Essstörungen sind als psychosomatische Erkrankungen mit Suchtcharakter zu verstehen. Dies bedeutet, dass es sich dabei um psychiatrische Symptombilder handelt, die seelisch (psychisch) bedingte Hintergründe aufweisen und sich körperlich (somatisch) auswirken.
Essstörungen: Mehr als nur Ernährungsprobleme
Wurden Essstörungen früher in der Bevölkerung häufig als „Erkrankung pubertierender Mädchen, die sich wieder gibt“ belächelt und nicht ernst genommen, ist mittlerweile bekannt, dass es sich bei einer Essstörung um eine komplexe, ernstzunehmende psychische Erkrankung handelt, bei der es nicht „nur“ um Essen und Gewicht im Sinne einer Ernährungsstörung geht. Betroffen von Essstörungen sind beiderlei Geschlechter und jede Altersschicht. In der Entstehung und Aufrechterhaltung wirken unterschiedliche Ursachen und Bedingungen zusammen, wie zum Beispiel geringer Selbstwert, hohe Leistungsansprüche, Schwierigkeiten im Umgang mit Gefühlen, familiäre Konflikte etc.
Verschiedene Formen von Essstörungen
„Im Schwerpunkt Essstörungen diagnostizieren und behandeln wir Betroffene mit Anorexie - auch als Magersucht bekannt -, Bulimie, auch Ess-Brech-Sucht genannt, Binge-Eating-Störungen, die sich in Fressattacken niederschlagen sowie verschiedene atypische Formen“, erklärt Dr. Andre Merl, Oberarzt am Department für Psychosomatik.
Ähnlichkeiten zwischen Essstörungen und Suchterkrankungen
Die allseits bekannten Essstörungen Anorexia Nervosa („Magersucht“), Bulimia Nervosa („Ess-Brech-Sucht“) und Binge-Eating-Störung (anfallsartiges Überessen) sind einer Suchterkrankung in vielerlei Hinsicht ähnlich, werden aber dennoch als eigene Kategorie psychiatrischer Erkrankungen beschrieben. Auffallende symptomatische Ähnlichkeiten betreffen den Kontrollverlust, der neben Suchterkrankungen vor allem mit der Binge-Eating Disorder assoziiert wird, sowie auch die zunehmende Gestaltung des eigenen Alltags um das veränderte Ess- beziehungsweise Konsumverhalten. Eine weitere Ähnlichkeit zur Suchterkrankung betrifft die Ätiologie der Essstörungen. Sie haben keine isolierten Ursachen. Ein Zusammenwirken verschiedener Risikofaktoren kann zum Ausbruch der Erkrankung führen.
Laut Killeen et al. (2015) gibt es viele Erklärungen für die Überschneidungen zwischen Essstörungen und Suchterkrankungen, einschließlich gemeinsamer biologischer, psychologischer und sozialer Risikofaktoren, welche die Prädisposition für die Entwicklung komorbider Krankheiten erhöhen. Gemeinsam ist Suchterkrankungen und Essstörungen in dieser Hinsicht, dass sie von den Betroffenen oft als „bestmögliche“ Lebensbewältigungs- oder Lösungsstrategie erlebt werden.
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Komorbidität: Essstörungen und andere psychische Erkrankungen
Die sehr ernstzunehmenden Symptome von Essstörungen treten häufig bereits im Jugendalter auf. Nach Adipositas (Fettleibigkeit) und Asthma bronchiale ist Anorexia Nervosa eine der drei Erkrankungen in der Adoleszenz mit dem höchsten Risiko zur Chronifizierung. Bis zu 50% aller Personen, die an einer Bulimia nervosa leiden, weisen parallel dazu eine Suchterkrankung auf. (Karwautz, 2019). Darüber hinaus gibt es bei beiden Syndromen überschneidende Komorbiditäten, also das gleichzeitige auftreten anderer Erkrankungen: Auch Angststörungen, Depressionen, Zwangsstörungen und Persönlichkeitsstörungen können mit ihnen einhergehen.
Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
Jeder Mensch erfährt im Laufe seines Lebens nicht nur körperliche, sondern auch seelische Verletzungen. Grundsätzlich können Gehirn und Psyche solche Verletzungen selbst verarbeiten. Besonders belastende Erlebnisse, die das eigene Leben erschüttern, können jedoch dazu führen, dass man sich in einem nicht enden wollenden Alptraum wähnt. Das Krankheitsbild: Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Entstehen kann eine PTBS infolge nicht ausreichend verarbeiteter traumatischer Erlebnisse. Kennzeichnend ist, dass das Gehirn das Erlebte nicht ausreichend verarbeiten kann, so dass ein ständiges Wiedererleben auftritt - etwa in Form so genannter Flashbacks. Diese werden durch bewusste, aber auch durch unbewusste Reize ausgelöst.
„Um dieses belastende Wiedererleben zu verhindern, tritt häufig unterschiedliches Vermeidungsverhalten auf, das mit dem traumatischen Erlebnis verbunden ist. So werden zum Beispiel Orte, Menschen, bestimmte Situationen, Gedanken oder Gefühle gemieden“, berichtet Wolfgang Schnellinger, Psychotherapeut für Traumatherapie. Weiters erleben Betroffene oftmals hohe Spannungszustände, die sich als panikähnliche Zustände, übermäßige Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen, hohe Reizbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten etc. zeigen können.
Um diesen Stresszuständen entgegenzuwirken, kommt es oft zu dysfunktionalem bzw. selbstschädigendem Verhalten wie starkes Nägelkauen, Waschzwang, Ritzen etc., um Erleichterung zu schaffen. Insbesondere bei PTBS vom Typ 2 können Mehrfachdiagnosen auftreten, wie z. B. Depressionen, Angststörungen, Essstörungen, Persönlichkeitsstörungen.
Typen der PTBS
- PTBS Typ 1: Kann nach einmaligen traumatischen Erlebnissen, wie z. B. Unfällen, schweren Erkrankungen, Todesfällen im näheren Umfeld, Naturkatastrophen oder Raubüberfällen entstehen.
- PTBS Typ 2: Kann nach länger anhaltenden traumatischen Erlebnissen, wie z. B. körperlicher Gewalt oder sexuellem Missbrauch, Kriegserlebnissen etc. entstehen.
Der Zusammenhang zwischen PTBS und Essstörungen
Die Forschung zeigt, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen PTBS und Essstörungen besteht. Traumata können das Risiko für die Entwicklung von Essstörungen erhöhen, da Betroffene Essen als Bewältigungsmechanismus für ihre emotionalen Schmerzen einsetzen. Insbesondere bei PTBS vom Typ 2, die durch wiederholte oder lang anhaltende Traumata verursacht wird, treten Essstörungen häufig als komorbide Erkrankung auf.
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Behandlung von Essstörungen
Das Angebot orientiert sich an unterschiedlichen Prinzipien, die in Gruppen- und Einzeltherapien zum Einsatz kommen. So zielt die Behandlung in einem ersten Schritt auf die Information der Patientinnen und Patienten über ihr Erkrankungsbild ab. Um das Erworbene auch praktisch umzusetzen und eine Normalisierung im Alltag zu üben, nehmen Patientinnen und Patienten mit Essstörungen täglich gemeinsame Mahlzeiten ein - zu Mittag auch unter therapeutischer Begleitung. Überdies können im Rahmen der wöchentlichen Kochgruppe der Umgang mit oftmals negativ besetzten Lebensmitteln und deren Zubereitung konkret und unter fachlicher Anleitung geprobt werden.
Erweitert um Elemente aus der Dialektisch Behavioralen Therapie (DBT) liegt ein weiteres Ziel darin, Zusammenhänge zwischen Essstörungsverhalten und Schwierigkeiten im Umgang mit Gefühlen sowie äußeren Bedingungen herzustellen. Dabei können Betroffene Verständnis für mögliche Ursachen und aufrechterhaltende Bedingungen ihrer Erkrankung erlangen und im weiteren Verlauf adäquate Fertigkeiten zu deren Bewältigung erlernen.
„Bei der stationären Traumatherapie führen wir zu Beginn eine ausführliche diagnostische Abklärung durch und erstellen gemeinsam ein Behandlungskonzept. Dabei werden sowohl stabilisierende als auch Trauma konfrontative Maßnahmen in Betracht gezogen. Ziel der stationären Traumatherapie ist es, - insbesondere in der Stabilisierungsphase - Fertigkeiten im Umgang mit den eigenen Symptomen und Gefühlszuständen aufzubauen, die die Lebensqualität verbessern. Zugleich soll das Wissen über das Krankheitsbild erweitert werden, um Sicherheit zu gewinnen.
Psychotherapie kann vor diesem Hintergrund bei einer Vielzahl von Leidenszuständen und Herausforderungen des Lebens helfen. Bei psychosomatischen Störungen kann Psychotherapie aufgrund ihrer ganzheitlichen Herangehensweise und ihres Fokus auf die Verbindung von Körper und Geist äußerst hilfreich sein. Selbstreflexion und persönliche Entwicklung können durch Psychotherapie gefördert werden, um das Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten.
Unterstützungsangebote
In Wien gibt es für Essstörungen zwei spezialisierte Beratungsstellen: (siehe Artikel unten) Neben Betroffenen können sich auch Eltern und Angehörige Beratung bei diesen Stellen suchen. (2019). Essstörungen. Österreichische Ärztezeitung 13/14. 28-35
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