Psychische Erkrankungen können in unterschiedlichen Formen auftreten. Beschwerden des Verdauungssystems können psychosomatische Ursachen haben.
Somatoforme Störungen
Eine somatoforme Störung darf als Diagnose prinzipiell erst dann in Erwägung gezogen werden, wenn organische Ursachen für die Beschwerden ausgeschlossen wurden. Gleichzeitig muss eine sogenannte positive psychische Diagnostik vorliegen. D.h., die Beschwerden können auf psychologischem Hintergrund erklärt werden. Funktionelle Körperbeschwerden werden meist durch verschiedene körperliche, psychische und soziale Faktoren hervorgerufen.
Bei der Diagnose und Therapie geht es für die Patientinnen/Patienten auch darum, mögliche Ursachen und Zusammenhänge ihrer Beschwerden nachvollziehen zu können. Zur Abklärung bei Verdacht auf eine somatoforme Störung findet im ersten Schritt eine ausführliche Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese) statt. Dabei werden auch psychisch belastende Faktoren abgefragt, zum Beispiel im Beruf, der Familie oder die eigene Gesundheit betreffend. Oder ob es sehr einschneidende Erlebnisse gab (z.B. Tod eines geliebten Menschen, Jobverlust etc.).
Hierbei ist wichtig zu wissen, dass psychosomatische Reaktionen oft zeitversetzt einsetzen. Das erschwert, dass die/der Betroffene ihre/seine Symptome in Zusammenhang mit lebensgeschichtlichen Ereignissen bringt. Ebenso erfolgt eine körperliche Untersuchung. Weitere Abklärungen können je nach Beschwerden notwendig sein (z.B. Laboruntersuchungen, EKG) etc. Bis zur endgültigen Diagnosestellung werden mitunter auch Fachärztinnen/Fachärzte verschiedener Richtungen hinzugezogen.
Erfolgt bereits in einem frühen Stadium eine Behandlung, liegt der Schwerpunkt auf ärztlicher, psychotherapeutischer oder klinisch-psychologischer Beratung und Beruhigung - in dem Sinne, dass keine körperliche Erkrankung vorliegt. Bei lang andauernden, sehr belastenden Beschwerden wird dabei zusätzlich ein therapeutischer Schwerpunkt auf Information und Selbsthilfe - etwa im Rahmen einer Psychoedukation empfohlen.
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Bei schwereren Verläufen umfasst eine Behandlung zusätzlich Psychotherapie (z.B. Ansätze aus der Verhaltenstherapie, der Psychoanalyse oder Hypnosepsychotherapie). Dabei können auch Achtsamkeitstechniken zur Anwendung kommen sowie ggf. auch psychosoziale Unterstützungsmöglichkeiten zur Alltagsbewältigung. Die Anwendung von Medikamenten sollte bei somatoformen Störungen eher zurückhaltend erfolgen. Am ehesten kommen Antidepressiva zur Anwendung.
Es können u.a. auch Physiotherapie oder Ergotherapie hilfreich sein. Wenn eine Behandlung früh beginnt, kann ein chronischer Verlauf möglicherweise verhindert werden. Schonung oder Vermeidungsverhalten bzw. nicht notwendige Diagnostik und Therapie kann sich negativ auf den Verlauf auswirken. Die Beschwerden und die Behandlung sollten in regelmäßigen Abständen unter die Lupe genommen werden.
Wirkt die Behandlung? Welche Beschwerden sind aktuell vorhanden? Die Therapie erfordert mitunter Geduld. Es ist sinnvoll, Schritt für Schritt Therapieziele zu setzen. Dabei können vorhandene Ressourcen wiederentdeckt und Problemlösungsstrategien entwickelt werden. Welche Maßnahmen individuell zu einem passen, wird im Rahmen eines therapeutischen Gesprächs besprochen. Betroffene können dann darauf achten, was davon Ihnen persönlich besonders gut tut und dies versuchen, in den Alltag einzubauen.
Prinzipiell sind Maßnahmen hilfreich, die das Gefühl vermitteln, aktiv etwas für sich zu tun. Das erfordert zwar oft Überwindung und Kraft, erweist sich jedoch meist als sehr unterstützend. Alle notwendigen und zweckmäßigen Diagnose- und Therapiemaßnahmen werden von Ihrem zuständigen Sozialversicherungsträger übernommen. Bei bestimmten Leistungen kann ein Selbstbehalt oder Kostenbeitrag anfallen. Detaillierte Informationen erhalten Sie bei Ihrem Sozialversicherungsträger.
Wahnvorstellungen
Bei Wahn handelt es sich um eine Fehlbeurteilung der Realität. Unter einem Wahn versteht man eine unkorrigierbare Fehlbeurteilung der Wirklichkeit. Häufig treten Wahnvorstellungen bei Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie oder Manie auf. Es gibt unterschiedliche Arten von Wahnthemen wie den Beziehungswahn oder Eifersuchtswahn.
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Die Übergänge zwischen normalen Vorstellungen und krankhaften Wahnvorstellungen sind meist fließend. Entscheidend ist die subjektive Gewissheit der Patient:in über die Wahninhalte. Die Behandlung eines Wahns kann mittels Psychotherapie oder Medikamenten erfolgen. Rund 2 - 3 % aller Menschen sind von wahnhaften Störungen betroffen.
Ursachen und Symptome
Die Ursachen des Wahns sind noch nicht vollends erforscht. Neuere Studien gehen davon aus, dass Störungen in einer bestimmten Region im Frontallappen des Gehirns (der ventromediale präfrontale Cortex) die Wahnvorstellungen auslösen könnten, unter Einfluss des Botenstoffs Dopamin. Diese Hirnstrukturen sind unter anderem dafür verantwortlich, wie subjektive Vorstellungen über die Realität geschaffen werden, welche Gefühle in verschiedenen Situationen empfunden werden und geben Einsicht darüber, was man selbst und was andere denken.
Bei Wahn werden realen Sinneswahrnehmungen (z. B. ein Auto, das vor der Haustür parkt) abnorme Bedeutungen zugeordnet (z. B., dass man von jemandem überwacht wird). Wahnvorstellungen beginnen mit einer Wahnstimmung, also dem unbestimmten Gefühl, dass irgendetwas vor sich geht. Nach und nach tritt die Wahngewissheit ein - einzelne Wahnerlebnisse (z. B. Auto, das vor der Tür steht; Mann, der einen seltsam angesehen hat) werden verknüpft, manchmal zu zusammenhängenden Wahnsystemen, in die auch andere Personen einbezogen werden.
Man unterscheidet folgende Wahnthemen:
Arten des Wahns | Symptome | Vorkommen |
---|---|---|
Beeinträchtigungswahn | Ständige Benachteiligung und Ungerechtigkeiten werden wahrgenommen | Besonders bei älteren Menschen (ab dem 6. / 7. Lebensjahrzehnt) |
Beziehungswahn | Erkrankte:r hat das Gefühl, alles um ihnherum geschieht seinetwegen und um ihm ein Zeichen zu geben; Gefühl, dass andere über einen spotten und lachen | Häufigstes Thema bei wahnhafter Störung und oft bei beginnender Schizophrenie |
Dermatozoenwahn | Überzeugung, dass kleine Tierchen, Würmer oder Parasiten den Körper befallen haben, verbunden mit Halluzinationen des Spürsinns (Krabbeln auf oder unter der Haut) | Vorwiegend bei älteren Frauen, öfters im Zusammenhang mit Demenz; tritt vor allem bei organisch psychischen Störungen auf |
Doppelgängerwahn | Erkrankte:r ist überzeugt, dass eine Bezugsperson eine Doppelgänger:in hat oder die eigene Person durch eine Doppelgänger:in verdrängt wird | Kann unter anderem bei Schizophrenie, Demenz auftreten |
Dysmorphophobie | Wahnhafte Idee, dass man von anderen, aufgrund von tatsächlichen oder eingebildeten Missbildungen des Körpers, abschätzig beurteilt wird | Gelegentlich bei beginnender Schizophrenie |
Eifersuchtswahn | Betroffene Person ist unkorrigierbar von der Untreue der Partner:in überzeugt | Bei wahnhafter Störung, Alkoholismus, Schizophrenie; bei Männern häufiger als bei Frauen |
Eigengeruchsparanoia | Eingebildete Wahrnehmung eines unangenehmen eigenen Körpergeruchs | Z. B. als Symptom von schizophrenen Störungen |
Größenwahn | Eigene Person, Fähigkeiten und Bedeutung werden maßlos überschätzt | Bei Schizophrenie, Manie, organischen psychischen Störungen |
Hypochondrischer Wahn | Krankheitswahn; umfasst unter anderem Eigengeruchsparanoia, Dysmorphophobie, Dermatozoenwahn | Unter anderem bei Schizophrenie, Demenz |
Kleinheitswahn | Gegenstück zum Größenwahn - Betroffene zweifeln ihre Fähigkeiten, manchmal sogar ihre Existenz an; Gefühl der Ohnmacht | Unter anderem in Verbindung mit Depressionen |
Liebeswahn | Wahnhafte Idee, von einer bestimmten Person geliebt zu werden | Oft bei wahnhafter Störung, bei Frauen häufiger als bei Männern |
Querulantenwahn | Wahnhafte Überzeugung, ständig Rechtskränkungen zu erleiden Auslöser sind tatsächliche oder eingebildete Ungerechtigkeiten, Persönlichkeit meist starrsinnig und rechthaberisch (paranoide Persönlichkeitsstörung) | |
Schuldwahn | Überzeugung, dass man schuld an einem Verbrechen oder einer sonstigen Verfehlung ist | Unter anderem in Verbindung mit Depressionen |
Verarmungswahn | Wahnhafte Idee, vor dem finanziellen Ruin zu stehen | Unter anderem in Verbindung mit Depressionen |
Verfolgungswahn | Erkrankte:r hat das Gefühl, bedroht und verfolgt zu werden bzw., dass ein Komplott (gegen ihn) geschmiedet wird | Besonders häufig bei Schizophrenie |
Bei vielen Betroffenen, bei denen Wahn isoliert (nicht im Rahmen einer anderen psychischen Erkrankung) auftritt, ist der Verlauf chronisch. Erkrankte Personen lassen sich oft ungern therapeutisch oder medikamentös behandeln.
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Es ist wichtig, dass die Betroffen:e versucht, durch den Wahn vernachlässigte Aufgaben (z. B. die Ausbildung) wieder aufzugreifen und auch die sozialen Kontakte wieder stärker zu pflegen, wenn das durch den Wahn nicht möglich war. Zusätzlich sollten Menschen mit Wahnvorstellungen keine Drogen (z. B. Alkohol, Cannabis) konsumieren.
Zwangsstörungen
Bei einer Zwangsstörung kommt es zu Handlungen oder Gedanken, die Betroffene wiederholt ausführen müssen. Der innere Drang dazu ist sehr stark, die Zwänge können nicht oder nur schwer kontrolliert werden. Zwangsstörungen können so stark werden, dass sie den ganzen Alltag bestimmen. Sie können in jedem Alter auftreten, beginnen meist jedoch im Alter von ca. 20 Jahren. Bei einem Drittel der Betroffenen tritt eine Zwangsstörung bereits in der Pubertät auf.
Formen von Zwangsstörungen
Es gibt unterschiedliche Formen von Zwangsstörungen. Man unterscheidet im Allgemeinen zwischen Zwangsgedanken und Zwangshandlungen. Diese können auch gemeinsam auftreten. Bei Zwangsgedanken müssen ein und dieselben Gedanken immer wieder durchgedacht werden. Diese Gedanken lassen sich nur schwer unterdrücken.
Diese Gedanken sind oft von Angst begleitet. Sie führen jedoch in der Folge nicht automatisch zu dementsprechenden Handlungen oder Ereignissen. Zwangshandlungen hingegen sind mit bestimmten Tätigkeiten verknüpft. Die Betroffenen führen wiederholte Handlungen aus.
Die Zwangshandlungen können dabei auch von bedrohlichen Gedanken oder der Sehnsucht nach Sicherheit begleitet werden. Wird die Zwangshandlung nicht ausgeführt, leiden Betroffene unter Unruhe, Angespanntheit oder Ängsten. Zudem können übersteigerte moralische Vorstellungen oder etwa das zwanghafte Bedürfnis zu reden, Fragen zu stellen oder sich zu etwas zu bekennen auftreten.
Menschen mit Zwangsgedanken oder -handlungen sind sich ihrer Beschwerden meistens bewusst. Sie halten sie selbst nicht für sinnvoll. Das führt zu zusätzlicher psychischer Belastung. Das Risiko für Suizidgedanken kann bei einer Zwangserkrankung erhöht sein.
Verlauf und Ursachen
Eine Zwangsstörung entwickelt sich meist schleichend. Mit der Zeit fällt auch Betroffenen auf, dass sie sich viel Zeit für die Zwangshandlungen nehmen müssen oder Zwangsgedanken sehr schwer wieder weggehen. Durch die Zwangsstörung kann es zu Problemen in der Arbeit, der Partnerschaft oder der Familie kommen. Es fällt schwer, alltäglichen Verpflichtungen nachzugehen. Freizeitbeschäftigungen machen weniger Freude.
Die Zwangsstörung hat meistens einen chronischen Verlauf. Dabei gibt es mitunter Phasen, in denen die Beschwerden leichter oder schlimmer sind. Zwischendurch sind auch Phasen ohne Beschwerden möglich. Die Art und Weise der Zwänge verändert sich manchmal mit der Zeit.
Es wird in Fachkreisen angenommen, dass Zwangsstörungen unterschiedliche Ursachen haben. Diese können auch zusammenwirken. Zum Beispiel eine erbliche Veranlagung, psychische Belastungen oder schwierige Lebensumstände bzw. Krisen. Auch Persönlichkeitsfaktoren können eine Rolle spielen (z.B. besonders gewissenhaft sein).
Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass es bei einer Zwangsstörung zu Funktionsstörungen in manchen Teilen des Gehirns kommen kann (Frontalhirn, Basalganglien und limbisches System). Zudem dürfte es zu Störungen im Gehirnstoffwechsel bei dem Botenstoff Serotonin kommen.
Diagnose und Behandlung
Zu Beginn eines Diagnoseprozesses erfolgt die Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese). Dabei finden auch Fragen zu den Beschwerden und zur Lebensgeschichte (z.B. belastende Krisen, andere Erkrankungen, Medikamente etc.) Berücksichtigung. Auch eine klinisch-psychologische Diagnostik kann sinnvoll sein. Körperliche Ursachen für die Erkrankung (z.B. Demenz oder Schlaganfall) müssen durch eine Ärztin/einen Arzt ausgeschlossen werden.
Mithilfe einer Therapie können die Symptome einer Zwangsstörung zumindest verringert werden. Somit ist wieder ein unbeschwerterer Alltag möglich. Zu den Säulen der Behandlung zählen Psychotherapie sowie Medikamente. Vorrangig wird Psychotherapie empfohlen. Ein Gespräch mit einer Fachärztin/einem Facharzt für Psychiatrie (und psychotherapeutische Medizin) hilft, einschätzen zu können, ob und welcher Behandlungsbedarf besteht.
In vertrauensvollem Rahmen wird in der Psychotherapie über Probleme, Ängste und Sorgen gesprochen. Betroffene lernen, mit der Erkrankung umzugehen und das eigene Verhalten zu kontrollieren. Verhaltenstherapeutische Ansätze (vor allem aus der kognitiven Verhaltenstherapie) haben sich in der Behandlung von Zwangsstörungen besonders bewährt.
Ergänzend dazu oder wenn eine Psychotherapie (noch) nicht möglich ist, kommen Medikamente zum Einsatz. Und zwar sogenannte Antidepressiva. Diese Medikamente werden auch bei Depressionen eingesetzt. Vor allem SSRI (selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) kommen zum Einsatz. Die Ärztin/der Arzt kann zudem den Einsatz von Clomipramin (nicht selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) in Betracht ziehen. Die Ärztin/der Arzt klärt über Wirkung und mögliche Nebenwirkungen auf.
Auch eine klinisch-psychologische Behandlung kann sinnvoll sein. Sie vermittelt gezielt Bewältigungsstrategien im Umgang mit den Zwängen. Manchen Menschen tut es zudem gut, Entspannungstechniken anzuwenden (z.B. Autogenes Training). Zudem kann der Austausch in einer Selbsthilfegruppe hilfreich sein.
Die Hemmschwelle, Hilfe zu suchen, ist oft groß. Denn nicht selten werden die Zwänge als eigenartig empfunden und rufen Schamgefühle hervor. Doch Ansprechpartner für Zwangserkrankte können dies verstehen und helfen.
Problematisch an Zwangsgedanken ist vor allem die Bedeutung, die ihnen die Patienten verleihen. Diese betrachten die Gedanken oft als Ankündigung eines Unglücks. In der kognitiven Verhaltenstherapie lehrt der Therapeut den Patienten, die Gedanken objektiver zu bewerten und den Unterschied zwischen Gedanken und Handlungen zu sehen. So ist etwa der Gedanke daran, jemanden umzubringen, kein Mord. Die Zwangsgedanken sollen als das gesehen werden, was sie sind: eine reine Gedankenspielerei.
Ein weiteres Problem ist, dass Menschen mit Zwangsstörung oft versuchen, die Zwangsgedanken zu unterdrücken oder die Aufmerksamkeit auf andere Gedanken zu richten. Dies hilft jedoch nur kurzfristig und lässt die Zwangsgedanken langfristig sogar häufiger auftauchen.
Nur wenn der Patient die Gedanken zulässt und dadurch ihre Bedrohlichkeit mindert, wird er seine Zwangsgedanken los. Der Therapeut gibt den Patienten daher manchmal die Anweisung, die unangenehmen Gedanken absichtlich heraufzubeschwören. Auf diese Weise verlieren die Zwangsgedanken ihre Macht.
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