Immer mehr Menschen klagen über die krankmachende psychische Belastung am Arbeitsplatz. Zu viel Arbeit bei zu wenig Zeit, lange Arbeitstage, eine dünne Personaldecke, Freundlichkeitsdruck, Umstrukturierungen und vieles andere mehr kennzeichnen den Arbeitsalltag vieler Arbeitnehmer:innen.
Auswirkungen psychischer Belastung
Arbeitsbedingte psychische Belastung kann zu Fehlbeanspruchung führen und krank machen. Eine Folge können etwa psychische Erkrankungen, wie Depressionen oder Angststörungen, sein. Aber auch psychosomatische Störungen (Verdauungsbeschwerden, Herzbeschwerden, Kopfschmerzen etc.) und körperliche Erkrankungen wie Muskel- und Skeletterkrankungen bis hin zu einem erhöhten Herzinfarktrisiko können die Folge von psychisch ungünstig gestalteter Arbeit sein.
Ein weiteres Risiko stellen psychosoziale Auswirkungen, wie etwa ein erhöhter Nikotin-, Alkohol- und Medikamentenkonsum, Unzufriedenheit, Resignation, innere Kündigung oder Leistungsminderung dar. Oft vergessen wird auch: Krankmachende psychische Belastung am Arbeitsplatz verursacht hohe Kosten für Betriebe und Volkswirtschaft. Rund 3,3 Milliarden Euro betragen die gesamtwirtschaftlichen Kosten der resultierenden Krankenstände jährlich.
Zunahme von Krankenstandstagen
Die Krankenstandstage durch psychische Erkrankungen haben seit 1994 deutlich zugenommen. Auch die auf diesen beruhenden Invaliditätspensionen haben einen bedenklichen Anteil erreicht: Seit Mitte der 1990er-Jahre haben sich die Krankenstandstage aufgrund psychischer Krankheiten und Verhaltensstörungen verfünffacht (siehe Tabelle unten). Beinahe 45% der Invaliditätspensionen sind durch psychische und Verhaltensstörungen bedingt.
Die drastische Zunahme der Krankenstände aufgrund psychischer Erkrankungen ist die bei weitem auffälligste Entwicklung im Krankenstandsgeschehen. Erstmals macht diese Krankheitsgruppe schon mehr als zehn Prozent an allen Krankenstandstagen aus.
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Ein durchschnittlicher Krankenstand aufgrund einer psychischen Erkrankung dauerte im vergangenen Jahr 41 Tage. Im Vergleich dazu dauert ein durchschnittlicher Krankenstand beim klassischen grippalen Infekt lediglich fünf Tage. Generell lässt sich sagen, dass innerhalb des rückläufigen Krankenstands die psychischen Erkrankungen als Ursache für Arbeitsunfähigkeit einen immer größeren Raum einnehmen. Dabei stagnieren die Muskel-Skelett Erkrankungen schon seit über 20 Jahren auf konstant hohem Niveau. Hier zeichnet sich keinerlei Rückgang ab.
Veränderung der Krankenstandstage von 1994 bis 2023
Die folgende Tabelle zeigt die Veränderung der Krankenstandstage von 1994 bis 2023, gerundet auf Tausend:
| Krankheitsgruppen | 1994 | 2023 | Veränderung absolut | Veränderung in % |
|---|---|---|---|---|
| Insgesamt | 40.211.000 | 56.088.000 | + 15.877.000 | + 39,5% |
| Psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen | 1.063.000 | 5.776.000 | + 4.713.000 | + 443,4% |
Hauptursachen für psychische Belastungen
Zeitdruck in der Arbeit gilt als die Hauptursache für psychische Belastungen von Arbeitnehmer:innen. 40 Prozent der Beschäftigten, die unter Zeitdruck stehen, weisen mehrfache psychische Belastungen auf. Bei 21 Prozent hat dieser bereits zu starken psychischen Beeinträchtigungen geführt. Stress und psychische Belastungen in der Arbeitswelt haben stark zugenommen, weil immer weniger Beschäftigte mehr Aufgaben schneller und in besserer Qualität erbringen müssen.
29 Prozent aller Beschäftigten in Österreich gelten bereits als „psychisch höher belastet“, zehn Prozent davon als „sehr hoch“, so das Ergebnis des Arbeitsgesundheitsmonitors. Dabei gelten Stressempfinden/Druck, Demotivation, Unfähigkeit abzuschalten, Depressivität, Gefühl der Erschöpfung und Überlastung, Gereiztheit und das Gefühl der Sinnleere als psychische Belastungsfaktoren.
Eine kürzlich europaweit durchgeführte Meinungsumfrage verdeutlicht die Meinungen von Arbeitnehmer:innen bezüglich arbeitsbedingtem Stress in Europa:
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- 72 Prozent der Arbeitnehmer:innen sehen in Change-Prozessen oder durch drohende Arbeitsplatzverluste häufige Gründe für arbeitsbedingten Stress.
- 66 Prozent schieben Stress den geleisteten Stunden oder der Arbeitsbelastung zu.
- 59 Prozent sehen die Ursache von Stress darin, inakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing oder Belästigung ausgesetzt zu sein.
- 51 Prozent gaben an, dass arbeitsbedingter Stress an ihrem Arbeitsplatz häufig auftritt.
- Rund vier von zehn Arbeitnehmer:innen sind der Ansicht, dass Stress an ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt wird.
Die Rolle der Arbeitgeber:innen
Arbeitgeber:innen haben eine Schutzverpflichtung für die Arbeitnehmer:innen. Das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) stellt klar: Auch die arbeitsbedingte psychische Belastung ist Teil der betrieblichen Arbeitsplatzevaluierung. Arbeitgeber:innen müssen beeinträchtigende Arbeitsbedingungen ermitteln, beurteilen und durch wirksame Schutzmaßnahmen ausschalten oder zumindest reduzieren. Ein Umdenken ist daher gefragt - Betriebe müssen wirksame Maßnahmen ableiten, die den Druck auf die Beschäftigten stark verringern.
Verpflichtender Schutz vor arbeitsbedingten psychischen Gefahren durch Arbeitgeber:innen
Arbeitgeber:innen sind verpflichtet für Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten im Bezug auf alle Aspekte die die Arbeit betreffen zu sorgen. Arbeitgeber:innen haben sich unter Berücksichtigung der bestehenden Gefahren durch physische und psychische Belastungen über den neuesten Stand der Technik und der Erkenntnisse auf dem Gebiet der Arbeitsgestaltung entsprechend zu informieren.
Was sind psychische Erkrankungen
„Psychische Störungen stellen Störungen der psychischen Gesundheit einer Person dar, die oft durch eine Kombination von belastenden Gedanken, Emotionen, Verhaltensweisen und Beziehungen zu anderen gekennzeichnet sind.“ (WHO, 2019, S.1) Häufig haben psychische Störungen mehrere Ursachen gleichzeitig. Das heißt, sie lassen sich nicht auf einen einzelnen Grund zurückführen, sondern müssen ganzheitlich betrachtet werden.
Die gängigsten arbeitsbedingten psychischen Erkrankungen sind:
- Depressionen
- Angststörungen
- Burnout-Syndrom (Einstufungsdiagnose)
Darüber hinaus gibt es Zusammenhänge von arbeitsbedingten, psychischen Belastungsfaktoren zu einigen somatoformen und psychosomatischen Störungen. Auch Suchterkrankungen (z.B. Alkoholsucht) und Schlafstörungen können von der Arbeit mitbedingt sein.
Was sind gängige arbeitsbedingte Einflussfaktoren (Auszug)
- „Job Strain“ (Hohe Anforderung bei zu geringem Tätigkeitsspielraum)
- Geringe soziale Unterstützung
- Arbeitsplatzunsicherheit
- Gewalt
- Geringe Bedeutsamkeit der Arbeit
- Schwierige Emotionsarbeit
- Geringe Entwicklungsmöglichkeiten
- Überlange Arbeitszeiten
- Belastung durch Schichtarbeit
- Belastung durch Wochenendarbeitszeit
- Überwiegend durch Arbeitgeber:innen bestimmte Arbeitszeitvariabilität
- Arbeitsbezogene erweiterte Erreichbarkeit
- Unzureichende Arbeitspausen
Die gesetzlich verpflichtende Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastung
Die gesetzlich verpflichtende Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastung kann dabei helfen, gefährliche psychische Arbeitsbedingungen zu erkennen und durch geeignete Maßnahmen an der Quelle zu bekämpfen.
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Die Evaluierung erhebt die arbeitsbedingten psychischen Belastungen
Die Evaluierung erhebt die arbeitsbedingten psychischen Belastungen. Es geht dabei um die Bedingungen, unter denen die Arbeit erfolgt. Arbeitszufriedenheit, Stress, Leistung oder ähnliche Faktoren von einzelnen Mitarbeiterinnen bzw.
Evaluiert werden konkrete Einflussfaktoren aus folgenden Dimensionen (lt. § 3 Abs.
- Arbeitsaufgabe und Tätigkeiten (z. B.
- Arbeitsorganisation (z. B.
- Arbeitsumgebung (z. B.
- Organisationsklima (z. B.
Positive Krankenstandsstatistik ist mit Vorsicht zu genießen
Die Entwicklung der Krankenstände ist ein wichtiger gesundheitspolitischer Indikator. Allerdings spiegelt dieser nicht automatisch das gesundheitliche Wohlbefinden der Arbeitnehmer_innen wider. So können sich etwa die zunehmende Bereitschaft, krank arbeiten zu gehen (Präsentismus), sowie frühzeitige Austritte aus dem Erwerbsleben von Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen vorteilhaft auf die Krankenstandsstatistik auswirken.
Stress kostet
Stress ist das zweithäufigste arbeitsbedingte Gesundheitsproblem in der Europäischen Union. 51 Prozent der Arbeitnehmer_innen meinen, dass arbeitsbedingter Stress an ihrem Arbeitsplatz häufig sei, so die gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz in Europa bei der Arbeit 2013.
Ein Umdenken ist gefragt
Während es einen weitgehenden gesellschaftlichen Konsens darüber gibt, dass psychische Belastung mit dem Wandel der Arbeit zunimmt, mangelt es teilweise an erfolgreichen betrieblichen Strategien im Umgang mit dieser Thematik. Bislang gibt es immer noch sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber was unter „psychischer Belastung“ zu verstehen ist.
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