Psychische Gefährdungsbeurteilung: Eine Pflicht für Arbeitgeber in Deutschland

Seit Jänner 2013 ist die Novelle des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG) in Kraft. Dabei wird die Verpflichtung der Arbeitgeber:innen zur Evaluierung arbeitsbedingter psychischer Belastung ausdrücklich betont. Darüber hinaus wird sie in § 68 Abs.

Grundlagen der Evaluierung psychischer Belastung

Gegenstand der Evaluierung arbeitsbedingter psychischer Belastung sind ausschließlich die Bedingungen und Verhältnisse, unter denen Arbeit stattfindet. Evaluiert werden konkrete Einflussfaktoren aus folgenden Dimensionen (lt. § 3 Abs.

  • Arbeitsaufgabe und Tätigkeiten (z. B.
  • Arbeitsorganisation (z. B.
  • Arbeitsumgebung (z. B.
  • Organisationsklima (z. B.

Bei der Arbeitsplatzevaluierung sind die Grundsätze der Gefahrenverhütung gemäß § 7 ASchG anzuwenden. Eine Arbeitsplatzevaluierung umfasst:

  • Ermittlung und Beurteilung von Gefahren
  • Festlegung und Umsetzung von Maßnahmen zur Gefahrenverhütung
  • Überprüfung der Wirksamkeit festgelegter Maßnahmen (haben sich die betroffenen Arbeitsbedingungen durch die festgelegten Maßnahmen verbessert?)
  • Dokumentation der Ergebnisse der Ermittlung und Beurteilung und der durchzuführenden Maßnahmen

Die Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen ist nicht vollständig, wenn nur ein Messverfahren (standardisierte Befragung, etc.) zur Ermittlung von Gefahren vorgegeben wird. Besondere Bedeutung kommt der Planung und Organisation der Arbeitsplatzevaluierung zu.

Wesentlich für den Erfolg der Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen ist, die jeweiligen Gegebenheiten der Arbeitsplätze, der spezifischen Tätigkeiten und Arbeitsumgebung zu berücksichtigen und auch die betroffenen MitarbeiterInnen bereits im Vorfeld über Durchführung, Ziele und Inhalt zu informieren und sie während des gesamten Prozesses der Arbeitsplatzevaluierung zu beteiligen.

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Für eine effiziente und ressourcenschonende Umsetzung hat es sich bewährt, bereits bei der Planung zu bedenken, welche Personen, bei welchen Prozessschritten (z.B. bei der Maßnahmenumsetzung) einbezogen werden.

Da Arbeitsplätze/Tätigkeiten oft sehr unterschiedlich sind, gibt es nicht die eine richtige Vorgehensweise, die zu jeder Arbeitsstätte passt. Die Gestaltung der Arbeitsplatzevaluierung hängt u.a. von vorhandenen betrieblichen Strukturen, der zu verrichtenden Arbeitstätigkeit, der Arbeitsumgebung an den zu evaluierenden Arbeitsplätzen ab.

In vielen Fällen kann bereits auf Informationen aufgebaut werden, die im Betrieb schon vorliegen (PFK-Berichte und Aufzeichnungen, Fehlzeiten- und Unfallursachenanalysen etc.) und es können Personen eingebunden werden, die schon Erfahrungen mit dem Arbeitsschutz haben (Präventivfachkräfte, Belegschaftsorgane, Sicherheitsvertrauenspersonen, ggf.

Verantwortlichkeiten und Beteiligte

Grundsätzlich sind Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber für die Umsetzung der Arbeitsplatzevaluierung verantwortlich. Gibt es im Unternehmen einen Arbeitsschutzausschuss (ASA), besteht bereits eine Steuergruppe, die für die Koordination dieses Prozesses zuständig ist, damit gemeinsam ein Konzept zur systematischen Umsetzung erstellt wird.

Für die Arbeitsplatzevaluierung (Ermittlung und Beurteilung der Gefahren; Festlegung der Maßnahmen) sind Präventivfachkräfte und erforderlichenfalls geeignete Fachleute hinzuzuziehen. Belegschaftsorgane und Sicherheitsvertrauenspersonen sind zu beteiligen.

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Beschäftigte geben Auskunft über Arbeitsbedingungen und können als Expertinnen und Experten des konkreten Arbeitsplatzes/Arbeitsvorgangs auch zur Konkretisierung der Messergebnisse sowie zur Bildung der Maßnahmen hilfreiche Informationen geben.

Erforderlichenfalls können z.B. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber haben Arbeitspsychologinnen und Arbeitspsychologen (als „sonstige Fachleute")

  • „erforderlichenfalls" bei der Evaluierung heranzuziehen und können sie auch mit der Evaluierung beauftragen (§ 4 Abs. 6 ASchG),
  • „erforderlichenfalls" für die Unterweisung heranzuziehen (§ 14 Abs. 1 ASchG),
  • „erforderlichenfalls" in den Angelegenheiten gemäß §§ 76 Abs. 3 ASchG bzw. 81 Abs. 3 ASchG beizuziehen und können sie im Ausmaß von max. 25 % der Präventionszeit beschäftigen.

Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber beurteilen und entscheiden nach der in der konkreten Arbeitsstätte gegebenen Gefahren- und Belastungssituation, ob für eine bestimmte Aufgabenstellung die fachlichen Qualifikationen der Sicherheitsfachkraft und der Arbeitsmedizinerin/des Arbeitsmediziners ausreichen oder eine sonstige Expertise erforderlich ist.

Aufgrund erforderlicher Fachkenntnisse kann es mitunter auch sinnvoll sein, sonstige geeignete Fachleute nur bei einzelnen Prozessphasen einzubeziehen, z.B. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber haben sich über den neuesten Stand der Technik und der Erkenntnisse auf dem Gebiet der menschengerechten Arbeitsgestaltung entsprechend zu informieren und diese zu berücksichtigen.

Hinsichtlich psychischer Arbeitsbelastung bildet die Ö-NORM EN ISO 10075 den Stand der Technik / Erkenntnisse auf dem Gebiet der Arbeitsgestaltung ab. Teil 1 der ÖNORM 10075 legt den einheitlichen Sprachgebrauch (z.B.

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Der Arbeitgeber selbst (also nicht die Präventivfachkräfte). Nein. Der Gesetzgeber schreibt - im Unterschied zu z.B. Unbedingt sicher nicht. Externe "Evaluierer" habe den Vorteil, dass sie nicht "betriebsblind" sind, andererseits werden sie über viele interne Abläufe nicht Bescheid wissen und kennen die Arbeitnehmer und deren Arbeitsweise nicht.

Dimensionen psychischer Belastung

Die Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen umfasst jedenfalls die Gestaltung folgender vier Dimensionen:

  • Tätigkeits- und Aufgabenanforderungen
  • Abläufe und Organisation der Arbeit
  • Sozial- und Organisationsklima
  • Umgebung in welcher die Arbeit verrichtet wird

Beispiele für arbeitsbedingte psychische Belastungen:

  • Belastungen durch Tätigkeits- und Aufgabenanforderungen, z.B. zu hohe körperliche und/oder geistige Belastung, zu hohe emotionale Belastung, häufige Über- oder Unterforderung durch die Aufgaben.
  • Belastungen durch die Abläufe und Organisation der Arbeit, z.B. Doppelarbeit, unklare oder widersprüchliche Ziele/Zuständigkeiten, belastende Arbeitszeitgestaltung, keine Pausen, fehlende Information/Unterweisung.
  • Belastungen durch das Sozial- und Organisationsklima, z.B. mangelnde Unterstützung durch Führungskraft bzw. KollegInnen, Benachteiligung/Nicht-Einbeziehung bestimmter Personengruppen, Informations- und Kommunikationsmängel, ungenügender Handlungsspielraum.
  • Belastungen durch die Umgebung in welcher die Arbeit verrichtet wird, z.B. ungünstige Beleuchtung, Lärm, ungünstiges Umgebungsklima, Platzmangel, mangelhafte Arbeitsplatzausstattung und Arbeitsmittel, benutzungsunfreundliche Software.

Instrumente und Verfahren zur Ermittlung

Grundsätzlich sind Arbeitgeber:innen für die Auswahl eines geeigneten Verfahrens verantwortlich. Folgende Instrumente können zur Ermittlung und Bewertung der arbeitsbedingten psychischen Belastung zur Anwendung kommen.

Messverfahren sind geeignet, wenn sie arbeitsbedingte psychische Belastung (und nicht Personenmerkmale wie Zufriedenheit, Beanspruchung, Gesundheit, Wohlbefinden, Burnout-Risiko, Motivation etc.) standardisiert und qualitätsgeprüft messen und die Messergebnisse eine Grundlage für die Entwicklung von Maßnahmen zur Gefahrenverhütung liefern.

Prinzipiell kann unterschieden werden zwischen:

  • qualitätsgesicherter und standardisierter Arbeitsplatzbeobachtung
  • qualitätsgesicherten und standardisierten Fragebögen
  • qualitätsgesicherten und standardisierten Gruppenverfahren
  • qualitätsgesicherten und standardisierten Einzelinterviews

Kommen schriftliche Befragungen zum Einsatz, geben deren Ergebnisse Anhaltspunkte, wo arbeitsbedingte psychische Belastungen vorliegen. Eine Konkretisierung kann durch Beteiligung von betroffenen Beschäftigten, z.B. im Rahmen von Maßnahmenworkshops, erreicht werden.

Die Wahl des Messverfahrens hängt u.a. von der Organisation des Evaluierungsprozesses, den Kompetenzen der beteiligten Expertinnen und Experten (z.B.

Bei der Umsetzung der Ermittlung, Beurteilung und Maßnahmenfestlegung sind alle Tätigkeiten und Arbeitsplätze zu berücksichtigen. Es müssen aber nicht alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer befragt oder beobachtet werden.

Um psychische Arbeitsbedingungen zu verbessern sollte immer ein Messverfahren angewendet werden, das für die Situation im Betrieb passend ist und mit dessen Ergebnissen geeignete Maßnahmen abgeleitet werden können.

Nein, wesentlich ist, dass die Evaluierung der psychischen Belastungen zum Betrieb passend geplant ist, Anwenderinnen und Anwender von Messverfahren über notwendige Fachkunde verfügen, die Ergebnisse zur Gefahrenbeurteilung richtig interpretiert werden und in weiterer Folge geeignete Maßnahmen zur Gefahrenverhütung festgelegt werden.

Diese beispielhaft angeführten Verfahren sind kostenlos erhältlich und entsprechen den Kriterien für Erhebungsverfahren des Zentralarbeitsinspektorats (ZAI) im Rahmen der Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastung.

Maßnahmen und Wirksamkeitskontrolle

Erarbeiten von Maßnahmen unter Beachtung der Grundsätze der Gefahrenverhütung (lt.

Wirksamkeit der Evaluierung überprüfen und erforderlichenfalls (lt. § 4 Abs.

Maßnahmen sind dann geeignet, wenn sie nachweislich Gefahren durch arbeitsbedingte psychische Belastungen reduzieren, in dem sie an der auslösenden gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingung ansetzen, für alle betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im evaluierten Arbeitsbereich wirksam sind und somit die jeweilige Arbeitsbedingung verbessern.

Möglichkeiten zur Überprüfung der Wirksamkeit festgelegter Maßnahmen im Sinne § 4 Abs. 4 ASchG gibt es viele. Wichtig ist, dass die Vorgehensweise den betrieblichen Gegebenheiten und der Maßnahme selbst angepasst ist, um so optimale Ergebnisse zu erzielen. Das ist auch in Hinsicht darau zu berücksichtigen, dass eine Maßnahme ggf.

Zunächst die Entscheidung, ob in Anbetracht der Höhe des Risikos eine bestimmte Maßnahme überhaupt gesetzt werden muss oder nicht.

Eine Gefahr zu beseitigen ist besser, als sie nur einzudämmen und dies wiederum besser als persönliche Schutzausrüstung zur Verfügung zu stellen oder nur zu unterweisen. Beispiel Lärm: Lärmarme Maschine vor Kapselung oder raumakustischen Maßnahmen vor Gehörschutz.

Die Unterweisung nach § 14 ASchG ist eine Routinesache unter Berücksichtigung des Wissens- und Erfahrungsstandes der Arbeitnehmer.

Dokumentation

Für die Durchführung und Dokumentation der Evaluierung ist grundsätzlich immer der Arbeitgeber zuständig. Gerne beraten Sie die Experten der AUVA im Rahmen der Betreuung auch über die Evaluierung und deren Dokumentation. Die Evaluierung und deren Dokumentation nach §§ 4 und 5 ASchG muss vom Arbeitgeber selbst oder einer von ihm ernannten oder beauftragten Person durchgeführt werden.

Der Gesetzgeber sagt "nachweislich" wodurch die Schriftform nur indirekt gefordert ist.

Nein. Es muss nur alles in der DOK-VO verlangte dokumentiert sein.

Weitere wichtige Aspekte

Wenn bereits eine allgemeine Arbeitsplatzevaluierung vorliegt, wird diese um die Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen ergänzt. Für die Durchführung kann die gesetzliche Präventionszeit genutzt werden. Präventivdienste und sonstige Fachleute wie z.B. auf häufig gestellte Fragen zur Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen zusammengestellt von WKÖ, Industriellenvereinigung und dem Sozialministerium. In der Broschüre „Psychische Belastung und Beanspruchung im Berufsleben.

Nur dann, wenn dies möglich ist. Dies ist z.B. der Fall bei Lärm, Vibrationen oder Schadstoffen, wo Grenzwerte festgelegt sind.

Ja. Arbeitgeber müssen über den Stand der Technik informiert sein.

Die Evaluierung nach Mutterschutzgesetz und für Jugendliche und Lehrlinge ist zwar nicht in der DOK-VO enthalten, wurde jedoch in das entwickelte Dokument aufgenommen.

Nein. Was vom Gesetzgeber eindeutig in Gesetz, Verordnung oder Bescheiden geregelt ist, muss in jedem Fall eingehalten werden. Die Evaluierung setzt dort ein, wo der Gesetzgeber allgemeine Formulierungen, so genannte "Schutzziele" (z.B.

Bescheide sind individuelle Rechtsakte und somit verbindliche und konkrete Vorschriften.

Tätigkeitsbezogen. Grundlage des Dokuments ist nicht ein Arbeitsplatz (oder ein räumlicher Bereich), sondern eine Tätigkeit, z.B.

Die Arbeitsplatzevaluierung gemäß § 4 ASchG ist ein fortlaufender Prozess bei dem psychische und physische Belastungen am Arbeitsplatz/beim Arbeitsvorgang systematisch ermittelt, beurteilt und Gefahren durch Festlegung und Umsetzung geeigneter Maßnahmen verhütet werden sollen.

Die Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen ist ein Bestandteil der allgemeinen Arbeitsplatzevaluierung.

Nur bei Vorliegen von Fällen im Sinne von § 4 Abs. 4 und 5 ASchG.

Grundsätzlich nicht, auch wenn es empfohlen wird.

Sehr gut sogar.

Nein.

Das Erstellen und Ausfüllen von Checklisten ist nicht zwingend vorgeschrieben.

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