Psychosoziale Belastungen bei der Arbeit können auf Dauer krank machen. Physische, psychische und soziale Stressfaktoren beeinträchtigen das Wohlbefinden der Beschäftigten am Arbeitsplatz erheblich und nachhaltig. Der Schutz vor psychosozialen Risiken am Arbeitsplatz ist daher ein zentraler Bestandteil des modernen Arbeitsschutzes, damit Arbeitsunfälle und langfristige Gesundheitsschäden verhindert werden können.
Definition der Psychosozialen Gefährdung
Eine psychosoziale Gefährdung ist dann gegeben, wenn am Arbeitsplatz psychische, physische und/oder soziale Belastungen das Wohlbefinden von Arbeitnehmern beeinträchtigen. Es gibt viele Faktoren, die eine psychosoziale Gefährdung am Arbeitsplatz bedingen und die Gefahr von Arbeitsunfällen, Erkrankungen und psychischen Belastungen erhöhen.
Stressfaktoren in der Produktionsumgebung
In einer Produktionsumgebung sind Stressfaktoren bei der Arbeit von besonderer Bedeutung, weil diese Arbeitsumgebungen oft durch physische und psychische Belastungen charakterisiert sind. Produktionsmitarbeiter*innen sind regelmäßig körperlichen Anforderungen ausgesetzt, wie schwerer körperlicher Arbeit, Lärm, repetitive Bewegungen und Arbeiten unter Zeitdruck. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass psychosoziale Stressfaktoren wie Überforderung, fehlende Pausen oder unzureichende soziale Unterstützung auftreten.
Ursachen Psychischer Gefährdungen
Es gibt zahlreiche Einflussfaktoren, die zu psychischen Belastungen am Arbeitsplatz führen können. Dazu zählen:
- Hohe Arbeitsintensität
- Mangelnde Unterstützung durch Vorgesetzte
- Unklare Aufgabenstellungen
- Zwischenmenschliche Konflikte
- Unzureichende Bewegungsmöglichkeiten
- „Job Strain“ (Hohe Anforderung bei zu geringem Tätigkeitsspielraum)
- Geringe soziale Unterstützung
- Arbeitsplatzunsicherheit
- Gewalt
- Geringe Bedeutsamkeit der Arbeit
- Schwierige Emotionsarbeit
- Geringe Entwicklungsmöglichkeiten
- Überlange Arbeitszeiten
- Belastung durch Schichtarbeit
- Belastung durch Wochenendarbeitszeit
- Überwiegend durch Arbeitgeber:innen bestimmte Arbeitszeitvariabilität
- Arbeitsbezogene erweiterte Erreichbarkeit
- Unzureichende Arbeitspausen
- Mehrfachbelastungen
- Fehlende Entwicklungsmöglichkeiten
- Mangelnde Wertschätzung
- Fehlendes Sinnerleben
- Dauernde Erreichbarkeit
- Angst vor Jobverlust
Folgen Psychischer Gefährdungen
Psychische, physische und soziale Belastungen am Arbeitsplatz, besonders in der Produktion, ziehen häufig eine längerfristige Erkrankung der Beschäftigten nach sich - körperlich wie seelisch. Psychische Belastungen wie Stress, Angst und Burnout sind häufige Folgen, die die Resilienz verringern und die seelische Vulnerabilität erhöhen. Durch psychosoziale Gefährdungen und Stressfaktoren im Betrieb steigt das Risiko von Arbeitsunfällen, da Ermüdung und verminderte Konzentration zu Verletzungen führen können. Diese Belastungen beeinträchtigen die Arbeitsleistung, führen zu Produktivitätseinbußen und steigenden Fehlzeiten. Das soziale Klima im Betrieb leidet, es kommt zu vermehrten Konflikten und einer höheren Mitarbeiterfluktuation.
Lesen Sie auch: Adipositas: Der psychische Faktor
Vielfach unterschätzt werden negative Folgen psychischer Belastung, welche sich zwar nicht in einer psychischen Erkrankung niederschlagen, jedoch trotzdem schädlich sind. Das britische Amt für Statistik schätzt, dass 20 % der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter unter Symptomen leidet, die mit psychischen Erkrankungen in Verbindung gebracht werden, aber nicht die Diagnosekriterien einer psychischen Störung erfüllen. Diese mit psychischen Erkrankungen einhergehenden Symptome können jedoch die Lebensqualität und das Funktionsniveau des Einzelnen bereits erheblich beeinträchtigen.
Arbeitsbedingte Psychische Erkrankungen
Die gängigsten arbeitsbedingten psychischen Erkrankungen sind:
- Depressionen
- Angststörungen
- Burnout-Syndrom (Einstufungsdiagnose)
Darüber hinaus gibt es Zusammenhänge von arbeitsbedingten, psychischen Belastungsfaktoren zu einigen somatoformen und psychosomatischen Störungen. Auch Suchterkrankungen (z.B. Alkoholsucht) und Schlafstörungen können von der Arbeit mitbedingt sein.
Im Arbeitnehmer:innenschutz beschränkt sich die Relevanz psychischer Faktoren nicht auf psychische Erkrankungen, sondern beinhaltet psychosomatische Auswirkungen der Arbeitsbelastung. Diese äußern sich beispielsweise in einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Störungen des Magen-Darm-Trakts, Muskel-Skelett-Erkrankungen und Herz-Kreislauferkrankungen. Auch die Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit kann relevant werden.
Statistische Relevanz
Psychische Aspekte gewinnen im Arbeitnehmer:innenschutz kontinuierlich an Bedeutung, da sich die Arbeit im Wandel befindet und sich der relative Anteil an Dienstleistungen am Gesamt-Bruttoinlandsprodukt seit Jahrzehnten erhöht. Gleichzeitig haben die Krankenstandstage aufgrund psychischer Diagnosen im letzten Jahrzehnt zugenommen: „Wurden 2010 6,9 % aller Krankenstandstage durch psychische Erkrankungen verursacht, erhöhte sich dieser Anteil innerhalb von zehn Jahren auf 11,4 % im Jahr 2021“ (WIFO, 2022, S.2). Tendenz steigend.
Lesen Sie auch: Erziehung ohne Gewalt
Präventionsmaßnahmen und Lösungen
Für nachhaltige Verbesserungen am Arbeitsplatz sind gezielte Maßnahmen erforderlich, um sowohl die physischen als auch die psychischen Belastungen der Mitarbeiter*innen zu reduzieren. Die Verantwortung des Arbeitgebers in Bezug auf die Gestaltung des Arbeitsplatzes liegt darin, sicherzustellen, dass die Arbeitsbedingungen den gesetzlichen Vorschriften entsprechen und die Sicherheit sowie die Gesundheit der Mitarbeiter*innen gewährleistet sind.
Um mit den vielfältigen Belastungsfaktoren gut umgehen zu können, braucht es „Ressourcen“. Zusätzlich zu individuellen Ressourcen, können organisationale Ressourcen helfen, die Arbeitsbelastung besser zu bewältigen. Organisationale Ressourcen sind unter anderem:
- Gutes Führungsverhalten
- Gut funktionierende Abläufe und Arbeitsorganisation (inkl. adäquate Personalplanung)
- Zufriedenstellende Gratifikation
- Ausreichende Erholungszeiten
- Vereinbarkeit mit Privatleben bzw. flexible Arbeitszeitmodelle
- Ganzheitlichkeit
- Sinnhaftigkeit
- Unterbrechungsfreiheit
- Positive soziale Interaktion
- Organisationale Gerechtigkeit
- Lern-/Entwicklungsmöglichkeiten
Der Arbeitgeber ist verantwortlich für das Abwenden von Gefahren für die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz.
- Arbeit gut einteilen: Mit einer guten Arbeitseinteilung kann man Stress vorbeugen.
- Grenzen setzen: Manchmal kann es notwendig sein, auf die eigenen Grenzen hinzuweisen, damit nicht alles zu viel wird. Dazu gehört etwa auch „Nein“ zu einer Aufgabe zu sagen.
- Pausen in Anspruch nehmen: Pausen sind wichtig für die Erholung und Produktivität.
- Home-Office gut gestalten: Home-Office kann positive und negative Auswirkungen auf das psychische Befinden haben.
- Work-Life-Balance: Einem ausgefüllten Arbeitstag sollte immer eine ausgewogene Erholung gegenüberstehen.
- Holen Sie sich Unterstützung: Wenn Sie das Gefühl haben, am Arbeitsplatz psychisch belastet zu sein: Suchen Sie möglichst frühzeitig Hilfe. Dazu zählen zum Beispiel Ansprechpartner:innen im Betrieb im Bereich Arbeitsmedizin oder Arbeitspsychologie.
Arbeitsplatzevaluierung Psychischer Belastung (Aepb)
Die gesetzlich verpflichtende Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastung kann dabei helfen, gefährliche psychische Arbeitsbedingungen zu erkennen und durch geeignete Maßnahmen an der Quelle zu bekämpfen. Das Arbeitnehmer:innenschutzgesetz (ASchG) schreibt vor, dass alle Organisationen die physischen und psychischen Belastungen am Arbeitsplatz ermitteln und beurteilen müssen. Werden konkrete Belastungen an den Arbeitsplätzen erkennbar, müssen Maßnahmen entwickelt werden, um diesen Belastungen entgegenzuwirken.
Die Evaluierung erhebt die arbeitsbedingten psychischen Belastungen. Es geht dabei um die Bedingungen, unter denen die Arbeit erfolgt. Evaluiert werden konkrete Einflussfaktoren aus folgenden Dimensionen:
Lesen Sie auch: Behandlung von Atemnot
- Arbeitsaufgabe und Tätigkeiten
- Arbeitsorganisation
- Arbeitsumgebung
- Organisationsklima
Die Rolle des Stressmanagements
Psychische Belastung, die zu Stress führen kann, muss im Rahmen der Arbeitsplatzevaluierung genauso erhoben werden, wie die Belastung durch gefährliche Stoffe oder Maschinen. Der:die Arbeitgeber:in muss wirksame Maßnahmen treffen, um diese psychische Belastung zu minimieren.
Um die bestmögliche Wirkung zu erzielen, sollten natürlich auch in Fragen der Stressreduktion Beschäftigte, Vorgesetzte, Arbeitsmediziner:innen, Betriebsrat und Sicherheitsvertrauensperson eng zusammenarbeiten. Bei der Entwicklung von wirksamen stressreduzierenden Maßnahmen ist es oft sinnvoll die Expertise eines:einer Arbeitspsycholog:in hinzuzuziehen.
Schritte zur Arbeitsplatzevaluierung Psychischer Belastung
Der Evaluierungsprozess gliedert sich in vier Hauptphasen:
- Planung
- Ermittlung/Beurteilung
- Dokumentation
- Maßnahmenentwicklung, -umsetzung und Wirksamkeitskontrolle sowie der Überprüfung und erforderlichenfalls Anpassung.
Dabei ist eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen anzustreben (§ 4 Abs. 4 ASchG).
Abbildung 1: Die Evaluierung psychischer Belastung. Prozessphasen und Schätzung des jeweiligen prozentualen Zeitaufwands.
Die Dokumentation im Sicherheits- und Gesundheitsschutz-Dokument (SiGeDok) ist unerlässlich für die Nachvollziehbarkeit des Prozesses, um bei Bedarf zielgenau nachbessern zu können. Festgestellte Gefahren müssen zusammen mit der darauf bezugnehmenden Maßnahme, einer für die Umsetzung verantwortlichen Person und einem Umsetzungsdatum erfasst sein. Der Dokumentationsprozess ist ein kontinuierlicher Prozess. Das SiGeDok ist als lebendes Dokument (“living document“) zu verstehen.
Abbildung 2: Standortbestimmung Evaluierungsprozess
Tragende Säule im Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM)
Der ArbeitnehmerInnenschutz mit allen rechtlichen Aspekten stellt die gesetzlich verpflichtende Grundlage für ein erfolgreiches betriebliches Gesundheitsmanagement dar. Eine fachgerechte Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastung trägt dazu bei, dass der praktizierte ArbeitnehmerInnenschutz eine tragende Säule für das betriebliche Gesundheitsmanagement sein kann.
Abbildung 3: Drei Komponenten des BGM (siehe dazu auch Kurzinformationen zur Nationale Strategie "Gesundheit im Betrieb")
tags: #psychische #gefährdung #am #arbeitsplatz #definition