Sozialphobie: Unterschied zur Schüchternheit, Diagnose und Behandlung

Psychotherapeuten können gegenwärtig ein deutliches Ansteigen der Fälle von Sozialphobie in ihren Praxen beobachten, so wird obiges Verhalten bezeichnet.

Manfred, 31, ist eigentlich recht erfolgreich in seinem Job. Er selbst allerdings fühlt sich schon seit Jahren immer unwohler, wenn er zur Arbeit muss. In Gesprächen mit Vorgesetzten steht er unter großem inneren Druck, es fällt ihm schwer, sich auf das Gesagte zu konzentrieren, seine eigenen Standpunkte geraten dann völlig in den Hintergrund. So vermeidet er derlei Gespräche, wann immer es geht. Besprechungen im Kreis von Kollegen sind ihm ebenfalls ein Gräuel: er fühlt sich dann beobachtet und beurteilt, empfindet Angst, etwas falsch zu machen oder sich vor allen anderen zu blamieren. So macht er sich zunehmend Sorgen, irgendwann mal im Job zu scheitern, wenn sein psychisches Versagen und empfundenes Unvermögen offensichtlich wird. Dass er mit seiner Unsicherheit in größeren Gruppen über einen gewissen Level an Verantwortung im Job nicht hinauskommen wird, damit hat er sich bereits so gut wie abgefunden.

Privat läuft es nicht wesentlich besser: er vermeidet Plätze mit größeren Menschenmengen, in letzter Zeit ist selbst der Besuch von Lokalen oder Feiern im Familienkreis ein Problem geworden. Seine Freundin hat dies lange Zeit so hingenommen, aber es ist zu bezweifeln, dass sie sich noch länger abhalten lassen wird, einfach ohne ihn etwas zu unternehmen - wird er sie über kurz oder lang verlieren? Wird er dann dazu verurteilt sein, sein weiteres Leben in völliger Isolation zu verbringen - denn schon heute vermeidet er es ja oft, hinauszugehen und andere Leute zu treffen. Der Kontakt zu Kollegen aus dem Beruf hat sich bereits auf einige wenige Personen reduziert.

Sozialphobie vs. Schüchternheit

Sozialphobie ist aber nicht einfach nur eine andere Bezeichnung für "Schüchternheit": denn in Extremfällen sind die Patienten nicht einmal mehr imstande, eine Psychotherapie-Praxis aufzusuchen - lähmende Angstzustände hindern sie mitunter selbst daran, mit dem Ziel von Therapie und Entlastung das Haus zu verlassen.

Mit einer "normalen" Schüchternheit hat eine Sozialphobie nichts zu tun, die Auswirkungen auf das soziale Leben des Erkrankten sind ungleich schwerer.

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Ursachen und Risikofaktoren

Wie eine soziale Phobie entsteht, dazu gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Letztlich ist davon auszugehen, dass viele Faktoren zusammenwirken. Ein Teil tragen vermutlich die Erbanlagen bei. Den größeren Einfluss auf die Entstehung einer sozialen Phobie hat jedoch die Umwelt.

Viele Personen mit sozialer Phobie beschreiben, dass man sie in jungen Jahren öfter gehänselt und öffentlich gedemütigt hat. Das legt nahe, dass die Ursachen der sozialen Phobie bei diesen Personen ihren Ursprung in der Kindheit gehabt hat. Im Kontakt zu anderen Menschen haben sie Angst, dass diese sie abwerten. Eine gewisse Grundängstlichkeit trägt zusätzlich dazu bei, dass sie in Zukunft derartige Situationen vermeiden. Sie ziehen sich immer weiter zurück.

Auch Kinder, die in ihrem Verhalten gehemmt sind, haben später ein höheres Risiko, eine soziale Phobie zu entwickeln. Gehemmte Kinder sind von unbekannten Situationen schnell überfordert und ziehen sich zurück. Ein derartiges Verhalten übernehmen die Kinder möglicherweise von den Eltern. Sind die Eltern eher ängstlich und leben diese isoliert, lernt das Kind schon früh die Furcht oder Angst vor sozialen Kontakten und unbekannten Situationen. Tritt die soziale Phobie in Familien gehäuft auf, ist es daher schwierig zu bestimmen, ob soziale Ängste vererbt oder erlernt worden sind beziehungsweise sich auf die Erziehung zurückführen lassen.

Traumatische Erfahrungen in der Kindheit sind grundsätzlich ein Risikofaktor für psychische Probleme. Das gilt auch für die soziale Phobie. Frühe Verlust-Erfahrungen, wie der Tod eines Elternteils oder Scheidung, tragen möglicherweise zur Entwicklung überzogener Angst bei. Vernachlässigung oder Misshandlung sind weitere Risikofaktoren für eine soziale Phobie. Früh gelernte ungünstige Mechanismen zur Bewältigung der Erfahrungen bleiben dann oft bis ins Erwachsenenalter bestehen.

Symptome der Sozialphobie

Soziale Angst wird zu den Angststörungen gezählt und zeigt sich in übermäßiger Furcht vor Situationen, in denen man negativ bewertet werden oder sich vermeintlich peinlich verhalten könnte. Die soziale Angst wird in der Fachsprache soziale Phobie genannt. Dabei handelt es sich um eine der Angststörungen, zu denen beispielsweise auch die Generalisierte Angststörung gezählt wird. Das Hauptmerkmal von klinisch relevanter sozialer Angst ist eine ausgeprägte Furcht bzw. Angst vor sozialen Situationen.

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Folgende Symptome liegen nach der ICD-10 Klassifikation psychischer Störungen bei einer sozialen Phobie vor:

  • Die Betroffenen haben starke Furcht, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen oder sich zu blamieren. Daher vermeiden sie Situationen, in denen sich die Befürchtungen möglicherweise verwirklichen.
  • Die Ängste beziehen sich auf soziale Situationen, wie zum Beispiel Essengehen oder Sprechen in der Öffentlichkeit. Sie fürchten sich davor, sich kleinen Gruppen anzuschließen, zum Beispiel auf Partys oder in Klassenräumen, aber auch Bekannten in der Öffentlichkeit zu begegnen.
  • Körperliche Symptome bei einer sozialen Angst sind: Erröten oder Zittern, die Angst zu erbrechen sowie starker Harn- oder Stuhl-Drang. Menschen mit sozialer Phobie haben große Sorge, dass andere diese Anzeichen bemerken. Da sie sich stark auf die körperlichen Symptome konzentrieren, verstärken sich diese.

Die Betroffenen leiden sehr unter den Angst-Symptomen und den Folgen des Vermeidungsverhaltens. Obwohl sie wissen, dass die Angst übertrieben ist, sind sie nicht in der Lage, ihr Verhalten alleine zu ändern.

Typische Symptome einer Sozialphobie:

  • Rotwerden (oder Gefühl, jeden Moment erröten zu müssen)
  • übermäßiges Schwitzen oder Hitzegefühle
  • Zittern (Finger, Knie, Handgelenke, plötzliches Kältegefühl,..)
  • Gefühle der Lähmung, Starre
  • andere körperliche Symptome wie Herzrasen, Atemnot, "Kloßgefühl" im Hals, plötzlicher Harn- oder Stuhldrang
  • Fluchttendenz bei sozialer oder ortsbezogener Exponiertheit
  • Gefühl, sich nie oder nur in Ausnahmefällen so zeigen und verhalten zu können, wie man "wirklich" ist
  • Aufsuchen von "geschützten Ecken" im öffentlichen Raum
  • Angst (nicht nur Unwohlgefühl!), verurteilt, herabgewürdigt, kritisiert, ausgelacht, "aufgedeckt" zu werden
  • Gefühl der Sprachlosigkeit, "Kopfleere", Gedankenlähmung, Angst vor Stottern
  • Magenkrämpfe, Verdauungsprobleme, Kiefermahlen, Fieber im Vorfeld von angstauslösenden Terminen
  • Gefühl, beobachtet zu werden
  • Vermeiden von öffentlichen Plätzen
  • Unwohlsein oder Panikgefühle beim Gedanken, das Haus verlassen zu müssen
  • Dinge, die daheim gelingen, werden in Gegenwart anderer zum Problem
  • vom Gefühlen des Nicht-Entsprechens, des persönlichen Unvermögens, Nicht-Genügens getragene Gespräche mit anderen (selbst mit Beziehungspartnern)
  • ausbruchsartige Überflutung mit Hassgefühlen, Aggression, Wut über die eigene Situation und das Unvermögen anderer, auf einen adäquat einzugehen
  • jede stattfindende soziale Situation wird zum "Prüfstein" für Erfolg oder Versagen (z.B. muss schon das erste Treffen mit einer Person des anderen Geschlechts "funktionieren", andernfalls starke Gefühle des Versagens und Nicht-Entsprechens)
  • "Klammerverhalten" in Bezug auf vertraute Personen und Beziehungspartner
  • Sexualprobleme rund um körperliches Versagen oder überlange "Jungfräulichkeit"

Diagnose der Sozialphobie

Soziale Phobie liegt laut dem DSM IV, dem Diagnoseschema der American Psychiatric Association, vor, wenn:

  • eine ausgeprägte und anhaltende Angst vor einer oder mehreren sozialen oder Leistungssituationen auftritt, in denen die Person mit unbekannten Personen konfrontiert ist oder von anderen Personen beurteilt werden könnte. Der/Die Betroffene befürchtet, ein Verhalten oder ein Angstsymptom zu zeigen, das demütigend oder peinlich sein könnte.
  • die Konfrontation mit der befürchteten sozialen Situation eine Angstreaktion hervorruft. Eine solche Angstreaktion kann von panikartigen Gefühlen begleitet sein.
  • die Person erkennt, dass die Angst übertrieben oder unbegründet ist
  • die gefürchteten sozialen oder Leistungssituationen vermieden oder nur unter intensiver Angst oder Unwohlsein ertragen werden können
  • das Vermeidungsverhalten, die ängstliche Erwartungshaltung oder das starke Unbehagen in den gefürchteten Situationen die normale Lebensführung der Person deutlich beeinträchtigen (z.B., wenn es um berufliche oder schulische Leistung, oder um soziale Aktivitäten geht)
  • wenn die Phobie über mindestens 6 Monate anhält (Personen unter 18 J.)

Um die soziale Angst als soziale Angststörung zu diagnostizieren, können die Klassifikationssysteme DSM oder ICD herangezogen werden.

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Um herauszufinden, ob Sie soziale Angst haben, ist es wichtig, dass Sie sich an medizinische oder psychologische bzw. therapeutische Fachkräfte wenden, die dazu befähigt sind, Diagnosen zu erstellen.

Behandlung der Sozialphobie

Eine soziale Phobie behandelt man mit Hilfe einer Psychotherapie und mit Medikamenten. Experten empfehlen vor allem die kognitive Verhaltenstherapie, um eine soziale Angst zu überwinden. Eine psychodynamische Psychotherapie kommt möglicherweise zum Einsatz, wenn die kognitive Verhaltenstherapie nicht erfolgreich war.

Zur Verhaltenstherapie ist eine spannende Studie zu erwähnen, die nach zehnwöchiger Behandlung strukturelle Veränderungen in Arealen des Gehirns sichtbar machen konnte. Bei den Hirnarealen handelt es sich um jene Bereiche, die im Zusammenhang mit der Regulation von Emotionen und der Selbstkontrolle stehen.

In manchen Fällen können auch Medikamente zur Behandlung von sozialer Angst zum Einsatz kommen.

Wenn Sie selbst das Gefühl haben, von sozialen Ängsten betroffen zu sein und sich fragen, wie Sie soziale Angst wegbekommen, sollten Sie sich an medizinische, psychologische oder psychotherapeutische Fachkräfte wenden. Möglichkeiten, um soziale Ängste wegzubekommen, sind beispielsweise die Verhaltenstherapie oder die Gruppentherapie. Je rascher Sie sich Hilfe holen, desto günstiger ist es für den Verlauf Ihrer sozialen Angst. Denn unbehandelte soziale Ängste können in weiterer Folge zu sozialer Isolation und dadurch z. B. zu Depressionen führen.

Kognitive Verhaltenstherapie

Zu Beginn der Therapie informiert der Therapeut den Patienten ausführlich über die soziale Phobie (Psycho-Edukation). Der Therapeut erklärt dem Betroffenen, welche Faktoren zur Entstehung und zur Aufrechterhaltung der Störung beitragen und welche Rolle unrealistische Ansprüche und Gedanken, sowie das Vermeidungsverhalten spielen.

Der nächste Schritt der Therapie einer sozialen Phobie besteht aus der Überprüfung und Veränderung von ungünstigen Gedanken (kognitive Umstrukturierung). Der Therapeut hinterfragt zum Beispiel die Gedanken des Patienten, die sich auf die Bewertung durch andere beziehen. Weiß der Betroffenen wirklich, wie andere Menschen über ihn denken? Weshalb ist er sich sicher, dass andere sein Verhalten als peinlich empfinden?

Bei vielen Patienten laufen solche Gedankengänge automatisch ab, sodass sie ihnen nicht bewusst sind. Der Therapeut schult den Patienten darin, unrealistische und angstmachende Gedanken zu erkennen. Denn erst dann ist es möglich, die Gedanken zu verändern. Daraufhin motiviert der Therapeut den Patienten, realistische Denkmuster zu finden, die weniger bedrohlich sind.

Im weiteren Therapieverlauf liegt der Fokus auf Rollenspielen, die der Konfrontation mit Ängsten dienen. Viele Betroffene haben den Umgang mit anderen mit der Zeit verlernt, weil sie soziale Situationen vermieden haben. In Rollenspielen lassen sich reale Situationen nachstellen. Eine häufige Übung ist, dass der Patient vor den anderen Teilnehmern eine Rede hält. Auf diese Weise entwickelt der Patient Kompetenzen, die ihn im sozialen Umgang sicherer machen.

Die nächste Stufe der Konfrontation mit den Ängsten des Patienten findet außerhalb einer Klink oder Praxis statt (Expositionstherapie). In der Öffentlichkeit begeben sich die Betroffenen in für sie unangenehme und peinliche Situationen. Die Herausforderungen steigert man dabei langsam.

In der Exposition erleben die Patienten häufig, dass die befürchteten Reaktionen nicht eintreten. Die anderen Menschen reagieren entweder neutral oder sogar positiv auf sie. Wie auch bei anderen Angststörungen sind die Vorstellungen und Angstgedanken deutlich schlimmer als die Realität. Mit dieser Erkenntnis ist es den Betroffenen möglich die soziale Phobie zu überwinden.

Psychodynamische Psychotherapie

Die Psychodynamische Psychotherapie konzentriert sich auf ungelöste Konflikte, die die soziale Phobie mitverursachen. Vor allem Beziehungskonflikte sind mögliche Auslöser.

Die Betroffenen suchen zwar nach Anerkennung, allerdings haben sie so große Angst vor Zurückweisung und einer Demütigung, dass ein normaler Kontakt unmöglich ist. Die Angst, ihre Unsicherheit durch Erröten oder Zittern zu offenbaren, führt häufig zum Beziehungsabbruch.

Im Rahmen einer psychodynamischen Psychotherapie erforschen Therapeut und Patient, wie dieses ungünstige Beziehungsmuster entstanden ist und welchen Zweck es erfüllt hat. Bei manchen Patienten zeigt sich beispielsweise, dass der Ursprung in überhöhten Ansprüchen der eigenen Familie liegt. Diesen Ansprüchen nicht zu genügen, wird unter Umständen zu einer lebenslangen Bürde und überträgt sich auf andere Menschen und Situationen.

Medikamente

Eine soziale Phobie behandeln Ärzte in der Regel mit selektiven Serotonin- oder Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmern (SSRIs/SNRIs), wie zum Beispiel Paroxetin oder Venlafaxin. Sie verhindern, dass die Botenstoffe Serotonin oder Noradrenalin schnell wieder von ihrem Wirkungsort abgezogen werden.

Es dauert jedoch etwa zwei bis vier Wochen bis sich ein Effekt zeigt. Nach einer Verbesserung der Symptome einer sozialen Angststörung verschreibt der Arzt die Medikamente noch einige weitere Wochen, um einen Rückfall zu verhindern. Zu den unerwünschten Nebenwirkungen gehören Unruhe, Übelkeit und sexuelle Funktionsstörungen.

Sonstige Behandlungsmethoden

Entspannungstechniken helfen den Betroffenen, ihre ständige Anspannung zu reduzieren. Meistens empfehlen Therapeuten die progressive Muskel-Entspannung nach Jacobson. Bei dieser Methode entspannt man aktiv den gesamten Körper durch Atem-Übungen und das An- und Entspannen von Muskeln.

Wenn die Patienten neben der sozialen Phobie noch unter weiteren psychischen Erkrankungen wie Depressionen leiden, gilt es, diese ebenfalls zu behandeln.

Verlauf und Prognose

Unbehandelt verläuft die soziale Phobie in vielen Fällen chronisch. Je früher die soziale Phobie sich entwickelt hat, desto schlechter ist die Prognose. Sozialphobiker entwickeln dann häufiger weitere psychische Störungen, vor allem Depressionen und Sucht-Erkrankungen.

Sowohl beruflich als auch im privaten Bereich schränkt eine soziale Phobie die Betroffenen stark ein. Ist der Leidensdruck zu hoch, besteht die Gefahr, dass sich die Betroffenen das Leben nehmen.

Mit einer professionellen Behandlung haben die Betroffenen bei einer sozialen Phobie aber gute Chancen auf einen positiven Verlauf. Vor allem für die kognitive Verhaltenstherapie gibt es gute Wirksamkeitsbelege, selbst dann, wenn die soziale Phobie schon seit einiger Zeit besteht.

Im Durchschnitt vergehen 15 bis 20 Jahre, bevor mit der Behandlung einer sozialen Angststörung nach dem ersten Auftreten begonnen wird. Dabei wäre es wichtig, dass man mit der Therapie so rasch wie möglich anfängt. Diese lange Zeitspanne zeigt, wie wichtig es ist, auf Angsterkrankungen aufmerksam zu machen.

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