30 Jahre nach der Verabschiedung des österreichischen Psychotherapiegesetzes wird die Besonderheit der Psychotherapie im Gesundheitssystem mit Bezug auf nationale Gegebenheiten und international vorliegende Forschungsergebnisse dargestellt.
Vor 30 Jahren wurde im österreichischen Parlament nach jahrzehntelangem Ringen das Psychotherapiegesetz verabschiedet (Kierein et al. 1991; Wißgott 2009).
Obgleich wesentliche Beiträge zur Entwicklung der modernen Psychotherapie bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert in Wien erarbeitet worden waren, bedurfte es damit etwa eines Jahrhunderts, ehe Psychotherapie als „eigenständiges Heilverfahren im Gesundheitsbereich für die Diagnostik und Behandlung von psychischen, psychosozialen oder auch psychosomatisch bedingten Leidenszuständen und krankheitswertigen Störungen“ gesetzliche Anerkennung fand (Bundesministerium 2019, S. 44).
Psychotherapeut oder Psychotherapeutin durften sich ab dem Inkrafttreten des Gesetzes im Jahre 1991 nur mehr Personen nennen, die in die „Psychotherapeutenliste“ eingetragen waren.
Die Umsetzung des Gesetzes, das 1991 in Kraft trat, zog zahlreiche Entwicklungen nach sich. Diese betrafen etwa die Gestaltung der Aus- und Weiterbildung, die Führung der Liste der eingetragenen PsychotherapeutInnen, die Einrichtung des Psychotherapiebeirats, den Ausbau der psychotherapeutischen Versorgung Österreichs oder die wissenschaftliche Befassung mit Psychotherapie.
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Parallel dazu kam es auch in zwei Nachbardisziplinen zu einer verstärkten Befassung mit Psychotherapie und verwandten Tätigkeitsbereichen: Im Bereich der Psychologie wurden im Sinne des Psychologengesetzes postgraduale Ausbildungsgänge eingerichtet, in denen AbsolventInnen des Diplom- oder Masterstudiums der Psychologie zu Klinischen PsychologInnen qualifiziert werden (vgl. Psychologengesetz 2013).
Und im Bereich der Medizin fanden drei Annäherungen an Psychotherapie statt: Psychotherapie erhielt im grundständigen Studium der Medizin einen größeren Stellenwert (Firbas 2001).
Über die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK) werden drei Weiterbildungsgänge für ÄrztInnen angeboten, die mit der Verleihung der PSY-Diplome für psychosoziale Medizin (PSY1), psychosomatische Medizin (PSY2) und psychotherapeutische Medizin (PSY3) abschließen (ÖÄK, ÖGPPM o.J.).
Angesichts dieser Entwicklungen ist es angebracht, sich der Psychotherapie im Sinne des österreichischen Psychotherapiegesetzes zuzuwenden und im Wissen darum Bilanz zu ziehen, dass eine Neufassung des Psychotherapiegesetzes zur Diskussion steht (vgl. Datler et al. 2021).
Unter Einbeziehung internationaler Forschungsbefunde werden punktuelle Vergleiche mit ausgewählten Aspekten der Klinischen Psychologie und der Psychotherapeutischen Medizin gezogen, zu welcher die FachärztInnenausbildung (Brittlebank et al.
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Die angeführten Aspekte stehen notwendigerweise in einem engen Zusammenhang mit nationalen Gegebenheiten, sind zugleich aber auch in internationale Diskurse (vgl. European Association for Psychotherapy 2013) eingebettet, die in den letzten Jahrzehnten ebenfalls an Dynamik zugenommen haben.
Wirksamkeit und Kosteneffizienz der Psychotherapie
Psychotherapie zeichnet sich durch ausgesprochen hohe Behandlungswirksamkeit aus (mittlere Effektstärken in den großen Metaanalysen zwischen 0,5 und 0,7; z. B. Cooper et al. 2013; Cuijpers et al. 2020).
Im Vergleich ist Psychotherapie damit einer pharmakologischen Behandlung zumindest ebenbürtig, einigen Metaanalysen zufolge, zum Teil sogar deutlich, überlegen (z. B. Cooper et al. 2013). Eine Kombination aus beiden Behandlungskonzepten ist oft besonders wirksam (Cuijpers et al. 2020).
Die hohe Wirksamkeit lässt sich für unterschiedliche Störungsbilder und für unterschiedliche Therapieverfahren zeigen (z. B.
Dabei zeichnet sich Psychotherapie besonders durch eine langfristige und nachhaltige Behandlungswirkung aus (Zimmermann et al. 2015), woraus eine beachtenswerte Kosteneffizienz resultiert (De Maat et al. 2013).
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Dies gilt auch für hochfrequente, über einen längeren Zeitraum durchgeführte Behandlungen.
So konnte etwa in einer von der Medizinischen Universität Wien 2014 vorgelegten Meta-Analyse, in welche die Auswertung von insgesamt 7000 Behandlungen aus 13 Katamnesestudien, 9 quasi-experimentellen Studien und 4 randomisiert-kontrollierten Studien eingingen, gezeigt werden, dass hochfrequente Psychoanalyse ein wirksames Psychotherapieverfahren darstellt, das bei einem Großteil der PatientInnen zu signifikanten und anhaltenden Verbesserungen des Gesundheits- und Krankheitszustandes führt.
Belege aus randomisiert-kontrollierten Therapiestudien zeigen in diesem Zusammenhang, dass die Effekte der psychotherapeutischen Behandlung (anders als in den Kontrollgruppen) auch nach Ende der Behandlung weiter zunehmen (vgl. Zimmermann et al. 2015; De Maat et al.
Aus differenzierten Meta-Analysen der verfügbaren Kosten-Effektivitäts-Studien (De Maat et al. 2007, 2013) geht hervor, dass Psychotherapie zu einer nachhaltigen Senkung der Gesundheitskosten führt.
Diese Reduktion entsteht durch die verminderte Inanspruchnahme medizinischer Leistungen und einer geringeren Anzahl von Arbeitsunfähigkeitstagen (vgl. Seitz et al. 2019).
Die neuere Wirkfaktorenforschung hat gezeigt, dass allgemeine Wirkfaktoren, wie die Person der TherapeutIn und die therapeutische Beziehung (vgl. Norcross und Lambert 2019; Norcross und Wampold 2019), eine besonders große und hilfreiche Bedeutung für den Therapieerfolg haben.
Diese allgemeinen Wirkfaktoren haben einen stärkeren Einfluss auf den Therapieerfolg als spezifische Interventionstechniken.
Dies korrespondiert mit dem Umstand, dass Psychotherapie seit jeher einen besonderen Schwerpunkt auf die Entwicklung dieser handlungsleitenden Wirkfaktoren sowohl in der psychotherapeutischen Theorie als auch in der Ausbildung und in der therapeutischen Praxis legt.
In der empirischen Psychotherapieforschung werden seit Jahrzehnten umfangreiche Studien durchgeführt, die eine nachhaltige Wirksamkeit der psychotherapeutischen Methoden bestätigt, die den vier psychotherapeutischen Grundströmungen respektive Clustern zugeordnet werden können.
Die relevanten empirischen Studien umfassen realitätsnahe Feldstudien mit großen Fallzahlen (z. B. Stiles et al. 2008 für kognitive, humanistische und psychodynamische Behandlungsansätze), aber auch zahlreiche Studien nach dem sogenannten „Gold Standard“ (experimentelle Kontrollgruppendesigns, Meta-Analysen z. B. Cuijpers et al. 2008a, 2008b, 2020).
Ergebnisse der Psychotherapieforschung
- Outcome: In zahlreichen Outcome-Studien wurde die Wirksamkeit von Psychotherapie in Hinblick auf alle vier Cluster nachgewiesen: Unter Bezugnahme auf die meisten psychiatrischen Erkrankungen referieren Leichsenring et al. (2015) und Shedler (2010) Belege für die Wirksamkeit psychoanalytisch-psychodynamischer Psychotherapien (Cluster 1/PPT).
- Die theoretische Basis, auf der PPT seit den Anfängen bei Freud basiert, ist von umfassender Literatur gestützt (Westen 1998; Westen et al. 2004).
- Für die verhaltenstherapeutischen Methoden (Cluster 2/VT) fassen Cuijpers et al. (2008a, 2008b) Outcome Studien mit Bezug auf die häufigsten psychiatrischen Störungsbilder in Metaanalysen zusammen.
- Nach Cain (2016) sowie Wampold und Imel (2015) wurden ähnliche Ergebnisse wiederholt und umfassend für den Bereich der Humanistischen Therapieverfahren (Cluster 3/HPT) nachgewiesen.
- Nachhaltigkeit: Leichsenring und Rabung (2011) haben bezüglich Cluster 1 (PPT) gezeigt, dass Psychotherapie während und nach der Therapie langfristig wirkt, insbesondere in Hinblick auf Persönlichkeitsveränderungen über das Therapieende hinaus (siehe dazu auch Fonagy und Kächele 2009; Fonagy et al. 2015; Leuzinger-Bohleber et al. 2003, 2019; Zimmermann et al.
Effektstärken und naturalistische Studien
- Effektstärken: Manchen Untersuchungen zufolge erweisen sich psychotherapeutische Verfahren der Cluster 1 (PPT), 2 (VT) und 3 (HPT) als ähnlich wirksam wie andere Therapien (Steinert et al. 2017).
- Betrachtet man alleine die Effektstärken der therapeutischen Technik, ist der PPT-Prototyp wirksamer als der VT-Prototyp (Ablon und Jones 1998, 2005; Jones 2000; Zimmermann et al. 2015), der HPT-Prototyp gleich effektiv (Steinert et al.
- Naturalistische Studien: Stiles et al. (2008) vergleicht psychotherapeutische Verfahren der Cluster 1 (PPT), 2 (VT) und 3 (HPT) im Versorgungskontext und beschreibt Gleichwertigkeit bezüglich der Versorgungssituation.
- In der praxisorientierten Forschung und den naturalistischen Studien (De Maat et al. 2007; Leichsenring 2004; Riess 2018) wird durchgängig ein hoher Anteil der TherapeutInnenvariable an der Outcomevarianz beschrieben (17 % vs. 5 % in randomisierten kontrollierten Untersuchungen [RCTs]).
- Auch tragen naturalistische empirische Studien (z. B. auf Cluster 1 [PPT] oder 3 [HPT] bezogen) zu einem besseren Verständnis für psychische Prozesse und ihre Entwicklung bei (Blatt und Shichman 1983; Blatt 1995; Fonagy und Target 1997; Löffler-Stastka et al.
Kosteneffizienz und therapeutische Beziehung
- Kosteneffizienz: De Maat et al. (2007, 2013) fassen Kosteneffizienzstudien zusammen und argumentieren v. a. mit der erwiesenen Nachhaltigkeit der psychotherapeutischen Behandlungen.
- Vergleiche mit pharmakologischen Behandlungen (Cuijpers et al. 2020) weisen der Psychotherapie eine deutlich höhere Kosteneffizienz aus.
- Untersuchungen der Sekundärkosten (Seitz et al.
Seit mehr als drei Jahrzehnten werden empirische Studien diskutiert, denen zufolge unterschiedliche psychotherapeutische Ansätze eine ähnliche Wirksamkeit haben (Luborsky et al. 1975; Luborsky 1995). Eine mögliche Erklärung dieser Untersuchungsergebnisse nimmt darauf Bezug, dass die meisten Effekte psychotherapeutischer Behandlungen durch allgemeine (unspezifische) Faktoren und nicht durch bestimmte Techniken (Cuijpers 1998) erzielt werden.
Über die Bedeutung der therapeutischen Beziehung für den Behandlungsverlauf besteht mittlerweile ein therapieschulen-übergreifender Konsens (Krause 1997; Margraf und Brengelmann 1992; Orlinsky und Howard 1986; Orlinsky et al. 1994; Rudolf 1991), wobei zwischen Konzepten zur Erklärung der Wirksamkeit von Psychotherapie unterschieden wird, in denen vor allem unspezifische oder aber spezifische Faktoren als entscheidend für den Therapieerfolg ins Treffen geführt werden (Butler und Strupp 1986).
In den Konzepten, in denen der Fokus auf unspezifische Ansätze gelegt werden, ergibt sich die Bedeutsamkeit der Beziehung aus dem durch die Behandlungskonzeption definierten Rahmen und beinhaltet Variablen wie die Motivation und Fähigkeit der PatientIn, in diesem Rahmen zweckvoll mitzuarbeiten, die Übereinstimmung von PatientIn und TherapeutIn hinsichtlich der Ziele und Aufgaben, oder empathisches Verständnis und Involviertheit des TherapeutIn.
Diese Variablen stellen die Basis dar, auf der die jeweils spezifischen technischen Interventionen wirken.
Zunehmend hat sich aber die Sichtweise durchgesetzt, dass sich - je nach Behandlungsansatz, Phase im Therapieverlauf, TherapeutInneneigenschaften (Beutler et al. 2004) und krankheitsbedingten PatientInnenmerkmalen - z. T. ganz unterschiedliche Qualitäten therapeutischer Beziehungen als günstig für Verlauf und Ergebnis erweisen (Biermann-Ratjen et al. 1995).
Dieses erweiterte Konzept der Wirksamkeit der therapeutischen Beziehung erfordert eine stärker störungs- oder diagnosespezifische Erforschung der Therapiebeziehung, welche die Beziehungsregeln verschiedener PatientInnengruppen berücksichtigt.
Eine ausschließlich ICD-basierte Behandlung (Berkin und Rief 2012) mit interaktionellem Schwerpunkt bietet daher die notwendige, jedoch nicht hinreichende Ausgangsbasis für die psychotherapeutische Behandlung von PatientInnen mit z. B. mangelnder oder/und schwankender Adhärenz/Compliance, mit aggressiv-manipulativer Tendenz, in oft chronisch krisenhafter selbst- oder fremdschädigender Einengung, mit Antriebslosigkeit oder misstrauischer Grundhaltung.
Vielmehr bedarf es hier neben der atheoretisch beschreibenden ICD-Diagnostik einer erweiternden und theoriegeleitet-verstehenden psychotherapeutischen Diagnostik (vgl. Hochgerner 2020a, 2020b), welche die notwendigen Erklärungsmodelle zur Entstehung und Aufrechterhaltung einer Erkrankung als handlungsleitende Ausgangsbasis für klinisch-diagnostisch begründete Interaktions- und Vorgangsweisen bietet.
Psychotherapie schließt Kurzberatung, wie sie in Gestalt von psychologischer Behandlung angeboten wird, mit ein, geht jedoch in ihrer Kernkompetenz über Akutberatung und modularisierte Behandlungsschritte zur Erreichung eng umrissener Symptommilderung hinaus.
Ebensolche präzise angepassten Behandlungskonzepte benötigen für die genaue Indikationsstellung, für Prognose- und Risikoabschätzung (Leitner et al.
Qualität der psychotherapeutischen Ausbildung
Die psychotherapeutische Ausbildung, wie sie in Österreich auf der Grundlage des Psychotherapiegesetzes seit 1991 durchgeführt wird, hat im internationalen Vergleich eine besonders hohe Qualität, wie dies auch in der aktuellen internationalen „Spristad“-Studie bestätigt wird (Löffler-Stastka et al. 2019; Orlinsky et al.
Personen, die für eine fachspezifische Ausbildung in einer bestimmten Methode nicht geeignet erscheinen, werden nach komplexen Auswahlprozessen zur fachspezifischen Ausbildung nicht zugelassen oder auf die Ausbildung in einem anderen Psychotherapieverfahren verwiesen.
In diesem selektiven Auswahlprozess wird besonders die persönliche Eignung für ein bestimmtes anerkanntes Psychotherapieverfahren im Hinblick auf Persönlichkeit und fachspezifische Schwerpunktsetzungen untersucht.
qualitative Eignung der Personen mit dem Abschluss einer psychotherapeutischen Ausbildung besonders hoch ist.
Die für selbstselektive Entscheidungsprozesse erforderliche reflexive Kompetenz ist zudem ein zentraler psychotherapeutischer Wirkfaktor (die TherapeutInnenvariable erklärt 15-20 % der Ergebnisvarianz), mediiert die Interventionen (Taubner et al. 2015) und ist durch Selbsterfahrung und Supervision beeinflussbar (Nissen-Lie et al. 2013; Orlinsky et al. 2015).
Sie ist aber auch durch Arbeits- und Umgebungsbedingungen veränderbar (Steinmair et al. 2020). Diese reflexive Kompetenz steht im Qualifikationsprofil und den damit verknüpften Lernzielen in der Psychotherapieaus- und Weiterbildung an prioritärer Stelle (European Association for Psychotherapy 2013).
Auch die psychotherapeutische Medizin (als ärztliche Form psychotherapeutischer Kompetenz) hat im Vergleich dazu andere (z. T.
Die Ausbildungsforschung in der Psychotherapie geht seit längerem der Frage nach, welche empirisch gestützten Faktoren die Entwicklung von PsychotherapeutInnen fördern (American Psychological A...
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