchterkrankungen
- Chronische körperliche Erkrankungen: z.B. Rückenschmerzen, Bluthochdruck, Asthma, Diabetes Typ 2.
Bei chronischen körperlichen Erkrankungen wird die Psychoedukation in Form von Patientenschulungen und -trainings eingesetzt. So gibt es u. a. spezifische Rückenschulungen, Bluthochdruckschulungen, Asthmaschulungen und Diabetesschulungen.
Die Rolle der Angehörigen
Mit der Psychoedukation von Angehörigen werden die Erfolgschancen für einen günstigen Krankheitsverlauf der Patienten besonders positiv beeinflusst. Bei Patienten mit affektiven Störungen (wie Depressionen und bipolaren affektiven Störungen) ist die Integration der Angehörigen in die Psychoedukationsgruppe besonders zielführend. Denn oft begünstigen die Einstellungen der Familie gegenüber der psychischen Erkrankung Rückfälle des Patienten. Diese können in der Psychoedukation geändert werden und ein besserer Umgang mit der Erkrankung wird erzielt.
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Ablauf der Psychoedukation
Psychoedukation erfolgt üblicherweise im Rahmen von Gruppensitzungen, der Ablauf wird spezifisch auf die jeweilige Erkrankung abgestimmt. Selten wird die Psychoedukation auch für einzelne Patienten durchgeführt. Bei körperlichen Krankheiten wird bei Bedarf auch die Selbstbehandlung eingeübt (z.B. Übungen gegen chronische Rückenschmerzen).
Beispiel: Psychoedukation bei Depressionen
In der ersten Gruppensitzung stellt sich der Arzt oder Therapeut vor, der die Psychoedukation leitet. Der organisatorische Ablauf wird geklärt und was die Psychoedukation leistet:
- Informationsbedürfnis von Patienten/Angehörigen wird befriedigt
- Die Bereitschaft, sich an die Anweisungen der Ärzte zu halten (=Compliance), wird verbessert
- Emotionale Entlastung wird erreicht
- Der Umgang mit der Erkrankung wird verbessert
- Hilfe zur Selbsthilfe wird dadurch geleistet, dass Sie Experte der eigenen Krankheit werden
Danach werden Regeln für die Zusammenarbeit in der Gruppe festgesetzt, wie die Tatsache, dass die Informationen der anderen Teilnehmer vertraulich zu behandeln sind. Im Anschluss stellen sich die Teilnehmer vor, und die Erwartungen an die Psychoedukation werden besprochen.
In jeder Einheit erfahren Sie zudem Wissenswertes über Depressionen. Zu den vermittelten Informationen zählen u.a.:
- Wie Fühlen, Denken und Handeln bei Depressionen zusammenwirken
- Die Häufigkeit und die Entstehung von Depressionen in der Bevölkerung
- Wie Depressionen psychotherapeutisch (z. B. mittels Verhaltenstherapie oder Lichttherapie) oder medikamentös (mittels Antidepressiva wie z. B. Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern oder Trizyklika/Tetrazyklika) behandelt werden können
- Wie Sie sich selbst helfen können (z.B. durch Korrigieren negativer Gedanken oder der Steigerung angenehmer Aktivitäten im Tagesablauf)
- Wie Sie mit Selbstmordgedanken umgehen
Bei den weiteren Gruppensitzungen kommt jeweils in der Eröffnungsrunde jeder Teilnehmer zu Wort. An dieser Stelle dürfen Sie über positive Veränderungen oder Probleme und Fragen berichten, die sich in den letzten Tagen aufgetan haben. Besonders die positiven Entwicklungen werden betont. Danach werden die wichtigsten Inhalte aus den vergangenen Sitzungen gemeinsam wiederholt und Sie bekommen weitere Informationen zu den oben aufgeführten Themenbereichen.
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Für die Psychoedukation bei psychischen Erkrankungen gibt es genaue krankheitsspezifische Therapiepläne, die jeweils unterschiedlich intensive Module enthalten und üblicherweise in 6 bis 21 Sitzungen gegliedert sind. Die Psychoedukation wird 1 bis 2 Mal pro Woche durchgeführt. Setzen Sie das, was Sie bei der Psychoedukation gelernt haben, auch im Alltag um. Das bei den Einheiten vermittelte Wissen (z. B.
Wer führt Psychoedukation durch?
Die Psychoedukation wird in der Regel von Fachärzten oder Psychologen durchgeführt, die Erfahrung in der Behandlung der jeweiligen Erkrankung haben. Eine spezielle psychotherapeutische Ausbildung ist nicht vorausgesetzt. Kliniken und Einrichtungen, die Psychoedukation bei verschiedensten psychischen und psychosomatischen Erkrankungen anbieten, sind in jedem Bundesland zu finden. Teilweise wird sie in Universitätskliniken oder anderen Kliniken angeboten (z. B. Wien, Graz, Salzburg, Neunkirchen und Wels), teilweise auch von privaten Anbietern oder Einrichtungen wie beispielsweise pro mente und Caritas.
Wichtige Hinweise
Besonders wichtig ist, dass Sie die Termine wahrnehmen und aktiv bei der Psychoedukation mitmachen. Psychoedukation sollte nur dann durchgeführt werden, wenn der Patient nicht in einer akuten Erkrankungsphase ist. Wenn gerade eine Depression oder Manie in starker Form vorliegt, kann der Patient die in der Psychoedukation vermittelten Inhalte nicht aufnehmen. Dem Patient sollte es relativ gut gehen und möglich sein, sich zu konzentrieren. Schwere Aufmerksamkeitsstörungen sind generell ein Faktor, der den Nutzen der Psychoedukation stark einschränkt.
Die Kosten der Psychoedukation werden im ambulanten Bereich meist von der Krankenkasse übernommen. In den Kliniken sind die Plätze oft beschränkt und die Dauer zu kurz, aber zum Beispiel in Graz wird Psychoedukation auf der Ambulanz der Universitätsklinik für Psychiatrie nach der Anmeldung, die allen offen steht, als Kassenleistung angeboten. In Wien ist der Zugang zur Psychoedukation für Bipolare bei proMente frei.
Pharmakotherapie mit Antipsychotika (AP)
Eine medikamentöse Intervention sollte in ein Gesamtbehandlungskonzept unter Einschluss therapeutischer und psychosozialer Maßnahmen eingebettet sein. Patienten müssen über Wirkungen und Nebenwirkungen der Medikamente aufgeklärt und sollten in den therapeutischen Entscheidungsprozess miteinbezogen werden.AP sind die Therapie der Wahl in allen unterschiedlichen Stadien schizophrener Störungen. Sowohl AP der ersten Generation („first generation AP“ FGA) als auch AP der zweiten Generation („second generation AP“ SGA) verringern effektiv psychotische Symptome. Einige SGA bieten möglicherweise Vorteile bei der Gesamtwirksamkeit und in der Rückfallprophylaxe. Wegen des erhöhten Risikos von neurologischen Störungen (EPMS) unter FGA sind bestimmte SGA zu favorisieren. Rasche Dosissteigerungen („loading dose“) sollten vermieden werden. Die niedrigste effektive Dosis ist anzustreben.
Bei jeder Auswahl von AP sollten potenzielle Nebenwirkungen und individuelle Risikofaktoren (Geschlecht, Gewicht, RR, Laborbefunde etc.) berücksichtigt werden. Vor dem Wechsel auf ein anderes AP sollte ein kontrollierter Behandlungsversuch unter optimaler Dosierung und Adhärenz für mindestens vier bis maximal acht Wochen erfolgen.
(Ultra) High Risk Mental State
Wichtigste Maßnahmen sind der Aufbau einer therapeutischen Beziehung und regelmäßige Symptomerfassung, um bei Konversion in eine manifeste Psychose rechtzeitig intervenieren zu können und so die Dauer der unbehandelten Psychose (DUP) zu minimieren. Individuelle Verhaltenstherapie (kVT) kann Stress und Symptome lindern. Anfängliche Erfolge von speziellen Frühinterventionsprogrammen scheinen sich nach fünf Jahren Follow-up aber nicht mehr abzubilden. Antipsychotika (AP) sollten nur in individuellen Fällen, zeitlich begrenzt, mit niedrigster Dosierung und engmaschigen Kontrollen von Symptomen und UAW eingesetzt werden (=„Off-label“-Einsatz).
Akute Psychose, erste Episode
Einige FGA und SGA sind gleichermaßen wirksam, sollten aber in geringeren Dosierungen als bei chronisch Kranken zum Einsatz kommen. Wegen des geringeren Risikos für neurologische UAW und geringerer Abbruchrate sollten SGA bevorzugt werden. Olanzapin, Risperidon und Quetiapin sind die am besten untersuchten SGA, geringer Aripiprazol und Ziprasideon, Haloperidol das am besten untersuchte FGA bei Ersterkrankten. Trotz guter Wirksamkeit wird Clozapin wegen seiner potenziellen UAW nicht als Behandlung der ersten Wahl empfohlen.
Erhaltungstherapie und Rückfallprophylaxe
Bei etablierter Schizophrenie ist eine dauerhafte Behandlung mit AP im empfohlenen Dosisbereich zu empfehlen wobei einige SGA Vorteile hinsichtlich Negativsymptomatik, Behandlungsdauer und Rückfallsvermeidung bieten. Eine intermittierende AP-Therapie („drug holiday“) stellt keine Alternative zu kontinuierlicher Behandlung dar. Die Behandlungsdauer sollte individuell geplant werden, bei Patienten mit multiplen Episoden aber mindestens zwei bis fünf Jahre betragen. Vor einem Wechsel der AP sollte die laufende Therapie optimiert und über einen adäquaten Zeitraum hinsichtlich Dosis und Adhärenz kontrolliert werden. Im Behandlungsplan sollten reversible Rückfallsrisikofaktoren wie komorbider Substanzkonsum, schlechte Therapieadhärenz und psychosoziale Probleme therapeutisch berücksichtigt werden.
Tardive Dyskinesien und metabolische UAW üben den stärksten negativen Einfluss auf Wohlbefinden und Gesundheit der Patienten aus und müssen bei einer Langzeittherapie kontinuierlich erfasst und frühzeitig behandelt werden. Bei gleicher Wirksamkeit wie orale AP bieten Depot-AP bei bestimmten Patientengruppen Vorteile in der Rückfallsprophylaxe und können auch in der Erhaltungstherapie nach einer ersten psychotischen Episode sinnvoll sein.
Persistierende negative Symptomatik über die Akutphase hinaus
Bei primären negativen Symptomen, die Teil der schizophrenen Kernsymptomatik sind, zeigen SGA als Gruppe bessere Wirksamkeit als FGA, besonders Amisulprid und Olanzapin sowie in geringerem Maß Quetiapin und Ziprasidon. Bei sekundären negativen Symptomen, die durch Nebenwirkungen (EPMS), depressive Syndrome (postpsychotisch oder AP-induziert), sozialen Rückzug infolge von paranoiden Ängsten oder Hospitalismus hervorgerufen werden können, sind FGA und SGA gleichermaßen effektiv. Eine weitere Option stellt die Augmentation der AP-Therapie mit Antidepressiva (SSRI, Mirtazapin) dar.
Agitiertheit, Aggression
Lorazepam und FGA sind gleichermaßen wirksam in der Akuttherapie von Aggression und psychomotorischer Agitiertheit. Der Einsatz von niedrigpotenten AP (Chlorprothixen, Levomepromazin) ist hinsichtlich Wirkung und Tolerabilität unterlegen und sollte vermieden werden. Intramuskuläre Präparate (Aripiprazol, Olanzapin, Ziprasidon) sind bei geringerem Risiko für EPMS gleich effektiv wie i.m. Haloperidol.
Therapieresistenz (TR)
Nach derzeitigem Konsens liegt TR dann vor, wenn trotz Behandlung mit zwei AP aus unterschiedlichen chemischen Gruppen, davon zumindest eines aus der Gruppe der SGA, keine ausreichende Verbesserung der Psychopathologie oder anderer Zielsymptome erreicht werden kann. Je nach Definition von Response und Remission sprechen zehn bis 30 Prozent kaum oder gering, weitere 30 Prozent partiell auf eine AP-Therapie an. Mangelnde Therapieadhärenz und komorbider Substanzkonsum sollten als Ursache für TR („Pseudoresistenz“) ausgeschlossen werden. Der Wechsel von nicht wirksamen FGA auf andere FGA ist ineffektiv, daher sollte auf SGA gewechselt werden. Bei Patienten mit TR sollte Clozapin für drei bis sechs Monate in einer Tagesdosis von 100-900mg und einem Plasmaspiegel mehr als 350ng/ ml eingesetzt werden. Falls eine Clozapin-Therapie nicht möglich ist, sollte auf Olanzapin oder Risperidon gewechselt werden.
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