Alle netDoktor.at-Inhalte werden von medizinischen Fachjournalisten überprüft. Wenn Medikamente oder eine Psychotherapie nicht helfen, kann eine Elektrokrampftherapie Depressionen vertreiben. Doch die wird nur selten eingesetzt.
Elektroschocks gegen Depressionen? Das klingt erst einmal brachial. Tatsächlich wird das Gehirn bei schwer behandelbaren Depressionen im Rahmen der Elektrokrampftherapie heute in Narkose und mit sanften elektrischen Impulsen behandelt.
Neustart im Hirn
Die Therapie kann wie ein Neustart wirken: Bei jedem zweiten Patienten, der zuvor erfolglos ein Antidepressivum eingenommen hatte und dem auch eine Psychotherapie keine Linderung verschaffte, konnte die Elektrotherapie die Symptome vollständig vertreiben.
Damit ist die Therapie bei schwer behandelbaren Depressionen deutlich vielversprechender als der Versuch, weitere Medikamente auszuprobieren. Das haben Forscher um Eric Ross von der University of Michigan ermittelt, als sie die Daten der sogenannten STAR*D Studie auswerteten. Daran teilgenommen hatten mehr als 4000 Patienten mit schweren Depressionen.
Wenn ein Medikament versagt, hilft meist auch das zweite nicht
Die Forscher ermutigen behandelnde Ärzte und Patienten dazu, deutlich eher auf die Stromtherapie zu setzen, als es bisher der Fall ist. Versagt eine medikamentöse Therapie, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ein anderes Medikament hilft, erheblich: Schlägt das erste Medikament noch bei jedem dritten Patient an, hilft das zweite nur noch jedem Vierten. Haben bereits zwei Medikamente nicht die erhoffte Besserung erzielt, profitieren nur noch 15 Prozent der Patienten von einem dritten Medikament.
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„Die Elektrokrampftherapie gilt als letzte Option“, sagt Studienautor Daniel Maxiner. Zwar seien Medikamente und Psychotherapie bei Depressionen das Mittel erster Wahl. Bei therapieresistenten Patienten stünden die Chancen auf Heilung mit einer Elektrokrampftherapie aber deutlich besser. Die Forscher konnten zeigen, dass die Therapie rechtzeitig eingesetzt, den Patienten unter Umständen Jahre des Leidens ersparen kann.
Schwache Stromstöße unter Vollnarkose
Bei der Elektrokrampftherapie, auch Elektrokonvulsionstherapie genannt, wird das Gehirn über Elektroden fünf bis sechs Sekunden lang schwachen Stromstößen ausgesetzt. Der Patient befindet sich dabei in Vollnarkose. Zusätzlich wird ihm ein Mittel zur Muskelentspannung verabreicht, das verhindert, dass er krampft.
Wie genau die Therapie ihre heilsame Wirkung entfaltet, ist bisher noch nicht geklärt. Experten gehen davon aus, dass sich durch die schwachen Stromstöße das gestörte Zusammenspiel verschiedener Hirnregionen bei Patienten mit Depressionen normalisiert. Die elektrischen Impulse stimulieren unter anderem den Hippocampus, der auch die Gefühle reguliert. Insgesamt sind meist acht bis zehn Sitzungen notwendig. Anschließend wird der Patient mit Medikamenten stabilisiert.
Chronische Depressionen sind ein verbreitetes Problem: Ein Drittel bis die Hälfte der Patienten spricht zumindest beim ersten Versuch nicht auf die Antidepressiva an.
Wie wirkt eine Elektrokrampftherapie?
Über welche Mechanismen genau ein solcher „Heilkrampf“ eine positive Wirkung entfaltet, ist noch nicht vollständig geklärt. Man hat jedoch beobachtet, dass die Anfälle zahlreiche neurochemische Veränderungen im Gehirn anstoßen. Entscheidend scheint hierfür zu sein, dass ein Teil der Nervenzellen während der Behandlung im gleichen Takt aktiviert wird.
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Beispielsweise verändert sich die Konzentration verschiedener Hormone und Botenstoffe im Gehirn ebenso die Zahl der Andockstellen (Rezeptoren) für diese Neurotransmitter. Die Masse der sogenannten grauen Substanz, die sich aus den Zellkörpern der Nervenzellen zusammensetzt, nimmt zu. Vor allem vernetzen sich die Neuronen verstärkt untereinander.
Wie wirksam ist eine Elektrokrampftherapie?
Die EKT ist ein hochwirksames Verfahren, auf das 50 bis über 80 Prozent der Behandelten gut ansprechen. Da sie nur bei sehr schweren Erkrankungen eingesetzt wird sowie bei Patientinnen und Patienten, die zuvor nicht ausreichend auf andere Therapieverfahren angesprochen haben, ist die hohe Wirksamkeit umso beachtlicher.
Wann wird eine Elektrokrampftherapie angewendet?
Psychiater greifen auf eine EKT bei sehr schweren oder gravierenden, schwer zu behandelnden psychischen Erkrankungen zurück. Eine Indikation für eine Elektrokrampftherapie besteht beispielsweise , wenn:
- der psychische Zustand eines Patienten so gravierend ist, dass eine schnelle Entlastung notwendig ist
- der Patient schlecht auf eine vorangegangene Behandlung mit Psychopharmaka angesprochen hat (Therapieresistenz)
- der Patient Psychopharmaka schlecht verträgt
- die Risiken der EKT geringer sind als andere Behandlungsmöglichkeiten
Bei einigen schweren psychischen Erkrankungen ist eine EKT die Therapie erster Wahl. Das bedeutet, man greift direkt auf sie zurück, ohne zuvor andere Heilverfahren zu versuchen. Dazu gehören:
- Depressionen mit Wahnvorstellungen
- Depressive Erstarrung (Stupor)
- Psychosen mit Stimmungsschwankungen (schizoaffektive Psychose), darunter schwere depressive Symptome
- schwere Depression (Major Depression) mit hoher Suizidalität oder Nahrungsverweigerung
- akute, lebensbedrohliche (perniziöse) Katatonie
Als Therapie zweiter Wahl - also, wenn vorangegangene Behandlungen nicht ausreichend geholfen haben - setzen Psychiater die EKT in folgenden Situationen ein:
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- schwere Depressionen (Major Depression), bei denen die Betroffenen auf mindestens zwei Antidepressiva möglichst unterschiedlicher Wirkstoffklassen in Kombination mit Schlafentzug nicht ausreichend angesprochen haben
- nicht lebensbedrohliche Katatonien und akute Psychosen nach erfolgloser Behandlung mit Neuroleptika
- Manien nach erfolgloser Behandlung mit Neuroleptika, Lithium oder Carbamazepin
Die Wirksamkeit der EKT nimmt mit der Dauer der Erkrankung ab.
Die Elektrokrampftherapie (EKT) ist ein modernes medizinisches Behandlungsverfahren
Die Elektrokrampftherapie (EKT) ist ein modernes medizinisches Behandlungsverfahren, welches als Alternative zu pharmakologischen Therapieoptionen bei schweren psychiatrischen Krankheitsbildern, insbesondere bei Pharmako-Resistenz (z.B. Die EKT ist eine standardisierte Hirnstimulationsmethode, welche an unserer Klinik in Kooperation mit der Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie durchgeführt wird.
Die Elektrokonvulsionstherapie ist auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein zeitgemäßes und unentbehrliches Therapieverfahren bei schweren psychischen Erkrankungen. Grund hierfür ist die herausragende klinische Wirksamkeit. Die wichtigsten Indikationen sind die schwergradige unipolare oder bipolare Depression, die therapieresistente Depression und die lebensbedrohliche Katatonie bei Schizophrenie.
Unter intravenöser Kurznarkose und Muskelrelaxierung wird durch Anlegen eines Stromflusses am Kopf ein generalisierter epileptischer Anfall ausgelöst. Bei 50 bis 90 Prozent der depressiven Patient*innen kommt es so zu einer deutlichen Verbesserung der depressiven Symptome.
Nach ein bis zwei Vorgesprächen, in denen die Indikation überprüft wird und eine ausführliche Aufklärung stattfindet, wird im Rahmen eines stationären Aufenthaltes eine Serie von sechs bis zwölf Behandlungen, dreimal pro Woche, durchgeführt.
Wie läuft eine Elektrokrampftherapie ab?
Bei dem Betroffenen werden zunächst Klebeelektroden zur Krampfauslösung an beiden Schläfen sowie auch Elektroden zur Aufzeichnung der Hirnströme im Stirnbereich angebracht. Danach wird der Patient nach den Vorbereitungen zur Narkose in einen kurzen Tiefschlaf versetzt. Mittels verschiedener Stromwellen werden leichte Stromimpulse in das Gehirn geleitet, die zur Entwicklung generalisierter Anfälle im Gehirn führen. Während der gesamten Behandlungsdauer ist sich der Behandelte nicht bei Bewusstsein und verspürt keine Schmerzen. Nach erfolgter Behandlung wird er an einer intensivmedizinischen Aufwachstation über einen Zeitraum von zirka 2 Stunden beobachtet.
Kurze elektrische Impulse führen dazu, dass generalisierte Krämpfe im Gehirn ausgelöst werden, deren Intensität durch Hirnstrommessung aufgezeichnet wird. Die gesamte Behandlung erfolgt dabei schmerzfrei. Durch diese Methode kommt es u.a. zu einer Ausschüttung bestimmter Hormone, die vor allem Beschwerden bei schweren Depressionen oder bipolare Erkrankungen lindern können.
Mittels EKG werden die Herzströme sowie die Herzfrequenz fortlaufend überprüft, ebenso werden auch der Blutdruck und die Sauerstoffsättigung während der Elektrokrampftherapie kontinuierlich überwacht.
Zur Indikationsstellung und Durchführung der Elektrokampftherapie bedarf es eines qualifizierten Behandlungsteams im Spital, das sich in erster Linie aus einem Psychiater, einem Anästhesisten und jeweils einem Pflegemitarbeiter beider Fachbereiche zusammensetzt.
Nebenwirkungen der Elektrokrampftherapie
Der Wirkmechanismus ist bis heute nicht restlos geklärt. Eine Vermutung ist, dass der Krampfanfall die Ausschüttung bestimmter Botenstoffe (Neurotransmitter) und Hormone beeinflusst und es dadurch zu einer Besserung der psychischen Symptome kommt.
Zu den Nebenwirkungen zählen das Auftreten von vorübergehenden Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, sowie auch Muskelschmerzen. All diese Nebenwirkungen sind medikamentös gut behandelbar. Ebenso können vorübergehend Kurzzeitgedächtnisstörungen auftreten.
Wann darf die Elektrokrampftherapie nicht angewendet werden?
Die Elektrokrampftherapie darf bei folgenden Krankheitsbildern nur nach strenger Indikationsstellung angewendet werden:
- erhöhter Hirndruck (z.B. Hirntumor)
- bei einem Gehirnaneurysma (Aussackung an den Gefäßen des Gehirns)
- bei einem kürzlich überstandenen Herzinfarkt (es sollte ungefähr 3 Monate gewartet werden)
- bei einem kürzlich stattgehabten Schlaganfall oder einer Hirnblutung
- bei bestehender Blutverdünnung, z.B.
Für den Einsatz der Elektrokrampftherapie sind mehrere Faktoren ausschlaggebend, wie z.B. Diagnose, Schwere der Symptome, Behandlungsvorgeschichte sowie eine sorgfältige Abwägung von Nutzen und Risiken. Ebenso ist der Wunsch des Patienten in der Entscheidung zur Durchführung der Elektrokrampftherapie zu berücksichtigen.
Die Behandlung wird normalerweise 2 bis 3 Mal in der Woche durchgeführt. Dazwischen sollte immer ein behandlungsfreier Tag eingehalten werden. Insgesamt werden 6 bis 12 Anwendungendurchgeführt. Wenn eine zufriedenstellende Besserung erreicht wurde, sollte die Therapie beendet werden.
Sie sollten sich genau an die von Ihrem behandelnden Arzt vorgeschriebenen begleitenden Therapieformen halten, wie z.B. die Einnahme der Psychotherapeutika, anderer Medikamente, Psychotherapie. Gerade die Elektrokrampftherapie und die Psychotherapie ergänzen einander erfahrungsgemäß sehr gut.
Seien Sie offen und sprechen Sie Ihren Psychiater auf alle Ihre Ängste in Zusammenhang mit der Behandlung an. Die nach dem heutigen, durch die Weltgesundheitsorganisation festgelegten, Standard durchgeführte Elektrokrampftherapie ist sehr risikoarm.
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