EMDR bei Zwangsstörungen: Studien und Therapieansätze

Die Autorinnen, selbst tätig als Psychotrauma-Therapeutinnen, beschreiben die Herausforderungen in der therapeutischen Arbeit mit komplex traumatisierten KlientInnen. Dabei werden sowohl Faktoren der Therapie selbst (Beziehung, Kontinuität, Support u. a. m.) als auch Faktoren der Kontexte (Gesundheitssystem, Finanzierungssysteme, Helfende u. a. m.) betrachtet. Zusätzlich wird auf Herausforderungen in der professionellen Rolle (Vernetzung, Supervision, Stresstoleranz etc.) eingegangen.

Die praktischen Problemstellungen, die in der Arbeit mit traumatherapeutischem Schwerpunkt häufig auftreten, ergeben sich zum einen aus der speziellen Dynamik der Arbeit mit komplex traumatisierten KlientInnen. Zum anderen sind es Faktoren des Gesundheitssystems, die die Arbeit mit diesen KlientInnen massiv erschweren können.

Wir beschreiben in unserem Beitrag die Arbeit v. a. mit jenen KlientInnen, die nach gängiger Fachliteratur und Diagnostik (Interview zur komplexen posttraumatischen Belastungsstörung, IkPTBS (Sack 2001)) als „komplex traumatisiert“ gelten. Der Begriff „komplex traumatisiert“ wurde erstmals von der amerikanischen Traumaforscherin Judith Herman vorgeschlagen, um die vielfältigen Symptome des Störungsbildes als Folge chronischer Traumatisierung zu erfassen (Herman 1992; Sack 2001). Die Diagnose „komplex traumatisiert“ ist gerechtfertigt, wenn Menschen neben dem Erlebnis traumatischer Erfahrung(en) auch Veränderungen in der Affektregulation und Impulskontrolle, in der Selbstwahrnehmung, in Aufmerksamkeit und Bewusstsein, Beeinträchtigungen in der Wahrnehmung und Gestaltung der Beziehung zu anderen Menschen, Veränderungen persönlicher Glaubens- und Wertvorstellungen sowie somatische Symptome aufweisen.

Es sind auch bei diesen KlientInnen in unterschiedlichem Ausmaß zur PTBS bzw. Traumatisierung weitere Komorbiditäten wie beispielsweise Depression, Sucht, Zwang oder dissoziative Phänomene vorhanden, die Behandlung in freier Praxis gestaltet sich dem entsprechend herausfordernd.

Für die Behandlung einer PTBS (und folglich auch assoziierter Folgestörungen, Anm. der Autorinnen) lautet die Empfehlung der nationalen Versorgungsleitlinie S3 zur PTBS in Deutschland, welche von den führenden Trauma-Fachgesellschaften Deutschlands unter Einbezug hochqualifizierter ExpertInnen erstellt wurde: „Eine traumaadaptierte Psychotherapie soll jedem Patienten mit PTBS angeboten werden“ und „Die behandelnden Psychotherapeutinnen sollen über eine traumatherapeutische Qualifikation verfügen“ (Flatten et al.

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Eine grundlegende Herausforderung in der therapeutischen Praxis stellt bereits das Erkennen einer komplexeren traumabedingten Folgestörung dar.

Weiters kann beispielsweise die Abgrenzung der Diagnose PTBS u. a. von folgenden assoziierten Diagnosen erforderlich sein: akute Belastungsreaktion, Angststörungen, komplexe Trauma-Folgestörung, Anpassungsstörung, komplizierte Trauer (Köllner und Maercker 2011). Nach Angaben der Leitlinie S3 Posttraumatische Belastungsstörung (Flatten et al. 2011) zählen zu den PTBS verwandten Störungsbildern: die akute Belastungsreaktion, die Anpassungsstörung, sowie die andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung.

Abgesehen davon wird eine (Differenzial-) Diagnose oft erst im Laufe der Therapie möglich - weil Informationen nur vertrauten TherapeutInnen gegeben oder erst durch therapeutische Interventionen zugänglich werden.

Immer wieder berichten KlientInnen von entwürdigenden Erfahrungen durch Ungeduld, Kritik, mangelndem Verständnis im Rahmen von Kontakten mit Helfersystemen. Diagnostik-Termine oder Kontrollen im Rahmen von Kassenbegutachtungen führen bisweilen zu Irritation, gar Krisen.

Traumatisierte KlientInnen reagieren im neuen Umfeld möglicherweise emotional instabil und verteidigend oder mit Verschlechterung anderer Symptome. Dies kann als Widerstand gewertet werden - die KlientInnen werden unter Umständen entwertet, vorzeitig entlassen, nach Hause geschickt.

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Bindungstraumatisierungen (vgl. Brisch 2017) in früher Kindheit haben häufig massive Folgen für die Beziehungsgestaltung auch im „Alltag“ der therapeutischen Beziehung (Stichwort „Übertragung“).

Stabilisierung und Ressourcenaufbau sowie auch Theragnose (Petzold 1974) als wichtige Bausteine Trauma-therapeutischen Arbeitens benötigen oft viele Sitzungen.

Eine jüngst veröffentlichte Studie zur psychotherapeutischen Versorgungsrealität komplex traumatisierter Menschen in Deutschland ergibt hierzu alarmierende Ergebnisse: als Auswirkungen einer längeren unfreiwilligen Unterbrechung der (voll kassenfinanzierten) ambulanten Psychotherapie aufgrund der Kassenfinanzierungsvorgaben gaben 74,5 % der Betroffenen an, die Unterbrechung für den Heilungsprozess nicht hilfreich erlebt zu haben. 80,1 % gaben Behinderungen im therapeutischen Prozess an oder erlebten sich in diesem zurückgeworfen. Mehr als zwei Drittel der Befragten (68,5 %) gaben einen Vertrauensverlust in die therapeutische Beziehung an. 82,6 % beobachteten verstärkt somatische Symptome oder neue. Es wurde erhöhter Bedarf an medikamentöser Behandlung bei 54,1 % sowie eine Zunahme von selbstverletzendem Verhalten bei 61,8 % erhoben.

Die Anzahl von fundiert traumatherapeutisch weitergebildeten PsychotherapeutInnen mit Kassenplätzen ist jedoch extrem gering.

Zusätzlich gibt es methodische Anforderungen an das Setting. Gerade bei Trauma-konfrontativen Verfahren wie z. B. EMDR sind oft Doppeleinheiten sinnvoll.

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Dr. Karsten Böhm arbeitet als leitender Psychologe an der Privatklinik Friedenweiler im Hochschwarzwald (Deutschland), die als Akutklinik einen Schwerpunkt auf Trauma- und Zwangsbehandlungen hat. Er ist EMDR Supervisor und Facilitator. Seit 2004 beschäftigt er sich neben Studien zu PTSD intensiv mit der Psychotherapieforschung von Zwangsstörungen. An der Freiburger Universitätsklinik führte er innerhalb der Forschungsgruppe bis 2009 u. a. klinische Studien zum Einsatz von EMDR, zu Dissoziationsneigungen und zur Versorgungsforschung bei Zwängen durch. Dr. Böhm ist Mitglied der Leitlinienkommission der DGPPN zu Zwangsstörungen, die die erste deutsche S3-Leitlinie zur Behandlung von Zwängen ausarbeitet hat. Er leitet Workshops an verschiedenen Ausbildungsinstituten, der Ärztekammer und Kongressen.

In diesem praxisorientierten Workshop wird der Einsatz von EMDR bei Zwangs- und Essstörungen vorgestellt und eingeübt. Dabei wird auf die Besonderheiten beim Einsatz von EMDR ebenso eingegangen, wie auf die Kombination mit Reizkonfrontationen (Expositionsübungen). Ein wichtiges Augenmerk richtet sich auf die Erarbeitung der negativen und positiven Kognitionen im EMDR-Ablaufschema. Wie kann hierbei auch die Art des Zwanges berücksichtigt werden? Waschzwänge bedürfen zum Beispiel oft anderer Strategien als reine Zwangsgedanken. Am zweiten Tag wird dann intensiv an Essstörungen gearbeitet. Einige Aspekte sind hier ähnlich, andere sehr unterschiedlich.

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