Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) ist als eine Störung der Affektregulation sowie als Störung der sozialen Interaktionen zu verstehen.
Ursachen der Borderline-Persönlichkeitsstörung
Die Ursachen der Erkrankung sind sehr komplex und bisher nicht völlig geklärt. Frühe (sexuelle) Gewalterfahrungen spielen eine Rolle. Ebenfalls von Bedeutung sind Genetik und Auffassungsschwierigkeiten, neurophysiologische sowie neurobiologische Funktionsstörungen der Emotionsregulation.
Die Borderline Störung entsteht nach diesem Verständnis durch ein Zusammenwirken verschiedener dysfunktionaler Funktionsweisen der Patientin oder des Patienten. Die Ursachen von Schemata liegen häufig in traumatischen Vorerfahrungen.
Komorbidität und Prävalenz
Viele betroffene BPS Patient_innen leiden unter zusätzlichen psychischen Störungen. Häufige komorbide Störungen sind Depressionen, Angststörungen, PTBS, Schlafstörungen aber auch Alkohol- und Drogenmissbrauch.
Die Erkrankung zeigt bei Männern und Frauen unterschiedliche Verläufe. Gründe dafür mögen Unterschiede in der Sozialisation sein, oder aber auch die geschlechtsspezifische Neigung zu bestimmten Komorbiditäten. Männer nehmen seltener professionelle Hilfe in Anspruch und brechen laufende Behandlungen eher ab.
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Die Prävalenz der Borderline Störung in der Allgemeinbevölkerung wird je nach Studie mit 1,5 bis zu 3 % angegeben. Damit kann von einer sehr häufigen Störung gesprochen werden. In klinischen Stichproben finden wir vermehrt betroffene Frauen. Es wird jedoch heute davon ausgegangen, dass Männer und Frauen gleich häufig von dem Störungsbild betroffen sind (vgl. Dulz et al.
Therapeutische Angebote für BPS-Patienten
Die Borderline Persönlichkeitsstörung ist heute in vielen Fällen psychotherapeutisch gut behandelbar. Dazu sind sowohl psychoanalytisch orientierte als auch verhaltenstherapeutisch orientierte störungsspezifische Methoden entwickelt worden:
- Dialektisch Behaviorale Therapie - DBT (M. Linehan)
- Transference Focussed Psychotherapy - TFP (O. Kernberg)
- Schema Focussed Therapy - ST (J. Young)
Schema-Therapie (ST)
Schematherapie (ST) gilt als Weiterentwicklung kognitiv-verhaltenstherapeutischer Verfahren. Erfolgreiche Techniken der Verhaltenstherapie werden mit Elementen aus der Gestalttherapie sowie tiefenpsychologischen Sichtweisen verbunden.
In der Therapie wird auf den jeweils aktivierten Modus eingegangen. Ziel der Schematherapie ist es, Patient_innen Einsicht zu vermitteln, welche Bedürfnisse in der Kindheit nicht adäquat erfüllt worden sind und wie es gelingen kann, aktuelle Bedürfnisse besser zu befriedigen (vgl. Grawe, 2004).
Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT)
Der Mentalisierungsansatz (MBT) stellt eine Synthese aus entwicklungspsychologischen, bindungstheoretischen, psychodynamischen, kognitiv-behavioralen, traumabezogenen sowie neurobiologischen Erkenntnissen und der „Theory of mind“ dar. Somit kann dieser Ansatz als Gemeinsamkeit zwischen allen Psychotherapieschulen gesehen werden.
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Mentalisieren bedeutet dabei, Verhalten im Zusammenhang mit inneren Zuständen und Vorgängen zu erleben und zu verstehen. Das Ziel von MBT besteht darin, dieses Verständnis zu fördern. Ein klares Konzept sowie stabile Repräsentanzen von inneren Zuständen (Gedanken, Gefühle, Wünsche, Bedürfnisse) sollten entwickelt werden (vgl. Fonagy et al., 2002).
Transference-Focused Psychotherapy (TFP)
Die Transference-Focused Psychotherapy (TFP) ist eine spezifische psychodynamische Psychotherapie, die für Patient_innen mit Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen entwickelt wurde. Diese Methode basiert auf der Objektbeziehungstheorie und unterscheidet sich deutlich von anderen psychodynamischen Therapieansätzen.
Verglichen mit klassisch psychoanalytischen Settings sind in der TFP klare Struktur und eine direkte, unterstützende Beziehungsgestaltung von größerer Bedeutung (Clarkin et al., 2006).
Dialektisch Behaviorale Therapie (DBT)
In der Dialektisch Behavioralen Therapie (DBT) versteht sich der/die Therapeut_in auch als „Coach“. Die DBT basiert auf überwiegend verhaltenstherapeutischen Fertigkeiten. Ergänzt wird die Therapie dabei auch durch fernöstliche Elemente.
Die therapeutische Grundhaltung der DBT ist geprägt durch Akzeptanz, Stabilität, Geduld und Mitgefühl. Wichtig ist eine validierende Atmosphäre sowie Unterstützung bei der Problembewältigung. In der DBT wird die gestörte Emotionsregulation als Kernproblem der Erkrankung betrachtet. Dysfunktionales Verhalten steht in enger Verbindung mit der jeweiligen inneren Anspannung. Diese Anspannungszustände führen zu Selbstverletzungen oder anderen impulsiven Verhaltensweisen. Zwischenmenschliche Probleme treten ebenfalls vermehrt auf, da Anspannung auch zu Aggressionen führen kann.
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Die komplexe BPS Problematik wird in der DBT nach hierarchisierten Therapiezielen bearbeitet. Die Therapieziele sind nach dem Grad der Selbstgefährdung aufgebaut.
Tageszentrum für Borderlinestörung (TAZ-B) des PSD Wien
Seit 2009 können wir im Institut für Psychotherapie mit Tageszentrum für Borderlinestörung des PSD Wien ein 12-wöchiges intensives Therapieprogramm für Patient_innen mit einer Borderline Persönlichkeitsstörung anbieten. Das Programm haben wir zunehmend adaptiert und weiterentwickelt.
Die Teilnahme am Therapieprogramm erfolgt nach ausführlichem Erstgespräch und fundierter klinisch psychologischer diagnostischer Abklärung. Eine gewisse Motivation und Belastbarkeit sind Voraussetzung für eine erfolgreiche Teilnahme. Täglich finden fünf therapeutische Einheiten statt (siehe Tab. 1).
Therapieelemente im TAZ-B
Wirksame therapeutische Elemente sind Skillstraining, soziales Kompetenztraining, Euthyme Verfahren, Ergotherapie, Kunsttherapie, Achtsamkeit und Entspannung, Aktivierung und Sport, Ernährung sowie Psychoedukation, aber auch (Berufs)orientierung.
Durch die Zusammenarbeit im gesamten Team werden die einzelnen Einheiten zu einem positiven „Ganzen“. Die Ergotherapie bietet Hilfestellung beim Wiedererreichen der Handlungsfähigkeit im Alltag. Defizite und Ressourcen der Patient_innen können genauer ermittelt werden, Ziele definiert und angestrebt, sowie Unterstützung bei der Ausführung von gestellten Aufgaben angeboten werden.
Psychotherapie findet im TAZ‑B überwiegend im Gruppensetting statt. Wenn wir Patient_innen fragen, was die Erkrankung für sie bedeutet, wird deutlich, wie stark die Beeinträchtigung in allen Lebensbereichen spürbar wird. Von ihrem Umfeld werden Betroffene häufig mit vielen Vorurteilen und Abwertungen konfrontiert. „Borderline“ bedeutet für die betroffenen Patient_innen permanenten Stress.
Tabelle 1: Therapieeinheiten im TAZ-B (Beispiel)
| Zeit | Aktivität |
|---|---|
| Vormittag | Skillstraining, soziales Kompetenztraining |
| Mittag | Euthyme Verfahren, Ergotherapie |
| Nachmittag | Kunsttherapie, Achtsamkeit und Entspannung |
Fallbeispiele
Anhand von zwei Fallbeispielen möchte ich abschließend einen Eindruck unserer Arbeit im TAZ‑B vermitteln.
Fallbeispiel 1: Frau S.
Die 25-jährige Patientin wird nach einer ambulanten Rehabilitation an uns zur Weiterbehandlung im TAZ‑B überwiesen. Aufgrund der vielfältigen Einschränkungen der Alltagsfunktionen wird ihre Belastbarkeit als sehr reduziert eingeschätzt.
Im ausführlichen Erstgespräch beschreibt die Patientin ihre Kindheit in der Slowakei, die von massiver Gewalt durch die Eltern und chronisch invalidierende Bedingungen gekennzeichnet war. Ab dem 15. Lebensjahr war Frau S. auf sich alleine gestellt. Aufgrund ihrer psychischen Problematik war die Patientin nicht in der Lage die Schule erfolgreich abzuschließen. Um zu überleben, musste sie sich im Rotlicht-Milieu und in der Drogenszene ihr Geld verdienen. Auch in dieser Zeit kam es zu vielen traumatisierenden Erfahrungen. Ab dem 20. Lebensjahr lebt Frau S. in Wien.
Frau S. reagierte immer wieder verstärkt mit körperlichen Symptomen wie Fieberschüben, Lähmungserscheinungen der Beine sowie Schmerzen am ganzen Körper. Anfangs fiel es der Patientin im TAZ‑B sehr schwer, ein wenig Vertrauen in Therapeut_innen und das Therapieangebot zu entwickeln. Auch aufgrund sprachlicher Probleme hatte sie Hemmungen, sich in die Gruppe einzubringen.
Frau S. entwickelte sich über die 12 Wochen zu einer verlässlichen, liebenswerten und bemühten Teilnehmerin. Einen Ort zu haben, an dem sie willkommen und sicher war, war wichtig. Sie war eine Kämpferin, die trotz ihrer häufig starken Schmerzsymptomatik, sehr interessiert und engagiert war. Frau S. konnte ihre Therapieziele überwiegend erreichen bzw. Schritte in eine konstruktive Richtung machen. Soziales Kompetenztraining und die Skillstrainingsgruppe waren besonders hilfreich und ermöglichten ihr, neue Fertigkeiten zu erwerben, diese anzuwenden und dadurch neue Erfahrungen zu machen. Als große Ressource erlebte sie ihren wiederentdeckten Zugang zu ihrer Kreativität.
Ihre finanzielle und soziale Situation war auch am Ende ihrer Teilnahme leider weiter sehr angespannt. Ein Kontakt mit der Schuldnerberatung wurde mit unserer Unterstützung hergestellt. Frau S. hat um Rehabilitationsgeld angesucht, um eine gewisse finanzielle Absicherung zu erreichen. In ihrem Umfeld gab es leider wenig unterstützende, konstruktive Kontakte.
Fallbeispiel 2: Frau T.
Frau T., 47 Jahre alt, meldet sich auf Empfehlung der ÖGK (Österreichische Gesundheitskasse) bei uns und ersucht um psychotherapeutische Unterstützung. Die Patientin wird nach dem Erstgespräch primär für eine Einzeltherapie vorgemerkt, die sie nach einer kurzen Wartezeit beginnen kann. Aufgrund ihrer aktuell sehr schwierigen Lebenssituation und einer sich abzeichnenden massiveren psychischen Krise wird Frau T. zusätzlich für eine Teilnahme am TAZ‑B vorgemerkt.
Frau T. wuchs gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder in ihrer Familie im Burgenland in einer kleinen Ortschaft auf. Die Eltern führten eine schwierige Ehe, Frau T. wurde bereits in jungem Alter zur Vertrauten und Komplizin der Mutter. Wirklich geliebt gefühlt habe sie sich nicht, jedoch versuchte sie mit großen Anstrengungen immer Aufmerksamkeit und Zuwendung von den Eltern zu bekommen. Der Vater habe sich in andere Beziehungen geflüchtet, Frau T. wurde häufig zur Geheimnisträgerin. Aussehen spielte in der Familie eine große Rolle, v. a. auch schlank zu sein. Sie sei häufig abgewertet und belächelt worden, obwohl sie eigentlich nie „zu dick“ gewesen war. Die Mutter litt häufig unter Depressionen und Migräne. Sie konnte sich dadurch nicht um die Bedürfnisse der Kinder kümmern.
Die Ausbildungswahl fiel der Patientin schwer. Zu wissen, was sie wolle und an sich selbst zu glauben, war durch das stark reduzierte Selbstwertgefühl erschwert. Frau T. Sie flüchtete sich früh in die Ehe mit einem Italiener und lebte in der Folge fast 20 Jahre im Ausland. In der Beziehung mit ihrem Mann setzt sich der Leidensweg von Frau T. fort. Er war dominant, wenig wertschätzend oder unterstützend. Die Patientin versuchte für ihre drei Kinder eine gute Mutter zu sein, litt jedoch immer wieder unter depressiven Phasen und suchte über viele Jahre häufig auch therapeutische Hilfe auf. Den Kindern zuliebe wollte sie sich lange nicht scheiden lassen. Sie flüchtete sich in destruktive Verhaltensweisen wie übermäßiges Essen, Selbstbestrafung durch selbstauferlegte Verbote oder dissoziative Tagträume.
Nach der Scheidung kam Frau T. mit 40 Jahren wieder nach Österreich zurück. Sie habe sich hier bessere Berufschancen erhofft. Ihre beinahe erwachsenen Kinder blieben in Italien, Frau T. leidet sehr unter der räumlichen Distanz. Die Eingewöhnung wieder in Österreich fiel der Patientin schwer.
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