Intelligenzverlust bei Depression: Ursachen und neue Forschungsansätze

Depressionen sind eine weit verbreitete psychische Erkrankung, von der schätzungsweise vier Millionen Deutsche betroffen sind. Bis zum 65. Lebensjahr haben gut zehn Millionen Menschen eine Depression erlitten, so das Bundesgesundheitsministerium. Die Krankheit ist durch Stimmungseinengung, Antriebshemmung, Denkhemmung und Schlafstörungen gekennzeichnet. Auch Konzentrationsschwäche und Ängstlichkeit können als Symptome einer akuten Depression gelten. Anstellte des „sowie“ sollte zukünftig wohl besser ein „oder“ stehen, denn für die beiden Symptomkomplexe wurden nun unterschiedliche Ursachen identifiziert.

Ursachen von Depressionen

Die Ursachen depressiver Erkrankungen sind komplex und nur teilweise verstanden. Es gibt vielfältige Gründe und Ursachen, die nicht leicht zu erkennen sind. Depressionen werden häufig ausgelöst durch einschneidende Lebensereignisse oder besondere Belastungen. Es ist seit vielen Jahren bekannt, dass in der Depression vorübergehende Veränderungen im Gehirnstoffwechsel auftreten. Dabei geraten diejenigen „Botenstoffe“ aus dem Gleichgewicht, die für unsere Gedanken, Gefühle, die Körperfunktionen und unser Handeln ausschlaggebend sind.

Familien-, Zwillings- und Adoptionsstudien belegen eine genetische Disposition für Depression. Zwillingsstudien zeigen, dass im Vergleich zu Effekten der gemeinsamen familiären Umgebung genetischen Faktoren eine entscheidende Bedeutung zukommt. Die Zwillingsstudien zeigen umgekehrt auch, dass die genetische Komponente nur ein Teilfaktor ist. Selbst bei identischer genetischer Ausstattung (eineiige Zwillinge) erkrankt der Zwillingspartner des depressiven Patienten in weniger als der Hälfte der Fälle. Beim Entstehen einer Depression spielen immer auch Umweltfaktoren eine Rolle.

Es ist schon länger bekannt, dass ein Mangel der Hormone/Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin im Gehirn Depressionen verursacht. Doch „bei Serotonin waren das eher depressive Verstimmung, Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit; bei Noradrenalin eher Antriebsmangel, Konzentrationsschwächen und Ängstlichkeit.“ erläutert der Psychiater Dr. med. Philipp Homan vom Universitätsklinikum Bern (Schweiz) den Unterschied der beiden Hormone.

Bislang wurde bei Depression nicht unterschieden, ob die Beschwerden auf einen Mangel an Serotonin oder einen Mangel an Noradrenalin zurückzuführen sind. Eine solche Differentialdiagnostik ist jedoch anhand der Depressionssymptome durchaus möglich, so das Ergebnis einer Studie der Abteilung für Molekulare Psychiatrie des Zentrums für Translationale Forschung der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Bern (Schweiz).

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Um die Symptome einem der beiden Depressionstyp zuzuordnen, wurden bei den Versuchspersonen die Serotonin- respektive Noradrenalin-Speicher experimentell geleert (reduziertes Angebot der Aminosäure Tryptophan bewirkt weniger Serotonin; Catecholamin-Mangel entspricht weniger Noradrenalin). Bei den Depression-Patienten entwickelten sich daraufhin wieder Depressionssymptome; die Vergleichspersonen blieben weiterhin frei von Beschwerden. Doch je nachdem, welcher Neurotransmitter experimentell verringert wurde, traten unterschiedliche Symptome in den Vordergrund:

  • Serotonin-Mangel: depressive Verstimmung, Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit
  • Noradrenalin-Mangel: Antriebsmangel, Konzentrationsschwächen und Ängstlichkeit

In seinem Fazit verweist Prof. Dr. med. Gregor Hasler auf den konkreten Nutzen für Menschen, die unter Depression leiden: „Dieses neue Verständnis für den individuellen Krankheitsverlauf könnte uns dabei helfen, künftige medikamentöse Behandlungen gezielt auf einzelne Patienten abzustimmen.“ und dadurch ihre Wirksamkeit zu erhöhen.

Kognitive Störungen bei Depression

Kognitive Störungen sind im Rahmen einer Major Depression (MD) vorhanden und wurden in den letzten Jahren vermehrt untersucht. Die häufigsten kognitiven Beeinträchtigungen, die bei depressiven Patienten auftreten, sind Konzentrationsstörungen, Aufmerksamkeitsstörungen, Informationsverarbeitungsstörungen, Beeinträchtigungen der exekutiven Funktionen und des Gedächtnisses. Kognitive Störungen beeinflussen auch Alltagsaktivitäten und die Lebensqualität.

Bisherige Studien zeigen im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen, dass sich Patienten mit einer MD in bestimmten kognitiven Bereichen unterscheiden. Ebenso zeigen Verlaufsstudien kognitive Defizite vor und nach einer Remissionsphase einer depressiven Episode. Zusätzlich stark beeinträchtigt zeigten sich die exekutiven Funktionen in den Bereichen Flexibilität der Aufmerksamkeit, verbale Wortflüssigkeit und kognitive Flexibilität bei depressiven Patienten. In Abhängigkeit von der Schwere der Erkrankung fanden sich Defizite vor allem in den Bereichen psychomotorische Geschwindigkeit, visuelles und verbales Lernen und Arbeitsgedächtnis.

Es gibt Evidenz dafür, dass kognitive Defizite bei depressiven Patienten deutliche Auswirkungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit haben. Studien zeigten, dass neben der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit auch der Verlust des Arbeitsplatzes vermehrt mit kognitiven Störungen verbunden ist. Da nach der Remission der klinischen Symptomatik kognitive Defizite wie exekutive Funktionen, Arbeitsgedächtnis, Aufmerksamkeit und psychomotorische Fähigkeiten andauern, haben besonders diese Beeinträchtigungen Auswirkungen auf die Leistungen am Arbeitsplatz.

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Bei kognitiven Fähigkeiten sind sowohl vielfältige Neurotransmittersysteme sowie neuronale Regelkreise involviert. Der Hippokampus spielt eine zentrale Rolle bei Lern- und Gedächtnisprozessen, weist wichtige Verbindungen zu den kortikalen Regionen auf und spielt eine wesentliche Rolle in der Integration von kognitiven und emotionalen Abläufen. In der Verarbeitung von Emotionen ist weiters auch das limbische System, besonders die Amygdala, involviert.

Strukturelle Defizite zeigen sich bereits in der Frühphase der depressiven Erkrankung, es konnten vor allem strukturelle Veränderungen im Hippokampus und der Amygdala festgestellt werden. Bei Patienten, die mehrere Krankheitsphasen hatten oder deren Erkrankung länger als zwei Jahre andauerte, fanden sich Abnahmen im Volumen des Hippokampus. Diese strukturellen Veränderungen korrelieren mit kognitiven Störungen, wie in einer Studie mit Ersterkrankten gezeigt werden konnte.

Bei kognitiven Störungen spielen folgende Neurotransmittersysteme eine wichtige Rolle: das serotoninerge (5-HT), noradrenerge (NA) and dopaminerge (DA) Neurotransmittersystem. Zusätzlich sind bereits das Gleichgewicht zwischen Glutamat und GABA sowie BDNF untersucht worden.

Kognitive Störungen bei Depression
Kognitive Funktion Beeinträchtigung
Konzentration Störungen
Aufmerksamkeit Störungen
Informationsverarbeitung Störungen
Exekutive Funktionen Beeinträchtigungen
Gedächtnis Beeinträchtigungen

Neue Forschungsansätze und personalisierte Therapien

Forschende am Institut für Psychologie beteiligen sich an einem europäischen Großprojekt, das künstliche Intelligenz einsetzt, um Depressionen zu erforschen und Strategien für personalisierte Therapien zu entwickeln. Der Schwerpunkt der österreichischen Gruppe liegt auf der Analyse von Gehirnscan-Daten. Eine internationale Datenplattform soll mithilfe künstlicher Intelligenz ein neues Verständnis von Depression ermöglichen.

Die Analyse der fMRT-Aufnahmen durch Vivianis Team hat Faktoren in den Fokus gerückt, die traditionell als „physiologisches Rauschen“ oder Störfaktoren galten. Die Forschenden untersuchten, welche nützlichen Informationen aus den als Gehirnaktivität dokumentierten Signalen zu gewinnen sind. Sie verglichen Aufnahmen aus dem gesamten Gehirn mit dem dünnen Bereich des Schädelknochens, in dem es keine Neuronen, wohl aber Gefäße gibt. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass wir neben dem Cortex auch andere wichtige Signale haben, die nicht von Neuronen stammen“, erklärt Viviani. Er vermutet dahinter einen Mechanismus des unwillkürlichen Nervensystems, der gleichzeitig auf die Durchblutung des Gehirns und des Schädelknochens wirkt. Wie sich diese Unterschiede auf die Verarbeitung emotionaler Reize auswirken, die auch in der Depression anders wahrgenommen werden, soll in weiteren Studien untersucht werden.

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Darüber hinaus beteiligt sich Viviani im Rahmen der Kooperation an Studien zum individuell unterschiedlichen Ansprechen auf Psychopharmaka, insbesondere Antidepressiva. Die internationale Zusammenarbeit sieht er als entscheidend an, um solche umfassenden Datenplattformen zusammenstellen zu können. „Wir brauchen die Daten aus der Gesundheitsversorgung, vor allem in der Ära der KI“, ist Viviani überzeugt, auch wenn nationale Datenschutzvorgaben den Austausch von sensiblen Informationen teilweise stark einschränken.

In einer neuen Studie haben Wissenschaftler*innen um Alexander Karabatsiakis vom Institut für Psychologie der Universität Innsbruck einen starken Zusammenhang zwischen der Schwere einer Depression und dem Gehalt des Stresshormons Kortisol in Haaren beobachtet. Studien haben bereits gezeigt, dass Menschen, die an einer Depression erkrankt sind, einen erhöhten Kortisolspiegel im Haar aufweisen können. Hierbei wurden stark erhöhte Kortisolspiegel im Vergleich zu Personen mit und ohne Depressionen nachgewiesen. Diese erste Beobachtung könnte neue Impulse im Bereich der Depressionsforschung, aber auch der Suizidprävention setzen, da Suizidalität besonders bei Menschen mit Depressionen eine sehr ernstzunehmende Komplikation darstellen kann.

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