Die Auseinandersetzung mit psychischen Problemen und die Rolle von Psychiatern in der Gesellschaft sind vielschichtig. Filme und Bücher bieten oft eine Plattform, um diese Themen zu erkunden und zu hinterfragen.
Psychische Gesundheit in Film und Literatur
Todd Solondz' preisgekrönter Film "Happiness" verfolgt ein Dutzend Amerikaner bei ihren tragikomischen Anstrengungen, glücklich zu werden. Und natürlich ist das Glück in erster Linie im Titel präsent. Der Film selbst konzentriert sich darauf, die zum Scheitern verurteilte Jagd nach ebendiesem zu dokumentieren. Diese Einsicht belegt Solondz mit einer Nachhaltigkeit, angesichts derer die komischen Aspekte hinter den peinlichen und schlicht unangenehmen mitunter deutlich zurücktreten.
Im Zentrum des Films steht die treuherzige und männermäßig nicht eben verwöhnte Joy Jordan, Schwester der in koketter Selbstbezichtigung badenden Erfolgsautorin und der properen Mona (Louise Lasser), der die Darstellung von Lebenstüchtigkeit und häuslichem Glück zwar die Gesichtshaut zu straffen scheint, aber doch auch einige Verdrängungsleistung abverlangt. Daß Monas Mann Bill (Dylan Baker), ein von Amokträumen heimgesuchter Psychiater, als einziger ans Ziel seiner Wünsche gelangt und vom gehemmten Päderasten zum praktizierenden Knabenschänder mutiert, setzt das Familienleben einer weiteren Belastung aus.
Auch Paulus Hochgatterer präsentiert in seinem Buch Grenz- und Genre-überschreitend Schwer ver- und gestörte Menschen von nebenan, die im psychiatrischen Blick des Autors den ganz normalen Wahnsinn im Kleinstadt-Biotop repräsentieren. Alle diese Menschen sind Kommissar und Psychiater mehr oder weniger bekannt. Manche dieser Menschen sind Sympathieträger, anderen möchte man nicht einmal als Nervenarzt begegnen. Einige kommen als Mörder in Frage. Keinem von ihnen traut man den Mord wirklich zu.
Die Rolle des Psychiaters
Somit wird die Lösung dieses Falls nicht nur zur Aufgabe für den Kriminalkommissar Ludwig Kovacs, der den Mörder finden, sondern auch für den Psychiater, Raffael Horn, der das traumatisierte Mädchen behandeln soll. Aber hätte sich der Mord im Vorfeld durch einen geistesgegenwärtigen Psychiater, der seine Patienten und ihre Traumata kennt, verhindern lassen? Paulus Hochgatterer inszeniert seinen Krimi so, dass er mit System und Bedacht falsche Spuren legt.
Lesen Sie auch: Psychologische Berufe im Vergleich
Während die meisten Autoren vor allem auf ihren eigenen Erfahrungshintergrund als Schriftsteller reduziert sind, können jene, die auch als Ärzte, Anwälte, Historiker, Universitätsprofessoren, Naturwissenschaftler oder Journalisten arbeiten, auf Detailkenntnisse in einer anderen Lebensrealität zurückgreifen.
Soziopathen unter uns
Die amerikanische Psychologin Stout beschreibt in diesem Buch Menschen, denen sie in ihrer 25 jährigen Praxis begegnet ist und die eines gemeinsam haben: Es fehlt ihnen das Gewissen, sie zeigen eine emotionale Debilität, d.h. Unempfindsamkeit, die sogar neurologisch nachweisbar ist. Soziopathen sind Menschen, die andere skrupellos quälen und sich nicht an Normen halten. An der Stelle ihrer Seele klafft ein Loch: „Was Soziopathen fehlt, das ist etwas, das ihr Leben mit Sinn und Herzenswärme erfüllt“, schreibt die amerikanische Psychologin Martha Stout in ihrem Buch „Der Soziopath von nebenan“.
Soziopathen sind Menschen, die ihr Spiel mit anderen Menschen treiben. Als Kinder quälen sie Tiere und als Erwachsene schrecken sie vor sexuellen Übergriffen nicht zurück. So berichtet Stout etwa über einen skrupellosen Geschäftsmann, der Familie wie Geschäftspartner gleichermaßen hintergeht und ausnützt, oder über eine Hochstaplerin, die sich als Therapeutin ausgibt und Patienten wie Kollegen in einer Klinik schikaniert.
Der Grund, warum sie sich entschlossen habe, das Buch zu schreiben, waren die vielen, oft jahrelang von Soziopathen seelisch gequälten und manipulierten Opfer, die schließlich die Hilfe der Psychologin suchten. Soziopathen zu erkennen, falle allerdings nicht leicht, denn sie geben sich charmant, sind meist attraktiv und ziehen andere Menschen leicht in ihren Bann.
„Hellhörig sollte man werden, wenn sie nach ihren Vergehen um Mitleid betteln“, empfiehlt Stout. „Soziopathen empfinden allerdings nie wirklich Schuldgefühle und fühlen sich niemandem verpflichtet“, erklärt sie weiter. Typisch für Soziopathen ist zudem, dass sie notorische Lügner sind.
Lesen Sie auch: Psychologe vs. Psychiater
Während Stout davon spricht, dass bis zu vier Prozent der Bevölkerung von einer solchen soziopathischen Persönlichkeitsstörung betroffen sind, scheint diese Zahl dem Vorarlberger Psychiater Univ.-Prof. Dr. Reinhard Haller etwas hoch gegriffen: „Tatsächlich sind weniger als ein Prozent von einer solchen soziopathischen Persönlichkeitsstörung betroffen. Es handelt sich dabei aber nicht um eine Krankheit sondern um eine Charaktereigenschaft, die allerdings kaum veränderbar ist.“
Soziopathie, so auch Stout, sei so gut wie unbehandelbar - vor allem auch deshalb, weil die Betroffenen kaum Einsicht in ihr Verhalten zeigen, selbst wenn andere noch so sehr darunter leiden. Erforscht werden auch erbliche Komponenten und abnorme Funktionen der Großhirnrinde.
Wie Stout in ihrem Buch beschreibt, zeigen Probanden beim Lösen von Aufgaben mit emotional besetzten Wörtern - zum Beispiel „Liebe“ - normalerweise typische Muster der Hirndurchblutung, die sich von jenen beim Lösen trockener Sach-Aufgaben deutlich unterscheiden. Nicht so bei Soziopathen: „Beim Versuch, eine Aufgabe mit emotionalen Wörtern zu lösen, haben Soziopathen mehr oder weniger so reagiert, als wären sie aufgefordert worden, eine Rechenaufgabe zu lösen“, schildert Stout.
Im Gegensatz zu Stout meint der Vorarlberger Psychiater jedoch, dass Soziopathen mitunter sehr wohl an den Folgen ihrer Störung leiden könnten: „Schließlich verlieren sie häufig den Arbeitsplatz oder werden immer wieder straffällig.“ Fest steht aber auch für ihn, dass Soziopathen auf Grund ihres einnehmenden Wesens oft nur schwer zu erkennen sind.
„Ganz wichtig ist es für Menschen in ihrem Umkreis, sich so rasch als möglich abzugrenzen, wenn sie das Gefühl haben ausgenützt und hintergangen zu werden.“ Das frühzeitige Erkennen von Scheinheiligkeit, die Fähigkeit zur Reflexion und die Erziehung zu einem gesunden Selbstvertrauen sind jedenfalls präventive Strategien, die verhindern, Opfer von Soziopathen zu werden.
Lesen Sie auch: Diagnose und Behandlung von ADHS bei Erwachsenen
Die Komplexität menschlicher Beziehungen
In der Tat kämpfen die vier Anti-Helden Philibert, Camille, Franck und Paulette mit ihrem Alltag, ihren Kindheitstraumen und familiären Vergangenheiten. Doch die Probleme, die sie haben, und die Auswirkungen der Vergangenheit auf ihre Persönlichkeit, haben hier weniger mit dem Gang zum Psychiater zu tun. Es sind Schwierigkeiten, mit denen wir alle zu tun haben, die unser Leben prägen und schlicht zu unserem Alltag gehören. Der Roman besticht durch seine lebendigen, schnellen Dialoge, die mich stark an den französischen Film erinnert haben.
Die Gespräche der Protagonisten sind immer wieder durch gedankliche Sprünge geprägt, was aber nicht daran hindert, Gefühle und Situationen nachzuvollziehen. Im Gegenteil: Das Unausgesprochene zwischen den Zeilen macht die Geschichte sehr menschlich. Und obwohl der Plot eigentlich nach der Hälfte klar ist und danach (fast) keine Überraschungen mehr bietet, kann man von diesem Buch nicht lassen.
Psychotherapie: Einblicke und Perspektiven
Es ist erstaunlich, welche Fülle von Inhalt in dem schmalen Bändchen Platz findet. Alle Beiträge kreisen um ein Thema, das noch vor nicht so langer Zeit kein Thema zu sein hatte: Die psychotherapeutische Behandlung von Psychosen. Vorweg: Die Idee hat viel für sich, im Strom der Veröffentlichungen über Wissenswertes, über Bücher, die man gelesen haben muss, über Bildungsinhalte, die man braucht, auch ein Lesebuch über die Psychotherapie zu gestalten und so einen kaleidoskopischen Überblick über wichtige...
Das Buch bringt dem Leser das vielfältige Erscheinungsbild der personzentrierten/klientenzentrierten Therapie nahe - das sind die im Titel gemeinten vielen Gesichter (Gesichter im wortwörtlichen Sinn sieht man auch - im Autor/inn/enverzeichnis am Schluss). Das Buch macht so einen lebendigen, bunten Eindruck, dass sich sofort die Frage nach dem einigenden Gesamtkonzept ergibt. Die Antwort ist schnell gefunden: Barolin macht sein Anliegen transparent.
tags: #Der #Psychiater #von #Nebenan #Kritik