Zwangsstörung: Ursachen, Symptome und Behandlung

Haben Sie sich schon einmal dabei ertappt, nochmal nachzusehen, ob die Kaffeemaschine sicher ausgeschaltet ist? Vielleicht haben Sie diese Kontrolle auch zweimal hintereinander durchgeführt, bevor Sie das Haus verlassen haben. Das ist noch kein Grund zur Besorgnis.

Was ist eine Zwangsstörung?

Bei einer Zwangsstörung kommt es zu Handlungen oder Gedanken, die Betroffene wiederholt ausführen müssen. Der innere Drang dazu ist sehr stark, die Zwänge können nicht oder nur schwer kontrolliert werden. Zwangsstörungen können so stark werden, dass sie den ganzen Alltag bestimmen. Sie können in jedem Alter auftreten, beginnen meist jedoch im Alter von ca. 20 Jahren. Bei einem Drittel der Betroffenen tritt eine Zwangsstörung bereits in der Pubertät auf.

Wesentliche Kennzeichen einer Zwangserkrankung sind wiederkehrende Gedanken und/oder Handlungen, mit dem Ziel, erlebte Ängste, Unbehagen oder Ekel zu verringern. Von einer Zwangserkrankung spricht man erst, wenn für eine betroffene Person im Alltag eine starke Beeinträchtigung besteht oder ein Leidensdruck damit verbunden ist.

Eine Studie des Robert-Koch-Instituts belegt, dass Zwangsstörungen neben Depressionen, Suchterkrankungen und Angststörungen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen deutschlandweit gehören. Die Dunkelziffer dürfte aber weitaus höher liegen, da eine Zwangsstörung über einen langen Zeitraum hinweg unentdeckt bleiben kann. Oftmals wissen Betroffene selbst nicht einmal, dass sie unter Zwängen bzw. einer Zwangsstörung leiden, bis die Erkrankung in ihrem Leben einen derart großen Raum einnimmt, dass sie den Alltag mehr oder weniger komplett bestimmt.

Mindestens ebenso häufig werden Zwangsstörungen verheimlicht, weil sich die Betroffenen für sie schämen. Auch in diesen Fällen kommt es zu keiner Diagnose und Hilfe für die Erkrankten kann nicht vermittelt werden.

Zwänge treffen im alltäglichen Leben hin und wieder einmal jeden Menschen: Manch einer weiß vielleicht ganz sicher, dass er die Haustür abgeschlossen hat, muss aber dennoch ein weiteres Mal nachsehen, ob das auch wirklich stimmt. Wenn Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen sich jedoch häufen, sodass sie täglich mehrere Stunden Zeit in Anspruch nehmen, dann sprechen Experten von einer psychischen Störung, die einer Behandlung bedarf. Andernfalls kann sie im Verlauf immer größere Ausmaße erreichen und den Betroffenen stark in seiner Lebensqualität einschränken.

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Formen von Zwangsstörungen

Es gibt unterschiedliche Formen von Zwangsstörungen. Man unterscheidet im Allgemeinen zwischen Zwangsgedanken und Zwangshandlungen. Diese können auch gemeinsam auftreten.

Zwangsgedanken

Bei Zwangsgedanken müssen ein und dieselben Gedanken immer wieder durchdacht werden. Diese Gedanken lassen sich nur schwer unterdrücken. sich unangemessen zu verhalten oder „verbotene“ Gedanken zu haben (z.B. sich selbst der anderen Schaden zufügen zu können. Diese Gedanken sind oft von Angst begleitet. Sie führen jedoch in der Folge nicht automatisch zu dementsprechenden Handlungen oder Ereignissen.

Bei Zwangsgedanken handelt es sich um Vorstellungen oder Gedanken, die immer wiederkehren, obwohl der Betroffene weiß, dass diese nichts mit der Realität gemein haben bzw. dass sie unsinnig sind. In der Regel sind die Zwangsgedanken negativer Natur und rufen häufig Ekel, Angst oder Unwohlsein hervor. Aus diesen Zwangsgedanken können später auch Zwangshandlungen entstehen, wobei die Zwangsgedanken nicht immer Auslöser hierfür sein müssen. Zwangsgedanken dienen in der Regel dazu, beim Betroffenen ein Gefühl der Erleichterung hervorzurufen.

Zwangsgedanken äußern sich in Form von aufdringlichen Ideen, Vorstellungen oder Impulsen. Oft haben sie gewalttätige, sexuelle oder blasphemische Inhalte.

Zwangshandlungen

Zwangshandlungen hingegen sind mit bestimmten Tätigkeiten verknüpft. Die Betroffenen führen wiederholte Handlungen aus.

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  • so oft kontrollieren, ob die Türe zugesperrt ist, dass man zur Arbeit zu spät kommt.
  • den Kleiderkasten immer wieder neu sortieren, weil ein Kleidungsstück nicht ganz genau zusammengelegt ist.
  • sich so oft die Hände zu waschen, bis sie wund sind.
  • Zeitschriften in einem Ausmaß sammeln, dass darunter die Wohnqualität massiv leidet.
  • Dinge, Handlungen oder Schritte immer wieder zwingend zählen.

Die Zwangshandlungen können dabei auch von bedrohlichen Gedanken oder der Sehnsucht nach Sicherheit begleitet werden. Wird die Zwangshandlung nicht ausgeführt, leiden Betroffene unter Unruhe, Angespanntheit oder Ängsten. Zudem können übersteigerte moralische Vorstellungen oder etwa das zwanghafte Bedürfnis zu reden, Fragen zu stellen oder sich zu etwas zu bekennen auftreten. Sehr selten kommt die sogenannte zwanghafte Langsamkeit vor. Betroffene führen Handlungen „wie in Zeitlupe“ durch.

Zwangshandlungen machen sich häufig zunächst nur in kleinem Rahmen bemerkbar, können aber auch binnen kurzer Zeit immer weiter ausdehnen, komplexer werden, mehr Zeit in Anspruch nehmen sowie immer absurdere Ausmaße annehmen.

Unter Zwangshandlungen werden exzessive Wiederholungen alltäglicher Verhaltensweisen verstanden, welche nach bestimmten Regeln oder stereotyp ausgeführt werden. Sie haben das Ziel, Anspannung zu reduzieren oder befürchtete Bedrohungen/Katastrophen zu verhindern. Die Handlungen sind deutlich übertrieben.

Häufige Formen von Zwangsverhalten sind beispielsweise der Putzzwang und der Ordnungszwang. Beim Putzzwang müssen die Betroffenen die Wohnung oder Gegenstände immer wieder reinigen. Ordnungszwänge gehen mit einem zwanghaften Wunsch nach Gleichförmigkeit und Symmetrie einher. So müssen vielleicht die Stifte auf dem Schreibtisch exakt parallel ausgerichtet sein oder alle Hemden zu exakt derselben Größe gefaltet werden. Das Abweichen von dieser Vorgabe ist für die Betroffenen unerträglich.

Viele leiden an einem Zähl- und Wiederholungszwang, bei dem sie den Zwang verspüren, gewisse Handlungen in einer bestimmten Häufigkeit durchzuführen. Wenn die Betroffenen in ihren Ritualen einen Fehler machen oder den Eindruck haben, diese seien nicht gründlich genug gewesen, müssen sie wieder von vorne beginnen. Durch die zunehmende Komplexität der Rituale nimmt eine Zwangshandlung manchmal bis zu mehrere Stunden in Anspruch.

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Kontrollzwang

Der Kontrollzwang ist eine sehr häufige Form der Zwangsstörung. Betroffene sind oft viele Stunden des Tages mit der Überprüfung von Herd, Wasserhähnen und Türen beschäftigt. Die zeitraubenden Rituale hindern sie auf Dauer daran, am Leben teilzuhaben und ihre alltäglichen Aufgaben zu bewältigen. Ein ausgeprägter Kontrollzwang verursacht daher einen erheblichen Leidensdruck.

Diese Form der Zwangsstörung bezieht sich auf die Kontrolle von Gegenständen. Ein zwanghaftes Verhalten, das sich auf die Kontrolle über andere Menschen bezieht, weist eher auf eine Persönlichkeitsstörung hin. Bei einer dissozialen Persönlichkeitsstörung beispielsweise besitzen Betroffene wenig Empathie für andere und manipulieren ihre Mitmenschen mitunter.

Die meisten Menschen kennen den unbehaglichen Gedanken nach Verlassen des Hauses, ob sie den Herd oder das Bügeleisen wirklich ausgeschaltet haben. Solche Gedanken haben auch Menschen mit einem Kontrollzwang. Symptomatisch für sie ist, dass sie diese als unerträglich empfinden.

Die Betroffenen befürchten, dass durch ihre Schuld ein schreckliches Unheil eintritt. Um dieses Unheil zu verhindern, überprüfen sie immer und immer wieder beispielsweise die Herdplatte. Oft sagen sie laut zu sich: "Der Herd ist aus". Doch ganz sicher sind sie sich nie. Sobald sie sich vom Herd entfernen, tauchen erneut angstvolle Gedanken auf, und sie müssen den Herd von Neuem überprüfen.

Ähnlich ergeht es ihnen mit Wasserhähnen, Lampen und Türen. Das Haus zu verlassen wird so zu einer Qual. Wenn sie es nach langem Hin und Her aus der Tür geschafft haben und den Schlüssel abziehen, drücken sie noch mehrmals an der Türklinke, um sicher zu sein, dass die Tür wirklich verschlossen ist. Manche müssen mehrfach umkehren und erneut alles überprüfen, wieder andere wollen ihre Wohnung gar nicht mehr verlassen, weil die Ängste zu stark sind.

Eine häufige Angst von Betroffenen mit Kontrollzwang ist auch, jemanden zu überfahren, ohne es zu bemerken. Sie fahren daher immer wieder denselben Weg ab, um sich zu versichern, dass kein Mensch durch sie verletzt worden ist.

Bewusstsein und Leiden

Menschen mit Zwangsgedanken oder -handlungen sind sich ihrer Beschwerden meistens bewusst. Sie halten sie selbst nicht für sinnvoll. Das führt zu zusätzlicher psychischer Belastung. Das Risiko für Suizidgedanken kann bei einer Zwangserkrankung erhöht sein.

Ob Zwangsgedanke oder Zwangshandlung - den Betroffenen ist die Unsinnigkeit ihres Denkens und Verhaltens durchaus bewusst, und sie schämen sich dafür. Sie versuchen immer wieder, dem Zwang Widerstand entgegenzusetzen, was jedoch nur kurzfristig und unter großer Kraftanwendung gelingt.

Personen mit Zwangsstörung fühlen häufig starke Scham darüber, dass sie diese Zwangshandlungen ausführen müssen. Durch diese Schamgefühle kann das Problem noch verstärkt werden, denn die Scham und das Verheimlichen der Zwänge kann die Diagnose und Behandlung der Zwangsstörung hinauszögern.

Menschen mit Kontrollzwang wissen, dass ihr Verhalten irrational ist, sind aber nicht in der Lage, es zu ändern. Die Kontrollhandlungen werden oft bis zur völligen Erschöpfung wiederholt.

Wie verläuft eine Zwangsstörung?

Eine Zwangsstörung entwickelt sich meist schleichend. Mit der Zeit fällt auch Betroffenen auf, dass sie sich viel Zeit für die Zwangshandlungen nehmen müssen oder Zwangsgedanken sehr schwer wieder weggehen. Durch die Zwangsstörung kann es zu Problemen in der Arbeit, der Partnerschaft oder der Familie kommen. Es fällt schwer, alltäglichen Verpflichtungen nachzugehen. Freizeitbeschäftigungen machen weniger Freude.

Die Zwangsstörung hat meistens einen chronischen Verlauf. Dabei gibt es mitunter Phasen, in denen die Beschwerden leichter oder schlimmer sind. Zwischendurch sind auch Phasen ohne Beschwerden möglich. Die Art und Weise der Zwänge verändert sich manchmal mit der Zeit.

Ursachen von Zwangsstörungen

Es wird in Fachkreisen angenommen, dass Zwangsstörungen unterschiedliche Ursachen haben. Diese können auch zusammenwirken. Zum Beispiel eine erbliche Veranlagung, psychische Belastungen oder schwierige Lebensumstände bzw. Krisen. Auch Persönlichkeitsfaktoren können eine Rolle spielen (z.B. besonders gewissenhaft sein).

  • Neurobiologische Modelle: Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass es bei einer Zwangsstörung zu Funktionsstörungen in manchen Teilen des Gehirns kommen kann (Frontalhirn, Basalganglien und limbisches System). Zudem dürfte es zu Störungen im Gehirnstoffwechsel bei dem Botenstoff Serotonin kommen.
  • Lerntheoretische Modelle: Diese gehen davon aus, dass Betroffene Angst- und Spannungszustände durch Zwangsrituale zu vermeiden oder zu verringern versuchen. Zudem führt die stark negative Bewertung von Zwangsgedanken zu Schuldgefühlen. Ein Teufelskreis aus Angst und Zwang entsteht.
  • Psychodynamische Modelle: Diese sehen mögliche Ursachen von Zwangsstörungen in inneren - oft unbewussten - Konflikten.

Betroffene haben eine genetische Veranlagung für die Zwangsstörung. Diese allein reicht aber nicht aus, tatsächlich einen Kontrollzwang zu entwickeln. Es müssen dafür noch weitere Faktoren hinzukommen wie traumatische Kindheitserfahrungen oder ein ungünstiger Erziehungsstil der Eltern. Eine wichtige Rolle spielt eine generelle Ängstlichkeit: Ängstliche Menschen tendieren besonders dazu, bedrohliche Gedanken sehr ernst zu nehmen. Sie wollen um jeden Preis verhindern, dass die Gedanken Wirklichkeit werden.

Zwangsstörungen wurden mit unterschiedlichen neurologischen Faktoren und insbesondere unregelmäßigem Serotoninspiegel in direkten Zusammenhang gebracht. Serotonin ist ein Botenstoff, der Nachrichten zwischen den Gehirnzellen weiterleitet.

Diagnose von Zwangsstörungen

Zu Beginn eines Diagnoseprozesses erfolgt die Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese). Dabei finden auch Fragen zu den Beschwerden und zur Lebensgeschichte (z.B. belastende Krisen, andere Erkrankungen, Medikamente etc.) Berücksichtigung. Auch eine klinisch-psychologische Diagnostik kann sinnvoll sein. Körperliche Ursachen für die Erkrankung (z.B. Demenz oder Schlaganfall) müssen durch eine Ärztin/einen Arzt ausgeschlossen werden (z.B. Zwangsstörungen werden in Österreich nach der ICD-10 (International Classification of Diseases) diagnostiziert. Auch Diagnosekriterien des internationalen sogenannten DSM-V können hinzugezogen werden.

Es gibt psychische Erkrankungen, die Zwangsstörungen sehr ähnlich sein können. Zum Beispiel eine generalisierte Angststörung. Bei dieser macht man sich über vieles sehr starke Sorgen und hat große Ängste in Bezug auf viele Lebenssituationen. Auch z.B. Tic-Störungen können einer Zwangsstörung sehr ähnlich sein bzw. Zudem kann eine Zwangsstörung gemeinsam mit anderen psychischen Erkrankungen auftreten. So leiden z.B. viele Betroffene auch unter Depressionen - vor allem im Erwachsenenalter. Essstörungen und Schizophrenie treten bei Menschen mit Zwangserkrankungen häufiger auf. In seltenen Fällen ist das zwanghafte Verhalten auf eine Persönlichkeitsstörung zurückzuführen (anankastische oder Zwangspersönlichkeitsstörung).

Ein Kontrollzwang ist eine spezielle Ausprägung einer Zwangsstörung. Ob eine solche vorliegt, ermittelt ein Therapeut mithilfe spezieller Fragebögen. Die Diagnose ist ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg, die Krankheit in den Griff zu bekommen und den Alltag wieder zu bewältigen.

Jeder Behandlung geht eine genaue Diagnostik (Differentialdiagnostik) voraus. Diese erfordert unter anderem eine fundierte Analyse der Zwangsgedanken und Rituale (z.B.: Schwankungen der Symptome; Erwartungen und Befürchtungen; Situationen, in denen die Zwänge auftreten; Situationen, die aufgrund der Zwänge vermieden werden). Dabei kommt es meist auch zum Einsatz von spezifischen psychologischen Fragebögen. Zudem wird ein individuelles Erklärungsmodell erstellt, welches Einsicht in die Entwicklung der Störung bietet. Dieses umfasst vorexistierende Risikofaktoren (z.B. Erziehungsstile in der Familie oder in der Schule, genetische Faktoren etc.) ebenso wie Auslöser (z.B. akute oder chronische Belastungen) und aufrechterhaltende Faktoren.

Behandlung von Zwangsstörungen

Mithilfe einer Therapie können die Symptome einer Zwangsstörung zumindest verringert werden. Somit ist wieder ein unbeschwerterer Alltag möglich. Zu den Säulen der Behandlung zählen Psychotherapie sowie Medikamente. Vorrangig wird Psychotherapie empfohlen.

Ein Gespräch mit einer Fachärztin/einem Facharzt für Psychiatrie (und psychotherapeutische Medizin) hilft, einschätzen zu können, ob und welcher Behandlungsbedarf besteht.

Psychotherapie

In vertrauensvollem Rahmen wird in der Psychotherapie über Probleme, Ängste und Sorgen gesprochen. Betroffene lernen, mit der Erkrankung umzugehen und das eigene Verhalten zu kontrollieren. Verhaltenstherapeutische Ansätze (vor allem aus der kognitiven Verhaltenstherapie) haben sich in der Behandlung von Zwangsstörungen besonders bewährt.

Die Psychotherapie bietet viele Möglichkeiten, um Patienten mit einer Zwangsstörung langfristig und effektiv zu behandeln. Je nach Ausprägung und Schweregrad der Zwänge kann es mitunter hilfreich sein, zusätzlich Medikamenten einzunehmen. Verhaltenstherapeutische Ansätze, bei denen Patienten bewusst bestimmten Reizen ausgesetzt werden und alternative bzw. neue und gesunde Reaktionsmuster erlernen, haben sich als vielversprechende Methode erwiesen.

Von den psychotherapeutischen Verfahren hat sich besonders die kognitive Verhaltenstherapie mit Konfrontationsübungen als effektiv erwiesen. Die Betroffenen lernen hier, sich ihren Ängsten zu stellen. Im Falle des Kontrollzwangs bedeutet dies zum Beispiel, das Haus zu verlassen, ohne mehrmals die Türe zu überprüfen.

Im Laufe der Therapie lernen Betroffene mithilfe des Therapeuten, sich auf ein normales Maß an Kontrollmaßnahmen zu beschränken, also auf sich selbst zu vertrauen. Denn Menschen mit Kontrollzwang zweifeln immer wieder an sich. Obwohl sie gerade die Tür verschlossen haben, sind sie sich im nächsten Moment bereits unsicher, ob sie auch sicher verriegelt ist. Die Betroffenen üben in der Therapie, dem Drang nach Kontrolle nicht nachzugeben. Mit der Zeit gewinnen sie dabei zunehmend an Sicherheit, und die Angst lässt nach.

Wie überwindet man einen Kontrollzwang? Das Haus nicht mehr zu verlassen, nicht mehr auf dem Herd zu kochen oder keine Kerzen mehr anzuzünden sind Vermeidungsstrategien, die den Kontrollzwang aufrechterhalten oder sogar verschlimmern. In der Therapie werden deshalb genau solche Strategien aufgedeckt und bearbeitet. Dabei hilft eine Psychotherapie in Kombination mit Medikamenten, wie selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI).

Medikamente

Ergänzend dazu oder wenn eine Psychotherapie (noch) nicht möglich ist, kommen Medikamente zum Einsatz. Und zwar sogenannte Antidepressiva. Diese Medikamente werden auch bei Depressionen eingesetzt. Vor allem SSRI (selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) kommen zum Einsatz. Die Ärztin/der Arzt kann zudem den Einsatz von Clomipramin (nicht selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) in Betracht ziehen. Die Ärztin/der Arzt klärt über Wirkung und mögliche Nebenwirkungen auf.

Bei der Behandlung mit Medikamenten haben sich vor allem jene Mittel durchgesetzt, die positiv auf die Stimmung wirken. Eine besonders gute Wirkung zeigen dabei Antidepressiva, die auf den Neurotransmitter Serotonin einwirken, sogenannte selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Die rein medikamentöse Therapie verspricht zwar eine recht zügige Besserung, doch treten die Zwänge eventuell nach Absetzen des Arzneimittels sehr bald wieder auf. Deshalb sollte eine Kombination von Medikamenten und Psychotherapie angewandt werden.

Weitere Behandlungsmöglichkeiten

Auch eine klinisch-psychologische Behandlung kann sinnvoll sein. Sie vermittelt gezielt Bewältigungsstrategien im Umgang mit den Zwängen. Manchen Menschen tut es zudem gut, Entspannungstechniken anzuwenden (z.B. Autogenes Training). Zudem kann der Austausch in einer Selbsthilfegruppe hilfreich sein. Ist die Erkrankung sehr stark ausgeprägt, ist auch ein stationärer Krankenhausaufenthalt oder eine Rehabilitation möglich.

Spezielle Techniken in der Verhaltenstherapie

Im Zentrum einer erfolgreichen Psychotherapie stehen spezielle Techniken, die darauf abzielen, den Betroffenen unter professioneller Aufsicht daran zu hindern, seine Rituale durchzuführen bzw. Im Rahmen der Übungen wird entweder stufenweise vorgegangen, oder der Betroffene wird sofort dazu aufgefordert, das zwanghafte Verhalten vollkommen zu unterdrücken. Auch wird die berufliche bzw. soziale Umgebung der Betroffenen analysiert. Nicht selten kommen dabei Probleme zum Vorschein, die die Zwangsstörung aufrechterhalten. In der Therapie werden dann Möglichkeiten gesucht, diese Lebensumstände, den Umgang mit problematischen Situationen und deren Bewertung zu verändern.

  • Exposition mit Reaktionsmanagement (ERM) bei Zwangshandlungen: Der Patient/Die Patientin wird mit einem angstauslösenden Stimulus (real oder in der Vorstellung) konfrontiert (Exposition) und darf seine/ihre Zwangsrituale nicht ausführen. Z.B.: Ein Patient/Eine Patientin, der/die unter einem ausgeprägten Waschzwang leidet, wird aufgefordert mit seiner/ihrer Hand den Straßenboden zu berühren und darf sich danach nicht waschen. Der Patient/Die Patientin soll lernen, die damit einhergehenden negativen Emotionen, Kognitionen sowie die erhöhte physiologische Erregung auszuhalten. Die Übung darf nicht abgebrochen werden, bevor der Patient/die Patientin einen Angstabfall erlebt.
  • Exposition mit Reaktionsmanagement (ERM) bei Zwangsgedanken: Dabei wird der schlimmste Zwangsgedanke (z.B. „ich töte mein Kind“) möglichst genau beschrieben: Das gefürchtete Ereignis soll in der Gegenwart, mit klaren Worten, in der Ich-Form und sehr detailreich - wie in einem Drehbuch - ausformuliert werden. Der Patient/Die Patientin verfasst einen ersten Entwurf zu Hause, welcher im Rahmen der Therapiestunde mit dem Therapeuten vervollständigt wird. Der Patient/Die Patientin wird aufgefordert, die angstbesetzte Geschichte - in Anwesenheit des Therapeuten - laut vorzulesen. Durch wiederholtes Vorlesen oder Anhören auch zu Hause, verliert die Geschichte ihre Bedrohlichkeit.
  • Prolongierte Exposition (bei Zwangshandlungen und/oder Zwangsgedanken): Zwangsinhalte entstehen nicht zufällig, sondern lassen sich auf belastende lebensgeschichtliche Ereignisse zurückführen. Diese Zusammenhänge sind dem Patienten/der Patientin oft nicht bewusst. Während der Exposition werden die auftretenden negativen emotionalen Zustände vom Therapeuten genauer hinterfragt, z.B.: „Woher kennen Sie diese Gefühle“, „haben Sie ähnliche Emotionen früher schon einmal erlebt?“, um so diese lebensgeschichtlichen Ereignisse der Erinnerung des Patienten/der Patientin zugänglich zu machen (Affektbrücke).

Funktionalität

Für eine erfolgreiche Behandlung ist die Frage nach der Funktionalität des Zwanges zentral. Das heißt es gilt zu klären, wofür der Zwang der Patientin „dienlich“ ist. Beispiele für mögliche Funktionen: Abgrenzung, Autonomie, der Zwang zur Bewältigung von Schuldgefühlen, Aggressionen, sozialer Ängste, einem mangelnden Selbstwert oder einer Depression; der Zwang als Schutz vor Verantwortung, zur Erlangung von Zuwendung oder Aufmerksamkeit etc.

Was können Angehörige tun?

Für Angehörige ist das Zusammenleben mit Menschen, die an einer Zwangsstörung leiden, nicht immer einfach. Es kann zum Beispiel zu herausfordernden Situationen oder Konflikten kommen. Angehörige können jedoch auch eine wichtige Unterstützung für Menschen mit einer Zwangsstörung sein und auch in die Behandlung mit einbezogen werden. Zudem gibt es Selbsthilfegruppen für Angehörige. In denen kann man sich z.B. austauschen, welches Verhalten hilfreich ist und welches eher nicht oder wie man auf sich selbst achten kann.

Wie können Betroffene zur Genesung beitragen?

  • Vertrauen Sie sich jemandem an.
  • Lassen Sie Ihre Zwänge nicht Ihr Leben bestimmen - gehen Sie dagegen vor!
  • Stärken Sie Ihre Ressourcen: Menschen brauchen einen sicheren Rückhalt. Stabile Beziehungen zu Freunden, Bekannten und Verwandten sind ein wichtiger Sicherheitsfaktor.
  • Welche Zwänge haben Sie?
  • Überprüfen und verändern Sie Ihre Einstellungen und Bewertungen und relativieren Sie Ihre Gedanken. Menschen mit Zwangsstörungen haben häufig das Bedürfnis, das Schicksal vollkommen kontrollieren zu müssen und sehnen sich nach 100%iger Sicherheit. Sie benötigen die Stützung Ihres Selbst und der Spontanität, nicht nur das Anstreben von Entweder-Oder-Lösungen.

Wo finden Betroffene Hilfe?

Die Hemmschwelle, Hilfe zu suchen, ist oft groß. Denn nicht selten werden die Zwänge als eigenartig empfunden und rufen Schamgefühle hervor. Doch Ansprechpartner für Zwangserkrankte können dies verstehen und helfen.

Wenn Sie den Verdacht haben, an einer Zwangserkrankung zu leiden bzw. Fachärztin/Facharzt für Psychiatrie (und psychotherapeutische Medizin) bzw. Sie können auch zuerst Ihre Ärztin/Ihren Arzt für Allgemeinmedizin kontaktieren und so gezielte Ansprechstellen finden.

Die e-card ist Ihr persönlicher Schlüssel zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Alle notwendigen und zweckmäßigen Diagnose- und Therapiemaßnahmen werden von Ihrem zuständigen Sozialversicherungsträger übernommen. Bei bestimmten Leistungen kann ein Selbstbehalt oder Kostenbeitrag anfallen.

Krankheitsverlauf und Prognose

Ein Kontrollzwang lässt sich aus eigener Kraft nur schwer besiegen. Betroffene sollten sich daher professionelle Hilfe suchen, und zwar möglichst früh. Denn je länger der Kontrollzwang besteht, desto schwieriger wird es, ihn zu bewältigen. Mit professioneller Hilfe stehen die Chancen aber gut, dass sich die Symptome des Kontrollzwangs deutlich bessern.

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