Warum es so schwerfällt, "Nein" zu sagen: Psychologische Ursachen und Lösungsansätze

Nein zu sagen fällt dir schwer und du stellst die Bedürfnisse anderer stets über deine eigenen? Grundsätzlich ist natürlich nichts verkehrt daran, auf sein Umfeld zu achten und nicht nur an sich selbst zu denken. Sollte das Ganze allerdings so weit gehen, dass du ein richtiger People Pleaser bist, solltest du achtsam sein. Dieses Verhalten kann dir langfristig schaden und dich in Situationen bringen, in denen du dich nie wiederfinden wolltest.

Was bedeutet es, ein People Pleaser zu sein?

People Pleaser wollen es anderen recht machen, indem sie sich übermäßig damit beschäftigen, wie sie für andere Menschen sein müssen. Das eigene Verhalten wird angepasst, die eigenen Gedanken, Überzeugungen und auch die eigenen Gefühle werden zurückgestellt oder einfach gänzlich unterdrückt. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine psychische Krankheit, sondern um ein festverankertes Verhaltensmuster, das wiederum auf Dauer zu psychischen Erkrankungen führen kann. Genau darum ist es wichtig zu hinterfragen, ob du manchmal einfach nur ein wenig zu nett oder tatsächlich ein People Pleaser bist. Dann ist es nämlich sehr wichtig, diese Thematik anzugehen, dich und deine Gefühle in den Fokus zu setzen und eine Balance zu schaffen.

Die Wurzeln des People Pleasing in der Kindheit

Der Grund für dieses Verhalten liegt in der Regel in der Kindheit begründet. People Pleasing resultiert aus andauernden Notsituationen, in denen es für die Betroffenen über einen langen Zeitraum notwendig war, sich anzupassen. So kann es schon in den ersten Lebensjahren notwendig gewesen sein, die Bedürfnisse der Bezugspersonen zu erfüllen, nicht aufzufallen, nicht zur Last zu fallen und auf keinen Fall "Ärger" zu machen. Das können extreme Situationen sein, kommt jedoch auch bei der generellen Erziehung vor, die auf die Gehorsamkeit des Kindes abzielt. Das Kind hat zu tun, was die Eltern verlangen - die eigenen Bedürfnisse und Gefühle werden immer wieder ignoriert. Liebe und Zuwendung der Bezugspersonen bzw. Eltern wird häufig danach vergeben, wie angepasst sich ein Kind verhält oder welche Leistungen es beispielsweise in der Schule erbringt. Genau das kann im Erwachsenenalter zu Problemen führen. Diese Menschen lernen nie, für sich selbst einzustehen und ein gesundes Verhältnis für die eigenen sowie die Bedürfnisse anderer zu schaffen.

6 Anzeichen, dass du ein People Pleaser bist

Du fragst dich, ob auch du davon betroffen bist? An den folgenden Anzeichen kannst du erkennen, ob du ein People Pleaser bist. Es ist wichtig, dieses Verhaltensmuster zu erkennen und zu durchbrechen, denn nur so kannst du nach deinen eigenen Bedürfnissen leben und glücklich sein.

  • Du kannst nicht nein sagen: Jemand bittet dich um einen Gefallen oder möchte dich zu etwas überreden, das du eigentlich gar nicht möchtest oder mit dem du dich überfordert fühlst? Wenn du trotzdem nicht nein sagen kannst, ist das ein eindeutiges Zeichen!
  • Du hast keine eigene Meinung: Du hast nie gelernt, dir eine eigene Meinung zu bilden und wenn du sie hast, rückst du nicht damit raus, um nicht negativ aufzufallen? Genau das tun People Pleaser!
  • Du fühlst dich für die Gefühle anderer verantwortlich: Du befindest dich mit einer oder mehreren Personen in einer Negativ-Situation und fühlst dich dafür verantwortlich, obwohl du überhaupt nichts dafür kannst? Das können schon ganz banale Dinge sein. Zum Beispiel, wenn du in einem Restaurant eine falsche Bestellung serviert bekommst oder zu lange warten musst. Du fühlst dich dafür verantwortlich, obwohl du damit gar nichts zu tun hast?
  • Du umgehst jeden Konflikt: Dir gefällt etwas nicht, du hast eine andere Meinung zu einem Thema oder du bist enttäuscht von einer Person? Trotzdem würdest du nie etwas sagen, denn du möchtest auf keinen Fall die Harmonie zerstören und den vermeintlichen Frieden bewahren.
  • Du hast enorme Angst vor Ablehnung: Deine größte Angst ist es, dass Menschen dich fallen lassen, wenn ihnen nicht passt, was du sagst oder wie du agierst? Ein weiteres deutliches Anzeichen dafür, dass du ein People Pleaser bist!
  • Du willst von allen gemocht werden: Dir ist die Meinung der anderen unglaublich wichtig? Was sie über dich denken und wie sie dich wahrnehmen? Zugegeben, so ganz egal ist das wahrscheinlich kaum jemandem von uns. Solltest du jedoch alles dafür tun, anderen zu gefallen, ist das kein gutes Zeichen.

Was du dagegen tun kannst, um kein People Pleaser mehr zu sein

Warum es so wichtig ist, dass du weniger angepasst bist? Es ist nichts dagegen auszusetzen, auf die Befindlichkeiten anderer zu achten und kein:e Egoist:in zu sein, ganz im Gegenteil. Jedoch nützt es niemanden etwas, wenn du dich verstellst und nicht du selbst bist. Du machst dich damit auf vielen unterschiedlichen Ebenen angreifbar und insbesondere toxische Menschen in deinem Umfeld haben leichtes Spiel. Das können Freund:innen sein, Partner:innen oder sogar dein:e Chef:in. Der Begriff "People Pleaser" mag auf den ersten Blick harmlos klingen, kann dich und dein Leben jedoch stark beeinträchtigen. Jeder Mensch hat das Recht darauf, seine eigenen Grenzen festzusetzen. Entweder andere sind bereit, diese einzuhalten oder sie haben nichts in deinem Leben zu suchen. Wenn du erstmal gelernt hast, für dich selbst mehr einzustehen wirst du merken, was das für ein tolles Gefühl ist - und dass die Menschen um dich herum dich trotzdem sehr gerne haben.

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Wer sich von dir abwendet, weil du nicht mehr gewillt bist, alles mitzumachen oder die Bedürfnisse anderer stets über deine eigenen zu stellen, hat so oder so nichts in deinem Leben zu suchen. Fokussiere dich auf Menschen, die es gut mit dir meinen und denen dein Wohlergehen ebenfalls wichtig ist. Menschen, mit denen du nicht immer dieselbe Meinung teilen musst, Menschen denen du nicht immer gefallen musst, und die dich trotzdem lieben.

Das kannst du tun, um kein People Pleaser mehr zu sein:

  • Werde dir deiner eigenen Grenzen bewusst.
  • Habe eine eigene Meinung und äußere sie auch.
  • Lerne, du selbst zu sein.
  • Lerne, auch mal nein zu sagen.
  • Erkenne deinen Selbstwert.

Solltest du Probleme haben, dieses Verhaltensmuster zu durchbrechen, suche dir professionelle Hilfe. Es kann gut sein, dass die Auslöser und Strukturen so tief in dir sitzen, dass es alleine kaum möglich ist, dieses Verhalten zu ändern. Und das ist auch überhaupt nicht schlimm.

Die Angst vor den Konsequenzen eines "Nein"

Wir wollen Unsicherheiten möglichst vermeiden. Also wenn wir uns nicht sicher sind, ob unser Gegenüber ein Nein überhaupt gut vertragen würde, dann kann es auch sein, dass die Sicherheits-Seite sagt: „Ja“ - weil wir gehen lieber auf Nummer Sicher - nicht, dass wir aus der Gruppe ausgeschlossen werden, weil dann erwischt uns ja der Säbelzahntiger („Überleben sichern“ ist der elementare Auftrag unseres Gehirns - das nimmt es auch entsprechend ernst, und stresst uns solange, bis wir wieder in Sicherheit sind). Wenn „Ja“ sagen schon zu einer Gewohnheit geworden ist, dann wählt unser Gehirn auch einfach diesen Weg, weil es den schon kennt. Denn unser Gehirn ist super happy, wenn es auf Automatismen zurückgreifen kann, zum Energie sparen. Quasi wie eine Autobahn, auf der man durchrauschen kann, ohne Hindernisse. Gewohnheiten zu ändern, kann deshalb ziemlich schwierig sein.

Tipps und Anregungen, um "Nein" sagen zu lernen

Hier sind einige Anregungen, die dir helfen können, "Nein" zu sagen:

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  1. Nimm dir Bedenkzeit: Du musst nicht auf der Stelle “ja” oder “nein” sagen, auch wenn der andere das gerne möchte. Sag ruhig: “Ich muss darüber einen Moment nachdenken."
  2. Finde heraus, warum es dir so schwerfällt, “nein” zu sagen: Klarheit darüber zu bekommen, was es uns ganz persönlich schwer macht, hilft dabei, genau diese Ängste, Bedenken o.ä. zu bearbeiten.
  3. Mach dir klar, welchen Preis du zahlst, wenn du “ja” sagst: Mach dir klar, was es dich eigentlich kostet, zu oft “ja” zu sagen. Weniger Zeit, Kraft, Energie u.ä.
  4. Erlaube dir, “nein” zu sagen: Du bist kein schlechter Mensch, wenn du eine Bitte ablehnst. Niemand kann ständig für alle bereit stehen.
  5. Lerne, auf sanfte Art “nein” zu sagen: Wichtig beim Nein-sagen ist vor allem klar zu sein, aber dabei nicht harsch.

Gesunde Grenzen setzen

Grenzen zu setzen hilft dir dabei, deine physische, sowie mentale Gesundheit zu schützen. Ich beschreibe Grenzen gerne als „der Raum wo du anfängst und der/die Andere endet“. Grenzen können zu stark, zu schwach oder gar nicht vorhanden sein, was sich jeweils unterschiedlich auswirkt. Während zu starke Grenzen zum Verlust von Verbindungen durch zu starkes Distanzieren führen kann, führen zu schwache Grenzen zu einem (Teil-)Verlust des Ichs.

Wenn man keine Grenzen kennt oder setzen kann, dann vermischen sich Emotionen, Wertvorstellungen, Überzeugungen und sogar Ziele von anderen Menschen mit den eigenen. Gesunde Grenzen hingegen erlauben es dir, eine stabile und feste Bindung zu einem Menschen aufzubauen und gleichzeitig du selbst zu bleiben. Diese Grenzen definieren wie nah dir jemand kommen darf und wie dich jemand berühren darf. Du schützt dein Recht auf deine Meinung. Hier wird definiert was deine Gefühle sind und was die Gefühle anderer Menschen sind. Du schützt deine Energie und bestimmst, wer dich wann anrufen und deine Zeit in Anspruch nehmen darf.

Beispiele für gesunde Grenzen

Hier findest du ein paar Beispiele, wie gesunde Grenzen aussehen können. Versuch dich in diese Situationen hinein zu versetzen und frag dich ganz ehrlich, wie du reagiert hättest. Achte dabei auch darauf, welche Gefühle hochkommen, wenn du dir das vorstellst. Vielleicht sind es unangenehme Gefühle, wie Trauer, Schuldgefühle oder Unwohlsein? Vielleicht sogar etwas Angst, wenn du daran denkst, wie es dir dabei ergehen würde.

Situation 1:

Person A: Wie konntest du mich nur vor dem Chef so blosstellen, ich dachte wir wären Freunde!

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Person B: Ja, natürlich sind wir das, aber in deinen Daten war ein Fehler und ich musste darauf aufmerksam machen.

Person A: Aber du musst mir immer den Rücken decken und du kannst mir nicht einfach vor allen widersprechen!

Person B: Ich schätze dich sehr als Freund, aber ich muss meinen Job machen und du deinen, ganz einfach.

Person A: Ich mache meinen Job eh!

Person B: Gut, dann sollte es eh keine Rolle spielen, was ich sage.

Situation 2:

Mutter: Ich bin so traurig und einsam, weil du mich so selten besuchen kommst.

Tochter: Warum unternimmst du nicht mehr mit Freunden? Lerne neue Menschen kennen!

Mutter: Habe ich doch versucht, aber niemand mag eine alte Frau wie mich. Du bist meine Tochter, du musst dich um mich kümmern.

Tochter: Das mache ich doch, Mama!

Mutter: Nein, tust du nicht! Du reist ohne mich herum und verbringst ständig Zeit alleine. Du weißt nicht, wie schwer es manchmal für mich ist!

Tochter: Doch, das verstehe ich. Ich liebe dich und ich werde immer für dich da sein, aber es nicht mein Job dich ständig zu unterhalten. Du bist immer noch selbst verantwortlich für dein Leben, ob du einsam bist oder nicht.

Situation 3:

Person A: Ich habe deine Bewerbung und deinen Lebenslauf meinen Chef gegeben, vielleicht stellt er dich an.

Person B: Aber ich will doch gar nicht in deiner Firma arbeiten.

Person A: Aber ich möchte, dass du erfolgreich und glücklich bist! Ich habe auch nach einer gemeinsamen Wohnung geschaut, damit wir nicht so viel Miete zahlen müssen.

Person B: Aber ich sagte doch, dass ich nicht bereit dazu bin!

Person A: Ja, aber es ist das Sinnvollste! Außerdem werden wir nicht jünger!

Person B: Zuerst sagst du mir, was ich anziehen soll, dann entscheidest du wo ich arbeiten soll und nun sollen wir zusammenziehen obwohl ich das nicht will?

Person A: Ja, aber ich liebe dich, ich will doch nur das Beste für dich!

Person B: Ich dich auch, aber ich möchte die Dinge auf meine Weise tun und ich möchte, dass meine Wünsche respektiert werden. Du kannst nicht solche Entscheidungen für mich treffen und mein Leben kontrollieren.

Person A: Du bist so egoistisch! Ich tue alles für dich und jetzt gibst du mir auch noch die Schuld!

Person B: Wenn du mich wirklich liebst, dann hör auf, mein Leben zu bestimmen und respektier meine Wünsche bitte auch!

Fazit

In einer Welt ständiger Erreichbarkeit und hoher Anforderungen wird die Fähigkeit, gesunde Grenzen zu setzen und achtsam mit sich selbst umzugehen, immer wichtiger. Selbstfürsorge ist dabei keine Selbstsucht, sondern eine notwendige Voraussetzung für psychische Gesundheit und erfüllende Beziehungen.

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