Psychiatrische Behandlung und das Unterbringungsgesetz: Informationen zu Neuerungen und Auswirkungen

Seit Inkrafttreten mit 1. Jänner 1991 regelt das österreichische Unterbringungsgesetz die Behandlung gegen oder ohne den Willen von stationär behandelten Patient:innen an einer psychiatrischen Abteilung bzw. Krankenanstalt. Seit dem 1. Juli 2023 ist die Novellierung des Unterbringungsgesetzes in Kraft.

Wesentliche Neuerungen des Unterbringungsgesetzes

Diese hat einige wesentliche Neuerungen mit sich gebracht, wie die Unterscheidung zwischen entscheidungs- und nicht entscheidungsfähigen Patient:innen im Behandlungsrecht und die explizite Erwähnung im Gesetzestext einer Unterstützung der Betroffenen durch eine sogenannte Vertrauensperson. Anspruch der letzten Novellierung war es, psychisch Kranken mehr Rechtsicherheit zu bieten und deren Selbstbestimmtheit zu fördern, und damit dem Erwachsenenschutzgesetz und den UN-Konventionen über die Rechte von Menschen mit Behinderung gerecht zu werden [2]. Diese Reform steht im Zeichen einer Förderung der Selbstbestimmung psychisch kranker Personen und verschärft die Aufklärungs‑, Verständigungs- und Dokumentationspflichten des medizinischen Personals, das sich nachweislich um die Einbindung der Patient:innen und ihrer Vertrauenspersonen in Behandlungsentscheidungen bemühen muss.

Unterbringung ohne Verlangen

Im Gesetzestext heißt es „Unterbringung ohne Verlangen“. Voraussetzungen für die Unterbringung, die von einem Facharzt/einer Fachärztin für Psychiatrie festgestellt und vom zuständigen Gericht geprüft wird, sind eine psychische Erkrankung, die eine ernstliche und erhebliche Gefährdung für Leben und Gesundheit der Patient:innen selbst oder anderer (Selbst- und/oder Fremdgefährdung) darstellt, sowie die Alternativlosigkeit hinsichtlich einer ausreichenden Betreuung oder Behandlung der Betroffenen.

Die Rolle der Vertrauensperson

Kommt es im Zuge einer Untersuchung zur Unterbringung einer psychisch kranken Person, so hat die Fachärztin/der Facharzt neben einer Reihe von weiteren Verständigungs- und Dokumentationspflichten dafür Sorge zu tragen, dass der Patient/die Patientin frühzeitig und nachweislich über sein/ihr Recht der Namhaftmachung einer sogenannten Vertrauensperson informiert wird (§ 16a). Diese Person hat die Aufgabe, den Patienten/die Patientin in seiner/ihrer Meinungsbildung und damit Entscheidungsfindung zu unterstützen, ohne dass der Vertrauensperson tatsächlich Vertretungsbefugnisse wie der (gewählten, gesetzlichen oder gerichtlichen) Erwachsenenvertretung oder den Erziehungsberechtigten bei Minderjährigen zukommen. Wichtig ist es in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass im Gesetz nicht spezifiziert wird, ob die Vertrauensperson für ihre Rolle bestimmte Voraussetzungen erfüllen muss bzw. welche diese wären.

Einbezug des Umfelds

Der Einbezug des nahen Umfelds von psychisch erkrankten Personen in die medizinische Behandlung ist - wie in anderen medizinischen Disziplinen auch - im Allgemeinen vom Personal erwünscht bzw. notwendig, insbesondere um eine optimale Nachsorge nach dem stationären Aufenthalt zu gewährleisten. Die explizite Erwähnung der Vertrauensperson bzw. des Unterstützer:innenkreises (bestehend aus Angehörigen, anderen nahestehenden Personen und Vertrauenspersonen) im Gesetzestext ist daher eine positive Entwicklung und kann Gefühle von Machtlosigkeit und Bevormundung vonseiten der Patient:innen vermindern bzw. Betroffene in ihrer Selbstbestimmtheit fördern (§ 35(3)). Die Novelle bietet eine Verbesserung, weil Angehörige nun ermuntert und ermutigt werden, sich mit der Behandlung der Betroffenen zu befassen.

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Auswirkungen von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen

Die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung nach der Anwendung von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen im Rahmen einer Unterbringung wird in der Literatur mit Raten zwischen 25 und 47 % beschrieben [5, 6]. Vorbeugend können die Berücksichtigung der Patient:innenwünsche, wiederholte Erklärungen sowie die intensive Pflege und Behandlung eine annehmbare Wahrnehmung von einer beschränkenden Maßnahme unterstützen [5]. Bei gefährdenden Störungen der Kognition, der Wahrnehmungen, Emotionen und des Verhaltens ist die Unterstützung durch enge Vertraute wertvoll, um möglichst behutsam Maßnahmen ohne den Willen der Betroffenen durchzuführen, wie beispielsweise notwendige Pflegemaßnahmen oder die Einnahme von Medikamenten. Es ist eigentlich kaum machbar, wiederholt Diskussionen über die Einnahme von Medikamenten zu führen und hierbei jeweils eine Vertrauensperson zu kontaktieren und zu bitten, die Betroffenen laufend in ihrer Entscheidungsfähigkeit zu unterstützen, also - im Klartext - zu überzeugen, die indizierte Therapie anzunehmen.

Entscheidungsfähigkeit und Behandlung

Eine weitere Neuerung im Behandlungsrecht untergebrachter Patient:innen ist, dass das Unterbringungsgesetz nun zwischen entscheidungsfähigen und nicht entscheidungsfähigen Patient:innen unterscheidet. Laut ABGB, Abs. 2, § 24, ist entscheidungsfähig, „wer die Bedeutung und die Folgen seines Handelns im jeweiligen Zusammenhang verstehen, seinen Willen danach bestimmen und sich entsprechend verhalten kann. Unter diesem Unterstützerkreis werden wie bereits zuvor erwähnt Angehörige und andere nahestehende Personen, Vertrauenspersonen und im Umgang mit Menschen in solchen schwierigen Lebenslagen geübte Fachleute verstanden. Auf Wunsch der Betroffenen kann der Einbezug des Unterstützerkreises unterlassen werden.

Erst wenn die Herstellung der Entscheidungsfähigkeit trotz Unterstützung nicht gelingt, darf eine Behandlung ohne Einwilligung oder Zustimmung durchgeführt werden. Sofern vorhanden, hat die Vertretung (gewählt oder gesetzlich) Entscheidungsbefugnis. Die vertretende Person kann, muss aber nicht Teil des Unterstützerkreises sein. Die Patient:innenanwaltschaft ist unverzüglich von der Behandlung zu verständigen. Sogenannte „Besondere Heilbehandlungen“ wie die Durchführung einer Elektrokonvulsionstherapie oder die Lumbalpunktion zur Liquorentnahme bedürfen einer schriftlichen Zustimmung der Vertretung (sofern vorhanden) oder einer Vorabentscheidung des Gerichts (§ 36a(1)).

Der Facharzt/die Fachärztin für Psychiatrie ist also dazu angehalten, die Entscheidungsfähigkeit von Patient:innen festzustellen. Das Verständnis der Bedeutung und Folgen des eigenen Handelns kann allerdings bei bestimmten Krankheitsbildern in gewissen Bereichen beeinträchtigt und gleichzeitig in anderen unbehelligt sein. Fachärzt:innen stehen bei der Beurteilung der Entscheidungsfähigkeit in Versuchung, den Betroffenen im Falle einer Zustimmung zu einer Heilbehandlung diese zuzugestehen, im Falle einer Ablehnung jedoch von einem Fehlen der Entscheidungsfähigkeit auszugehen. Eine aus medizinischer Sicht „unvernünftige“ Patient:innenentscheidung ist nicht Entscheidungsunfähigkeit gleichzusetzen [7].

Beispiele aus der Praxis

Selbst „einfache Heilbehandlungen“ wie Blutabnahmen oder die Durchführung eines Elektrokardiogramms müssen dem UbG entsprechend an die Patient:innenanwaltschaft gemeldet werden, wenn eine Person diesen Untersuchungen nicht sicher oder durchgehend zustimmen kann (z. B. Eine chronisch wahnhafte und denkgestörte schizophrene Patientin mittleren Alters mit schlechter Medikamentencompliance in der Vergangenheit wurde bei ungenügendem Ansprechen auf atypische Antipsychotika auf Cisordinol per os eingestellt. Die Einnahme der Medikation ließ sie zu, obwohl sie diesbezüglich nicht zufriedenstellend aufgeklärt werden konnte und sie nicht einsichtsfähig war. Sie gab zwischendurch an, die Medikation nach einer Entlassung prompt wieder absetzen zu wollen, da sie nicht krank sei und keine Medikamente benötige. Die verordnete Medikation wurde der Patient:innenanwaltschaft gemeldet. In Hinblick auf eine etwaige Entlassung wurde bei der ansprechend behandelten Patientin eine Depotmedikation mit Cisordinol Depot angedacht. Diese lehnte die Patientin trotz wiederholter, ihrem Auffassungsvermögen angemessenen Aufklärungsversuche und Darlegung der Vorteile ab. Schlussendlich stimmte die Patientin Cisordinol Depot zu und gab zu verstehen, dass sie sich durch die Zustimmung erhoffte, früher entlassen zu werden. Sie war bereit, eine Einverständniserklärung zu unterschreiben. Die Depotmedikation wurde dennoch gerichtlich verhandelt und bewilligt, nachdem nicht davon auszugehen war, dass die Patientin diese Entscheidung frei von Druck des ärztlichen Personals getroffen hätte. Die Verabreichung erfolgte komplikationslos. Doch stellt sich hier die Frage, ob eine Fachärztin/ein Facharzt ein Depotmedikament, dessen Gabe gerichtlich bewilligt wurde, einer/m Betroffenen mit Gegenwehr und Beschränkungen verabreichen sollte, obwohl keine unmittelbare Gefährdung besteht.

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Eine junge Erwachsene mit einer extremen Anorexia nervosa vom restriktiven Typus und einem Body-Mass-Index von 10 kg/m2 wurde aufgrund einer akuten Selbstgefährdung bei Verweigerung der Nahrungsaufnahme ohne Verlangen untergebracht. Die Patientin war zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage, sich selbst im Krankenbett zu lagern, aufzustehen oder zu gehen. Eine Flüssigkeitsrestriktion und Bilanzierung (mittels Harnkatheter oder Leibstuhl) sowie regelmäßige Laborkontrollen sind bei diesem Krankheitsbild essenziell; am nachvollziehbarsten ist zur strikten Überwachung der Einfuhr eine (kontinuierliche) enterale Ernährung via nasogastraler Sonde. Dieser stimmte die betroffene Patientin allerdings nicht zu. Im Rahmen der Unterbringung wurde die Anlage der Magensonde durch das zuständige Gericht bewilligt, jedoch empfand die Patientin diese als derartigen Eingriff in ihre Integrität und reagierte mit körperlicher Gegenwehr und einer ausgeprägten Agitation und Affektinkontinenz, die schlussendlich eine medikamentöse Sedierung notwendig machten. Die Eins-zu-eins-Betreuung wiederum führte zu zwischenmenschlichen Konflikten, sobald die Kranke ihren Willen gegenüber der beisitzenden Person nicht durchsetzen konnte. Schlussendlich musste die perorale Ernährung der Patientin, also Essen und Trinken in Selbstbestimmung, welcher sie bis zu einer kalorienarmen Schwelle zustimmte, akzeptiert und die damit einhergehenden Risiken und die potenziell längere Aufenthaltsdauer (Anorexie immanente, gewünschte Minimalkalorieneinfuhr) in Kauf genommen werden. Die Patientin wurde so in ihrer Selbstbestimmtheit bestärkt, die man jedoch aus psychiatrisch-fachärztlicher Sicht auch kritisch als Bestimmtheit durch die Essstörung interpretieren könnte. Die Entscheidung der Patientin wurde resignierend akzeptiert.

Als entscheidungsfähig beurteilte, untergebrachte Patient:innen entscheiden selbst über die Durchführung einer medizinischen Behandlung. Zu gerichtlichen Vorabentscheidungen (also vor Durchführung einer Behandlung) kommt es (neben besonderen Heilbehandlungen, siehe oben) auch, wenn der (auch nicht entscheidungsfähige) Patient/die Patientin die gerichtliche Überprüfung einer geplanten Heilbehandlung wünscht, wenn die entscheidungsbefugte Vertretung nicht dem Willen der Patient:innen entspricht oder der Abteilungsleiter bzw. Letzteres kommt beispielsweise zum Tragen, wenn der/die Patient:in der Behandlung zwar zustimmt, aber Zweifel an seiner/ihrer Entscheidungsfähigkeit bestehen oder wenn Zweifel bestehen, ob der/die Patient:in seinen/ihren Willen konstant und frei von Druck anderer Personen bilden/äußern kann.

Unverändert sind die Aufklärung, Unterstützung und Einwilligung des/der Patient:in, die Verständigung und Zustimmung durch die Vertretung sowie die gerichtliche (Vorab‑)Entscheidung nicht erforderlich, wenn mit der damit einhergehenden Verzögerung der medizinischen Behandlung für den/die Patient:in eine Gefährdung des Lebens, die Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit oder starke Schmerzen verbunden wären.

Herausforderungen und Diskussionen

Es entsteht der Eindruck, dass dem Fachpersonal Entscheidungsmacht, jedoch nicht Verantwortlichkeit entzogen wird, bei gleichzeitig steigendem bürokratischen Aufwand und unnötiger Behandlungsverzögerung. Die Novellierung des Unterbringungsgesetzes im Juli 2023 hat zu lebhaften Diskussionen innerhalb der psychiatrischen Gemeinschaft geführt, insbesondere da sie für die beteiligten Akteur:innen einen erheblichen zusätzlichen Aufwand bedeutet. Hauptanliegen der Reform i...

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