Die Auseinandersetzung zwischen dem Glauben an okkulte Besessenheit und der wissenschaftlichen Erklärung psychischer Erkrankungen ist ein vielschichtiges Thema, das sowohl theologische als auch psychologische Aspekte berührt.
Exorzismus im Wandel der Zeit
Historisch betrachtet gehört der Exorzismus - auch Teufels- oder Dämonenaustreibung - zum Bereich der seit der Antike üblichen apotropäischen Handlungen, wobei der Exorzist zumeist beschwörende Exorzismusformeln nutzt, um mit dem vermeintlichen Dämon in Kontakt zu treten und ihn schließlich zum Verlassen des Körpers zu bewegen.
Der Exorzismus gehört gleichsam zur Grundausstattung des Christentums: Schon Jesus hat der Sage nach den Besessenen von Gerasa von seinen Dämonen befreit - woraufhin diese in eine Herde von 2000 armen Schweinen fuhren (Mk 5,1-20). Von altkirchlicher Zeit bis heute ist der Exorzismus fixer Bestandteil der Taufliturgie („Ich widersage…“). Mörderischer Tiefpunkt war freilich der Zauber- und Hexenwahn, den das Konzil von Trient (1545-1565) mit dem „Rituale Romanum“ von 1614 einzudämmen versuchte.
Allerdings gibt es auch kritische Stimmen. Skeptische Geister bezweifelten die Darstellung jedoch. Auch in Österreich war das Zeitalter der Aufklärung angebrochen, vielen rätselhaften Phänomenen näherte man sich nun mit dem Blick der Naturwissenschaft, und die Geschichte von einem Teufel, der in Tiroler Mundart schimpft, klang doch etwas skurril. Kritiker vermuteten, der Klerus habe eine psychisch kranke Frau benutzt, um mit dem „Wunder von Seefeld“ die Wallfahrt nach Tirol zu bewerben.
Die Kritik der Psychologie am Exorzismus
Die Kritik am Exorzismus aus der Perspektive der Psychologie bezieht sich dabei vor allem auf die Bedenken, dass Fälle, die als Besessenheit interpretiert werden, in Wirklichkeit psychische Erkrankungen oder andere medizinische Zustände sind, die eine professionelle Behandlung erfordern. Psychologen und Psychiater argumentieren, dass der Exorzismus als vorgeblich heilender Akt nicht nur ineffektiv ist, sondern auch das Wohl des Patienten gefährden kann.
Lesen Sie auch: Psychologe vs. Psychiater
Hauptkritikpunkte:
- Verwechslung von psychischen Störungen mit Besessenheit: Ein häufiger Kritikpunkt ist, dass Symptome von psychischen Erkrankungen, die von der Psychologie und Psychiatrie gut verstanden und behandelbar sind, fälschlicherweise als „dämonische Besessenheit“ interpretiert werden.
- Gefährdung der Patienten: Ein weiteres zentrales Argument gegen den Exorzismus aus psychologischer Sicht ist, dass diese Praktiken gefährlich sein können. Anstatt die zugrunde liegende psychische Erkrankung zu behandeln, könnten Exorzismen den Zustand des Patienten verschlechtern.
- Wissenschaftliche Erklärung und Rationalität: Psychologen und Psychiater basieren ihre Diagnosen auf wissenschaftlich fundierten Methoden, die auf einer gründlichen Untersuchung des Patienten beruhen. Der Exorzismus dagegen basiert nicht auf wissenschaftlichen Methoden, sondern auf einer religiösen und spirituellen Weltanschauung. Psychologen werfen dem Ritual vor, dass es nicht in der Lage ist, die wahren Ursachen für das Verhalten des Patienten zu identifizieren und zu behandeln.
- Stigmatisierung und Schuldzuweisung: Ein weiteres Problem ist die potenzielle Stigmatisierung der betroffenen Person. Wenn jemand in einer katholischen oder anderen religiösen Tradition als „besessen“ betrachtet wird, kann dies zu einem tiefgreifenden Gefühl der Scham und Schuld führen.
- Mangel an empirischer Evidenz: Die Psychologie legt großen Wert auf die Beweisführung durch empirische Forschung. Da es keine wissenschaftlichen Belege für die Existenz von Dämonen oder übernatürlichen Wesen gibt, werden Exorzismen von Psychologen als unwirksam und unbegründet angesehen.
- Verzögerung der richtigen Hilfe: Die Durchführung von Exorzismen anstatt einer ordnungsgemäßen psychologischen oder psychiatrischen Behandlung kann den Heilungsprozess erheblich verzögern. Besonders bei schweren psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie, schweren Depressionen oder Angststörungen kann der Verzicht auf moderne medizinische Behandlung zu einer Chronifizierung der Krankheit führen.
Aus Sicht der Psychologie sind Exorzismen problematisch, weil sie potenziell gefährlich sind, eine falsche Diagnose fördern und den Patienten in eine vermeintliche „Geisteskrankheit“ einordnen, ohne die zugrunde liegende psychische Erkrankung zu behandeln. Statt dämonischer Besessenheit sehen Psychologen in den meisten Fällen psychische Störungen, die mit modernen, evidenzbasierten therapeutischen Methoden behandelt werden können.
Der Fall Anneliese Michel
Der Fall der Austreibung an der 23 Jahre alten Studentin Anneliese Michel aus Klingenberg in Bayern hat im katholischen Deutschland ein Trauma ausgelöst und wirkt bis heute nach. Sie war 1976 nach einem Exorzismus in ihrem Elternhaus gestorben. Die Eltern und die beteiligten Priester wurden wegen unterlassender Hilfeleistung zu Bewährungsstrafen verurteilt.
Der Exorzismus in der Katholischen Kirche heute
Der Exorzismus ist in der katholischen Kirche eine religiöse Handlung, bei der versucht wird, einen Menschen von bösen Geistern oder dämonischen Einflüssen zu befreien. Der rituelle Akt des Exorzismus ist in der katholischen Tradition tief verwurzelt und wird nur unter bestimmten Voraussetzungen durchgeführt, wenn der Verdacht besteht, dass jemand von einem Dämon besessen ist oder von bösen Geistern beeinflusst wird.
Theologische Grundlage
In der katholischen Lehre basiert der Glaube an Dämonen und Besessenheit auf der Vorstellung, dass der Teufel und seine Gefolgsleute versuchen, die Menschen von Gott abzuwenden. Die Bibel enthält mehrere Stellen, in denen Jesus Dämonen austreibt (z.B. im Neuen Testament, in den Evangelien). Diese Praxis wird von der katholischen Kirche als Fortsetzung der Heilungs- und Befreiungstaten Jesu verstanden.
Arten des Exorzismus
- Kleiner Exorzismus: Dies ist eine weniger intensive Form, die als Teil der katholischen Liturgie und bei bestimmten Sakramenten, insbesondere bei der Taufe, angewendet wird.
- Großer Exorzismus: Dies ist ein formeller, oft langwieriger Ritus, der von einem speziell ausgebildeten Priester durchgeführt wird. Er wird nur dann angewendet, wenn klar diagnostiziert wurde, dass eine Person besessen ist. Der Ritus ist sehr genau festgelegt und beinhaltet Gebete, die den Dämon vertreiben sollen. Der Priester verwendet speziell formulierte Gebete und kann auch religiöse Symbole wie Weihwasser oder das Kreuz einsetzen.
Voraussetzungen für einen Exorzismus
Die katholische Kirche hat klare Kriterien für die Durchführung eines Exorzismus. Die Person muss Zeichen von Besessenheit zeigen, die als übernatürlich oder über die normalen menschlichen Fähigkeiten hinausgehend angesehen werden. Nach den kirchlichen Normen müsse zuvor abgeklärt werden, ob nicht doch eine psychische Erkrankung vorliege.
Lesen Sie auch: Diagnose und Behandlung von Sozialphobie
Der Ablauf eines Exorzismus
Der Ablauf des Exorzismus ist stark ritualisiert und umfasst Gebete, Beschwörungen und Liturgien, die speziell dazu dienen, den Dämon oder bösen Geist zu vertreiben. Das Lesen von heiligen Schriften ist dabei zentral.
Der Exorzist
In der katholischen Kirche wird der Exorzismus in der Regel von einem ausgebildeten Exorzisten durchgeführt. Exorzisten sind Priester, die von ihrem Bischof für diese spezielle Aufgabe ausgewählt und ausgebildet wurden. Die Ernennung eines Exorzisten liegt in der Verantwortung des Bischofs, und in vielen Fällen gibt es nur einen oder zwei Priester, die speziell für diese Aufgabe zuständig sind. Seit 1994 gibt es eine Internationale Vereinigung der Exorzisten, der nicht nur Priester angehören. 2014 erkannte die vatikanische Kleruskongregation den Zusammenschluss offiziell an und billigte dessen Statuten.
Exorzismus und moderne Medien
Exorzismen haben in den letzten Jahren durch Filme und Medienberichte an Aufmerksamkeit gewonnen. Während diese Darstellungen oft dramatisiert sind, hat die katholische Kirche darauf hingewiesen, dass die tatsächliche Praxis des Exorzismus viel komplexer und weniger spektakulär ist.
Moderne Perspektiven
In der heutigen Zeit gibt es weiterhin Diskussionen über die Relevanz und Notwendigkeit von Exorzismen. Kritiker argumentieren, dass viele Fälle, die als Besessenheit interpretiert werden, auf psychische Erkrankungen wie Schizophrenie oder andere psychische Störungen zurückzuführen sind.
Die Rolle der Bischöfe beim Exorzismus
Bischof Giorgio Marengo, der seit 20 Jahren Exorzist ist, sprach über die Rolle der Bischöfe beim Exorzismus. Er berichtete, dass ihn nicht nur Christen, sondern auch Nichtchristen aufsuchen, um sie von dämonischen Einflüssen zu befreien. Auffällig sei der dämonische Einfluss, der immer wieder anzutreffen sei. Katholische Priester müssten wie die Jünger Jesu Dämonen austreiben und Kranke heilen, sagte er.
Lesen Sie auch: Soziale Phobie vs. Autismus
Die Zunahme der Hilfesuchenden in Italien
Pro Jahr suchen in Italien etwa 500.000 Menschen die Hilfe von Exorzisten. Binnen weniger Jahre habe sich die Zahl der Hilfesuchenden verdreifacht. Auch wenn es keine genauen Zahlen gebe - „alle Menschen, die zu uns kommen leiden. Auch wenn es in den wenigsten Fällen um Besessenheit gehe - wie im Film „Der Exorzist“ übertrieben dargestellt - und einige Menschen eher unter psychischen Krankheiten litten, so steige die Zahl diverser Abhängigkeiten etwa in Sekten extrem an, sagte der Ordensmann Benigno Palilla dem Portal Vatican News.
Paolo Carlin warnt vor Betrügern, „die sich ‚Befreier‘, ‚Medium‘ oder ‚Geistheiler‘ nennen, aber nur Geld wollen“. Zudem gebe es manche, die es zwar gutmeinten, aber eher Schaden anrichteten. Exorzist, so der Ordensmann, könne nur ein Priester sein, der dazu von einem Bischof eigens beauftragt worden sei. Zudem brauche man als Seelsorger für solche schwierigen Fälle eine ständige Weiterbildung und einen erfahrenen Exorzisten an seiner Seite.
Aspekt | Exorzismus | Psychologische Behandlung |
---|---|---|
Grundlage | Theologisch-spirituell | Wissenschaftlich-empirisch |
Ziel | Befreiung von Dämonen | Behandlung psychischer Störungen |
Methoden | Gebete, Rituale, Beschwörungen | Therapie, Medikamente, Verhaltenstherapie |
Gefahren | Falsche Diagnose, Vernachlässigung medizinischer Behandlung, psychische Belastung | Nebenwirkungen von Medikamenten, Ineffektivität bei bestimmten Störungen |
tags: #okkulte #Besessenheit #vs #psychische #Erkrankung