In der modernen Psychiatrie werden vielfältige Therapieansätze verfolgt, um den individuellen Bedürfnissen der Patienten gerecht zu werden. Dieser Artikel beleuchtet zwei interessante Bereiche: die Anwendung des Kletterns als therapeutische Maßnahme und die psychologische Behandlung von Schlafstörungen.
Klettern als therapeutische Intervention
Klettern hat sich in den letzten Jahren zu einem Trendsport entwickelt, der auch in therapeutischen Kontexten Anwendung findet. Anfang der 90iger Jahre des vergangenen Jahrhunderts fanden die ersten Schritte statt, das Klettern in Therapieverfahren zu integrieren. Inzwischen wird Klettern vermehrt in der ergo- und physiotherapeutischen Praxis, sowie im Rahmen von Psychotherapien genutzt. Es geht dabei weniger um den sportlichen Effekt des Trainings, sondern um verschiedene therapeutische und rehabilitative Ansätze.
Grundlagen des Kletterns
Im Allgemeinen wird am natürlichen Fels oder auf künstlichen Anlagen, also in Kletterhallen, geklettert. Klettern gehört mit seinen Bewegungselementen: Halten, Stützen, Greifen, Ziehen und Treten zu den Grundformen menschlicher Bewegung und ist schon bei Kleinkindern zu beobachten. Bouldern ist das Klettern an Felsblöcken oder an einer Boulderwand (niedere künstliche Kletterwand) in Absprunghöhe und ohne Sicherung. Da das Top-Rope-Klettern die sicherste Art des Sportkletterns darstellt, ist es die im therapeutischen Klettern praktizierte Variante des Sportkletterns.
Therapeutisches Klettern: Definition und Ziele
Therapeutisches Klettern ist eine Therapieform bei der das Klettern im Mittelpunkt des therapeutischen Prozesses steht. Es ist im Rahmen einer Psychotherapie kein Sport- oder Alpinklettern im klassischen Sinn, sondern ein begleitetes Bewegen an Kletterwänden (Indoor) am Top-Rope-Seil oder an der Boulderwand.
Durch das Definieren eines Zieles werden Handlungsplanung, Gedächtnis, Konzentration und das Erstellen von Problemlösungsstrategien sowie die Kognitionen angesprochen. Im Bereich der Motorik gehören die Behandlung von Koordinationsstörungen, die Förderung der Fein- und Grobmotorik, Kraft, Ausdauer, sowie Reaktion und Belastbarkeit dazu. In der Wahrnehmung werden die Tiefen- und Oberflächensensibilität, das Gleichgewicht, die räumliche Wahrnehmung sowie das Körperschema verbessert. Der Sozio-Emotionale Bereich wird durch die Förderung von Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl, Vertrauen, Verantwortungsbewusstsein und Selbsteinschätzung gefördert.
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Psychologische Aspekte des Kletterns
Beim therapeutischen Klettern werden intensive Gefühle aktiviert und damit die Möglichkeit eröffnet, an bedeutsamen persönlichen Themen zu arbeiten. Es zeigen sich sowohl die Komponenten der Konfrontation mit den eigenen Ängsten, im Speziellen mit Höhenangst, dem individuellen Grenzerleben und Aspekte des Selbstwertes und Selbstvertrauens. Gleichzeitig ermöglicht das therapeutische Klettern das Erleben von Freude und Stolz, von „Flow“. Das unterstützt das Selbstwertgefühl und fördert Selbstbewusstsein, Verantwortungsbewusstsein, Selbsteinschätzung und Vertrauen.
Die Erfahrung von Relationalität im Sinne eines gegenseitigen aufeinander Angewiesenseins und gegenseitiger Abhängigkeit, münden in eine verlässliche Beziehung (Kletterer/Kletterin versus SicherungspartnerIn). Der Bereich des individuellen Umgangs mit Lernen und Leistung und das Bearbeiten von Widerständen und Frustrationserfahrungen sind ebenso häufig Thema.
Erkenntnisse und Forschung zum therapeutischen Klettern
Es zeigte sich in meinen Untersuchungen, dass es beim Klettern um Vertrauen in sich selbst als Leib-Subjekt (Körper-Seele-Geist), um Vertrauen in das Material (Seil, Gurt) sowie um das Vertrauen in ein Gegenüber (SicherungspartnerIn) geht. Selbstwert erlebt ein Mensch beim Klettern über die Wahrnehmung von sich selbst, seinen Grenzen, seinen Möglichkeiten, Ressourcen und über seine persönlichen Erfolge. Des Weiteren wurde in beiden Datenschnitten offensichtlich, dass Klettern eine absolute Fokussierung von Aufmerksamkeit und Wahrnehmung vom Einstieg in eine Route bis an ihr Ende erfordert.
Die Erfahrung von Relationalität im Sinne eines Gegenseitigen-aufeinander-Angewiesenseins - eine Person klettert, die andere sichert - und gegenseitiger Abhängigkeit in diese verlässliche Beziehung, ist beim Klettern sehr zentral. In der Untersuchung wurde deutlich, dass durch das Gehalten-Werden durch das Seil, durch das „Sich-in-die-Hände-von-jemandem-begeben“ wenn man sich sichern lässt und das Vertrauen, von diesem Mitmenschen Unterstützung und Hilfestellung in einer schwierigen Situation zu erhalten, heilsame Erfahrungen geschehen können.
Das Thema Lernen zeigt sich beim Klettern durch Veränderungsprozesse des Handelns, Denkens und Fühlens, sowie im Sammeln neuer Erlebnisse, Erfolgserfahrungen und Kompetenzen. Das Leib-Konzept der Integrativen Therapie versucht den Menschen in seiner Körperlichkeit, seiner Emotionalität, seiner geistigen Struktur, sowie seinem sozialen und ökologischen Kontext als „Leibsubjekt in der Lebenswelt“ zu erfassen. Der Mensch erfährt Sinn über seine Sinne, über sein Wahrnehmen, Handeln, Fühlen und Denken. Beim Klettern werden sowohl die Sinne, als auch die intrapsychischen Vorgänge und die Wahrnehmung angeregt und gefordert.
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Psychologische Behandlung von Schlafstörungen
Bei der Behandlung von Schlafstörungen sind psychologische Therapieansätze weitaus weniger etabliert als medikamentöse Strategien. Die Forschung beschränkt sich zur Zeit noch auf Untersuchungen bei Ein- und Durchschlafstörungen, obwohl psychologische Maßnahmen auch bei anderen Schlafstörungen wie z. B. RLS hilfreich sein könnten.
Mit Prävalenzraten von 10-48% sind Insomnien eine häufige Schlafstörung, die die Lebensqualität stärker beeinträchtigt als andere Langzeiterkrankungen. Wie eine Studie zeigte, liegt die Prävalenz schwerer Insomnien in Deutschland bei 4%. Schwere Insomnien wurden überwiegend bei Frauen, die arbeitslos waren, alleine nach einer Scheidung oder Trennung lebten, in größeren Städten wohnten und nicht älter als 65 Jahre alt waren, beobachtet.
Kognitiv-Behaviorale Therapie bei Insomnien (CBTI)
Die psychologische Behandlung von Insomnien wurde in zahlreichen Studien untersucht. Die Entwicklung und Evaluierung psychologischer Ansätze bei der Bewältigung von Schlafproblemen ist vor allem Charles Morin zu verdanken. Morin und Mitarbeiter haben CBTI (Cognitiv Behaviorale Therapie bei Insomnien) entwickelt und die Ergebnisse von 48 Studien und 2 Metaanalysen vor 1999 sowie von 37 Studien von 1998 bis 2004 zusammengefasst. Morins 2006 erschienener Artikel gilt heute noch als Maßstab. Pharmakotherapie galt bis dahin als klassischer und erster Ansatz zur Behandlung von Insomnien.
Morin konnte zeigen, dass die CBTI bei primärer Insomnie ebenso effektiv ist wie die medikamentöse Therapie, dass aber beide Ansätze zusammen die bestmögliche evidenzbasierte Behandlungsmöglichkeit bei primärer Insomnie darstellen. Kognitiv-behaviorale Therapien bestehen für gewöhnlich aus edukativen Komponenten (Schlafhygiene), behavioralen Komponenten (Stimuluskontrolle, Schlafrestriktion, Entspannung) und Komponenten der kognitiven Therapie.
Elemente der CBTI
- Sleep Hygiene Education (SHE): Das Training zur Schlafhygiene beinhaltet unter anderem Basiswissen über den Schlaf und Verhaltensregeln, die guten Schlaf fördern.
- Paradoxical Intention (PI): möchte die kontraproduktive Erwartungshaltung zu schlechtem Schlaf reduzieren und “verordnet” schlechten Schlaf. Die Patienten werden angewiesen, wach zu bleiben, damit auf diese Weise ihre Kognitionen reorganisiert werden.
- Verhaltenstherapie (CBT): adressiert gelerntes Hyperarousal. Klinische Vorgehensweisen, die somatische Spannungen oder aufdringliche Gedanken zur Schlafenszeit reduzieren, sind nützliche Techniken in der nichtpharmakologischen Behandlung von Insomnien.
Überlegenheit multidimensionaler Ansätze
In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass die multidimensionalen Ansätze den individuellen Ansätzen vorzuziehen sind: So wurden mit SCT + SRT + SHE bessere Ergebnisse erzielt als mit SHE alleine. Lichstein et al. stellten fest, dass SCT + RT + SHE erfolgreicher waren als die “wait list control”; Waters et al. fanden heraus, dass ein multidimensionaler Ansatz besser ist als SHE alleine. Davidson et al. kamen zum Ergebnis, dass SCT + RT + SHE zu einer signifikante Steigerung der “sleep onset latency” (SOL), “wake time after sleep onset” (WASO), Schlafeffizienz und der Gesamtschlafzeit führen.
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Effektivitätsstudien weisen allerdings den Vorteil von kombinierten Ansätzen gegenüber einem individuellen Ansatz nach: So erwies sich CBTI gegenüber der Warteliste mit oder ohne Entspannungstrainings als überlegen, ebenso wie gegenüber einer Placebobehandlung), gleichfalls sind CBTI mit Entspannungstrainings gegenüber einer Nichtbehandlung überlegen. Edinger et al. konnten zeigen, dass CBTI im Vergleich zu Entspannungstechniken wirksamer ist.
Schlafcoaching und Gestalttherapie
Bei Schlafcoaching, einem von uns entwickelten Ansatz, werden Elemente der nichtpharmakologischen Behandlung von Insomnien wie Schlafedukation und Verhaltensmodifikationen mit hypnotherapeutischen Elementen, Hypnose und Gestalttherapie kombiniert. Auch Hypnose und Bauchatmung und andere weniger geläufige Entspannungstechniken wurden in die multidimensionale Behandlungsansätze integriert.
Nach ausführlicher Überprüfung von gestalttherapeutischen Techniken stellt man fest, dass sie, obwohl hoch effektiv, gerne übersehen werden. Gestalttherapie beruht auf Ansätzen der Tiefenpsychologie und wird auch “Therapie der Gefühle” genannt. Die evaluierten Strategien zur Insomniebehandlung zielen auf das Verhalten und nicht auf die Erfahrung oder die dahinter stehende Emotion ab. Das ist die Qualität der Gestalttherapie. Identifizieren und bewusste Konfrontation mit einer unterdrückten Emotion, wie Angst oder Ärger, die die Gründe für innere Spannung sein können. Diese Technik ermöglicht nicht nur die Emotion zu identifizieren, sondern sie stellt dem Patienten auch neue Strategien im Umgang mit einem Gefühlszustand oder einer Situation zur Verfügung.
Wichtige Kontakte in Krisensituationen
Bei psychischen oder suizidalen Krisen sowie im akuten Notfall ist es wichtig, rasch Krisentelefonnummern und Notrufnummern bei der Hand zu haben.
- Ö3-Kummernummer: Aus allen Netzen zum Nulltarif erreichbar, absolut anonym; täglich von 16 bis 24 Uhr. Eine Erstanlaufstelle für alle Menschen in persönlichen Notlagen.
- Beratung für Kinder und Jugendliche: Anonym und rund um die Uhr.
- Krisenhotline St.: Telefonische Hilfe bei psychischen Krisen rund um die Uhr für Anruferinnen/Anrufer aus ganz Oberösterreich.
Bundesweite 24-Stunden-Krisentelefone und Notrufnummern siehe oben.
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